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Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 2 Sa 1083/16, Urteil vom 23.09.2016

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg a. d. Havel vom 05.04.2016 – 1 Ca 528/15 – wird auf seine Kosten bei einem Streitwert von 8.076,33 € in der II. Instanz zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in zweiter Instanz noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen fristgemäßen Kündigung wegen des Verdachts der wiederholten Falscheintragungen von Arbeitszeiten.

Das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel hat nach einer Beweisaufnahme (vgl. dazu das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.04.2016, Bl. 269 – 272 d. A.) mit Urteil vom 5. April 2016 festgestellt, dass die außerordentlichen fristlose Kündigung vom 15.05.2015 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat und im Übrigen (insbesondere hilfsweise ordentliche Kündigung und Weiterbeschäftigung) die Klage abgewiesen. Dies hat es hinsichtlich der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung im Wesentlichen damit begründet, dass die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 15.05.2015 als verhaltensbedingte Kündigung wegen eines wiederholten Arbeitszeitbetruges am 01.04., 09.04. und 10.04.2015 sozial gerechtfertigt sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger an den betreffenden Tagen das Arbeitszeitende jeweils in erheblichem Umfang später dokumentiert habe als er tatsächlich die Arbeit beendete. Es bestehe deshalb nicht nur der dringende Verdacht, sondern die beanstandeten Pflichtverletzungen seien tatsächlich vom Kläger begangen worden. Nach den Zeugenaussagen und den von der Beklagten eingereichten Unterlagen (Tourenscheine, Fahrtenschreiberscheiben) stehe fest, dass der Kläger am 1. April 2015 das Betriebsgelände 55 Minuten vor dem eingetragenen Arbeitsende auf den Tourenscheinen verlassen habe, am 09.04.2015 um 48 Minuten vor dem angegebenen Arbeitsende und am 10.04.2015 eine Stunde und 10 Minuten vor dem angegebenen Arbeitsende. Damit habe der Kläger gegenüber der Beklagten im Zeitraum vom 01.04. bis einschließlich 10.04.2015 insgesamt fast drei Stunden früher das Arbeitsgelände verlassen, als er die entsprechende Arbeitszeit hierfür gegenüber der Beklagten auf den Tourenscheinen abgerechnet habe.

Nicht unberücksichtigt bei der Würdigung der Gesamtumstände blieben die vom Kläger eingereichten Fahrtenschreiberscheiben für die drei Tage. Alle drei wiesen zu den Zeiten, die der Kläger für die Tage jeweils im Tourenschein angegeben habe, eine durchgehende gerade Linie auf. Allerdings stimmten insoweit die Fahrtenschreiberzeiten weder mit den Zeiten der Videoüberwachung noch mit den Zeiten der Schlüsselübergabeprotokolle und mit den Wahrnehmungen der verschiedenen Zeugen der Beklagten überein. Deshalb habe es das Gericht auch unter Würdigung der eingereichten Kopien der Fahrtenschreiberscheiben und unter Würdigung aller Umstände als erwiesen angesehen, dass der Kläger tatsächlich an den drei Tagen zu den von der Beklagten behaupteten Zeit das Betriebsgelände früher verlassen habe als er es in den Tourenscheiben angegeben habe.

Auch im Rahmen der Interessenabwägung sei das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stärker zu bewerten, als die zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigende Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Kind und die Betriebszugehörigkeit. Die Manipulation der Arbeitszeiten durch den Kläger stellten schwere Pflichtverletzungen dar, die im Wege der Interessenabwägung sich zu Lasten des Klägers auswirkten. Hinzu komme, dass es sich bei den falsch erfassten Arbeitszeiten nicht nur um unerhebliche Arbeitszeiten gehandelt habe, sondern insgesamt drei Stunden der geschuldeten Arbeitszeit umfassten. Deshalb sei die Schwere der Pflichtverletzungen und damit das Interesse der Arbeitgeberin auch im Hinblick auf eine Zukunftsprognose höher zu bewerten als die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers und seine bisherige Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten.

Die Beklagte habe auch den bei ihr gebildeten Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung gem. § 102 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß beteiligt. Die Beklagte habe dem Betriebsrat zunächst sämtliche Sozialdaten des Klägers benannt und auch die von ihr ermittelte Kündigungsfrist mitgeteilt. Darüber hinaus habe sie sämtliche Tatsachen, die sie für den Ausspruch der beabsichtigten Kündigung für erheblich gehalten habe, dem Betriebsrat mitgeteilt.

Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel und des Vortrags der Parteien I. Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgericht vom 05.04.2016 (Bl. 288 – 301 d. A.) verwiesen.

Gegen dieses ihm am 15. Juni 2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 01.07.2016 im Original beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangene und am 15.08.2016 per Fax begründete Berufung des Klägers.

Er greift das erstinstanzliche Urteil nur hinsichtlich der Klageabweisung bzgl. der ordentlichen Kündigung an und meint, dass das Arbeitsgericht fehlerhaft davon ausgegangen sei, dass er bewusst falsche Angaben zu seinen Arbeitszeitenden am 01.04., 09.04. und 10.04.2015 gemacht habe.

Denn er habe unbestritten vorgetragen, dass er sich bei der Arbeitszeitdokumentation auf die Uhr in seinem Lkw und die Fahrtenschreiberscheibe verlassen habe, denn er trage keine eigene Uhr. Bereits dadurch scheide ein bewusstes pflichtwidriges Verhalten aus.

Der Fahrtenschreiber sei eine Urkunde, die eine hohe Beweiskraft besitze. Die Beweiskraft der Urkunde sei vorliegend entgegen der sparsamen Ausführung des Arbeitsgerichts auch nicht derart entkräftet, dass dem Kläger eine bewusst falsche Angabe zu seinem jeweiligen Arbeitszeitende vorgeworfen werden könne. Eine lediglich pauschale Behauptung der Manipulation reiche hierzu nicht aus, den Zeugenbeweis höher zu bewerten als den Urkundsbeweis.

Bei der Bewertung der Aussage der Zeugin B. habe das Gericht unbeachtet gelassen, dass dem Tourendezeitpunkt vom 01.04.2015 bereits die fünfzehnminütige Abrüstzeit hinzuaddiert war und die Zeugin nicht sicher sagen konnte, ob die Bürouhr richtig ging. Sie habe den Kläger auch nicht beim Einwerfen des Tourenscheins sehen können, weil sie mit dem Rücken zur Tür saß. Ferner habe das Gericht auch nicht das nicht nachvollziehbare Verhalten der Zeugen, den Kläger am Folgetag nicht auf ihre angebliche Beobachtung zum angegebenen Tourende angesprochen zu haben, bewertet.

Zudem seien weder die Schlüssellisten noch die Vernehmung der Zeugin F. geeignet, die hohe Beweiskraft der Fahrtenschreiberscheiben vom 9. und 10.04.2015 zu entkräften.

Die Beklagte lege zum Beweis ihrer Behauptung des Arbeitszeitbetruges Schlüsselübergabeprotokolle vor, die jedoch den Anschein hätten, dass sie falsch seien, mithin nachträglich verändert worden seien. Dies sei insbesondere daran zu erkennen, dass Zeilen, die in den mit Schriftsatz vom 19.06.2015 vorgelegten Schlüsselübergabeprotokollen in der Spalte Rücknahme nicht ausgefüllt worden seien, in dem mit Schriftsatz vom 30.09.2015 vorgelegten Protokollen nunmehr ausgefüllt seien. Es bestünden daher Zweifel an der Glaubhaftigkeit der vorgelegten Beweismittel. Das Gericht habe ferner nicht berücksichtigt, dass die Schlüsselabgabezeiten vom Kläger nicht durch Unterschrift bestätigt worden seien im Gegensatz zu den Zeiten der Empfangnahme des Schlüssels durch den Kläger.

Endlich sei auch die Vernehmung der Zeugin F. zum Inhalt der Videoaufzeichnungen vom 9. und 10.04.2015 unzulässig, weil zum einen die Videoaufzeichnung noch vorhanden sei und zum anderen die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.09.2015 auf Seite 8 die Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen vom 9. und 10.04.2015 durch das Gericht ausdrücklich beantragt habe.

Des Weiteren sei das Arbeitsgericht der rechtsfehlerhaften Annahme, dass eine Abmahnung des Klägers entbehrlich gewesen sei. Dies stelle ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip dar.

Die Beklagte habe nicht abgewogen, dass das in mehr als acht Jahren Beschäftigungszeit vom Kläger erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit seiner Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten höher zu Buche schlage und höher zu bewerten sei als der Wunsch der Beklagten, nur einen solchen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, der in jeder Hinsicht ausnahmslos ohne Fehl und Tadel sei. Dieser als solcher berechtigte Wunsch mache der Beklagten die Weiterbeschäftigung des Klägers trotz seiner vermeintlichen Pflichtenverstöße mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv sei das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Klägers nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht infrage kämen.

Ferner sei entgegen der rechtsfehlerhaften Auffassung des Arbeitsgerichts der Betriebsrat der Beklagten vor Ausspruch der streitgegenständlichen ordentlichen Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Beklagte lasse in der Kündigung vom 15.05.2015 nicht erkennen, dass sie das Arbeitsverhältnis bereits wegen eines dringenden Tatverdachts kündige. Vielmehr sei anhand des eindeutigen Wortlauts zu erkennen, dass die hilfsweise ordentliche Kündigung eine so genannte Tatkündigung darstelle. Auch mit Klageerwiderungsschriftsatz der Beklagten werde klargestellt, dass es sich um eine Tatkündigung „aus verhaltensbedingten Gründen“ handele. Die Betriebsratsanhörung sei jedoch zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung erfolgt und bereits deshalb unwirksam.

Selbst wenn die Beklagte eine Verdachtskündigung erklärt haben sollte, so sei diese wegen fehlender ordnungsgemäßer Anhörung des Klägers unwirksam, da vor der Anhörung des Klägers dieser nicht auf das Thema des Gesprächs hingewiesen worden sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 05.04.2016 – 1 Ca 528/15 – insoweit abzuändern als die Klage abgewiesen wurde und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch durch die von der Beklagten und Berufungsbeklagten hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 15.05.2015 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Auch die Beklagte geht zumindest von einem dringenden Tatverdacht des Arbeitszeitbetruges aus, der sogar eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt hätte, umso mehr eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung. Das Arbeitsgericht sei aber auch zu Recht von einer Tatkündigung ausgegangen. Denn die Zeugin B. habe in sich schlüssig und glaubhaft bekundet, am 01.04.2015 um kurz nach 11:00 Uhr den Tourenschein des Klägers aus dem Briefkasten des Fuhrparks entnommen zu haben, auf dem als Tourende nach ihren Worten 11:20 Uhr oder 11:25 Uhr eingetragen gewesen sei. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers eine Rüstzeit von 15 Minuten hinzurechnen würde, wäre bei einer Kontrolle des Tourenscheins durch Frau B. um 11:07 Uhr ein dort notiertes Arbeitsende von 11:25 Uhr zu Lasten der Beklagten fehlerhaft.

Da es sich bei der streitgegenständlichen Kündigung um eine Verdachtskündigung handele, komme es zudem entscheidend darauf an, wie sich der Sachverhalt für die Beklagte darstellte. Ausweislich des Schlüsselübergabeprotokolls vom 01.04.2015 sei die Rückgabe des Wagenschlüssels für den Kläger bereits um 10:30 Uhr erfolgt, wie der Mitarbeiter der Beklagten, Herr S., im Rahmen seiner Vernehmung bestätigt habe. Ferner habe der Bereichsleiter des Warenausgangs, Herr D., bestätigt, dass der Kläger am 01.04.2015 sein Leergut zwischen 09:30 Uhr und 10:00 Uhr entsorgt habe. Im Hinblick auf diese Information habe die Beklagte zu Recht davon ausgehen können, dass der Kläger in der Zeit zwischen 09:30 Uhr und 10:00 Uhr das Leergut aus dem Lkw geräumt habe, dann an das ihm zugewiesene Tor gefahren sei, den Tourenschein ausgefüllt, ihn in den Fuhrparkbriefkasten eingeworfen, um 10:30 Uhr den Lkw-Schlüssel an der Pforte abgegeben und seine Arbeitszeit beendet habe. Eine Erklärung des Klägers, was er in der Zeit von 10:30 Uhr bis 11:25 Uhr noch im Sinne einer Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht haben wolle, habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt gegeben. Auch von daher könne es dahinstehen, ob die Rüstzeit von 15 Minuten nun noch bei der Angabe des Arbeitszeitendes auf dem Tourenschein von dem Kläger berücksichtigt worden sei oder nicht.

Auch die Fahrtenschreiberscheiben des Lkw könnten den Kläger von dem dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetruges nicht entlasten, da die Aufzeichnungen offenbar – aus welchen Gründen auch immer – fehlerhaft oder zumindest nicht eindeutig seien. Denn wenn der Kläger – unstreitig – am 01.04.2015 um 10:30 Uhr den Schlüssel des Lkw zurückgegeben habe, könne dieser um 11:00 Uhr nicht mehr bewegt worden sein.

Soweit der Kläger „Zweifel an der Glaubhaftigkeit“ des Schlüsselübergabeprotokolls äußere, geschehe dies aus allzu durchsichtigen Gründen. Die Schlüsselübergabeprotokolle seien beim zuständigen Mitarbeiter der Beklagten fortlaufend geführt und nicht nachträglich verändert worden. Die Beklagte habe hierzu hinreichend vorgetragen und Beweis angetreten. Außerdem werde vorsorglich die Behauptung der Beklagten, dass die Schlüsselübergabe des Klägers am 01.04.2015 um 10:30 Uhr erfolgt sei, unter Beweis durch Zeugnis des Herrn Ch. S. gestellt.

Was den dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetruges am 09. und 10.04.2015 betreffe, so sei auch hier das Arbeitsgericht zu Recht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass der Kläger jeweils deutlich vor dem auf den Tourenscheinen eingetragenen Arbeitsende vorzeitig das Betriebsgelände verlassen habe. Die Zeugen Z. und F. hätten dies eindeutig bestätigt. Soweit die Zeugin F. ihre Erkenntnis über das Verlassen des Betriebsgeländes durch den Kläger am 09. und 10.04.2015 durch Betrachtung von Videoaufzeichnungen gewonnen habe, stehe dies einer Berücksichtigung ihrer Aussage nicht entgegen. Denn ein prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot bestehe schon deshalb nicht, weil der Kläger die Betrachtung der Videoaufzeichnungen durch Frau F. ausdrücklich gewünscht, dieser mithin also – zumindest konkludent – zugestimmt habe, so dass Frau F. ihre Erkenntnisse auf in jeder Hinsicht legale Art und Weise erlangt habe.

Zweifel an der Glaubwürdigkeit der vernommenen Zeugen habe das Arbeitsgericht zu Recht nicht festgestellt. Umstände, die derartige Zweifel rechtfertigen könnten, seien von dem Kläger auch mit der Berufungsbegründung nicht aufgezeigt worden.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der II. Instanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 15.08.2016 (Bl. 333 ff. d. A.) und 22.09.2016 (Bl. 368 ff. d. A.) sowie der Beklagten vom 13.09.2016 (Bl. 355 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die gem. §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. c, Abs. 6; 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

In der Sache hat die Berufung des Klägers jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel die Kündigungsschutzklage hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 15.05.2015 abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel, sieht von einer nur wiederholenden Begründung gem. § 69 Abs. 2 ArbGG ab und weist im Hinblick auf den zweitinstanzlichen Vortrag der Parteien nur auf folgendes hin:

1 a) Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis – schon wegen der Gefahr, dass ein Unschuldiger getroffen wird – wegen des bloßen Verdachts einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers selbst ordentlich nur wirksam kündigen, wenn Tatsachen vorliegen, die auch eine außerordentliche fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Das gilt sowohl für die Anforderung an die Dringlichkeit des Verdachts als auch für die Bewertung des Verhaltens, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist. Dieses muss – wäre es erwiesen – geeignet sein, dem Arbeitgeber einen Grund zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu geben (vgl. nur BAG, 21.11.2013 – 2 AZR 797/11 – EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 5).

b) Die Gerichte für Arbeitssachen sind aber nicht gehindert, die Wirksamkeit einer Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer nachgewiesenen Tat zu überprüfen – und damit nicht unter den Voraussetzungen der Verdachtskündigung -, wenn sich der Arbeitgeber für deren Begründung lediglich auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens berufen hat. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt (vgl. nur BAG, a. a. O., Rz. 39 m. w. N. aus der Rechtsprechung).

c) Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend bereits eine Tatkündigung gerechtfertigt. Denn nach den Zeugenaussagen der Zeugen B. und Z., den Tourenscheinunterlagen und den Schlüsselübergabeprotokollen steht fest, dass der Kläger an den drei Tagen 01.04., 09.04. und 10.04.2015 eine spätere Tourbeendigung eintrug als es tatsächlich der Fall war, obwohl der Kläger gem. § 2 Ziff. 1 und 3 der Betriebsvereinbarung 118/009 vom 01.07.2009 zur Arbeitszeit (vgl. die Kopie der Betriebsvereinbarung Bl. 220 f. d. A.) für die richtige Eintragung im Tourenschein verantwortlich war und damit die Arbeitszeit für ihn günstig falsch eintrug. Denn der Kläger gab selbst in seinen Tourenscheinen für den 01.04.2015 den Tourbeginn handschriftlich mit 00:25 Uhr, das Fuhrende mit 11:25 Uhr an (vgl. den Tourenschein in Kopie Bl. 51 d. A.). Auf diesem Tourenschein vermerkte er „11:10 Uhr Kartenentnahme“, sodass er sich die 15 Minuten Rüstzeit aufrechnete und so auf 11:25 Uhr kam. Tatsächlich aber sagte die Zeugin B. – an deren Glaubwürdigkeit auch der Kläger in seinen Schriftsätzen nicht zweifelte – aus, dass sie den Tourenschein zufällig aus dem Briefkasten um die Ecke ihres Büros kurz nach 11:00 Uhr geholt und dann im Büro nach Blick auf die Bürouhr festgestellt habe, dass die angegebene Zeit – 11:25 Uhr – nicht richtig sein konnte. Dies wiederum stimmt mit der schriftlichen Aussage der Frau F. überein, der um 11:10 Uhr der Tourenschein übergeben wurde, worauf sie den Pförtner anrief und nachfragte, wann die Schlüssel übergeben wurden. Dieser teilte ihr mit, dass die Schlüsselübergabe gegen 10:30 Uhr erfolgte (vgl. die Stellungnahme Bl. 48 d. A., Anl. B1 Bl. 6 zum Schriftsatz der Beklagten vom 19.06.2015). Dies wurde durch eine schriftliche Stellungnahme des Pförtners, Herrn S., bestätigt (vgl. dazu Bl. 49 d. A., Anl. B1 Bl. 7 zum angegebenen Schriftsatz der Beklagten).

Noch eindeutiger ergibt sich dies für die Tage 09.04. und 10.04.2015, da für diese beiden Tage auch die Schlüsselübergabeprotokolle vorliegen: Danach übergab der Kläger seine Schlüssel am 09.04.2015 um 19:52 Uhr an den Pförtner Herrn Z. (vgl. Bl. 227 d. A. in Kopie), obwohl er auf seinem Tourenschein das Tourende mit „20:40 Uhr“ handschriftlich vermerkte, wobei er auch dabei die fünfzehnminütige Rüstzeit miteinberechnete, da er „20:25 Uhr Kartenentnahme“ auf dem Tourenschein eintrug (vgl. den Tourenschein in Kopie Bl. 54 d. A.).

Gleiches gilt für den 10.04.2015, an dem der Schlüssel um 22:35 Uhr abgegeben wurde (vgl. die Liste in der Anlage B1 Bl. 15, Bl. 57 d. A.), nach dem Tourenschein des Klägers er aber die Tour inkl. der Rüstzeit, die er wiederum durch die Kartenentnahme vermerkte, um 23:45 Uhr beendete (vgl. die Anl. B1, Bl. 14, Bl. 56 d. A. in Kopie).

Diese schriftlichen Angaben sind durch den Zeugen Z. und die Betriebsratsvorsitzende F. bestätigt worden. Herr Z. hat darüber hinaus ausgesagt, dass er die Uhr im Lkw des Klägers mit der digitalen Uhr in der Pforte verglichen habe und beide übereinstimmten, so dass es nicht darauf ankommt, dass der Kläger keine eigene Uhr getragen hat. Die Betriebsratsvorsitzende bestätigte, dass sie sich das Videoband der Torüberwachung mit ausdrücklicher Genehmigung des Klägers im Beisein einer weiteren Betriebsrätin, Frau V., angesehen und dabei festgestellt habe, dass die Zeiten der Schlüsselübergabe mit den Zeiten übereinstimmten, die auf dem Videoband zu sehen wären, welches das Verlassen des Geländes durch den Kläger dokumentierte.

Zu diesen Fakten kommen zwei Dinge, die vom Kläger nicht bestritten worden sind: Der Kläger hat den Lkw 1154 nicht alleine gefahren, sondern ihn sich im Schichtmodell mit dem Arbeitnehmer Herrn M. M. „geteilt“. Während die Tachoscheiben des Klägers zum behaupteten Zeitpunkt der Kartenentnahme einen feinen Strich aufweisen, fehlt dieser trotz desselben Fahrtenschreibers bei dem Arbeitnehmer M. (vgl. die Fahrtenschreiberkopien des Herrn M. vom 09.04. und 10.04.2015, Anl. B2 und B3, Bl. 143 und 154 d. A.). Auch treten für Herrn M. an den betreffenden Tagen keine derartigen Unregelmäßigkeiten wie bei dem Kläger auf (vgl. die Tourenscheine vom 09.04. und 10.04.2015 für Herrn M., Bl. 142 und 144 d. A.).

Endlich kommt hinzu, was ebenfalls unbestritten geblieben und vom Arbeitsgericht noch nicht einmal gewürdigt worden ist: Der Kläger war unstreitig in einer Fahrgemeinschaft unterwegs, u. a. mit dem Kollegen Herrn Sch.. Mit diesem fuhr er am 09. und 10.04.2015 gemeinsam zur Arbeit, beide erhielten zur gleichen Zeit um 10:30 Uhr auch die Schlüssel für ihre Lkws ausgehändigt, der Kläger seine für den Lkw 1154, Herr Sch. für den Lkw 230 am 09.04.2015 (vgl. das Schlüsselübergabeprotokoll Bl. 227 d. A.). Herr Sch. übergab seinen Schlüssel um 19:43 Uhr, der Kläger seinen um 19:52 Uhr, so dass beide danach gemeinsam die Heimreise antreten konnten, was sie auch unbestritten taten. Gleiches gilt für den 10.04.2015: Schlüsselübergabe an Herrn Sch. und den Kläger um 11:20 Uhr, Abgabe 22:18 Uhr bzw. 22:35 Uhr (vgl. das Schlüsselübergabeprotokoll Bl. 231 d. A. in Kopie). Auch hier fuhren beide Arbeitnehmer gemeinsam in Fahrgemeinschaft wieder nach Hause.

2. Ist damit eine dreimalige Arbeitszeitmanipulation in einem Zeitraum von gerade einmal 10 Tagen, die bereits eine fristlose Kündigung „an sich“ begründen würde (vgl. dazu nur BAG, 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – NZA 2011, 1027), begangen worden, kommt entgegen der Auffassung des Klägers eine vorherige Abmahnung nicht mehr in Betracht. Die Beklagte durfte darauf vertrauen, dass die Arbeitnehmer die ihnen nach der BV Arbeitszeit auferlegte Pflicht, die Tourenzeiten korrekt zu notieren, beachten. Nicht nur diese Pflicht ist vorliegend verletzt worden. Wegen der zufälligen Entdeckung am 01.04.2015 war auch das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensverhältnis nicht mehr gegeben. Zudem war eine Hinnahme des vorsätzlichen systematischen Fehlverhaltens durch die Beklagte auch für den Kläger erkennbar aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung unabhängig von einer Wiederholungsgefahr von vornherein ausgeschlossen. Der Kläger konnte nicht davon ausgehen, dass die Beklagte einen Arbeitszeitbetrug duldet. Eine Abmahnung war daher entbehrlich (vgl. dazu auch BAG, 09.06.2011, a. a. O.).

3. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel auch hinsichtlich der Interessenerwägung unter II. 1.3 der Gründe, S. 11 des Urteils.

4. Schließlich war die Betriebsratsanhörung vor dem Ausspruch der ordentlichen Kündigung auch dann ordnungsgemäß, wenn wie vorliegend der Betriebsrat zu einer Verdachts- und nicht zu einer Tatkündigung angehört worden ist.

a) Denn der Umstand, dass der Betriebsrat von der Beklagten nur zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer Wirksamkeit der Kündigung wegen eines nachgewiesenen Pflichtenverstoßes nicht notwendig entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des fraglichen Geschehens als erwiesene Tat setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsrat anlässlich der Betriebsratsanhörung sämtliche Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung der Gerichte auch den Tatvorwurf begründen. In diesem Fall ist dem Normzweck des § 102 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Denn dem Betriebsrat ist dadurch nichts vorenthalten worden. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt dem Betriebsrat sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat und hat sich in der Auswertung der Videobänder durch die Betriebsratsvorsitzende und das Betriebsratsmitglied V. auch vorliegend nochmals bestätigt (zum Ganzen: vgl. nur BAG, 21.11.2013, a. a. O., Rz. 41 m. w. N. aus der Rechtspr.).

b) Eine ordnungsgemäße Anhörung nach diesen Grundsätzen liegt hier nach der ausführlichen Betriebsratsanhörung vom 07.05.2015 (Anl. B1 Bl. 4, Bl. 43 – 46 d. A.) vor. Die Beklagte hat dort den genauen Geschehensablauf nach den persönlichen Daten des Klägers ab dem 01.04.2015, 11:07 Uhr minutiös geschildert, die Stellungnahmen von Frau B., Frau F., Herrn S. (Pförtner) und Herrn Z. (Pförtner) beigefügt, ferner die Tourenscheine des Klägers für die drei Tage 01.04., 09.04. und 10.04.2015, seine Tachoscheiben und die Schlüsselübergabeprotokolle. Damit lagen alle relevanten Fakten nicht nur dem Betriebsrat vor, dieser hatte vor der Anhörung auch bereits durch seine Vorsitzende und ein weiteres Betriebsratsmitglied die Videobänder in Augenschein genommen, worauf ebenfalls im Anhörungsschreiben Bezug genommen wurde.

5. Endlich wäre die vorliegende ordentliche Kündigung im Hinblick auf die einzige „Entlastung“ des Klägers in Form der Tachoscheiben auch als Verdachtskündigung zulässig, auch wenn dafür nach der oben zitierten Entscheidung des BAG vom 21.11.2013 (a. a. O.) Verdachtsmomente hätten vorliegen müssen, die eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt hätten. Denn die erkennende Kammer hält die vorliegenden Tatsachen auch als Verdachtsmomente für eine außerordentliche Kündigung angesichts der vorstehend genannten Tatsachen für ausreichend, da ein Verdacht eines dreimaligen Arbeitszeitbetruges von insgesamt drei Stunden im Zeitraum von nur 10 Tagen und unter Bruch des Vertrauenstatbestandes, dass die Fahrer für die Eintragung ihrer Touren verantwortlich sind, vorliegt. Da der Kläger vor der Kündigung nicht nur dazu angehört wurde, sondern auch mit ihm und dem Betriebsrat vor der Kündigung nach Gründen für seine Entlastung intensiv gesucht wurde, ist auch die Voraussetzung der vorherigen Anhörung des Klägers gewahrt. Dass ihm vor der ersten Anhörung nicht das Thema genannt worden ist, ist nicht relevant, wie die Beklagte unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des BAG vom 12.02.2015 – 6 AZR 845/13 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 14 = § 22 BBiG 2005 Nr. 1) bereits erstinstanzlich zu Recht ausgeführt hat.

III.

Die Berufung des Klägers war daher nach einem Streitwert von 8.076,33 € (dreifaches Monatsgehalt) in der II. Instanz gem. § 97 Abs. 1 ZPO auf seine Kosten zurückzuweisen.

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