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Kündigung wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung – Darlegungslast

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 10 Sa 628/10 – Urteil vom 14.04.2011

Auf die Berufung des Klägers wird das am 19.10.2010 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – vom 28.09.2010, Az.: 6 Ca 305/10, teilweise abgeändert und festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 27.04.2010 zum 31.05.2010 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30.06.2010 fortbestanden hat.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen. Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf € 9.600,00 festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von zwei betriebsbedingten Kündigungen der Beklagten vom 25.03. zum 30.06.2010 und vom 27.04. zum 31.05.2010 wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung.

Der Kläger (geb. am … 1960, ledig) war aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 27.05.2009 seit dem 01.06.2009 im Betrieb der Beklagten in A-Stadt bei Z-Stadt, Y-Straße 3, als gewerblicher Arbeitnehmer zu einem Bruttomonatsentgelt von € 2.400,00 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte zuletzt 42 Arbeitnehmer; ein Betriebsrat bestand nicht. Gegenstand des Unternehmens der Beklagten (AG Landau HRB 000) war die Herstellung und der Vertrieb von Badmöbeln.

Am 18.03.2010 traf die alleinige Gesellschafterin der Beklagten, die X. GmbH, deren Mitgeschäftsführer W. V. ist, folgenden Beschluss:

„Der Betrieb der C. in A-Stadt wird zum 30.06.2010 aus dringenden wirtschaftlichen Gründen stillgelegt. Die Geschäftsführer … werden angewiesen, alle bestehenden Arbeitsverhältnisse … fristgerecht und ordentlich zu kündigen und die Sachanlagen und Lagerbestände … zu verwerten. Sämtliche Mietverträge und ähnliche Verpflichtungen sind ebenfalls zu kündigen“.

Der Betrieb der Beklagten am Standort in A-Stadt wurde zum 30.06.2010 vollständig eingestellt. Am 01.07.2010 wurde im Handelsregister (AG Augsburg HRB 000) die Verlegung des Sitzes von A-Stadt nach U. eingetragen. Außerdem wurde der Gegenstand des Unternehmens in den Vertrieb von Badmöbeln geändert.

Mit Schreiben vom 25.03.2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung ordentlich zum 30.06.2010. Die am 15.04.2010 beim Arbeitsgericht eingegangene Kündigungsschutzklage wurde ihr am 21.04.2010 zugestellt. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.04.2010 erneut, jedoch mit kürzerer Frist zum 31.05.2010. Der Kläger wehrt sich gegen beide Kündigungen und verlangt seine Weiterbeschäftigung. Erstinstanzlich beanspruchte er noch ein qualifiziertes Arbeitszeugnis.

Die Beklagte begründet die zweite Kündigung vom 27.04.2010 mit kürzerer Frist zum 31.05.2010 damit, dass sie Anfang April 2010 den Produktionsstopp mit Ablauf der 22. Kalenderwoche festgelegt habe. Dadurch sei der Arbeitsplatz des Klägers in der Arbeitsvorbereitung zum 31.05.2010 ersatzlos entfallen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – vom 28.09.2010 (dort Seite 2-9 = Bl. 120-127 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 25.03.2010 nicht zum 30.06.2010 aufgelöst wird, es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände beendet wird, die Beklagte wird verurteilt, ihn zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Schreiner in Vollzeit bei einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von € 2.400,00 über den 30.06.2010 hinaus weiter zu beschäftigen, es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.04.2010 zum 31.05.2010 beendet wird, die Beklagte wird verurteilt, ihm ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht – zusammengefasst – ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei durch die zweite Kündigung der Beklagten vom 27.04.2010 zum 30.06.2010 aufgelöst worden. Die Kündigung sei wegen einer geplanten und dann auch erfolgten Betriebsstilllegung i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Die Kündigung vom 27.04.2010 sei auch nicht nach § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam, weil die Beklagte nicht auf die Firma V. GmbH + Co KG übertragen worden sei. Die gesetzliche Kündigungsfrist betrage vorliegend vier Wochen zum Monatsende. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Seite 10 bis 19 des am 19.10.2010 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts vom 28.09.2010 (Bl. 128-137 d.A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 28.10.2010 zugestellt worden. Er hat mit am 24.11.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 11.01.2011 verlängerten Begründungsfrist am 11.01.2011 begründet.

Der Kläger macht geltend, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Beklagte zwar am 18.03.2010 den formalen Beschluss gefasst habe, den Betrieb in A-Stadt zum 30.06.2010 stillzulegen. Dieser Beschluss stimme jedoch in keiner Weise mit den Zielen und dem tatsächlichen Handeln der Beklagten überein, und sei damit rechtsmissbräuchlich. Tatsächlich habe die Beklagte am 18.03.2010 beabsichtigt, den Produktionsbetrieb zur Herstellung von Badmöbeln auf die Firma V. GmbH + Co KG (im Folgenden: Firma V.) mit Sitz in T.-Stadt zu übertragen. So habe die Beklagte mit der Firma V. am 23.03.2010 einen entsprechenden Liefer- und Servicevertrag abgeschlossen, wonach diese auf eigene Rechnung Badmöbel der Marke „S.“ entwickeln und für die Beklagte produzieren soll. Dementsprechend habe die Firma V. mit Schreiben vom 24.03.2010 den Kunden der Beklagten mitgeteilt, dass Badmöbel der Marke „S.“ auch künftig erhältlich seien und die S.-Produktionslinien in einem separaten Gebäudekomplex in T.-Stadt untergebracht würden. Mitte April 2010 sei von verantwortlichen Mitarbeitern der Firma V. eine Besichtigung in A-Stadt durchgeführt worden, um festzustellen, welche Produktionsmaschinen übernommen werden sollen, um damit die Produktionslinien in T.-Stadt aufzubauen. R. Q., der Leiter der Produktionsentwicklung der Firma V., habe bereits im März und April 2010 alle Großmaschinen (mit Typenschildern) in A-Stadt fotografiert und die daran tätigen Arbeitnehmer befragt, welche Arbeitsgänge mit diesen Maschinen ausgeführt werden können. In einem Gespräch am 16.04.2010 habe N. M., der Produktionsleiter Holzmöbel der Firma V., erklärt, dass alle modernen computergesteuerten Großmaschinen der Beklagten von der Firma V. übernommen würden, um in T.-Stadt die S.-Produktionslinien aufzubauen. Dabei seien folgende Maschinen aufgeführt worden:

BAZ20 Bearbeitungszentrum für Formfräsen und Kantenrahmen

KL78   Konturenleimmaschine

Holzma Zuschnittmaschine zum Aufteilen großer Spanplatten

J.    Dübelautomat

I.    Korpuspresse

Auf Nachfrage habe N. M. mitgeteilt, dass die Maschinen am 15.06. oder 30.06.2010 nach T.-Stadt transportiert werden sollen. Dies hänge davon ab, bis wann die von der Firma V. bestellten Badmöbel in A-Stadt auf Vorrat produziert seien, um eine Lieferunterbrechung zu vermeiden. Das Vorgehen decke sich vollumfänglich mit der Kundeninformation vom 24.03.2010, in der W. V., der Geschäftsführer der Firma V., den Kunden mitgeteilt habe, dass die S.-Produktionslinien künftig in T.-Stadt aufgebaut werden. Die Beklagte habe auch weitere Betriebsmittel an die Firma V. übergeben, nämlich:

sämtliche Konstruktionszeichnungen und Montageanleitungen der Badmöbel

ca. 120 Waschtische

ca. 250 Spiegelschränke sämtliche Möbelausstellungsstücke für Messeauftritte sowie ein Showroom nebst Dekorationsmaterial

über 100 vorproduzierte Badezimmereinrichtungen die komplette Büroausstattung, wie Computer, Telefonanlage, EDV-Programme und Datenbestände über Kunden

sämtliche brauchbaren Produktionsmaterialien, wie Spanplatten und Beschläge

insgesamt vierzehn 40-Tonnen-Lkw mit Produktionsmitteln

Die Beklagte habe keine Betriebsstilllegung geplant, sondern einen Betriebsübergang vorbereitet. Beide Kündigungen seien deshalb unwirksam. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 11.01.2011 (Bl. 171-179 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich, das am 19.10.2010 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – vom 28.09.2010, Az.: 6 Ca 305/10, teilweise abzuändern soweit die Klage abgewiesen worden ist und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.03.2010 zum 30.06.2010 aufgelöst worden ist, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.04.2010 zum 31.05.2010 aufgelöst worden ist, die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Schreiner in Vollzeit zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von € 2.400,00 weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 11.02.2011 (Bl. 194-203 d.A.), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Sie habe am 18.03.2010 die Stilllegung des Betriebes beschlossen und zum 30.06.2010 tatsächlich umgesetzt.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.

In der Sache hat die Berufung teilweise Erfolg. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die erste Kündigung der Beklagten vom 25.03.2010 zum 30.06.2010 aufgelöst worden. Die Beklagte ist deshalb nicht zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet. Die ordentliche Kündigung ist wegen Stilllegung des Produktionsbetriebes in A-Stadt bei Z-Stadt sozial gerechtfertigt. Die zweite Kündigung der Beklagten vom 27.04.2010 vermochte das Arbeitsverhältnis nicht mit kürzerer Frist zum 31.05.2010 zu beenden. Das Urteil des Arbeitsgerichts war deshalb teilweise abzuändern.

1. Die Kündigungsschutzklage gegen die erste Kündigung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die ordentliche Kündigung vom 25.03.2010 zum 30.06.2010 aufgelöst worden.

Die Kündigung ist im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, weil sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen.

1.1. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist der des Kündigungszugangs. Grundsätzlich muss zu diesem Zeitpunkt der Kündigungsgrund – hier der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit – vorliegen. Das Gestaltungsrecht Kündigung kann nur bei Vorliegen eines im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vorhandenen Kündigungsgrundes rechtswirksam ausgeübt werden. Dies hätte grundsätzlich zur Folge, dass betriebsbedingte Kündigungen erst möglich wären, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers nicht mehr zur Verfügung stünde. Wegen der Zukunftsbezogenheit der Kündigung und aus Gründen der Praktikabilität erkennt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung schon eine Absicht zur Betriebsstilllegung ausnahmsweise als ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG an, wenn die für den künftigen Wegfall der Beschäftigung des Arbeitnehmers maßgeblichen Entwicklungen bereits zum Kündigungszeitpunkt feststehen, insbesondere die unternehmerische Organisationsentscheidung bereits getroffen war und sie sich zum Ablauf der Kündigungsfrist realisiert. Danach kommt es in den Fällen, in denen zwar bei Zugang der Kündigung noch eine Möglichkeit der Beschäftigung besteht, aber die für den künftigen Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses maßgeblichen Entscheidungen bereits gefallen sind, darauf an, ob der Arbeitnehmer bis zum Kündigungstermin voraussichtlich entbehrt werden kann (BAG Urteil vom 23.02.2010 – 2 AZR 268/08 – AP Nr. 5 zu § 18 KSchG 1969, m.w.N.).

Davon ist auszugehen, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, dass zum Kündigungstermin mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes vorliegen wird (st. Rspr. des BAG, vgl. Urteil vom 23.02.2010 – 2 AZR 268/08 – a.a.O.; Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 273/08 – AP Nr. 370 zu § 613 a BGB; Urteil vom 13.02.2008 – 2 AZR 543/06 – AP Nr. 175 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Dabei muss die der entsprechenden Prognose zugrunde liegende Entscheidung bereits zum Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein und die Maßnahme -hier die Schließung des Betriebs – zum Kündigungszeitpunkt bereits feststehen und greifbare Formen angenommen haben. Ist dies nicht der Fall, kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes und zur fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit führende Prognose vor dem Ablauf der Kündigungsfrist nicht erfolgreich gestellt werden. Vielmehr entfällt die Grundlage für die Kündigung.

Deswegen ist eine Kündigung wegen Betriebsschließung nicht sozial gerechtfertigt, solange der Arbeitgeber den Stilllegungsbeschluss lediglich erwogen, aber noch nicht endgültig gefasst hat (BAG Urteil vom 12.04.2002 – 2 AZR 256/01 – AP Nr. 120 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, m.w.N.) Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt noch in ernsthaften Verhandlungen über die Veräußerung des Betriebs steht oder sich um neue Aufträge bemüht. Dann liegt keine unbedingte und endgültige Stilllegungsabsicht vor (BAG Urteil vom 13.02.2008 – 2 AZR 543/06 – a.a.O.). Ebenso verhält es sich, wenn die vom Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt beabsichtigte Maßnahme in Wahrheit keine Stilllegung, sondern ein Betriebsübergang ist (BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 273/08 – a.a.O.), weil etwa die für die Fortführung des Betriebes wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen werden sollen und der Veräußerer diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als Betriebsstilllegung wertet (BAG Urteil vom 27.09.2007 – 8 AZR 941/06 – AP Nr. 332 zu § 613 a BGB, m.w.N.).

1.2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe auf den vorliegenden Fall lag bei Kündigungsausspruch am 25.03.2010 ein ernstlicher und endgültiger Beschluss vor, den Produktionsbetrieb der Beklagten in A-Stadt bei Z-Stadt zum 30.06.2010 stillzulegen. Ein Betriebsübergang war weder geplant noch absehbar.

Der Kläger bestreitet die entsprechende Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung vom 18.03.2010 als solche – also in tatsächlicher Hinsicht – nicht. Die Gesellschafter, in Gestalt der Geschäftsführer der X. GmbH, die hundertprozentige Anteilseignerin der Beklagten ist, haben am 18.03.2010 beschlossen, den Betrieb der Beklagten in A-Stadt zum 30.06.2010 stillzulegen. Sie haben die Geschäftsführer der Beklagten angewiesen, alle bestehenden Arbeitsverhältnisse fristgerecht und ordentlich zu kündigen sowie die Sachanlagen und Lagerbestände zu verwerten. Sie haben außerdem die Anweisung erteilt, sämtliche Mietverträge und ähnliche Verpflichtungen zu kündigen.

Dieser Stilllegungsbeschluss ist auch tatsächlich umgesetzt worden. Der Kläger bestreitet nicht, dass der Betrieb zur Herstellung von Badmöbeln in A-Stadt bei Z-Stadt, Y-Straße 3, am 30.06.2010 tatsächlich eingestellt worden ist.

Alle Produktionsmaschinen, Werkzeuge, sonstige sächlichen Betriebsmittel sowie Rohmaterialien sind vom Betriebsgelände in A-Stadt entfernt und abtransportiert worden. Der Kläger bestreitet nicht, dass die Beklagte die „komplette Möbelproduktion“, das heißt sämtliche in Produktion und Lager befindlichen Maschinen, Absauganlagen, Lagereinrichtungen, Klein- und Rohmaterialien, Werkzeuge, Ersatzteile, Zubehör sowie die komplette Büroeinrichtung an die Firma L. GmbH aus K.-Stadt, einem Vermarkter von gebrauchten Maschinen und Anlagen, verkauft hat. Er bestreitet auch nicht, dass die Firma L. GmbH die „komplette Möbelproduktion“ mit ca. 450 Positionen in ihren Auktionskatalog aufgenommen und auf ihrem Internetmarktplatz in der Zeit vom 21.06.2010 bis zum 14.07.2010 im Rahmen einer Online-Auktion zum Kauf angeboten hat. Auch die fünf Maschinen, die der Kläger in der Berufungsbegründung aufführt (BAZ20 Bearbeitungszentrum für Formfräsen und Kantenrahmen, KL78 Konturenleimmaschine, Holzma Zuschnittmaschine zum Aufteilen großer Spanplatten, J. Dübelautomat, I. Korpuspresse) sind unstreitig an die Firma L. GmbH verkauft worden. Sämtliche Mietverträge, insbesondere der Mietvertrag für das Betriebsgrundstück in A-Stadt sind gekündigt worden. Der Kläger trägt selbst vor, dass mit insgesamt vierzehn 40-Tonnen-Lkw ca. 120 Waschtische, ca. 250 Spiegelschränke, sämtliche Möbelausstellungsstücke für Messeauftritte sowie ein Showroom nebst Dekorationsmaterial, über 100 vorproduzierte Badezimmereinrichtungen sowie sämtliche brauchbaren Produktionsmaterialien, wie Spanplatten und Beschläge, abtransportiert worden sind. Schließlich hat die Beklagte unstreitig allen 42 Arbeitnehmern gekündigt. Zwar belegt dieser Gesichtspunkt für sich allein noch keine Betriebsstilllegung, weil es gerade darauf ankommt, ob die Kündigungen sozial gerechtfertigt sind, jedoch ist unstreitig, dass der Betrieb in A-Stadt zum 30.06.2010 endgültig geschlossen worden ist. Die Beklagte hat die alte Betriebsgemeinschaft tatsächlich aufgelöst.

1.3. Im Kündigungszeitpunkt am 25.03.2010 stand – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht zu erwarten, dass der Produktionsbetrieb der Beklagten nicht stillgelegt, sondern auf die Firma V. GmbH + Co KG mit Sitz in T.-Stadt übergehen würde. Die Kündigung ist deshalb auch nicht gemäß § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam.

Ein Betriebsübergang i.S.d. § 613 a BGB setzt die im Wesentlichen unveränderte Fortführung einer wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität voraus. Daraus folgt, dass die Einheit, die beim Veräußerer bestanden hat, beim Erwerber fortbestehen muss. Der Begriff „Einheit“ bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche, den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude oder bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Die Identität der Einheit kann sich auch aus anderen Merkmalen, wie z.B ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden oder den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln ergeben. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu (BAG Urteil vom 23.09.2010 – 8 AZR 567/09 – NZA 2011, 197).

Das Vorbringen des Klägers lässt bei Berücksichtigung der hiernach zu beachtenden Aspekte der Gesamtwürdigung nicht erkennen, dass im Kündigungszeitpunkt geplant war, den Betrieb der Beklagten als selbständige wirtschaftliche Einheit identitätswahrend im ca. 270 Kilometer von A-Stadt entfernten T.-Stadt fortzuführen.

Zwar geht die Ähnlichkeit einer betrieblichen Tätigkeit und damit die Identität der wirtschaftlichen Einheit nicht bereits dadurch verloren, dass ein Erwerber einen Betrieb verlegt. Die wirtschaftliche Einheit kann trotz Ortsverlegung gewahrt bleiben, wenn der Erwerber eines Produktionsbetriebs Betriebsmittel verlagert und an einem anderen Ort mit gleicher Arbeitsorganisation und gleichen Betriebsmethoden die Produktion weiterführt (BAG Urteil vom 16.05.2002 – 8 AZR 320/01 – AP Nr. 9 zu § 113 InsO). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

Die Firma V. hat keine Kunden- und Lieferantenbeziehungen der Beklagten übernommen. Die Beklagte hat zwar ihren Produktionsbetrieb stillgelegt, jedoch nicht ihre wirtschaftliche Tätigkeit eingestellt. Sie hat ihren Sitz von A-Stadt nach U. verlegt und den Gegenstand ihres Unternehmens geändert (AG Augsburg HBR 000). Sie beschäftigt sich seit dem 01.07.2010 nur noch mit dem Vertrieb von Badmöbeln. Dies entspricht auch dem Gesellschafterbeschluss vom 22.03.2010. Die Geschäftsführer der Beklagten sind darüber hinaus angewiesen worden, das Sortiment zu bereinigen, und die Kunden darüber zu informieren, dass spätestens ab 01.07.2010 nur noch das neue – Handelswarensortiment – erhältlich sei. Produkte nach kundenindividuellen Wünschen (hinsichtlich Maße und Farbgebung) sollten nicht mehr gehandelt werden. Außerdem sollten die Funktionen „Verwaltung, Auftragserfassung, Versand und Außendienst“ mit Wirkung ab 01.07.2010 fremd vergeben. Die Geschäftsführung ist deshalb am 22.03.2010 beauftragt worden, entsprechende Verträge abzuschließen. Schließlich wurde beschlossen, dass die Beklagte eigene Arbeitnehmer nicht (mehr) beschäftigt.

Dieser Beschluss ist auch umgesetzt worden. Am 23.03.2010 schloss die Beklagte mit der Firma V. GmbH + Co KG einen Lieferungs- und Servicevertrag. Um den Markt weiterhin mit Badmöbeln der Marke „S.“ bedienen zu können, wurde die Firma V. beauftragt, auf eigene Rechnung Badmöbel der Marke „S.“ zu entwickeln, für die Beklagte auf den „vorhandenen Badmöbelproduktionsanlagen“ in T.-Stadt zu produzieren und auf Abruf an die Beklagte zu liefern. Weiterhin wurde die Firma V. beauftragt, Handelswaren der Marke „S.“ auf eigene Rechnung zu beschaffen und zu bevorraten, um diese auf Abruf an die Beklagte zu liefern. Sie erhielt außerdem den Auftrag, ab dem 01.07.2010 die Ersatzteilversorgung für die in der Vergangenheit verkauften Produkte für die Beklagte zu übernehmen. Hierzu soll die Firma V. Ersatzteile alter Programme bevorraten und auf Abruf an die Beklagte abgeben, damit sie ihren Gewährleistungsverpflichtungen nachkommen kann. Weiterhin wurde die Firma V. beauftragt, wie bisher schon die Funktion Buchhaltung und zusätzlich ab 01.07.2010 die Funktionen EDV und Auftragsbearbeitung als Dienstleister für die Beklagte zu übernehmen, sowie mit ihrer Außendienst-organisation für die Beklagte nach Vereinbarung als Handelsvertreter Kunden zu betreuen und Umsätze zu generieren. Auch diese Beschlüsse sind umgesetzt worden.

Selbst wenn die Beklagte im Kündigungszeitpunkt Ende März 2010 geplant haben sollte, fünf Maschinen an die Firma V. zu verkaufen, hat sie damit keine selbständige wirtschaftliche Einheit übertragen. Das gilt auch für die vom Kläger aufgeführten Rohstoffe für die Produktion von Badmöbeln (z.B. Spanplatten und Beschläge) sowie Lagerbestände (z.B. Waschtische, Spiegelschränke etc.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Kundeninformation vom 24.03.2010, die W. V., der geschäftsführende Gesellschafter der Firma V., unterzeichnet hat. Er teilt den Kunden mit, dass Badmöbel der Marke „S.“ auch zukünftig erhältlich sein werden. Die Textpassage:

„In T.-Stadt wird in einem separaten Gebäudekomplex ein neuer S.-Showroom, die S.-Produktionslinien, die Auftragsbearbeitung und Versandabwicklung untergebracht. Somit ist eine saubere Trennung der Marken und Programme gewährleistet“

lässt – entgegen der Ansicht des Klägers – keine Rückschlüsse auf die Wahrung der bisherigen betrieblichen Identität und einer Beibehaltung der wirtschaftlichen Einheit zu. Die Firma V., die selbst seit Jahrzehnten Badmöbel produziert, benötigte keine Maschinen der Beklagten aus A-Stadt , weil sie unstreitig selbst über Produktionsanlagen verfügt.

1.4. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist hiernach durch die Kündigung der Beklagten vom 25.03.2010 mit Ablauf des 30.06.2010 beendet worden. Zwar betrug die gesetzliche Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 1 BGB nur vier Wochen zum Monatsende, weil das am 01.06.2009 begründete Arbeitsverhältnis noch kein Jahr bestanden hat. Die Beklagte hat in ihrem ersten Kündigungsschreiben vom 25.03.2010 jedoch ausdrücklich zum 30.06.2010 gekündigt. An diesem Beendigungstermin, der dem Stilllegungszeitpunkt entsprach, muss sie sich festhalten lassen.

2. Die Kündigungsschutzklage gegen die zweite Kündigung der Beklagten vom 27.04.2010 zum 31.05.2010 ist begründet. Insoweit ist das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und der Klage stattzugeben.

Die Kündigung vom 27.04.2010 konnte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht bereits zum 31.05.2010 beenden. Dabei kann dahinstehen, ob diese Kündigung bereits deshalb unwirksam ist, weil es sich um eine unzulässige „Nachkündigung“ (zum Begriff: BAG Urteil vom 22.05.2003 – 2 AZR 255/02 – AP Nr. 12 zu § 113 InsO) handelt.

Die Beklagte begründet die zweite Kündigung damit, dass sie im Zusammenhang mit der unternehmerischen Entscheidung zur Betriebsstilllegung zum 30.06.2010 nach Ausspruch der ersten Kündigung vom 25.03.2010 Anfang April 2010 den exakten Termin für den Produktionsstopp für das Ende der 22. Kalenderwoche festgelegt habe. So sei bereits Mitte April 2010 für die Geschäftsführung absehbar gewesen, dass in der Abteilung Arbeitsvorbereitung nur noch Restarbeiten zu erledigen seien und der Arbeitsplatz des Klägers bereits mit Wirkung zum 31.05.2010 ersatzlos entfalle. Mit dieser dürftigen Begründung kann die Beklagte den ursprünglich gewählten Beendigungszeitpunkt 30.06.2010 nicht auf den 31.05.2010 vorverlegen. Die Beklagte hätte zumindest vortragen müssen, welchen Termin für den Produktionsstopp sie vor Ausspruch der ersten Kündigung geplant hatte, wie sich die Arbeitsmenge – unter Berücksichtigung der Abwicklungs- und Aufräumarbeiten – nach dem Produktionsstopp konkret reduziert hat und wie sie die noch vorhandene Arbeitsmenge auf die bis zum Stilllegungstermin am 30.06.2010 beschäftigten Arbeitnehmer konkret verteilt hat. Einen Arbeitskräfteüberhang vor dem Stilllegungstermin hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt.

3. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Kläger zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen weiterzubeschäftigen, weil das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die erste Kündigung vom 25.03.2010 – wie von der Beklagten ausdrücklich erklärt – mit Ablauf des 30.06.2010 aufgelöst worden ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Die Kosten erster und zweiter Instanz sind nach § 92 Abs. 1 ZPO im Verhältnis des jeweiligen Unterliegens und Obsiegens unterschiedlich zu verteilen.

Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

 

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