Übersicht:
- Dokumentationspflichten im Pflegeberuf: Ein wegweisendes Urteil in Köln
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Dokumentationspflichten gelten für Pflegekräfte bei der Verabreichung von Betäubungsmitteln?
- Ab wann rechtfertigen Dokumentationsfehler eine verhaltensbedingte Kündigung?
- Wann ist eine Abmahnung vor der Kündigung erforderlich?
- Welche Beweislast trägt der Arbeitgeber bei Kündigungen wegen Dokumentationsfehlern?
- Welche rechtlichen Schritte können Pflegekräfte nach einer Kündigung wegen Dokumentationsfehlern einleiten?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
- Datum: 06.03.2024
- Aktenzeichen: 11 Sa 417/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren im Kündigungsschutzprozess
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Kündigungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Der Krankenpfleger (Kläger), seit 01.04.2020 bei der Beklagten beschäftigt
- Der medizinische Personaldienstleister (Beklagte), Arbeitgeber des Klägers
Um was ging es?
- Sachverhalt: Der Krankenpfleger wurde am 25.01.2023 mit Vorwürfen zur fehlerhaften Dokumentation von Betäubungsmitteln (Dipidolor) konfrontiert. Es bestand der Verdacht der bewussten Fehldokumentation zur Entwendung von Betäubungsmitteln. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.03.2023.
- Kern des Rechtsstreits: Streitig ist die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung vom 03.02.2023.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Die Kündigung ist unwirksam.
- Begründung: Das vom Arbeitgeber vorgelegte Gesprächsprotokoll wurde als unzureichend bewertet, da es weder einen substantiierten Vortrag ersetzt noch als Beweismittel geeignet ist.
- Folgen:
- Das Arbeitsverhältnis besteht zu unveränderten Bedingungen fort
- Die Beklagte trägt 90% der Prozesskosten, der Kläger 10%
- Eine Revision wurde nicht zugelassen
Dokumentationspflichten im Pflegeberuf: Ein wegweisendes Urteil in Köln
Dokumentationspflichten im Pflegeberuf sind ein zentraler Bestandteil der täglichen Arbeit und dienen vor allem der Patientensicherheit. Besonders strenge Vorschriften gelten im Umgang mit Betäubungsmitteln, wo jede Entnahme, Verabreichung und selbst beschädigte Ampullen lückenlos dokumentiert werden müssen. Fehler in diesem sensiblen Bereich können schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Der korrekte Umgang mit Medikamenten gehört zu den wichtigsten Pflichten von Pflegekräften im Gesundheitswesen. Bei Verstößen gegen die Dokumentationspflichten müssen Betroffene mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen bis hin zur Kündigung rechnen. Wie komplex solche Fälle sein können und welche Rolle die Beweislast dabei spielt, zeigt ein aktueller Fall aus Köln.
Der Fall vor Gericht
Krankenhaus entlässt Krankenpfleger wegen Betäubungsmittel-Dokumentation

Ein medizinischer Personaldienstleister kündigte einem seit 2020 beschäftigten Krankenpfleger fristlos, nachdem diesem fehlerhafte Dokumentationen bei der Verabreichung des Betäubungsmittels Dipidolor vorgeworfen wurden. Der Fall wurde vor dem Landesarbeitsgericht Köln verhandelt, das am 6. März 2024 sein Urteil verkündete.
Vorwürfe der fehlerhaften Betäubungsmittel-Dokumentation
Der 1994 geborene Krankenpfleger war zuletzt im St. A Krankenhaus tätig. Am 25. Januar 2023 wurde er von der Leitung mit dem Vorwurf konfrontiert, das Betäubungsmittel Dipidolor wiederholt fehlerhaft dokumentiert zu haben. Der Arbeitgeber vermutete eine bewusste Fehldokumentation zur Entwendung von Betäubungsmitteln und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise zum 31. März 2023.
Rechtliche Auseinandersetzung um Kündigung
Das Arbeitsgericht Köln stellte in seinem Urteil vom 22. Juni 2023 fest, dass die Kündigung unwirksam war. Eine Pflichtverletzung bei den Dokumentationspflichten konnte nicht hinreichend nachgewiesen werden. Der Arbeitgeber legte Berufung ein und führte aus, der Krankenpfleger habe mehrfach Dipidolor auf Patientennamen im Betäubungsmittelbuch ausgetragen, ohne dies in der Patientenakte zu dokumentieren.
Landesarbeitsgericht bestätigt Unwirksamkeit der Kündigung
Das Landesarbeitsgericht Köln wies die Berufung zurück. Der Krankenpfleger hatte zwar eingeräumt, in einem Fall die Medikamentenabgabe nicht in der Patientenakte vermerkt und dreimal Ampullenbrüche nur mit einer statt der vorgeschriebenen zwei Unterschriften dokumentiert zu haben. Diese Pflichtverletzungen rechtfertigten nach Ansicht des Gerichts jedoch keine Kündigung. Eine mildere Reaktion wie eine Abmahnung wäre ausreichend gewesen, da das Verhalten des Krankenpflegers steuerbar und positiv beeinflussbar war.
Mangelnde Beweise für schwerwiegendere Vorwürfe
Das Gericht sah keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Annahme, der Krankenpfleger habe Betäubungsmittel nicht verabreicht oder Ampullenbrüche nur vorgetäuscht. Die vom Arbeitgeber vorgebrachten weiteren sechs Fälle fehlerhafter Dokumentation konnten nicht konkretisiert werden. Das Landesarbeitsgericht verteilte die Prozesskosten zu 90 Prozent auf den Arbeitgeber und zu 10 Prozent auf den Arbeitnehmer.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt, dass bei Kündigungen wegen Verdachts auf Betäubungsmittelmissbrauch der Arbeitgeber konkrete Beweise vorlegen muss – ein bloßes Gesprächsprotokoll reicht nicht aus. Zudem ist bei einer Verdachtskündigung zwingend eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers erforderlich. Das Gericht stellt damit klar, dass auch bei schwerwiegenden Vorwürfen im medizinischen Bereich die formellen Anforderungen an eine wirksame Kündigung strikt eingehalten werden müssen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Als Beschäftigter im medizinischen Bereich können Sie nicht allein aufgrund von Verdachtsmomenten oder unkonkreten Vorwürfen gekündigt werden. Ihr Arbeitgeber muss Ihnen die Chance geben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und konkrete Beweise für ein Fehlverhalten vorlegen. Auch bei Unstimmigkeiten in der Dokumentation von Medikamenten muss der Arbeitgeber nachweisen, dass diese nicht auf normale Arbeitsbelastung zurückzuführen sind. Bei einer Kündigung haben Sie das Recht, die genauen Gründe zu erfahren und sich rechtlich zu verteidigen.
Benötigen Sie Hilfe?
Zweifel an der Rechtmäßigkeit Ihrer Kündigung?
Die Auseinandersetzung mit einer Kündigung, insbesondere im sensiblen Bereich des Gesundheitswesens, ist belastend und wirft viele Fragen auf. Habe ich Fehler gemacht? Welche Rechte habe ich? Wie kann ich mich am besten wehren?
Wir bieten Ihnen eine fundierte Analyse Ihrer individuellen Situation. Wir prüfen die Rechtmäßigkeit Ihrer Kündigung und unterstützen Sie dabei, Ihre Rechte als Arbeitnehmer umfassend wahrzunehmen. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit Ihnen die optimale Strategie zu entwickeln, um Ihre berufliche Zukunft zu sichern.
Schildern Sie uns Ihren Fall, damit wir eine erste Einschätzung vornehmen können, wie wir Ihnen weiterhelfen können.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Dokumentationspflichten gelten für Pflegekräfte bei der Verabreichung von Betäubungsmitteln?
Grundlegende Dokumentationspflichten
Die Dokumentation von Betäubungsmitteln (BtM) muss unverzüglich nach jeder Bestandsänderung erfolgen. Als Pflegefachkraft müssen Sie jeden Zu- und Abgang sowie den aktuellen Bestand in einem speziellen Betäubungsmittelbuch oder einer zugelassenen elektronischen Dokumentation festhalten.
Bei der Dokumentation im BtM-Buch sind folgende Angaben zwingend erforderlich:
- Das Datum der Verabreichung
- Name des Patienten
- Art und Menge des Betäubungsmittels
- Ihre leserliche Unterschrift als durchführende Pflegefachkraft
Besondere Dokumentationsfälle
Bei beschädigten oder verworfenen Ampullen gilt das 6-Augen-Prinzip. Sie müssen den Vorfall unter Angabe von zwei Zeugen dokumentieren. Im BtM-Buch vermerken Sie „Ampulle zerbrochen“ oder „verworfen“ mit den Unterschriften aller drei beteiligten Personen.
Aufbewahrung der Dokumentation
Die BtM-Dokumentation unterliegt einer dreijährigen Aufbewahrungspflicht, gerechnet ab dem Datum der letzten Eintragung. Fehlerhafte Eintragungen dürfen nicht mit Korrekturmitteln bearbeitet werden, sondern müssen durchgestrichen werden. Die Seiten des BtM-Buchs müssen fortlaufend nummeriert sein und dürfen nicht entfernt werden.
Dokumentation der Verabreichung
Bei der Verabreichung von BtM müssen Sie zusätzlich dokumentieren:
- Die Wirkung des Medikaments
- Eventuell auftretende Nebenwirkungen
- Bei Verweigerung der Einnahme: Die Information des zuständigen Arztes
Die Dokumentation dient nicht nur der rechtlichen Absicherung, sondern ist auch ein wichtiges Instrument zur Patientensicherheit. Ein Verstoß gegen die Dokumentationspflichten kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Ab wann rechtfertigen Dokumentationsfehler eine verhaltensbedingte Kündigung?
Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Dokumentationsfehlern ist nur bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen gerechtfertigt.
Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung
Ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Dokumentationspflicht kann eine Fristlose Kündigung rechtfertigen, wenn:
- Die Falschangaben bewusst und vorsätzlich gemacht wurden
- Ein schwerer Vertrauensmissbrauch vorliegt
- Der Arbeitgeber die Arbeitsleistung nur schwer kontrollieren kann
- Eine vorherige Abmahnung erfolgt ist, außer bei besonders schweren Verstößen
Abstufung nach Schweregrad
Die arbeitsrechtlichen Konsequenzen richten sich nach der Schwere des Dokumentationsfehlers:
Leichte Verstöße wie vereinzelte Ungenauigkeiten oder Flüchtigkeitsfehler rechtfertigen noch keine Kündigung. Hier ist zunächst eine Abmahnung erforderlich.
Mittelschwere Verstöße wie wiederholte Nachlässigkeiten bei der Dokumentation trotz Ermahnung können eine ordentliche Kündigung rechtfertigen.
Schwere Verstöße wie vorsätzliche Falschdokumentation oder das Vortäuschen nicht erbrachter Leistungen können sogar eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen.
Bedeutung der Dokumentationspflicht
Die Dokumentationspflicht ist eine wichtige dienstvertragliche Nebenpflicht. Bei Pflegekräften dient sie:
- Der Sicherstellung der Patientenversorgung
- Der korrekten Leistungsabrechnung
- Der Beweissicherung
- Der Qualitätssicherung
Ein Verstoß gegen diese Pflichten wiegt besonders schwer, wenn dadurch:
- Die Gesundheit von Patienten gefährdet wird
- Eine fehlerhafte Abrechnung erfolgt
- Der Ruf des Arbeitgebers geschädigt werden kann
Die Rechtsprechung sieht besonders bei vorsätzlichen Falschangaben in der Pflegedokumentation einen derart schweren Vertrauensbruch, dass eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein kann.
Wann ist eine Abmahnung vor der Kündigung erforderlich?
Eine Abmahnung ist grundsätzlich vor jeder verhaltensbedingten Kündigung erforderlich, wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers durch eine Verhaltensänderung beseitigt werden kann. Dies gilt besonders im Pflegebereich, wo Dokumentationsfehler oder Pflichtverletzungen häufig vorkommen.
Funktion der Abmahnung
Die Abmahnung erfüllt drei wesentliche Funktionen: Sie dokumentiert das Fehlverhalten, weist auf die Vertragsverletzung hin und warnt vor den Konsequenzen bei Wiederholung. Bei Pflegekräften ist dies besonders relevant, da ihre Tätigkeit eine hohe Verantwortung für schutzbedürftige Menschen beinhaltet.
Ausnahmen von der Abmahnungspflicht
In folgenden Fällen ist eine Abmahnung vor der Kündigung nicht erforderlich:
- Bei besonders schweren Pflichtverletzungen wie Diebstahl oder Betrug
- Wenn der Arbeitnehmer sein Verhalten nicht ändern will oder kann
- Bei erheblichen Vertrauensbrüchen, die das Arbeitsverhältnis dauerhaft zerrütten
- In den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses
- In Kleinbetrieben mit 10 oder weniger Mitarbeitern
Besonderheiten im Pflegebereich
Im Pflegesektor können vorsätzlich falsche Dokumentationen oder schwere Pflichtverletzungen eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen. Bei leichteren Verstößen, wie einzelnen Dokumentationsfehlern, ist jedoch eine Abmahnung zwingend erforderlich. Die Rechtsprechung berücksichtigt dabei die besondere Verantwortung von Pflegekräften und die Bedeutung einer korrekten Dokumentation für die Patientensicherheit.
Welche Beweislast trägt der Arbeitgeber bei Kündigungen wegen Dokumentationsfehlern?
Im Kündigungsschutzprozess trägt der Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Dies bedeutet, wenn Sie als Arbeitnehmer wegen Dokumentationsfehlern gekündigt wurden, muss Ihr Arbeitgeber den Nachweis für Ihr Fehlverhalten erbringen.
Abgestufte Beweislast
Die Beweisführung erfolgt in mehreren Stufen:
- Der Arbeitgeber muss zunächst den objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung darlegen. Bei Dokumentationsfehlern bedeutet dies, er muss konkret aufzeigen, welche Dokumentationspflichten Sie verletzt haben.
- Wenn Sie als Arbeitnehmer dem Geschehen näher stehen als der Arbeitgeber, trifft Sie eine sekundäre Darlegungslast. In diesem Fall müssen Sie durch nähere Angaben zur Aufklärung beitragen.
- Der Arbeitgeber muss anschließend Ihre entlastenden Erklärungen widerlegen.
Anforderungen an den Beweis
Bei der Dokumentation von Arbeitszeiten und Pflegeleistungen gelten besondere Anforderungen:
Der Arbeitgeber muss konkrete Tatsachen vorlegen, die den Vorwurf der Falschdokumentation belegen. Ein bloßer Verdacht reicht nicht aus. Dabei kann er verschiedene Beweismittel nutzen, wie etwa Zeugenaussagen von Kollegen oder digitale Zeiterfassungsdaten.
Bedeutung vorheriger Abmahnungen
Wenn Sie bereits wegen ähnlicher Dokumentationsfehler abgemahnt wurden, erleichtert dies die Beweisführung des Arbeitgebers erheblich. Eine vorherige Abmahnung zeigt, dass Sie über die Bedeutung korrekter Dokumentation informiert waren und kann die Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung unterstützen.
Dokumentationspflichten des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber selbst unterliegt ebenfalls Dokumentationspflichten. Er muss nachweisen können, dass:
- Die Dokumentationsanforderungen klar kommuniziert wurden
- Angemessene Kontrollsysteme existierten
- Die Verstöße systematisch erfasst wurden
- Die zweiwöchige Kündigungsfrist ab Kenntnis der Vorwürfe eingehalten wurde
Welche rechtlichen Schritte können Pflegekräfte nach einer Kündigung wegen Dokumentationsfehlern einleiten?
Kündigungsschutzklage als zentrales Rechtsmittel
Bei einer Kündigung wegen Dokumentationsfehlern können Sie als Pflegekraft eine Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht einreichen. Die Klagefrist beträgt drei Wochen ab Zugang der schriftlichen Kündigung. Wird diese Frist versäumt, gilt die Kündigung automatisch als rechtswirksam.
Voraussetzungen für die Klageerhebung
Die Kündigungsschutzklage ist nur dann möglich, wenn die Kündigung schriftlich erfolgt ist. Eine mündliche oder per Messenger ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Bei einer Kündigung durch eine bevollmächtigte Person können Sie diese unverzüglich zurückweisen, wenn keine Originalvollmacht vorgelegt wurde.
Ablauf des Kündigungsschutzverfahrens
Nach Einreichung der Klage findet zunächst eine Güteverhandlung statt. Hier wird versucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Scheitert diese Verhandlung, folgt ein Kammertermin zur Prüfung der Kündigungsgründe.
Erfolgsaussichten der Klage
Die Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage bei Dokumentationsfehlern hängen von verschiedenen Faktoren ab:
Schwere des Dokumentationsfehlers: Eine fristlose Kündigung ist nur bei schwerwiegenden Verstößen gerechtfertigt, etwa bei vorsätzlichen Falschangaben.
Vorherige Abmahnungen: Wurden Sie bereits wegen ähnlicher Verstöße abgemahnt, verschlechtern sich die Erfolgsaussichten der Klage.
Verhältnismäßigkeit: Das Gericht prüft, ob die Kündigung verhältnismäßig war oder ob mildere Mittel ausgereicht hätten.
Bedeutung der Dokumentation im Verfahren
Im Kündigungsschutzverfahren muss der Arbeitgeber die Kündigungsgründe beweisen. Dabei spielt die Pflegedokumentation eine zentrale Rolle. Fehlerhafte oder manipulierte Dokumentationen gelten als schwerer Vertrauensbruch, da der Arbeitgeber auf die korrekte Dokumentation der Arbeitszeit und Pflegeleistungen vertrauen können muss.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Dokumentationspflichten
Dokumentationspflichten beschreiben die gesetzliche und berufliche Verpflichtung, alle relevanten Arbeitsschritte und Vorgänge – besonders im Gesundheitswesen – lückenlos, wahrheitsgemäß und nachvollziehbar festzuhalten. Im Pflegeberuf sind diese Pflichten zentral, um die Patientensicherheit zu gewährleisten und im Falle von Fehlern oder Unstimmigkeiten eine Nachvollziehbarkeit der Maßnahmen sicherzustellen. Rechtlich lassen sich die Dokumentationspflichten beispielsweise anhand von Vorgaben in berufsrechtlichen Regelungen und teilweise auch im Sozial- sowie Arzneimittelgesetz verorten. Sie dienen auch dazu, im Streitfall den Ablauf von Behandlungsmaßnahmen transparent darzulegen.
Beispiel: Eine Pflegekraft dokumentiert die Abgabe und den Verbrauch eines Betäubungsmittels, sodass jederzeit nachvollzogen werden kann, wie und wann das Medikament eingesetzt wurde.
Betäubungsmittel
Betäubungsmittel sind Arzneimittel, die aufgrund ihrer stark wirksamen, oft auch suchterzeugenden Eigenschaften einem strengen gesetzlichen Regime unterliegen. Im rechtlichen Kontext, etwa im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), gelten besondere Vorschriften für deren Verschreibung, Anwendung und – wie im vorliegenden Fall – Dokumentation. Diese Regelungen dienen der Verhinderung von Missbrauch und unberechtigtem Zugriff, was insbesondere im Gesundheitswesen essenziell ist. Pflegekräfte und Ärzte müssen daher jede Entnahme, Anwendung und teilweise auch Beschädigungen detailliert festhalten.
Beispiel: Wird in einer Klinik ein Betäubungsmittel verabreicht, muss sein Einsatz exakt und nachvollziehbar im Betäubungsmittelbuch festgehalten werden.
Fristlose Kündigung
Fristlose Kündigung bezeichnet die sofortige Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung der üblichen Kündigungsfrist, wenn ein schwerwiegender Grund vorliegt. Sie basiert auf dem Grundsatz, dass eine derart gravierende Pflichtverletzung das Vertrauensverhältnis so nachhaltig zerstört, dass eine Weiterbeschäftigung unzumutbar ist. Juristisch findet sich dazu eine Regelung in §626 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Die sofortige Kündigung fordert einen Nachweis, dass der Arbeitnehmer nachweislich gegen seine Arbeits- oder Sorgfaltspflichten verstoßen hat.
Beispiel: Wird einem Mitarbeiter wiederholt grobe Pflichtverletzungen nachgewiesen, kann der Arbeitgeber gemäß §626 BGB das Arbeitsverhältnis fristlos kündigen.
Sorgfaltspflichten
Sorgfaltspflichten beschreiben die vertraglich, berufsrechtlich beziehungsweise gesetzlich festgelegten Anforderungen an Arbeitnehmer, ihre Aufgaben mit der nötigen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu erfüllen. Im Gesundheitswesen bedeutet dies, dass Pflegekräfte bei der Medikamentenverabreichung und Dokumentation besonders fehlerfrei arbeiten müssen, um negative Folgen für Patienten zu vermeiden. Die Verletzung dieser Pflichten kann arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, wie beispielsweise eine Abmahnung oder Kündigung. Sorgfaltspflichten leiten sich häufig aus allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsrechts ab und finden sich in diversen Vorschriften und Leitlinien wieder.
Beispiel: Eine Pflegekraft, die bei der Dokumentation von Medikamentengaben wiederholt fehlerhafte Eintragungen macht, verstößt gegen ihre Sorgfaltspflichten.
Beweislast
Beweislast bezeichnet die rechtliche Verpflichtung einer Partei, im Streitfall den Sachverhalt, der zu ihrem Vorteil spricht, nachzuweisen. Im Kontext von arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen, wie bei Kündigungsfällen, bedeutet dies, dass der Arbeitgeber nachweisen muss, dass der Arbeitnehmer durch sein Verhalten gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten verstoßen hat. Üblicherweise stützt sich die Beweislast auf Beweismittel wie Dokumente, Zeugenaussagen oder Betriebsanweisungen, die den Ablauf und die Umstände eines Vorfalls belegen. Die genaue Verteilung der Beweislast kann auch aus arbeitsrechtlichen Urteilen oder Vorschriften resultieren.
Beispiel: Im Kündigungsfall muss der Arbeitgeber konkret darlegen und nachweisen, dass die fehlerhafte Dokumentation den Vorwurf der Pflichtverletzung ausreichend belegbar macht.
Abmahnung
Abmahnung ist ein arbeitsrechtliches Instrument, das eine formelle Warnung an einen Arbeitnehmer darstellt, wenn dessen Verhalten gegen betriebliche oder vertragliche Pflichten verstößt. Sie dient dazu, den Mitarbeiter auf Fehlverhalten aufmerksam zu machen und ihm die Möglichkeit zu geben, sein Verhalten zu korrigieren, bevor weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen wie eine Kündigung folgen. In der Regel wird in der Abmahnung auch auf die genauen Pflichtverletzungen sowie die potenziellen Konsequenzen bei Wiederholung des Fehlverhaltens hingewiesen. Die Abmahnung ist weniger einschneidend als eine fristlose Kündigung und wird häufig als mildernde Maßnahme eingesetzt.
Beispiel: Bei erstmaligen, geringfügigen Fehlern in der Medikamentendokumentation kann ein Arbeitgeber zunächst eine Abmahnung aussprechen, um eine Verhaltensänderung zu erreichen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Kündigungsschutzgesetz (KSchG) § 1): Das Kündigungsschutzgesetz regelt den Schutz von Arbeitnehmern vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen. Eine Kündigung ist nur wirksam, wenn sie durch Gründe in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers oder durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Im vorliegenden Fall prüft das Gericht, ob die fristlose Kündigung des Klägers aufgrund einer möglichen Pflichtverletzung hinreichend begründet ist.
- Kündigungsschutzgesetz (KSchG) § 626): Dieser Paragraph ermöglicht die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Hier wird bewertet, ob die Vorwürfe der fehlerhaften Dokumentation und des möglichen Betäubungsmittelmissbrauchs einen solchen wichtigen Grund darstellen.
- Arbeitnehmerdatenschutzgesetz (BDSG) § 26): Dieses Gesetz schützt personenbezogene Daten von Arbeitnehmern. Im Kontext der vorliegenden Kündigung ist zu prüfen, ob die Dokumentation der Betäubungsmittel und die Erstellung von Gesprächsprotokollen im Einklang mit den Datenschutzbestimmungen erfolgt sind, insbesondere hinsichtlich der Verarbeitung sensibler Gesundheitsdaten.
- Strafgesetzbuch (StGB) § 259a – Unterschlagung von Betäubungsmitteln: Dieser Paragraph stellt das unrechtmäßige Entwenden oder Verwenden von Betäubungsmitteln unter Strafe. Die Verdachtsmomente gegen den Kläger bezüglich der fehlerhaften Dokumentation von Dipidolor können strafrechtliche Relevanz haben und sind somit auch arbeitsrechtlich bedeutend, da eine strafrechtliche Verurteilung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen könnte.
- Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) § 102): Dieser Paragraph regelt die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Kündigungen. Falls ein Betriebsrat im Unternehmen existiert, muss dieser vor jeder Kündigung angehört werden. Im vorliegenden Fall ist zu klären, ob die Anhörung des Betriebsrats ordnungsgemäß erfolgt ist, was Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung hat.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 417/23 – Urteil vom 06.03.2024
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