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Kündigung wegen Betriebsstilllegung – Betriebsratsanhörung

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 14 Sa 2051/15, Urteil vom 14.04.2016

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 22.10.2015 – 38 Ca 10568/15 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die am …… 1957 geborene, verheiratete Klägerin war aufgrund eines Arbeitsvertrages seit dem 1. Februar 1986 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Mitarbeiterin Fluggastabfertigung/Gepäckermittlung am Flughafen Berlin-T. zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 3.576,00 € beschäftigt. Die Klägerin ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert (Bescheid vom 4. November 2011).

Im Jahr 2008 übernahm die W.-Gruppe die G. Berlin GmbH & Co. KG (im Folgenden: GGB), die damalige Arbeitgeberin der Klägerin. Im Jahr 2011 wurde der Betrieb der GGB in die Betriebe Passage, Rampe, Verwaltung und Werkstatt aufgeteilt.

Die Beklagte erbrachte seit Mai 2012 verschiedene Passagierabfertigungsdienstleistungen auf dem Flughafen Sch. im Bundesland Brandenburg und auf dem Flughafen Berlin-T.. Die Beklagte hatte den Betrieb T./Sch. von der GGB übernommen. Die GGB ist die einzige Kommanditistin der Beklagten. Die Kommanditanteile der GGB werden von einem Unternehmen der W.-Gruppe gehalten. Die Gesellschafter der Komplementärinnen der Beklagten (A. P. Service Berlin Beteiligungs GmbH) und der GGB (G. Berlin Beteiligungs GmbH) sind jeweils natürliche Personen. Die GGB war die alleinige Auftraggeberin der Beklagten.

In der ersten Hälfte des Jahres 2014 kündigte die GGB gegenüber der Beklagten verschiedene Dienstleistungsaufträge. Ab Mai/Juni 2014 fanden Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan statt und es wurde eine Einigungsstelle eingerichtet. Am 3. September 2014 beschloss die Einigungsstelle durch Spruch einen Sozialplan.

Im Juni 2014 wurde der Bereich der Passagierabfertigung in Sch. vom Betrieb der Beklagten abgespalten und der Betriebsteil ging zum 1. Juli 2014 im Wege eines Betriebsübergangs auf die neu gegründete PSS GmbH & Co. KG (im Folgenden: PSS) über. Von dem Betriebsübergang waren ca. 120 Arbeitnehmer betroffen, von denen 30 dem Betriebsübergang widersprachen. Die Beklagte beschäftigte nach dem Betriebsübergang zuletzt noch ca. 190 Arbeitnehmer.

Am 9. September 2014 kündigte die GGB gegenüber der Beklagten weitere Aufträge (Ablichtung Bl. 82 d. A., Anlage B-K1). Mit Schreiben vom 22. September 2014 kündigte die GGB gegenüber der Beklagten sämtliche noch vorhandenen Aufträge (Ablichtung Bl. 83 – 84 d. A., Anlage B-K2).

Am 22. September 2014 beschlossen die Gesellschafter der Beklagten, den Betrieb zum 31. März 2015 stillzulegen (Ablichtung Bl. 85 d. A., Anlage B-K3).

Im Oktober 2014 einigten sich die Betriebsparteien auf die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Geplante Betriebsschließung sowie dazugehöriger Interessenausgleich und Sozialplan“. In der Folgezeit fanden Sitzungen der Einigungsstelle statt. In der Sitzung vom 18. Dezember 2014 erklärt die Arbeitgeberseite die Interessenausgleichsverhandlungen für gescheitert.

Am 20. Januar 2015 beschlossen die Gesellschafter der Beklagten die Stilllegung des Betriebes in T. und Sch. zum 31. März 2015 (Ablichtung Bl. 86 d. A., Anlage B-K4).

Nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats und Erstattung einer Massenentlassungsanzeige sprach die Beklagte gegenüber den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern Ende Januar 2015 ordentliche betriebsbedingte Kündigungen aus. Gegenüber Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz erfolgte der Ausspruch der Kündigung jeweils nach Erteilung der behördlichen Zustimmung.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2015. Durch ein Urteil vom 23. Juli 2015 hat das Arbeitsgericht Berlin die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage der Klägerin abgewiesen (38 Ca 2754/15). Durch ein Urteil vom 26. November 2015 hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg auf die Berufung der Klägerin das Urteil abgeändert und die Kündigung für unwirksam erklärt (10 Sa 1501/15). Hiergegen hat die Beklagte Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegt (2 AZR 87/16).

Zum 31. März 2015 wurde der Betrieb der Beklagten stillgelegt.

In der Folgezeit gaben einige Kammern des Arbeitsgerichts Berlin den Kündigungsschutzklagen mit der Begründung statt, die Beklagte habe das Verfahren gemäß § 17 KSchG nicht ordnungsgemäß durchgeführt.

Mit Schreiben vom 12. Juni 2015 teilte die Beklagte dem Betriebsrat unter anderem folgendes mit:

„… wie wir Ihnen bereits bekannt ist, haben im Rahmen der anhängigen Kündigungsschutzverfahren einige Kammern des Arbeitsgerichts Berlin eine Verletzung der Massenentlassungsvorschriften des § 17 KSchG festgestellt. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschlossen, das Verfahren zur Massenentlassung zu wiederholen und die Arbeitsverhältnisse mit allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (im Folgenden zusammen Arbeitnehmer), bei denen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht feststeht, vorsorglich erneut zu kündigen. Wie bereits in unserem Unterrichtungsschreiben gemäß § 17 Abs. 2 KSchG vom Mittwoch mitgeteilt, handelt sich hierbei um insgesamt 128 Arbeitnehmer (nachfolgend aufgeführt), die gegen unsere erste Kündigung Klage erhoben haben und diese noch nicht zurückgenommen haben.

Wir beabsichtigen die Arbeitsverhältnisse mit diesen Mitarbeitern vorsorglich erneut unter Beachtung der angegebenen Kündigungsfrist ordentlich zum nächst möglichen Termin zu kündigen. Soweit eine behördliche Zustimmung zur Kündigung erforderlich ist, beabsichtigen wir die Kündigung auszusprechen, sobald uns die entsprechende Zustimmung vorliegt…“

Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Schreibens wird auf die Ablichtung auf Blatt 151-157 der Akten Bezug genommen (Anlage B-M 15). In einer Tabelle unter b) (Mitarbeiter mit Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gemäß §§ 68, 69 SGB IX gleichgestellte Mitarbeiter sowie Mitarbeiter, die einen entsprechenden Antrag gestellt haben) ist unter Nummer 69 der Name der Klägerin, ihr Geburtsdatum, der Beginn des Arbeitsverhältnisses, die Tätigkeit (Fluggastabfertigung/Gepäckermittlung), der Grad der Behinderung (50) und die Kündigungsfrist (7 Monate zum Monatsende) angegeben.

Mit Schreiben vom 19. Juni 2015 widersprach der Betriebsrat der Kündigung unter anderem mit der Begründung, die Beklagte habe doch erst zwei Tage vor der Anhörung das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG eingeleitet. Im Übrigen verwies der Betriebsrat auf sein Widerspruchsschreiben vom 27. Januar 2015 bezüglich der ersten Kündigungen und wiederholte dessen Inhalt. Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Schreibens wird auf die Ablichtung auf Blatt 159-160 Rückseite der Akten Bezug genommen (Anlage B-M 16).

Mit Schreiben vom 10. Juni 2015 hatte die Beklagte den Betriebsrat folgendes mitgeteilt:

„.. da im Rahmen der anhängigen Kündigungsschutzverfahren einige Kammern des Arbeitsgerichts Berlin eine Verletzung der Massenentlassungsvorschriften des § 17 KSchG festgestellt haben, haben wir uns rein vorsorglich dazu entschlossen das Verfahren zu wiederholen. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie noch einmal gemäß § 17 Abs. 2 KSchG wie folgt unterrichtet: …“

Hinsichtlich des vollständigen Inhalts wird auf die Ablichtung auf Blatt 89-98 der Akten Bezug genommen (Anlage B-M 1).

Das Anhörungsschreiben wurde dem Betriebsrat am 10. Juni 2015 gegen 16:25 Uhr sowohl per E-Mail als auch per Telefax übersandt.

In der Folgezeit wechselten die Betriebsparteien einige Schreiben. Mit Schreiben vom 17. Juni 2015 übermittelte der Betriebsrat der Beklagten Überlegungen, wie aus seiner Sicht Massenentlassungen zu vermeiden seien (Ablichtung Bl. 104-105 d. A., Anlage B-M 5). Danach einigten sie die Betriebsparteien auf einen Termin für das Konsultationsverfahren gemäß § 17 KSchG am 24. Juni 2015 ab 12:30 Uhr.

Am Mittwoch, dem 24. Juni 2015 fanden in der Zeit von ca. 12:50 Uhr bis 18:50 Uhr Beratungen zwischen den Betriebsparteien statt, wobei die Beklagte durch ihren Geschäftsführer und eine Rechtsanwältin und der Betriebsrat unter anderem durch seine Vorsitzende und einem Rechtsanwalt – den Prozessbevollmächtigten der Klägerin – vertreten wurde. Die Einzelheiten der Gespräche sind zwischen den Parteien teilweise streitig.

Mit einer E-Mail vom 24. Juni 2015, 19:34 Uhr (Ablichtung des Ausdrucks Bl. 118 d. A., Anlage B-M 10) teilte der Geschäftsführer der Beklagten dem Betriebsrat und seinen Bevollmächtigten folgendes mit:

“ … anbei die Präsentation aus dem heutigen Konsultationstermin.

Wir hatten Ihnen bereits in der Sitzung mitgeteilt, dass wir den Sachverhalt morgen mit der GGB erörtern wollen und Sie insofern bis 12:00 Uhr die Gelegenheit haben, uns Ergänzungen zu unserem heutigen Gespräch und Ihren Schreiben vom 17.06.2015 sowie vom 24.06.2015 zur Verfügung zu stellen bzw. uns eine abschließende Stellungnahme zukommen zu lassen.

Der Termin mit der GGB wird nunmehr erst morgen Abend stattfinden, so dass eine Stellungnahme bis 18:00 Uhr hinreichend ist.

Nach dem bereits mit der GGB erfolgten Vorgespräch auf Basis Ihres Schreibens vom 17.06.2015 können wir nicht ausschließen, dass die GGB evtl. morgen eine endgültige Entscheidung treffen wird.“

Mit Schreiben vom 25. Juni 2015 (Ablichtung Bl. 119 d. A.; Anlage B-M 11) teilte der Betriebsrat der Beklagten gegen 16:40 Uhr folgendes mit:

„… nach unserer Beratung hatten Sie erwähnt, wir könnten bis heute 12:00 Uhr noch etwas ergänzen, wenn wir wollten. Ansonsten waren wir so verblieben, dass Sie uns nach Ihrer Besprechung mit Frau T. (die, so unsere Anmerkung, ohnehin nur über Weisungen durch Herrn W. berichten kann) Ihre Sicht der Dinge so rechtzeitig mitteilen wollten, dass das gesamte Betriebsratsgremium darüber in seiner Sitzung nächsten Dienstag beraten kann. Vorher wird das Gremium über den inhaltlichen Verlauf unseres gestrigen Treffens unterrichtet werden. Auf der Grundlage der Erörterungen und Beschlussfassung des Gremiums würde der Betriebsrat dann unverzüglich und abschließend Stellung nehmen.

So sollten wir es auch halten. Zu ergänzen haben wir nichts. Wir – d. h. die Mitglieder der gestrigen Verhandlungskommission – hoffen, dass wir auf der Basis unserer drei, auf den Flipchart niedergeschriebenen Informationswünsche in einem weiteren Termin inhaltlich weiter kommen.“

Mit Schreiben vom 26. Juni 2015 zeigte die Beklagte die geplanten Massenentlassungen bei der Agentur für Arbeit C. und vorsorglich bei der Agentur für Arbeit Berlin-N.d an. Hinsichtlich des Inhalts der Anzeige an die Agentur für Arbeit C. wird auf die Ablichtung auf Blatt 121-125 der Akten Bezug genommen (Bestandteil der Anlage B-M 13). Dem Antragsschreiben waren 17 Anlagen beigefügt, die im vorliegenden Rechtsstreit teilweise Bestandteil der Anlage B-M 13 sind und im Übrigen als Anlagen B-M 1, 1a, 3, 5, 16, 7, 8, 9, 10, 11, und 12 zu den Akten gereicht wurden.

Mit Schreiben vom 26. Juni 2015 teilte die Beklagte dem Betriebsrat unter anderem mit, der Geschäftsführer habe sich dazu entschlossen, die Kündigungen zu wiederholen (Ablichtung Bl. 120 d. A., Anlage B-M 12).

Mit Schreiben vom 26. Juni 2015 brachte der Betriebsrat gegenüber der Agentur für Arbeit C. seine Verwunderung über die Massenentlassungsanzeige zum Ausdruck und teilte mit, er werde die Angelegenheit am Dienstag, den 30. Juni 2015 abschließend beraten und am Folgetag eine entsprechende abschließende Stellungnahme abgeben und der Agentur für Arbeit per Fax die Abschrift zukommen lassen (Ablichtung Bl. 281 d. A., Anlage III zum Schriftsatz der Klägerin vom 18.09.2015).

Am 30. Juni 2015 fand eine Betriebsratssitzung statt. Mit Schreiben vom 1. Juli 2015 teilte der Betriebsrat der Beklagten seine „Abschließende Stellungnahme im (zweiten) Verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG“ mit (Ablichtung Bl. 283-286 d. A., Anlage IV zum Schriftsatz der Klägerin vom 18.09.2015) und sandte die Stellungnahme an die Agentur für Arbeit C..

Mit Schreiben vom 5. Oktober 2015 (Ablichtung Bl. 343 d. A., Anlage B-M 18b) teilte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Berlin-N., der Beklagten folgendes mit:

„… Ihre o. g. Anzeige ist am 26.06.2015 rechtswirksam in der Agentur für Arbeit Berlin-N. eingegangen. Sie wurden zuständigkeitshalber von der Agentur für Arbeit C. bearbeitet.“

Mit Bescheid vom 18. Juli 2015 stimmte das Landesamt für G. und S. – Integrationsamt – der beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zu (Ablichtung Bl. 161-163 d. A., Anlage B-M 17).

Mit Schreiben vom 15. Juli 2015, der Klägerin am 16. Juli 2015 zugegangenen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „vorsorglich erneut aus betriebsbedingten Gründen ordentlich zum nächstmöglichen Termin“, dies sei nach ihrer Berechnung der 29. Februar 2016 (Ablichtung Bl. 6 d. A., Anlage zur Klageschrift).

Mit der vorliegenden, am 28. Juli 2015 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen, der Beklagten am 4. August 2015 zugestellten Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung gewendet und hilfsweise Schadenersatz gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG verlangt.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei sozialwidrig und die Beklagte habe gegen die Rechte des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG sowie gegen die Vorschriften des § 17 KSchG verstoßen.

Die Klägerin hat behauptet, die Entscheidung, die von der Beklagten sowie von Frau T. in ihrer Geschäftsführerinnen-Funktion auf Geheiß der W.-Konzernleitung betroffen und umgesetzt worden sei und die für die Beklagte als Grundlage für den Ausspruch der hier angegriffenen Kündigung bezeichnet werde, sei rechtsmissbräuchlich. Zwar hätten die Spaltungen nicht den Zweck gedient, den Beschäftigten den allgemeinen Kündigungsschutz zu entziehen, wohl aber dem Ziel, das grundsätzlich anwendbare Kündigungsschutzrecht zum Nachteil der Betroffenen in entscheidenden Punkten zu umgehen. Zudem habe die Beklagte damit die Vorschrift der Sozialauswahl umgangen. Die unternehmerische Entscheidung, zunächst eine Abspaltung vorzunehmen, um dann den nun vom Betriebsteil zum Betrieb gewandelten, verbliebenden Rest stillzulegen, um mit einem einfacheren kündigungsrechtlichen Weg die gewünschten Ergebnisse zu erzielen, sei rechtsmissbräuchlich.

Weiter hat die Klägerin die Ansicht vertreten, im vorliegenden Fall sei ein konzernbezogener Kündigungsschutz zu bejahen.

Die Klägerin hat ferner die Ansicht vertreten, die Arbeitsagentur C. sei örtlich unzuständig. Ferner sei der Betriebsrat abermals über die konkreten Gründe, die wohl im wirtschaftlichen Bereich liegen sollen, im Unklaren gelassen worden. So seien ihm abermals die konkreten Daten und Unterlagen vorenthalten worden, die Auskunft über das finanzielle Gesamtvolumen der sogenannten „Full-handling-Verträge“ der vertragsschließenden Konzerngesellschaft und deren rechnerische Aufteilung auf die anderen Konzerngesellschaften geben könnten. Gemäß § 17 Abs. 3a KSchG hätte sich die Beklagte durch ihren Geschäftsführer auf Fakten statt Vermutungen beziehen und über die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen des tatsächlich verantwortlichen Unternehmens informieren müssen.

Weiter hat die Klägerin die Ansicht vertreten, die Kündigung sei auch deshalb unwirksam, weil die Beklagte die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats nicht abgewartet habe, bevor sie die Massenentlassungsanzeige erstattet habe und die Stellungnahme auch nicht nachgereicht habe.

Die Klägerin hat unter Klagerücknahme im Übrigen beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die vorsorglich erneut ausgesprochene fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 15. Juli 2015 nicht aufgelöst werden wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei aufgrund der geplanten Betriebsschließung sozialgerechtfertigt und der Betriebsrat sei sowohl gemäß § 102 BetrVG als auch gemäß § 17 KSchG ausreichend beteiligt worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhaltes sowie des streitigen Vorbringens der Parteien I. Instanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Ferner wird auf die erstinstanzlich eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst der Anlagen Bezug genommen.

Durch ein Urteil vom 22. Oktober 2015 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht zunächst ausgeführt, Streitgegenstand der Klage sei die Frage, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 15. Juli 2015 aufgelöst worden sei. Über diesen Streitgegenstand könne unabhängig davon entschieden werden, ob das Arbeitsverhältnis bereits durch die vorherige Kündigung aufgelöst worden sei. Weiter hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Kündigung sei wegen der Betriebsschließung sozialgerechtfertigt. Für einen Rechtsmissbrauch bestünden keine Anhaltspunkte. Nicht jede kreative Nutzung von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten sei zugleich eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung. Letztlich habe sich hier der Vertragsarbeitgeber, auf dem maßgeblich abzustellen sei, dazu entschlossen, seinen Betrieb stillzulegen und diese Entscheidung auch umgesetzt. Ferner hat das Arbeitsgericht ausgeführt, eine Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG sei nicht durchzuführen gewesen, weil die Beklagte sämtliche Arbeitsverhältnisse gekündigt habe. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 17 KSchG unwirksam. Die Beklagte habe den Betriebsrat mit Schreiben vom 10. Juni 2015 ausreichend informiert, zudem hätten am 24. Juni 2015 Beratungen stattgefunden. Die Beklagte habe einen den Anforderungen gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 und S. 3 KSchG genügende Massenentlassungsanzeige erstattet. Die Beklagte sei nicht gehalten gewesen, eine weitere Stellungnahme des Betriebsrats, die dieser dann mit Schreiben vom 1. Juli 2015 abgegeben habe, abzuwarten. Vielmehr habe die Beklagte rechtlich zulässig – wie geschehen – den Weg über § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG gehen dürfen. Das Arbeitsgericht hat weiter ausgeführt, die Beklagte habe von sich aus alles unternommen, um die zuständige Arbeitsagentur zu beteiligen. Schließlich hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Kündigung sei auch nicht gemäß § 102 BetrVG unwirksam. Es sei nicht erforderlich gewesen, zunächst das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG abzuwarten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 5. November 2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 26. November 2015 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 23. Dezember 2015 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin tritt dem angefochtenen Urteil unter teilweiser Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags entgegen und ist der Ansicht, die der Kündigung zugrundeliegende Unternehmerentscheidung sei rechtsmissbräuchlich, denn die besondere Konstruktion, nämlich die betriebliche Abspaltung und die formal-rechtliche Verselbstständigung der vormaligen Betriebsabteilung „Passagierdienstleistungen“ hätten einzig und allein dem Zweck gedient, sich von den jetzigen Beschäftigten unter bloßem Hinweis auf die konzerninterne Auftragskündigung trennen zu können. Die Bindungen des Kündigungsschutzgesetzes, etwa an den Grundsatz „Änderung geht vor Vollkündigung“, griffen somit ins Leere, da der inhaltliche Kündigungsgrund (angeblich zu hohe Personalkosten) und die Betriebsschließung als Solche unterschiedlichen Konzernebenen zugeordnet seien.

Weiter ist die Klägerin der Ansicht, das Erfordernis der Sozialauswahl sei umgangen worden, denn der einzige Zweck der Mitte 2014 vorgenommenen Betriebs- und Unternehmensaufspaltung habe darin bestanden, die zweieinhalb Monate später erstmalig den Betriebsrat als Planungsabsicht mitgeteilte Betriebsschließung des vormaligen T. Betriebsteils ohne die lästigen Zwänge einer sozialen Auswahl vornehmen zu können. Schließlich sei es ja gerade um die Trennung von den Beschäftigten gegangen, die besonders hohe tarifliche Besitzstände aufgewiesen hätten.

Die Klägerin ist ferner der Ansicht, auch die vorsorglich ausgesprochene zweite Kündigung sei unter anderem wegen Verstößen gegen die Verpflichtungen aus § 17 KSchG zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Konsultationsverfahrens sowie bei der Anzeige der Massenentlassung unwirksam. Es fehle an einer ausreichenden Unterrichtung des Betriebsrats über die Gründe der geplanten Entlassungen, insbesondere sei § 17 Abs. 3 a KSchG europarechtskonform auszulegen und im vorliegenden Rechtsstreit anzuwenden. Ferner sei die Konsultation verspätet erfolgt, weil sämtliche Aufträge im Zeitpunkt dessen, was die Beklagte als Konsultation bezeichne, bereits an andere W.-Firmen oder im Einzelfall auch an befreundete Unternehmen vergeben worden seien. Zudem hätte die Beklagte die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats abwarten müssen und habe stattdessen das Konsultationsverfahren einseitig und zur Unzeit abgebrochen. Als weiterer Unwirksamkeitsgrund komme hinzu, dass die Beklagte die Stellungnahme des Betriebsrats der Anzeige nicht beigefügt habe und dies auch nicht nachgeholt habe.

Die Klägerin behauptet, der Geschäftsführer der Beklagten habe die Entscheidung der örtlich unzuständigen Arbeitsagentur vorsätzlich dadurch herbeigeführt, dass er falsche Angaben über den Sitz des Betriebes gemacht habe. Es gehe nicht vorrangig darum, wie viele Beschäftigte in Sch. oder T. beschäftigt gewesen seien, sondern darum, dass die Steuereinheit und damit der Sitz des Betriebes inzwischen verlegt worden sei. Dies habe der Geschäftsführer der Beklagten verschwiegen.

Schließlich ist die Klägerin der Ansicht, die Kündigung sei auch gemäß § 102 BetrVG unwirksam, weil es nach der abrupten Beendigung des Konsultationsverfahrens zumindest eines Nachtrags im Rahmen einer ergänzenden Anhörung bedürft hätte, in der die Beklagte hätte deutlich machen müssen, ob und wenn ja, inwieweit das, was sie als Konsultation bezeichne, sich auf ihren vorläufigen Entschluss zur Kündigung der Beschäftigten gemäß eingereichter Liste ausgewirkt habe.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. Oktober 2015 – 38 Ca 10568/15 – festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 15. Juli 2015 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags und ist der Ansicht, die Kündigung sei weder rechtsmissbräuchlich noch liege ein Verstoß gegen § 17 KSchG vor. Die Vorschrift des § 17 Abs. 3 a KSchG sei im vorliegenden Fall unanwendbar, weil die Entscheidung über die Entlassungen von der Beklagten und nicht von einem beherrschenden Unternehmen getroffen worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 23. Dezember 2015, vom 10. Februar 2016 und vom 12. April 2016 sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 14. April 2016 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und frist- und formgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

B

Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Klage ist unzulässig.

1.) Die Zulässigkeit des Feststellungsantrages folgt unmittelbar aus § 4 S. 1 KSchG.

2.) Der Klägerin ist es nicht verwehrt, sich trotz des Streitgegenstandes des – ohnehin noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen – Kündigungsrechtsstreits bezüglich der Kündigung vom 9. Februar 2015 zum 30. September 2015 (Revisionsverfahren beim BAG zum Az.: 2 AZR 87/16) im vorliegenden Rechtsstreit auf die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung vom 15. Juli 2015 zum 29. Februar 2016 zu berufen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist zu berücksichtigen, dass der Streitgegenstand der (späteren) Kündigungsschutzklage und damit der Umfang der Rechtskraft eines ihr stattgebenden Urteils auf die (streitige) Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung beschränkt werden kann. Eine solche Einschränkung des Umfangs der Rechtskraft bedarf deutlicher Anhaltspunkte, die sich aus der Entscheidung selbst ergeben müssen. So kann für die „Ausklammerung“ der Rechtsfolgen einer eigenständigen, zeitlich früherwirkenden Kündigung aus dem Streitgegenstand der Klage, die sich gegen eine später zugegangene Kündigung richtet, der Umstand sprechen, dass dieselbe Kammer des Arbeitsgerichts am selben Tag über beide Kündigungen entschieden hat. In einem solchen Fall ist regelmäßig sowohl für die Parteien als auch für das Gericht klar, dass die Wirkungen der früheren Kündigung nicht zugleich Gegenstand des Rechtstreits über die später wirkende Kündigung sein sollten (vgl. z. B. BAG, 22.11.2012, 2 AZR 732/11, NZA 2013, 665 und BAG, 26.03.2009, 2 AZR 633/07, NZA 2011, 166).

b) Eine derartige „Ausklammerung“ des Streits um die Wirksamkeit der Kündigung vom 9. Februar 2015 ist im vorliegenden Rechtsstreit über die Kündigung vom 15. Juli 2015 erfolgt. Diese Kündigung ist von der Beklagten ausdrücklich als vorsorgliche Kündigung bezeichnet worden, das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 10. September 2015 den Aussetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen und im angefochtenen Urteil ausdrücklich ausgeführt, Streitgegenstand der vorliegenden Klage sei die Frage, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 15. Juli 2015 aufgelöst werde und über diesen Streitgegenstand könne unabhängig davon entschieden werden, ob das Arbeitsverhältnis bereits durch die vorherige Kündigung aufgelöst worden sei.

II.

Die Klage ist unbegründet.

Die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 15. Juli 2015, der Klägerin am 16. Juli 2015 zugegangen, hat das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam zum 29. Februar 2016 aufgelöst.

1.) Die Kündigung ist nicht gemäß § 7 KSchG in Verbindung mit § 4 S. 1 KSchG kraft Gesetzes wirksam, weil die Klägerin die Klage rechtzeitig am 28. Juli 2015 beim Arbeitsgericht eingereicht hat und diese der Beklagten am 4. August 2015 zugestellt worden ist.

2.) Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG wirksam, weil sie sozial gerechtfertigt ist.

a) Auf das zwischen den Parteien am 15. Juli 2015 in jedem Falle noch bestehende Arbeitsverhältnis findet gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2 KSchG der Erste Abschnitt des KSchG Anwendung.

b) Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin im Betrieb der Beklagten entgegenstehen, bedingt.

Die Beklagte begründe die Kündigung mit der Betriebsstilllegung zum 31. März 2015.

aa) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung die unternehmerische Entscheidung getroffen hatte, den Betrieb zum 31. März 2015 stillzulegen, dass die Beklagte gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen und den Betrieb zum 31. März 2015 tatsächlich stillgelegt hat.

bb) Die unternehmerische Entscheidung, den Betrieb stillzulegen, war nicht rechtsmissbräuchlich.

(1) Für eine beschlossene und durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht die Vermutung, dass sie aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen wurde und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht. Im Prozess hat der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die getroffene Organisationsmaßnahme offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. z. B. BAG, 18.06.2015, 2 AZR 480/14, NZA 2015, 1315 und BAG, 20.06.2013, 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139, jeweils mwN.).

Rechtsmissbrauch hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, wenn der Arbeitgeber ein unternehmerisches Konzept zur Kostenreduzierung wählt, das faktisch nicht zu Änderungen in den betrieblichen Abläufen, jedoch bei allen Arbeitnehmern der betroffenen Abteilungen zum Verlust ihres Arbeitsplatzes führt, obwohl nach wie vor ein – allenfalls möglicherweise reduzierter – Beschäftigungsbedarf besteht (vgl. BAG, 26.09.2002, 2 AZR 636/01, NZA 2003, 549).

(2) Im vorliegenden Fall hat die Klägerin keine ausreichenden Umstände für die Annahme vorgetragen, die Betriebsstilllegung sei offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich.

Nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG ist es dem Arbeitgeber überlassen, wie er sein Unternehmen führt, ob er es überhaupt weiterführt und ob er seine Betätigungsfelder einschränkt. Er kann grundsätzlich Umstrukturierungen allein zum Zwecke der Ertragssteigerung vornehmen. Es kann unter der Geltung von Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG ohnehin nicht darum gehen, dem Arbeitgeber die fragliche organisatorische Maßnahme als solche gerichtlich zu untersagen, sondern nur darum, ob ihre tatsächliche Umsetzung eine Kündigung rechtfertigt (vgl. BAG, 20.06.2013, 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139 mit Hinweis auf Däubler, Die Unternehmerfreiheit im Arbeitsrecht).

Es kommt vorliegend nicht darauf an, ob die Beklagte die Stilllegung wegen des vollständigen Auftragsverlusts beschließen musste oder ob sie andere Aufträge am Markt hätte akquirieren können. Unerheblich ist auch, ob bzw. aus welchen Gründen (möglicherweise) die GGB als alleinige Auftraggeberin die Aufträge innerhalb der Unternehmensgruppe zu günstigeren Bedingungen ausführen lassen kann (vgl. ebenso LAG Berlin-Brandenburg, 01.12.2015, 7 Sa 1288/15).

Ein Rechtsmissbrauch ergibt sich auch nicht allein aus einer engen wirtschaftlichen Verflechtung der an der Auftrags(Neu)Vergabe beteiligten Unternehmen. Wegen der Betriebsstilllegung fehlt es an der für einen Rechtsmissbrauch sprechenden Beibehaltung der betrieblichen Organisationsstruktur. Auch dient die unternehmerische Entscheidung nicht allein dazu, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu beenden. Die Aufträge werden nunmehr in anderen Unternehmen mit dort beschäftigten Arbeitnehmern abgearbeitet, wobei zwischen den Parteien unstreitig ist, dass es nicht zu Betriebs(teil-)Übergängen gekommen ist (vgl. ebenso LAG Berlin-Brandenburg, 01.12.2015, 7 Sa 1288/15).

Aus diesen Gründen war die Beklagte auch nicht dazu verpflichtet, als milderes Mittel anstelle einer Beendigungskündigung eine Änderungskündigung, beispielweise zum Zwecke der Entgeltabsenkung, auszusprechen und den Betrieb wieder zu eröffnen.

cc) Die Kündigung ist nicht wegen einer für die Klägerin bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit unwirksam. Hierauf hat sich die Klägerin in der Berufungsinstanz nicht mehr berufen. Eine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist auch nicht ersichtlich, denn der Betrieb der Beklagten wurde unstreitig bereits zum 31. März 2015 stillgelegt.

c) Die Kündigung ist auch nicht wegen der unterbliebenen Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam.

Entgegen der Ansicht der Klägerin war eine Sozialauswahl unter Einbeziehung der Arbeitnehmer, die in dem auf die PSS übergegangenen Betriebsteil beschäftigt waren, nicht durchzuführen.

aa) Vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung ist eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahl durchzuführen. Dies gilt nach der Rechtsprechung des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts auch dann, wenn ein Betriebsteil stillgelegt und der andere Betriebsteil auf einen Erwerber übertragen werden soll. Bei der betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers des stillzulegenden Betriebsteils ist daher bei der Sozialauswahl auch ein vergleichbarer Arbeitnehmer zu berücksichtigen, der zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung dem später zu übertragenden Betriebsteil angehört. Dies folgt aus dem Schutzzweck der Sozialauswahl, den Arbeitsplatz des sozial schwächeren Arbeitnehmers zu erhalten. Die Regelung des § 613 a Abs. 4 BGB, die ein Kündigungsverbot wegen des Betriebsübergangs vorsieht, steht dem nicht entgegen (BAG, 28.10.2004, 8 AZR 391/03, NZA 2005, 285).

bb) Im vorliegenden Fall war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung im Juli 2015 eine Sozialauswahl mit den zum 1. Juli 2014 gemäß § 613 a BGB auf die PSS übergegangenen Arbeitnehmer unmöglich, weil zwischen der Beklagten und diesen Arbeitnehmern seit einem Jahr kein Arbeitsverhältnis mehr bestand. Anders als in den vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hatte die Beklagte zunächst einen Betriebsteil veräußert und erst später den bei ihr verbliebenen Betriebsteil stillgelegt.

Selbst wenn die Beklagte schon in der 1. Jahreshälfte des Jahres 2014 geplant hätte, den bei ihr nach dem 1. Juli 2014 verbleibenden Betriebsteil im Jahr 2015 zu schließen, läge hierin keine rechtsmissbräuchliche Unternehmerentscheidung zur Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes, auch nicht des § 1 Abs. 3 KSchG, vor.

Wie oben unter b) bb) (2) ausgeführt worden ist, ist es nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG dem Arbeitgeber überlassen, wie er sein Unternehmen führt, ob er es überhaupt weiterführt und ob er seine Betätigungsfelder einschränkt (vgl. BAG, 20.06.2013, 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139).

3.) Die Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Durchführung des Verfahrens bei Massenentlassungen gemäß § 17 Abs. 2 und 3 KSchG in Verbindung mit § 134 BGB rechtsunwirksam. Die Beklagte hat vor Ausspruch der Kündigung das nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderliche Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat durchgeführt und gemäß § 17 Abs. 3 KSchG eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige erstattet.

a) Die von der Beklagten beabsichtigten Entlassungen waren gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KSchG anzeigepflichtig. Es sollten die Arbeitsverhältnisse von 128 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen betriebsbedingt gekündigt werden.

Unter „Entlassung“ im Sinne von § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG ist der Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen. Die Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige und zur Durchführung des Konsultationsverfahrens besteht auch bei Stilllegung des Betriebs (vgl. z. B. BAG, 26.02.2015, 2 AZR 955/13, NZA 2015, 681 mwN.).

b) Die Beklagte hat dem Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG rechtzeitig die zweckdienlichen Informationen erteilt und ihm schriftlich über die maßgeblichen in § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 1-6 KSchG genannten Punkte unterrichtet. Sie hat weiter ihrer Pflicht zur Konsultation mit dem Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG genügt.

aa) Der Arbeitgeber, der beabsichtigt, nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat den Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG schriftlich zu unterrichten über die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowohl für die Berechnung etwaiger Abfindungen. Nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG muss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat die Möglichkeiten beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen abzumildern. Die Pflicht zur Beratung im Sinne von § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG geht dabei über eine bloße Anhörung deutlich hinaus. Der Arbeitgeber hat mit dem Betriebsrat über die Entlassungen bzw. die Möglichkeiten ihrer Vermeidung ernstlich zu verhandeln, ihm dies zu mindestens anzubieten (vgl. BAG aaO mwN.).

bb) Die Beklagte hat den Betriebsrat mit Schreiben vom 10. Juni 2015 ordnungsgemäß unterrichtet und dem Betriebsrat die zweckdienlichen Informationen erteilt.

Als Grund für die geplanten Entlassungen hat die Beklagte in dem Schreiben vom 10. Juni 2015 die Betriebsschließung zum 31. März 2015 genannt und diese Entscheidung mit den im September 2014 erfolgten Auftragskündigungen der GGB und der aus ihrer Sicht fehlenden Möglichkeit, am Markt ausreichend neue Aufträge zur Fortführung der Gesellschaft zu gewinnen, begründet. Die Auftragskündigungen waren dem Betriebsrat bereits bekannt, weil die Beklagte ihn darüber im September 2014 informiert hatte. Die Beklagte hat weiter die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden sowie die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer aufgeführt (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 und 3 KSchG) und dies durch Bezugnahme auf die den Betriebsrat bereits überlassenen Personallisten ergänzt. Den Zeitraum der Entlassungen (§ 17 Abs. 2 Nr. 4 KSchG) hat sie mit dem Verweis auf den vorgesehenen Zeitpunkt für den Ausspruch der Kündigungen und dem Hinweis auf die einzuhaltenden maßgeblichen Kündigungsfristen ausreichend umschrieben. Kriterien für eine Sozialauswahl (§ 17 Abs. 2 Nr. 5 KSchG) musste sie nicht benennen, da eine solche wegen der beabsichtigten Entlassung aller Mitarbeiter entfiel. Darauf hat die Beklagte unter Punkt 4 ihres Schreibens hingewiesen. Für die Berechnung etwaiger Abfindungen (§ 17 Abs. 2 Nr. 6 KSchG) hat sie zutreffend und zulässigerweise auf den Sozialplan vom 21. Januar 2015 verwiesen.

Erst mit Beschluss vom 7. Juli 2015 hat das Arbeitsgericht Berlin den Sozialplan für unwirksam erklärt (13 BV 18848/15); die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 1. März 2016 zurückgewiesen (9 TaBV 1519/15).

Weitere Informationen und Auskünfte musste die Beklagte dem Betriebsrat im Rahmen der Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG nicht erteilen. Insbesondere war die Beklagte nicht verpflichtet, den Betriebsrat die übergeordneten Hintergründe der Auftragskündigungen bei deren Entscheidungsträgern darzulegen oder die Kalkulationsgrundlage der GGB oder von deren Auftraggebern offenzulegen. Die Kalkulationsgrundlage der GGB oder eines anderen Unternehmens der W.-Gruppe, die zur Auftragskündigung geführt haben kann, stellt allenfalls die Motivation der GGB als Auftraggeberin für die Kündigung der Aufträge dar. Grund für die geplanten Entlassungen der Beklagten bleibt jedoch die daraus folgende unternehmerische Entscheidung der Beklagten, ihren Betrieb wegen des Wegfalls sämtlicher Aufträge und des Fehlens einer Perspektive für Neuakquisitionen aus ihrer Sicht insgesamt stillzulegen. Darüber hat sie den Betriebsrat auch im Rahmen des § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG informiert (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, 01.12.2015, 7 Sa 1288/15).

Im Übrigen hat die Beklagte in ihrem Schreiben vom 10. Juni 2015 die wirtschaftlichen Hintergründe für die Auftragskündigungen genannt, nämlich die eigenen Verluste, die sich aus ihrer Sicht aus zu hohen Personalkosten und den Restrektionen des Einsatzes der Mitarbeiter wegen der Betriebsvereinbarung „Dienstplanung“ ergeben, sowie die gescheiterten Versuche, diese Verluste dauerhaft zu reduzieren. Auch wenn der Betriebsrat die Notwendigkeit der Auftragskündigungen und der Betriebsschließung vor diesem Hintergrund bestreitet, steht dies seiner ordnungsgemäßen Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 KSchG nicht entgegen. Auf eine Kalkulation der Beklagten selbst kam es bei dieser Sachlage nicht an, nachdem die Beklagte die Aufträge bereits verloren hatte und entsprechend dem von der Beklagten nicht bestrittenen Vortrag der Klägerin im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Regelungen nicht berechtigt war, auf dem freien Markt anderweitig Aufträge zu akquirieren können.

Aus der Regelung in § 17 Abs. 3 a KSchG und aus der dieser Regelung vorausgegangenen MERL ergeben sich keine weitergehenden Auskunfts-, Beratungs- und Anzeigepflichten der Beklagten gegenüber dem Betriebsrat, die zur Beanstandung der Massenentlassungsanzeige und damit zur Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung führen würden. Es ist bereits nicht ersichtlich, welches beherrschende Unternehmen die Entscheidung zu den Entlassungen, also zu den Kündigungen der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der Beklagten getroffen haben soll. Daneben hat sich die Beklagte nicht auf die Erklärung beschränkt, dass für die Entlassungen verantwortliche Unternehmen habe die notwendigen Auskünfte nicht erteilt (§ 17 Abs. 3 a S. 2 KSchG). Die Beklagte hat dem Betriebsrat rechtzeitig die entsprechenden Auskünfte zu den wirtschaftlichen Hintergründen der Entlassungen aus ihrer Sicht erteilt. Einer weitergehenden Information über die Kalkulationsgrundlage der GGB bedurfte es, nachdem die Aufträge bereits gekündigt waren, nicht. Dass eine die Konsultationspflicht auslösende strategische Entscheidung der GGB oder eines anderen Unternehmens innerhalb der W.-Gruppe vor der Auftragskündigung im September 2014 erfolgt wäre, ist nicht ersichtlich. In der Entscheidung zur Auftragskündigung durch die GGB liegt eine solche strategische Entscheidung zu einer Betriebsänderung noch nicht. Selbst wenn die Auftragskündigung im Hinblick auf ihre Folgen als strategische Entscheidung zu beurteilen wäre, ist nicht ersichtlich, dass die Entscheidung mit maßgeblichem zeitlichem Vorlauf vor dem Zugang der Auftragskündigungen bei der Beklagten erfolgt wäre. Strategische Entscheidungen der Beklagten selbst neben der Entscheidung zur Betriebsstilllegung sind ebenfalls nicht ersichtlich. Verhandlungen über die Gehälter der Mitarbeiter zur Kostensenkung hätten die Betriebsparteien nicht führen können, da diese auf tariflichen Regelungen beruhten. Verhandlungen mit der Tarifkommission waren bereits im Vorfeld gescheitert. Zu einer Erweiterung der Parteien des Konsultationsverfahrens kommt es auch im Konzernverbund nicht. Deshalb war die GGB oder ein anderes zur Unternehmensgruppe gehörendes Unternehmen nicht veranlasst, den Betriebsrat der Beklagten im Zusammenhang mit der Auftragskündigung selbst oder über die Beklagte zu beteiligen. Die Verpflichtung zur Durchführung des Konsultationsverfahrens besteht nur für und verbleibt bei der Arbeitgeberin, die die Arbeitsverträge der von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer kündigt. Diese muss das Konsultationsverfahren mit dem bei ihr gebildeten und von ihren Arbeitnehmern gewählten Betriebsrat durchführen und abschließen, bevor sie die Kündigungen aussprechen kann (vgl. EuGH, 10.09.2009, C-44/08, NZA 2009, 1083). Da die Beklagte dies im Hinblick auf die zur Entlassung führende beschlossene Betriebsstilllegung getan hat, konnte dahinstehen, ob zwischen der Beklagten und ihrer Kommanditistin bzw. weiteren Gesellschaften der W.-Gruppe ein Beherrschungsverhältnis in einem Sinne bestanden hat, das die Anwendung von § 17 Abs. 3 a KSchG hätte begründen und auf der Grundlage der MERL zu einer abweichenden Entscheidung hätte führen können (vgl. ebenso LAG Berlin-Brandenburg, 01.12.2015, 7 Sa 1288/15 und LAG Berlin-Brandenburg, 06.01.2016, 23 Sa 1348/15).

cc) Die Beklagte hat dem Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG Verhandlungen angeboten, indem sie ihn im Schreiben vom 10. Juni 2015 unter Ziffer 6 unter der Überschrift „Beratungen“ folgendes mitteilte:

„Gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG sind wir verpflichtet, mit Ihnen über die Möglichkeiten zu beraten Entlassungen zu vermeiden und einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Zu diesem Zweck stehe ich Ihnen für die entsprechenden Beratungen gerne zur Verfügung. Als Termin für Beratungen schlage ich den 17. Juni 2015 ab 15:00 Uhr. Bitte lassen Sie mich bis zum 15. Juni 2015 wissen, ob dieser Termin bei Ihnen passt. Gerne können Sie mir auch kurzfristige alternative Terminvorschläge machen.“

Ferner haben die Betriebsparteien gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG Beratungen durchgeführt.

Nach dem 10. Juni 205 einigten sich die Betriebsparteien auf einen Termin und berieten am Mittwoch, dem 24. Juni 2015 von ca. 12:50 Uhr bis 18:50 Uhr. Hierbei wurde auch über die Möglichkeit einer Neueröffnung des Betriebes gesprochen.

Unerheblich ist, ob die Vertreter des Betriebsrats am 24. Juni 2015 der Beklagten mitteilten, das vorläufige Ergebnis der Beratungen und die zugesagte ergänzende Mitteilung vom nächsten Tag in der bereits feststehenden Sitzung des Betriebsrats am darauffolgenden Dienstag zu beraten und eine Stellungnahme zu übersenden, wie die Klägerin behauptet.

Die Beklagte behauptet, bei Abschluss der Beratungen am 24. Juni 2015 habe die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat deutlich gemacht, dass die Beklagte bereits am nächsten Tag die Angelegenheit noch einmal mit der GGB erörtern werde und sie insofern noch bis 12:00 Uhr Gelegenheit hätten, ihr ergänzte Anmerkungen bzw. eine abschließende Stellungnahme zukommen zu lassen.

Hierauf kommt es jedoch nicht an. Denn die Klägerin behauptet selbst nicht, die Beklagte habe sich zu der Schlussbemerkung des Betriebsrats geäußert, sondern die Klägerin trägt vor, diese Schlussbemerkung des Betriebsrats sei unwidersprochen geblieben. Schweigen stellt jedoch grundsätzlich keine Willenserklärung dar.

Zudem teilte der Geschäftsführer der Beklagten dem Betriebsrat noch am Abend des 24. Juni 2015 gegen 19:34 Uhr mit, eine Stellungnahme bis 18:00 Uhr am 25. Juni 2015 sei ausreichend.

Ob das Konsultationsverfahren tatsächlich bereits am Abend des 25. Juni 2015 abgeschlossen war oder erst am 1. Juli 2015 konnte hier dahingestellt bleiben. Denn dieses Problem kann allenfalls bei der Frage der wirksamen Erstattung der Massenentlassungsanzeige und bei der Frage des Zeitpunkts des Ausspruchs der Kündigung zum Tragen kommen.

dd) Ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 KSchG liegt nicht vor.

(1) Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Agentur für Arbeit in Cottbus für die Entscheidung über die Massenentlassungsanzeige zuständig ist oder die Agentur für Arbeit Berlin-Nord, ist nicht entscheidungsrelevant, da die Beklagte bei beiden Agenturen inhalts- und zeitgleich am 26. Juni 2015 Massenentlassungsanzeigen angebracht hat. Die interne Abstimmung beider Agenturen über eine örtliche Zuständigkeit der Agentur in C. hat unabhängig von der Richtigkeit der Entscheidung keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der von der Beklagten erstatteten Massenentlassungsanzeige. Dies gilt auch, soweit die Beklagte es entsprechend der Einschätzung der Klägerin pflichtwidrig unterlassen hat, eine Ummeldung nach Berlin zu veranlassen, da Anhaltspunkte dafür fehlen, da dies schuldhaft oder gar mit der Absicht einer Zuständigkeitsverschiebung im Hinblick auf die Massenentlassung zu erreichen (vgl. ebenso LAG Berlin-Brandenburg, 01.12.2015, 7 Sa 1288/15 und LAG Berlin-Brandenburg, 06.01.2016, 23 Sa 1348/15).

Im Übrigen ermittelt gemäß § 20 SGB X die Agentur für Arbeit von Amtswegen, ob die formellen Voraussetzungen der Anzeige erfüllt sind (vgl. BAG, 21.03.2012, 6 AZR 596/10, NZA 2012, 1058 mwN).

(2) Das Schreiben der Beklagten an die Agenturen für Arbeit C. und Berlin-N. vom 26. Juni 2015 entspricht den Anforderungen des § 17 Abs. 3 S. 1, 4 und 5 KSchG. Es enthält sämtliche der geforderten Informationen sowie die 17 im Schriftsatz der Beklagten vom 5. August 2015 im einzelnen ausgeführten Anlagen.

(3) Die Massenentlassungsanzeige erfolgte nicht zu früh.

Höchstrichterlich ist noch nicht geklärt, ob das Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG schon vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige und nicht erst vor Ausspruch der Kündigung abgeschlossen sein muss (vgl. BVerfG, 25.02.2010, 1 BvR 230/09, NZA 2010, 439 und BAG, 26.02.2015, 2 AZR 955/13, NZA 2015, 881).

Diese Frage konnte im vorliegenden Fall jedoch offen bleiben. Denn das Konsultationsverfahren war am 26. Juni 2015 als abgeschlossen anzusehen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das Konsultationsverfahren nicht bereits mit der vollständigen Unterrichtung des Betriebsrats als abgeschlossen anzusehen. Der Arbeitgeber wird vielmehr eine Reaktion des Betriebsrats auf die abschließende Unterrichtung erbitten und abwarten müssen. Er wird im Rahmen der ihm zukommenden Beurteilungskompetenz den Beratungsanspruch des Betriebsrats erst dann als erfüllt ansehen dürfen, wenn entweder die Reaktion, die auf die „finale“ – dem Willen zu möglichen weiteren Verhandlungen erkennen lassende – Unterrichtung erbeten worden war, nicht binnen zumutbarer Frist erfolgt oder sie aus seiner – des Arbeitgebers – Sicht keinen Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen bietet. Jedenfalls kann der Arbeitgeber (vorsorglich) gemäß § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG verfahren. Er kann zwei Wochen nach vollständiger Unterrichtung des Betriebsrats gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG rechtssicher und rechtswirksam unter Darlegung des Stands der Beratungen Massenentlassungsanzeige erstatten (vgl. BAG, 26.02.2015, 2 AZR 955/13, NZA 2015, 881; vgl. auch BAG, 28.06.2012, 6 AZR 780/10, NZA 2012, 1029).

Somit kann der Abschluss des Konsultationsverfahrens entweder durch eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats im Sinne des § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG oder aber durch Zeitablauf erreicht werden – zwei Wochen nach ordnungsgemäßer Unterrichtung des Betriebsrats gemäß § 17 Abs. 2 KSchG (vgl. z. B. auch Krieger/Ludwig, NZA 2010, 919, 924 und Schramm/Kuhnke, NZA 2011, 1071).

(4) Im vorliegenden Fall konnte die Beklagte zu Recht das Verfahren gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG wählen.

Gemäß § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG ist die Massenentlassungsanzeige auch dann wirksam, wenn zwar eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vorliegt, der Arbeitgeber aber glaubhaft macht, dass er diesen mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG unterrichtet hat und er gleichzeitig den Stand der Beratungen darlegt. Die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats bzw. das Vorbringen des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (vgl. z. B. BAG, 26.02.2015, 2 AZR 955/13 aaO).

Am 26. Juni 2015 lag unstreitig eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor. Die Beklagte hat in der Massenentlassungsanzeige vom 26. Juni 2015 glaubhaft gemacht, dass sie den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG unterrichtet hat und den Stand der Beratung dargelegt. Die Beklagte hat das Faxprotokoll über die Unterrichtung vom 10. Juni 2015 als Anlage 5 beigefügt sowie die Ablichtung des dann folgenden Schriftwechsels der Betriebsparteien einschließlich der E-Mail der Beklagten vom Abend des 24. Juni 2015 und des Schreibens des Betriebsrats vom 25. Juni 2015 sowie des Schreibens der Beklagten an den Betriebsrat vom 26. Juni 2015. Ferner hatte die Beklagte das vom Geschäftsführer der Beklagten aus seiner Sicht gefertigte Protokoll des Beratungstermins vom 24. Juni 2015 sowie die Präsentation der Beklagten in Ablichtung eingereicht. Zusätzlich hat die Beklagte unter Ziffer 7 der Massenentlassungsanzeige den Stand der Beratungen geschildert.

Im Übrigen hat der Betriebsrat seine abschließende Stellungnahme aufgrund der Betriebsratssitzung vom 30. Juni 2015 am 1. Juli 2015 selbst bei der Agentur für Arbeit eingereicht (vgl. § 17 Abs. 3 Satz 7 KSchG).

ee) Die Beklagte hat die streitgegenständliche Kündigung erst nach Abschluss des Konsultationsverfahrens ausgesprochen.

Das Konsultationsverfahren muss vor Ausspruch der Kündigung abgeschlossen worden seien. Anderenfalls ist die Kündigung unwirksam (vgl. EuGH, 10.09.2009, C-44/08, NZA 2009, 1083 – Keskusliitto und z. B. BAG, 18.01.2012, 6 AZR 407/10, NZA 2012, 817).

Selbst wenn man im vorliegenden Fall das Konsultationsverfahren erst am 1. Juli 2015 mit der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats für abgeschlossen ansehen könnte, wäre die streitgegenständliche Kündigung dennoch erst danach ausgesprochen worden, nämlich mit Schreiben vom 15. Juli 2015, der Klägerin am 16. Juli 2015 zugegangen.

4.) Die Kündigung ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam, denn die Beklagte hat den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung mit Schreiben vom 12. Juni 2015 ausreichend im Sinne des § 102 Abs. 1 S. 1 und 2 BetrVG angehört.

In diesem Schreiben hat die Beklagte dem Betriebsrat mitgeteilt, dass sie vorsorglich das Verfahren zur Massenentlassung wiederholen wolle und die Arbeitsverhältnisse von 128 Arbeitnehmern erneut vorsorglich kündigen wolle. Ferner schilderte die Beklagte ausführlich die Kündigungsgründe und gab unter b) die Daten zum Arbeitsverhältnis der Klägerin an.

Entgegen der Ansicht der Klägerin war es nicht erforderlich, dass die Beklagte nach der „abrupten Beendigung des Konsultationsverfahrens“ eine ergänzende Anhörung nach § 102 BetrVG vornahm. Denn bezüglich der beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin hatten sich keine Veränderungen ergeben.

Es handelte sich auch nicht um eine „Anhörung auf Vorrat“. Die Kündigungsgründe bestanden bereits Monate vor der Betriebsratsanhörung, spätestens seit der Betriebsstilllegung zum 31. März 2015. Die Beklagte beabsichtigte den Ausspruch der zweiten Kündigung lediglich vorsorglich für den Fall, dass die erste Kündigung (rechtskräftig) für unwirksam erklärt werden sollte.

Bei den Verfahren gemäß § 102 BetrVG und gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG handelt es sich um unterschiedliche Beteiligungsverfahren. Diese können unabhängig voneinander parallel durchgeführt werden.

Die in § 102 BetrVG vorgeschriebene Mitwirkung des Betriebsrats soll den Arbeitgeber veranlassen, eine geplante Kündigung zu überdenken, sich mit den Argumenten des Betriebsrats auseinander zu setzen und gegebenenfalls von der Kündigung Abstand zu nehmen. Dieses Verfahren kann vor, neben oder nach den Verfahren gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG durchgeführt werden, jedenfalls dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Betrieb schon lange geschlossen ist.

5.) Die Kündigung ist nicht gemäß § 85 SGB IX i. V. m. § 134 BGB unwirksam, denn das Landesamt für Gesundheit und Soziales – Integrationsamt – hat der Kündigung mit Bescheid vom 8. Juli 2015 zugestimmt. Dies steht zwischen den Parteien nicht im Streit und wird nur der Vollständigkeit halber ausgeführt. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils unter VII Bezug genommen.

6.) Die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 15. Juli 2015, der Klägerin am 16. Juli 2015 zugegangen, hat das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgerecht gemäß § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 BGB zum 29. Februar 2016 aufgelöst.

C

I.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

II.

Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG zugelassen.

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