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Kündigung in Kleinbetrieb – treu-/sittenwidrige Kündigung

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Kündigung eines Kraftfahrers in einem Kleinbetrieb als rechtmäßig bestätigt. Weder die fehlende soziale Rechtfertigung noch eine unzureichende Sozialauswahl konnten festgestellt werden. Auch eine Treuwidrigkeit der Kündigung wurde vom Gericht verneint, da kein Zusammenhang zwischen der Kündigung und einer nachfolgenden Korrespondenz erkennbar war.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 Sa 64/23 und 6 Sa 446/23

✔ Kurz und knapp

  • Die Kündigung eines Arbeitnehmers in einem Kleinbetrieb mit weniger als 10 Beschäftigten unterliegt nicht dem Kündigungsschutzgesetz.
  • Die bloße Veröffentlichung von Stellenanzeigen allein indiziert noch keine regelmäßig höhere Beschäftigtenzahl.
  • Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unmittelbar vor der Kündigung macht diese nicht automatisch treuwidirig oder sittenwidrig.
  • Bei der Berechnung von Überstundenansprüchen sind vertraglich vereinbarte Arbeitszeiten und Pausen zu berücksichtigen.
  • Eine unschlüssige Berechnung der geltend gemachten Überstundenvergütung durch den Arbeitnehmer kann zur Abweisung des Anspruchs führen.
  • Die Whatsapp-Kommunikation zur Urlaubsgewährung nach Ausspruch der Kündigung ist für deren Wirksamkeit irrelevant.
  • Bei einer fehlenden sozialen Rechtfertigung der Kündigung findet keine Sozialauswahl statt.
  • Ein fehlender Gütetermin hindert nicht zwingend eine Entscheidung nach Lage der Akten.

Sittenwidrige Kündigung in Kleinbetrieb: Rechtliche Hürden für Arbeitgeber

Entlassungen im Kleinbetrieb sind oft eine Herausforderung – sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer. Anders als in größeren Unternehmen gelten hier häufig abweichende rechtliche Bestimmungen. Insbesondere das Kündigungsschutzgesetz findet in Betrieben mit weniger als 10 Beschäftigten keine Anwendung.

Dies bedeutet, dass eine Kündigung leichter ausgesprochen werden kann und der Arbeitgeber in der Regel keine Sozialauswahl treffen muss.

Gleichwohl sind auch Kündigungen in Kleinbetrieben an gewisse Voraussetzungen geknüpft. So können beispielsweise Kündigungen, die gegen Treu und Glauben oder die guten Sitten verstoßen, unwirksam sein. Entscheidend sind hier die Umstände des Einzelfalls.

Zudem sind Arbeitgeber selbst in Kleinbetrieben gehalten, bei Kündigungen die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer zu achten.

Der nachfolgende Fall befasst sich mit einer Kündigung in einem Kleinbetrieb, bei der es um die Frage der Sittenwidrigkeit ging. Das Urteil gibt interessante Einblicke in die rechtlichen Besonderheiten bei Kündigungen in KMU.

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✔ Der Fall vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg


Treuwidrige Kündigung eines Kraftfahrers in Kleinbetrieb

Kündigung Kraftfahrer im Kleinbetrieb
(Symbolfoto: Drazen Zigic /Shutterstock.com)

Der vorliegende Fall betrifft die treuwidrige Kündigung eines Kraftfahrers in einem Kleinbetrieb. Der Kläger, der seit 16. März 2015 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt war, erhielt am 28. Juli 2022 eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2022. Der Kläger hatte zuvor den Arbeitsweg vom Wohnort zum Betriebssitz mit dem Firmenfahrzeug zurückgelegt und ab 25. November 2021 mit seinem Privatfahrzeug. Der Kläger erfasste seine Arbeitszeiten mittels einer App und trug diese handschriftlich in einen Vordruck der Beklagten ein, einschließlich der Fahrtzeiten, welche die Beklagte für die Abrechnung nutzte.

Die rechtliche Auseinandersetzung begann, als der Kläger am 18. August 2022 gegen die Kündigung Klage erhob und sowohl die fehlende soziale Rechtfertigung als auch die unzureichende Sozialauswahl rügte. Der Kläger argumentierte, die Beklagte beschäftige mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer, was die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) zur Folge hätte. Die Beklagte bestritt dies und führte aus, dass die Kündigung aufgrund einer schlechten Auftragslage und der Unsicherheit über eine erneute Pandemiewelle ausgesprochen wurde. Der Kläger beantragte die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung sowie die Zahlung ausstehender Überstundenvergütungen.

Gerichtliche Entscheidung zur Kündigung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg wies die Berufung des Klägers gegen die Entscheidungen des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) zurück. Das Arbeitsgericht hatte die Kündigungsschutzklage als unbegründet abgewiesen, da das KSchG keine Anwendung fand. Es stellte fest, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung lediglich 8,5 rechnerische Vollzeitkräfte beschäftigte, da ehemalige Arbeitnehmer und kurzfristig ausgeschiedene Mitarbeiter nicht mitzuzählen seien. Auch die Treuwidrigkeit der Kündigung wurde verneint, da kein Zusammenhang zwischen der Kündigung und der anschließenden Whatsapp-Korrespondenz erkennbar war.

Das Arbeitsgericht entschied, dass die Kündigung weder sittenwidrig noch treuwidrig war, da der zeitliche Ablauf gegen einen solchen Zusammenhang sprach. Der Kläger hatte erst am 28. Juli 2022 seine Genesung und Rückkehr zur Arbeit mitgeteilt und erhielt am Folgetag die Kündigung. Die nachfolgende Diskussion über Urlaubszeiten könne nicht als Motiv für die Kündigung gewertet werden.

Berufung und Kostenentscheidung

Die Berufung des Klägers gegen das Schlussurteil vom 9. März 2023 wurde ebenfalls als unbegründet abgewiesen. Das Gericht sah die Berufungsbegründung als unzureichend an, da sie nicht alle tragenden Erwägungen des Arbeitsgerichts hinreichend angriff. Insbesondere setzte sich der Kläger nicht ausreichend mit den Argumenten des Arbeitsgerichts auseinander, die zur Ablehnung der Überstundenvergütung führten. Das Gericht bestätigte, dass der Kläger seine geschuldete Arbeitszeit von 45 Wochenstunden unzutreffend berechnet und die Fahrtzeiten als Arbeitszeiten erfasst hatte.

Die Kostenentscheidung basierte auf § 97 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), wonach der Kläger die Kosten seiner erfolglosen Rechtsmittel zu tragen hatte. Das Gericht sah keine Gründe für die Zulassung der Revision, da keine grundsätzliche Bedeutung oder Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung vorlag.

Klarstellung und Berichtigung

Im Berichtigungsbeschluss vom 18. August 2023 korrigierte das Gericht eine fehlerhafte Hausnummer im Urteil. Das Urteil wurde dahingehend berichtigt, dass die korrekte Hausnummer im Aktivrubrum auf dem Urteilsdeckblatt eingetragen wurde. Die Parteien wurden hierzu angehört und die Berichtigung erfolgte gemäß § 319 Abs. 1 ZPO. Die Revision wurde auch in diesem Punkt nicht zugelassen, da keine Gründe gemäß §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) vorlagen.

✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall


Das Urteil verdeutlicht, dass für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes die Anzahl der Vollzeitarbeitnehmer zum Kündigungszeitpunkt entscheidend ist. Eine Treuwidrigkeit der Kündigung liegt nicht vor, wenn kein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und späteren Ereignissen erkennbar ist. Bei unzureichender Berufungsbegründung und fehlerhafter Berechnung der Arbeitszeit durch den Kläger ist die Berufung zurückzuweisen.

✔ FAQ – Häufige Fragen: Kündigung in Kleinbetrieb


Wann greift das Kündigungsschutzgesetz in Kleinbetrieben?

Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) greift in Kleinbetrieben grundsätzlich nicht, wenn regelmäßig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind. Diese Regelung ergibt sich aus § 23 Abs. 1 KSchG. Dabei werden Auszubildende und Praktikanten bei der Berechnung der Mitarbeiterzahl nicht berücksichtigt. Teilzeitkräfte werden anteilig gezählt, wobei Arbeitnehmer mit bis zu 20 Wochenstunden mit dem Faktor 0,5 und solche mit bis zu 30 Wochenstunden mit dem Faktor 0,75 berücksichtigt werden.

Für Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 2004 eingestellt wurden, gelten besondere Regelungen. In diesen Fällen liegt ein Kleinbetrieb nur dann vor, wenn regelmäßig fünf oder weniger dieser sogenannten Alt-Arbeitnehmer beschäftigt sind. Entscheidend ist hierbei der tatsächliche Beginn der Beschäftigung und nicht das Datum der Vertragsunterzeichnung.

Obwohl das Kündigungsschutzgesetz in Kleinbetrieben nicht greift, sind Arbeitnehmer nicht völlig schutzlos. Kündigungen dürfen auch in Kleinbetrieben nicht willkürlich oder aus sachfremden Motiven erfolgen. Zudem besteht ein besonderer Kündigungsschutz für bestimmte Personengruppen wie Schwerbehinderte, Schwangere, Mütter bis vier Monate nach der Entbindung, Arbeitnehmer in Elternzeit und Mitglieder des Betriebsrates. Arbeitgeber müssen auch in Kleinbetrieben die gesetzlichen Kündigungsfristen einhalten und die Kündigung schriftlich mit eigenhändiger Unterschrift aussprechen. Eine mündliche Kündigung oder eine Kündigung per SMS, E-Mail oder Fax ist unwirksam.

Wichtige Punkte: Das Kündigungsschutzgesetz gilt nicht in Kleinbetrieben mit regelmäßig nicht mehr als zehn Arbeitnehmern. Teilzeitkräfte werden anteilig gezählt, und Auszubildende sowie Praktikanten werden nicht berücksichtigt. Kündigungen dürfen nicht willkürlich oder aus sachfremden Motiven erfolgen, und es besteht ein besonderer Kündigungsschutz für bestimmte Personengruppen.


Was bedeutet eine treuwidrige Kündigung und wann liegt sie vor?

Eine treuwidrige Kündigung liegt vor, wenn der Arbeitgeber bei der Kündigung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verstößt. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber die Interessen des Arbeitnehmers in einer Weise missachtet, die als willkürlich oder unfair angesehen wird. Ein Beispiel für eine treuwidrige Kündigung ist die sogenannte Austauschkündigung, bei der ein älterer Arbeitnehmer durch einen jüngeren ersetzt wird, ohne dass hierfür sachliche Gründe vorliegen. Auch Kündigungen, die als Maßregelung für die Geltendmachung berechtigter Ansprüche des Arbeitnehmers ausgesprochen werden, gelten als treuwidrig.

Im Kontext von Kleinbetrieben, die in der Regel nicht dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unterliegen, ist die Prüfung der Treuwidrigkeit besonders relevant. Obwohl Arbeitgeber in Kleinbetrieben grundsätzlich mehr Freiheiten bei Kündigungen haben, dürfen sie dennoch keine Kündigungen aussprechen, die auf bloßer Willkür beruhen oder die sozialen Mindeststandards verletzen. Ein Beispiel hierfür wäre die Kündigung eines langjährigen Mitarbeiters ohne nachvollziehbare betriebliche Gründe, während deutlich kürzer beschäftigte Kollegen weiterbeschäftigt werden.

Wichtige Voraussetzungen für eine treuwidrige Kündigung sind willkürliche Entscheidungen, die ohne sachlichen Grund oder aus reiner Willkür erfolgen, können als treuwidrig angesehen werden. Die Missachtung sozialer Rücksichtnahme, wie etwa die Entlassung eines langjährigen Mitarbeiters ohne triftigen Grund, während jüngere und kürzer beschäftigte Kollegen bleiben dürfen, ist ebenfalls ein Kriterium. Kündigungen, die als Reaktion auf die Geltendmachung berechtigter Ansprüche des Arbeitnehmers ausgesprochen werden, sind ebenfalls treuwidrig.

Beispiele für treuwidriges Verhalten des Arbeitgebers sind die Kündigung eines Mitarbeiters, um ihn durch einen anderen Mitarbeiter zu ersetzen, ohne dass hierfür betriebliche Gründe vorliegen. Ein weiteres Beispiel ist die Kündigung eines Mitarbeiters, weil dieser seine Rechte geltend gemacht hat, wie etwa die Forderung nach ausstehendem Lohn. Auch die Kündigung eines langjährigen Mitarbeiters ohne nachvollziehbare betriebliche Gründe, während jüngere und kürzer beschäftigte Kollegen weiterbeschäftigt werden, fällt darunter.

Rechtliche Konsequenzen einer treuwidrigen Kündigung sind, dass diese unwirksam ist und vor Gericht angefochten werden kann. Arbeitnehmer haben in solchen Fällen die Möglichkeit, Kündigungsschutzklage zu erheben, um die Unwirksamkeit der Kündigung feststellen zu lassen und gegebenenfalls eine Wiedereinstellung zu erreichen.


Welche Rolle spielen Überstunden bei einer Kündigung?

Überstunden spielen bei einer Kündigung eine bedeutende Rolle, insbesondere hinsichtlich ihrer Vergütung und des Anspruchs auf Freizeitausgleich. Grundsätzlich gehen Überstunden mit einer Kündigung nicht automatisch verloren. Arbeitnehmer haben in der Regel das Recht, entweder eine Auszahlung in Geld oder einen Freizeitausgleich während der Kündigungsfrist zu verlangen. Entgegenstehende Klauseln im Arbeitsvertrag sind grundsätzlich unwirksam. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer auch nach ihrer Entlassung Ansprüche auf Überstundenvergütung geltend machen können.

Arbeitgeber können bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses Überstunden anordnen, sofern der Arbeits- oder Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung dies vorsieht. Ohne solche Regelungen müssen Überstunden nur in Notlagen geleistet werden, beispielsweise bei einem systemkritischen IT-Notfall oder einer Überschwemmung im Betrieb.

Im Falle einer Kündigung sollten Arbeitnehmer darauf achten, dass ihre Überstunden korrekt erfasst und dokumentiert sind. Dies ist wichtig, um Ansprüche auf Vergütung oder Freizeitausgleich durchsetzen zu können. Es empfiehlt sich, Nachweise über geleistete Überstunden vorzulegen und diese schriftlich beim Arbeitgeber geltend zu machen.

Bei treu- oder sittenwidrigen Kündigungen in Kleinbetrieben, die nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallen, müssen Arbeitnehmer umfassend darlegen und beweisen, dass die Kündigung auf verwerflichen Motiven des Arbeitgebers beruht. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Kündigung aus Rachsucht erfolgt oder gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Der Arbeitnehmer trägt die Beweislast und muss vor dem Arbeitsgericht entsprechende Umstände vortragen.


 

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils


  • § 23 Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Dieser Paragraph regelt die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes in Kleinbetrieben. Im vorliegenden Fall wird geprüft, ob die Beklagte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, da das KSchG in solchen Betrieben keine Anwendung findet.
  • § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Regelt die Voraussetzungen für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung. Da das KSchG im Kleinbetrieb keine Anwendung findet, war die Prüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung hier nicht erforderlich.
  • §§ 138, 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Diese Paragraphen behandeln die Sitten- und Treuwidrigkeit von Rechtsgeschäften. Der Kläger argumentierte, dass die Kündigung treuwidrig und sittenwidrig sei, da sie im Zusammenhang mit seiner Arbeitsunfähigkeit und einer Whatsapp-Korrespondenz erfolgte.
  • § 167 Zivilprozessordnung (ZPO): Dieser Paragraph bezieht sich auf die fristgerechte Erhebung einer Klage. Im Fall hat der Kläger rechtzeitig innerhalb der Drei-Wochen-Frist Klage gegen die Kündigung erhoben.
  • § 520 Zivilprozessordnung (ZPO): Regelt die Anforderungen an die Berufungsbegründung. Die Berufung des Klägers wurde als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegründung nicht alle tragenden Argumente des Arbeitsgerichts ausreichend angegriffen hatte.
  • § 68 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG): Bezieht sich auf die Möglichkeit der Zurückverweisung eines Rechtsstreits an das Arbeitsgericht. Im Fall wurde die Zurückverweisung abgelehnt, da eine etwaige unzulässige Entscheidung nach Lage der Akten keinen Verfahrensmangel darstellt, der nicht in zweiter Instanz behoben werden könnte.
  • § 97 Zivilprozessordnung (ZPO): Regelt die Kostenentscheidung. Hiernach hat der Kläger die Kosten seiner erfolglosen Rechtsmittel zu tragen.
  • § 319 Zivilprozessordnung (ZPO): Dieser Paragraph behandelt die Berichtigung des Urteils. Im vorliegenden Fall wurde das Urteil dahingehend berichtigt, dass die Hausnummer im Aktivrubrum korrekt angegeben wurde.


⬇ Das vorliegende Urteil vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 6 Sa 64/23 und 6 Sa 446/23, 6 Sa 64/23, 6 Sa 446/23 – Urteil vom 21.07.2023

I. Die Berufung des Klägers gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Dezember 2022 – 8 Ca 750/22 – wird auf seine Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Teil-Urteil für gegenstandslos erklärt wird, soweit es den Klageantrag zu 2. abgewiesen hat.

II. Die Berufung des Klägers gegen das Schluss-Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. März 2023 – 8 Ca 750/22 – wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

III. Die Revision wird weder hinsichtlich des Teil- noch hinsichtlich des Schluss-Urteils zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine ordentliche Kündigung und Überstundenvergütung.

Der Kläger stand seit dem 16. März 2015 zu der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis als Kraftfahrer mit Be- und Entladetätigkeit. Sein Stundenlohn belief sich auf 9,90 EUR brutto, die Wochenstundenzahl ausweislich des Arbeitsvertrages auf 45. Ferner erhielt er einen 25%igen Zuschlag für Überstunden.

Bis zum 24. November 2021 legte der Kläger den Arbeitsweg von seinem Wohnort zum Betriebssitz der Beklagten mit deren Transporter zurück. Dort erfolgten das Beladen des Fahrzeugs und der Start zu den nach einer vom Disponenten der Beklagten erstellten Liste anzufahrenden Kunden. Nach Arbeitsende fuhr der Kläger mit dem Transporter nach Hause. Ab dem 25. November 2021 absolvierte der Kläger den Arbeitsweg mit seinem Privat-Pkw.

Seine Arbeitszeiten erfasste der Kläger mit einer App und übertrug sodann diese Daten monatlich handschriftlich in einen Vordruck der Beklagten, den er der Mitarbeiterin der Beklagten Frau H übergab. Dabei trug er bis zum 24. November 2021 auch die Fahrtzeit von seinem Wohnort zum Betriebssitz und zurück als Arbeitszeit ein. Die Beklagte nahm die Abrechnung auf der Basis dieser ausgefüllten Vordrucke vor. Wegen der für die streitgegenständlichen Monate November 2021 und Februar bis Mai 2022 erstellten Arbeitszeiterfassungsbögen und der Entgeltabrechnungen für diese Monate wird auf die Anlagen B1 bis B10 (Blatt 180 bis 189 der Akten) Bezug genommen.

Bei der Beklagten waren Ende Juli 2022 neben dem Kläger mindestens folgende Arbeitnehmer mit folgenden Wochenstundenzahlen regelmäßig beschäftigt:

………..

15 Stunden pro Woche.

Bis mindestens Ende des Jahres 2019 standen ferner Herr I, Herr S und Herr K in Vollzeitarbeitsverhältnissen zur Beklagten, bis Januar 2020 außerdem Herr L, bis Februar 2020 Herr M, bis Februar 2021 Herr N, bis Oktober 2021 Herr O, bis April 2022 Herr P.

Unter dem 21. April und dem 11. August 2022 erschienen Stellenanzeigen, wonach die Beklagte Berufskraftfahrer suche; am 4. August 2022 veröffentlichte die Bundesagentur für Arbeit ein dahingehendes Stellenangebot.

Vom 31. Mai bis zum 29. Juli 2022 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Am 28. Juli 2022 wandte er sich per Whatsapp an Herrn B, den Disponenten der Beklagten, und teilt ihm mit, er sei ab 30. Juli 2022 wieder arbeitsfähig und benötige an zwei näher bezeichneten Tagen im September 2022 Urlaub bzw. frei für Nachuntersuchungen. Mit Schreiben vom 28. Juli 2022, das der Kläger am Folgetag erhielt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2022. In weiterer Whatsapp-Korrespondenz zwischen dem 31. Juli und 12. August 2022 tauschten der Kläger und Herr B unterschiedliche Ansichten über die Frage aus, wann der Kläger Urlaub habe. Wegen der gewechselten Nachrichten im Einzelnen wird auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 12. Oktober 2022 auf Seiten 4 bis 6 (Blatt 40 bis 42 der Akten) Bezug genommen.

Der Kläger hat sich mit seiner am 18. August 2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 24. August 2022 zugestellten Klageschrift gegen die Kündigung gewandt und zum einen ihre fehlende soziale Rechtfertigung sowie die Sozialauswahl gerügt. Hierzu hat er behauptet, die Beklagte beschäftige regelmäßig mehr als 10 rechnerische Vollzeitarbeitnehmer. Herr I, Herr S und Herr K seien noch im Jahr 2020 beschäftigt gewesen, seit Mai 2022 stehe ferner Herr T als Vollzeitkraft in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Aus den Stellengesuchen der Beklagten ergebe sich, dass die regelmäßige Beschäftigtenzahl im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) höher sei; für eine normale Betriebstätigkeit liege die Anzahl der benötigten Fahrer bei mindestens 19. Zum anderen hat der Kläger die Rüge der Treu- bzw. Sittenwidrigkeit der Kündigung erhoben und argumentiert, dies ergebe sich aus seiner Arbeitsunfähigkeit und dem Whatsapp-Verlauf.

Er hat in seiner Klageschrift die Klageanträge angekündigt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2022 nicht aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 30. September 2022 hinaus fortbesteht.

Mit einem Klageerweiterungsschriftsatz vom 22. November 2022 hat der Kläger Überstundenvergütung für die Monate November 2021 und Februar bis Mai 2022, bestehend aus Grundstundenlohn und Zuschlag, verfolgt. Er hat argumentiert, in Gestalt der Tourenplanung sei eine Anordnung der Beklagten zur Ableistung der Stunden erfolgt. In seiner schriftsätzlichen Aufstellung vom 22. November 2022 auf Seiten 2 bis 11 (Blatt 62 bis 71 der Akten) hat er Beginn und Ende der Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitstage aufgelistet und die sich daraus ergebende tatsächlich geleistete Arbeitszeit einer von ihm für die einzelnen Monate angesetzten Sollarbeitszeit gegenübergestellt. Auf Seiten 12/13 dieses Schriftsatzes (Blatt 72/73 der Akten) hat er sodann monatsbezogen die sich daraus ergebende Vergütung für die ermittelten Überstunden, bestehend aus Grundstundenlohn und Zuschlag, abzüglich geleisteter Zahlungen der Beklagten zum Gegenstand seiner Klageforderung gemacht.

Im ersten Kammertermin am 24. November 2022 hat das Arbeitsgericht durch Versäumnisschlussurteil den Zahlungsantrag abgewiesen und Verkündungstermin zum Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten hinsichtlich der Feststellungsanträge auf den 15. Dezember 2022 anberaumt. Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2022, der am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, hat der Kläger gegen das ihm am 7. Dezember 2022 zugestellte Versäumnisurteil Einspruch eingelegt.

Er hat beantragt, das Versäumnisurteil vom 24. November 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 860,55 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, das Versäumnisurteil vom 24. November 2022 aufrechtzuerhalten.

Sie ist der Anwendbarkeit des KSchG auf das Arbeitsverhältnis entgegengetreten. Die Arbeitnehmer I, S und K seien nur bis Dezember 2019 bei ihr beschäftigt gewesen, Herr T lediglich bis 2018. Die angeführten Stellenanzeigen privater Vermittler hätten diese offenbar von der Bundesagentur für Arbeit übernommen; sie seien jedenfalls nicht von ihr initiiert worden. Bewerbungen seien bei ihr auf die Stellenanzeigen nicht eingegangen. Sie habe 2020 und 2021 jeweils große Auftraggeber verloren und die Anzeige bei der Bundesagentur für Arbeit lediglich vorsorglich für den Fall einer Besserung der Auftrags- bzw. Marktlage geschaltet gelassen; eine solche sei jedoch nicht eingetreten. Auch sittenwidrig sei die ausgesprochene Kündigung nicht, wie sich bereits daran zeige, dass vorangegangene krankheitsbedingte Fehlzeiten des Klägers nicht zum Anlass für eine Kündigung genommen worden seien, wie die Beklagte näher ausgeführt hat.

Auch weitergehenden Überstundenvergütungsansprüchen ist die Beklagte entgegengetreten. Sie habe den Inhalt der vom Kläger eingereichten ausgefüllten Vordrucke zur Grundlage der Abrechnungen genommen; wie er auf weitergehende zu bezahlende Stunden komme, sei nicht nachvollziehbar, wie sie näher ausgeführt hat.

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil vom 15. Dezember 2022 die Feststellungsanträge abgewiesen. Zur Begründung hat es – kurz zusammengefasst – ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Lage der Akten lägen vor; hierfür sei ein vorangegangener Gütetermin ausreichend. Dies hat das Arbeitsgericht in Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur näher begründet. Der Klageantrag zu 2) sei mangels Feststellungsinteresses unzulässig, der Klageantrag zu 1) bleibe ebenfalls ohne Erfolg. Das KSchG finde auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung, weil sich die regelmäßige Beschäftigtenzahl nicht auf mehr als 10 zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung belaufen habe. Unstreitig sei bezogen auf diesen Zeitpunkt lediglich eine Arbeitnehmerzahl von 7,25, nämlich neben dem Kläger die Arbeitnehmer A, B, C, D, E, F und H. Auch unter Mitberücksichtigung der Arbeitnehmer P und T ergäben sich lediglich 9,75 rechnerische Vollzeitkräfte. In den Jahren 2020 und 2021 ausgeschiedene Arbeitnehmer seien nicht mitzuzählen. Anhaltspunkte für die vom Kläger genannte Regelbeschäftigtenzahl von 19 gebe es nicht; die bei der Bundesagentur für Arbeit geschaltete Stellenanzeige spreche hierfür ohne Einstellungen und Beschäftigungen nicht. Weiter ergebe sich die Unwirksamkeit der Kündigung auch nicht aus §§ 138, 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Ein Zusammenhang zwischen Kündigung und anschließender Whatsapp-Korrespondenz sei nicht ersichtlich; zur Erteilung von Urlaub in der Kündigungsfrist sei die Beklagte berechtigt.

Durch Schlussurteil vom 9. März 2023 hat das Arbeitsgericht das Versäumnisurteil vom 24. November 2022 aufrechterhalten. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar habe der Kläger angegeben, von wann bis wann er im Streitzeitraum gearbeitet und dass er keine Pausen gemacht habe. Allerdings habe er seine geschuldete Arbeitszeit von 45 Wochenstunden verkannt, ferner unzutreffend für den Zeitraum bis zum 24. November 2021 auch die Arbeitswege als Arbeitszeit mit erfasst. Auch die auf den jeweiligen Monat bezogene von ihm angesetzte Sollarbeitszeit sei fehlerhaft, wie sich etwa für den Monat November 2021 zeige, der 198 statt 189 Stunden Sollarbeitszeit aufweise. Weiter lasse sich dem klägerischen Vortrag nicht entnehmen, welche über die sich aus seinen handschriftlichen Aufzeichnungen ergebenden und unstreitig von der Beklagten vergüteten Überstunden hinaus noch zu vergüten seien. Schließlich sei die Höhe des klägerischen Zahlungsbegehrens nicht nachvollziehbar, was das Arbeitsgericht näher ausgeführt hat.

Der Kläger wendet sich mit seiner am 19. Januar 2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20. März 2023 mit am 17. März 2023 eingegangenem Schriftsatz begründeten Berufung gegen das ihm am 20. Dezember 2022 zugestellte Teilurteil. Weiter wendet er sich mit seiner am 24. April 2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30. Juni 2023 mit am 29. Juni 2023 eingegangenem Schriftsatz begründeten Berufung gegen das ihm am 28. März 2023 zugestellte Schlussurteil.

Der Kläger setzt sich mit dem Teilurteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens auseinander. Er ist der Ansicht, eine Entscheidung nach Lage der Akten habe nicht ergehen dürfen, was er näher ausführt. Inhaltlich berücksichtige das Teilurteil bei der Ermittlung des Schwellenwertes des KSchG nicht Herrn G als weiteren Arbeitnehmer. Angesichts der von der Beklagten geschalteten Stellenanzeige sei eine höhere Anzahl von regelmäßig Beschäftigten indiziert, so dass die Beklagte nunmehr die Darlegungslast für die fehlende Anwendbarkeit des KSchG treffe. Ein irgendwie einleuchtender Grund für die Kündigung fehle. Auch zeitliche Nähe zu Arbeitsunfähigkeit und Whatsapp-Verlauf sprächen für ihre Sittenwidrigkeit.

Was das Schlussurteil anbelangt, so setzt sich der Kläger mit der Annahme einer unzutreffenden Berechnung der Sollarbeitszeit und mit der rechnerischen Ermittlung der Höhe der Forderung auseinander.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

1. das am 15. Dezember 2022 verkündete Teilurteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) – 8 Ca 750/22 – aufzuheben und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) zurückzuverweisen;

hilfsweise, das am 15. Dezember 2022 verkündete Teilurteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) – 8 Ca 750/22 – abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2022 nicht aufgelöst worden ist;

2. das am 9. März 2023 verkündete Schlussurteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) – 8 Ca 750/22 – abzuändern und das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. November 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 894,89 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufungen zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffenen Urteile unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Das Teilurteil habe zulässigerweise nach Lage der Akten ergehen dürfen, wie sie näher ausführt. Herr G sei zwar richtigerweise bei der Ermittlung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl mitzuzählen; auch dann werde der Schwellenwert jedoch nicht erreicht. Hintergrund der Kündigung sei nicht etwa die Arbeitsunfähigkeit des Klägers, sondern der Umstand gewesen, dass die Auftragslage im Sommer 2022 schlecht, eine mögliche erneute Pandemielage im Herbst 2022 nicht auszuschließen gewesen sei.

Was das Schlussurteil anbelange, so sei nach wie vor unklar, welche Überstunden nach Auffassung des Klägers noch nicht vergütet worden sein sollten.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die in den Sitzungsniederschriften protokollierten Erklärungen der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufungen bleiben ohne Erfolg.

I.

Die Berufung gegen das Teilurteil vom 15. Dezember 2022 bleibt ohne Erfolg.

1.

Diese Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. c), Abs. 6 und 7, 66 Abs. 1, 46c und 46g Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), § 519 Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, § 520 Abs. 1 und 3 ZPO ausreichend begründet worden.

2.

Die Berufung ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht die zulässige Kündigungsschutzklage als unbegründet abgewiesen.

a)

Soweit die Berufung damit begründet wird, die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Lage der Akten hätten nicht vorgelegen und die Zurückverweisung an das Arbeitsgericht begehrt wird, scheidet dies gemäß § 68 ArbGG aus.

Dabei kommt es auf den vom Arbeitsgericht bereits ausführlich dargestellten Streitstand zu der Frage, ob im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein vorangegangener Gütetermin für eine solche Aktenlageentscheidung ausreichend ist, nicht an. Denn selbst wenn man anders als das Arbeitsgericht annähme, es müsse zunächst ein Kammertermin stattgefunden haben, so vermag dies der Berufung gegen das Teilurteil nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn auch bei einer etwa unzulässigen Entscheidung nach Lage der Akten liegt kein Verfahrensmangel vor, der nicht in zweiter Instanz zu beheben wäre. Zwar könnte ein an sich anstehendes Versäumnisurteil nicht mehr nachgeholt werden; entscheidend ist aber, ob der zwingend erforderliche wirksame Antrag der klagenden Partei nachgeholt werden kann. Damit scheidet gemäß § 68 ArbGG eine Zurückverweisung aus (Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 10. Auflage 2022, § 68 ArbGG, Randziffer 8; Landesarbeitsgericht (LAG) Köln, Urteil vom 10. April 2018 – 4 Sa 1024/16 -, zitiert nach juris).

b)

Soweit die Berufung sich mit den inhaltlichen Ausführungen des Arbeitsgerichts auseinandersetzt, ergibt sich kein anderes Ergebnis.

aa)

Die Wirksamkeit der Kündigung wird nicht bereits gemäß §§ 4 Satz 1, 7 Halbsatz 1 KSchG vermutet, weil der Kläger unter Berücksichtigung von § 167 ZPO rechtzeitig innerhalb der Drei-Wochen-Frist Klage erhoben hat.

bb)

Die Kündigung erweist sich nicht gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 3 KSchG wegen fehlender sozialer Rechtfertigung als unwirksam. Denn das KSchG findet gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 und 4 KSchG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung.

(1)

Die Darlegungs- und Beweislast für die Anwendbarkeit des KSchG trifft den Arbeitnehmer, wobei die Grundsätze einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast zur Anwendung kommen. Dementsprechend genügt der Arbeitnehmer regelmäßig seiner Darlegungslast, wenn er die für eine entsprechende Arbeitnehmerzahl sprechenden Tatsachen und ihm bekannten äußeren Umstände schlüssig darlegt. Die Arbeitgeberin muss dann nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen erklären, welche rechtserheblichen Umstände gegen solche substantiierten Darlegungen des Arbeitnehmers sprechen (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 26. Juni 2008 – 2 AZR 264/07 -, BAGE 127, 102-110).

(2)

Legt man diese Grundsätze hier an, so ist der Kläger seiner Darlegungslast nicht nachgekommen.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 29. Juli 2022 waren unter zutreffender Einbeziehung von Herrn G rechnerisch lediglich 8,5 Vollzeitkräfte – Frau H ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG mit 0,5 mitzuzählen – bei der Beklagten beschäftigt. Auch eine höhere regelmäßige Beschäftigtenzahl ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht. Dafür können die von ihm genannten Arbeitnehmer I, S und K unabhängig davon, ob sie Ende des Jahres 2019 ausgeschieden sind oder im Jahr 2020 noch beschäftigt waren, ebenso wenig mitgezählt werden wie die bis Februar bzw. bis Oktober des Jahres 2021 beschäftigten Herren N und O. Denn unbestritten hat die Beklagte sowohl im Jahr 2020 als auch im Folgejahr jeweils einen wichtigen Auftraggeber verloren, ohne dass nachfolgend eine Besserung eingetreten wäre. Damit sind Beschäftigtenzahlen aus den Jahren 2019 bis 2021 gerade nicht mehr charakteristisch für die Betriebsgröße der Beklagten; allein bestehen gebliebene Stellenanzeigen, aus denen sich nachfolgend keine Veränderung der Belegschaftsstärke ergeben hat, ändern hieran nichts. Herr T ist nach ihrem Vorbringen im Jahr 2018 ausgeschieden; die Behauptung des Klägers, dieser Arbeitnehmer sei nach wie vor beschäftigt, ist zu unsubstantiiert geblieben, als dass sie einer Beweisaufnahme zugänglich gewesen wäre. Ob Herr P, der im April 2022 ausgeschieden ist, noch bei der regelmäßigen Stärke einzustellen ist, kann offenbleiben, da sich auch unter Hinzuzählung einer weiteren Vollzeitkraft kein Überschreiten des Schwellenwertes ergibt.

cc)

Die Kündigung ist auch nicht gemäß §§ 138, 242 BGB wegen Sitten- oder Treuwidrigkeit unwirksam.

Ob eine wegen einer Arbeitsunfähigkeit oder wegen einer Auseinandersetzung über die Lage des Urlaubs im Kleinbetrieb erklärte ordentliche Kündigung sitten- oder treuwidrig sein kann, kann unentschieden bleiben. Denn der zeitliche Ablauf der Geschehnisse spricht klar gegen einen etwaigen derartigen Zusammenhang.

Vorliegend hat der Kläger am 28. Juli 2022 gerade nicht etwa Mitteilung von einer Erkrankung, sondern von seiner Genesung und der bevorstehenden Rückkehr in den Betrieb gemacht. Bereits am Folgetag hat er das Kündigungsschreiben erhalten. Die nachfolgende Diskussion per Whatsapp über die Lage des Urlaubs, die am 31. Juli 2022 begann, kann sich damit auf die Motivlage der Beklagten zum Ausspruch der Kündigung nicht ausgewirkt haben.

3.

Klarstellend war wie tenoriert auszusprechen, dass das Teilurteil für gegenstandslos erklärt wird, soweit es den allgemeinen Feststellungsantrag abgewiesen hat.

Ein allgemeiner Feststellungsantrag ist regelmäßig dahingehend auszulegen, dass er lediglich für den Fall des Obsiegens mit dem punktuellen Kündigungsschutzantrag gestellt werden soll. In einem solchen Fall verstößt die Entscheidung über den allgemeinen Feststellungsantrag trotz der Abweisung der Kündigungsschutzklage gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO, denn eine Verletzung des Antragsgrundsatzes liegt nicht nur dann vor, wenn einer Partei ohne ihren Antrag etwas zugesprochen wird, sondern auch, wenn ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat. Dies ist auch ohne Rüge von Amts wegen zu berücksichtigen und führt dazu, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts insoweit für gegenstandslos zu erklären war (BAG, Beschluss vom 28. Februar 2023 – 2 AZN 22/23 -, NZA 2023, 719 folgend).

II.

Auch die Berufung gegen das Schlussurteil vom 9. März 2023 bleibt ohne Erfolg.

Diese Berufung ist unzulässig.

Zwar ist die Berufung gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. b), Abs. 6 und 7, 66 Abs. 1, 46c und 46g ArbGG, § 519 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist jedoch nicht gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, § 520 Abs. 1 und 3 ZPO ausreichend begründet worden.

1.

Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung aus Sicht des Berufungsklägers ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Dabei ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Hat das Ausgangsgericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig. … Eine diesen Anforderungen nicht genügende und daher unzulängliche Berufungsbegründung kann nach Fristablauf nicht mehr geheilt werden (BGH (Bundesgerichtshof), Beschluss vom 27. Januar 2015 – VI ZB 40/14 -, Randziffer 7 fortfolgende, NJW-RR 2015, 511 folgend).

2.

Legt man diese Grundsätze an, so setzt sich die Berufung nicht hinreichend mit sämtlichen eigenständig tragenden Argumenten des Arbeitsgerichts auseinander.

Das Arbeitsgericht hat auf Seite 6 der Urteilsgründe unter I.2.b der Entscheidungsgründe (Blatt 202 der Akten) gegen einen Überstundenvergütungsanspruch bereits dem Grunde nach mehrere Argumente angeführt: Der Kläger habe seine geschuldete Wochen- und die bezogen auf die streitigen Monate sich ergebende Monatssollstundenzahl unzutreffend gering angesetzt. Weiter habe er für den Zeitraum bis zum 24. November 2021 auch Wege- als Arbeitszeiten angesetzt. Ferner sei seinem Vortrag nicht zu entnehmen, welche Überstunden im Abgleich mit dem Inhalt der handschriftlich ausgefüllten Vordrucke, die die Beklagte unstreitig dem Umfang nach bezahlt habe, noch offen sein sollen.

Mit letzterem Argument setzt sich die Berufungsbegründung nicht auseinander.

Die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz teilt das Schicksal des Ausgangsantrags, denn eine Klageerweiterung setzt eine zulässige Berufung voraus (Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 533 ZPO, Randziffer 3).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, wonach der Kläger die Kosten seiner erfolglos gebliebenen Rechtsmittel zu tragen hat.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzung des § 72 Absatz 2 ArbGG nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, die sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung bewegt.

Berichtigungsbeschluss vom 18.08.2023:

Das Urteil vom 21. Juli 2023 wird im Aktivrubrum auf dem Urteilsdeckblatt gemäß § 319 Abs. 1 ZPO dahingehend berichtigt, dass die Hausnummer richtig lauten muss 10D.

Gründe

Dies entspricht der bestätigenden Angabe im Schriftsatz vom 09.08.2023, den Angaben auf beiden Urteilsdeckblättern erster Instanz und der in der Klageschrift. Die Übernahme der Hausnummer mit 13d dürfte darauf zurückzuführen sein, dass diese in der Berufungsschrift vom 19.01.2023 – offenbar irrtümlich – angegeben worden ist.

Das Urteil war daher nach Anhörung der Parteien gemäß § 319 Abs. 1 ZPO entsprechend zu berichtigen.

Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

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