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Kündigung wegen zu häufiger Kurzerkrankungen

ArbG Aachen, Az.: 2 Ca 788/14, Urteil vom 08.10.2015

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 12.02.2013 nicht aufgelöst ist.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 25 %, die Beklagte zu 75 %.

3. Der Streitwert wird auf 10.509,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen krankheitsbedingten Arbeitgeberkündigung sein Ende gefunden hat.

Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
Symbolfoto: AntonioGuillem/Bigstock

Der heute 45-jährige Kläger, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet, ist bei der Beklagten seit 1985 als Zerrspannungsmechaniker zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.503,00 EUR beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt insgesamt ca. 220 Arbeitnehmer. Im Kalenderjahr 2010 war der Kläger an insgesamt 38 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Davon beruhten insgesamt 9 Fehltage auf einem Betriebsunfall.(Berichtigt gem. Beschluss vom 22.12.2015) richtig: Davon beruhten 8 Fehltage auf einem Arbeitsunfall.(*1) Den übrigen Erkrankungen lagen in wesentlichen Erkältungen und Infekte zugrunde. Im Jahr 2011 fehlte der Kläger an 37 Arbeitstagen. Davon gingen 28 Fehltage zurück auf eine Rückenerkrankung. Im Jahr 2012 fehlte der Kläger an insgesamt 62 Arbeitstagen krankheitsbedingt. 40 Fehltage beruhten auf einem häuslichen Unfall, den der Kläger erlitten hatte, weil seine Tochter sich mit den Füßen auf den am Boden liegenden Kläger abstützte, um ihn hochzuziehen. Dabei erlitt er Rippenbrüche. Weitere 14 Arbeitstage gingen auf eine Verletzung des rechten Ellenbogens zurück. Die restlichen Fehltage beruhten wieder auf Erkältungen bzw. Infekte. Im Jahre 2013 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt an 8 Arbeitstagen wegen der vorbenannten Ellenbogenverletzung, die in der Folgezeit operiert wurde. Insgesamt entfielen auf diese Erkrankung im Jahr 2013 49 Arbeitstage. Wegen Infekten und Erkältungen fehlte der Kläger noch an weiteren 15 Arbeitstagen in diesem Jahr. Bezogen auf die gesamten Erkrankungen im Zeitraum 2010 bis 2013 leistete die Beklagte 22.950,71 EUR Lohnfortzahlungskosten und 4.360,64 EUR Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung.

Ausweislich der vom Kläger beigebrachten Atteste der behandelnden Ärzte sind die Rückenerkrankung und die Verletzung des Ellenbogens vollständig ausgeheilt und haben keine Folgeschäden hinterlassen. Wegen der Einzelheiten der ärztlichen Atteste wird auf die zur Akte gereichten Kopien (Blatt 102 und 103 der Akte) ergänzend Bezug genommen.

Nachdem die Beklagte den bei ihr eingerichteten Betriebsrat unter dem 04.02.2014 zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers angehört hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2014. Das Schreiben, das dem Kläger unter dem 12.02.2014 zuging, trägt das Datum „12. Februar 2013“. Wegen weiterer Einzelheiten des Anhörungsschreibens und des Kündigungsschreibens wird auf die zur Akte gereichten Kopien (Blatt 9 und 48-54) Bezug genommen.

Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 28.02.2014 erhobenen Klage, die der Beklagten unter dem 07.03.2014 zugestellt wurde.

Der Kläger behauptet, die bisherigen Fehlzeiten seien im Wesentlichen auf zwei Grunderkrankung: Rücken- und Ellenbogen zurückzuführen, die zwischenzeitlich völlig ausgeheilt seien. Die Rippenbrüche – durch seine Tochter verursacht – seien ein einmaliger Schicksalsschlag gewesen.

Der Kläger beantragt unter Rücknahme des angekündigten Weiterbeschäftigungsantrags, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom „12.02.2013“ nicht aufgelöst sei.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt den Standpunkt, die Krankengeschichte des Klägers sei in den letzten Jahren geprägt von weit überdurchschnittlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten. Der Kläger leide an unterschiedlichen zahlreichen Erkrankungen, die den Schluss zuließen, dass er persönlich konstitutionell besonders geschwächt sei und eine besonders hohe Krankheitsanfälligkeit aufweise. Daher sei – gerade bei fortschreitendem Lebensalter – auch in Zukunft damit zu rechnen, dass krankheitsbedingte Fehlzeiten im bisherigen Umfang ebenso auftreten wie die damit verbundenen Entgeltfortzahlungskosten. Insgesamt müsse mit Fehlzeiten nebst Lohnfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen gerechnet werden. Der Hauptzweck des Arbeitsverhältnisses, vom Kläger verwertbare Arbeitsleistungen zu erhalten, sei damit künftig nicht mehr zu erreichen. Zudem habe der Kläger anlässlich eines BEM-Gespräches erklärt, es gebe keinen leidensgerechten Arbeitsplatz für ihn im Betrieb der Beklagten.

Es ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob aufgrund seiner gesundheitlichen Disposition im Falle des Klägers eine negative Zukunftsprognose zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bestehe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom „12.12.2013“, zugegangen am 12.12.2014, nicht aufgelöst worden.

Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG).

1.

Das Kündigungsschutzgesetz findet vorliegend von seinem persönlichen und betrieblichen Geltungsbereich her Anwendung. Der Kläger genießt zwar nach der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit sowie nach der Größe des Betriebes des Beklagten, §§ 1 Abs. 1, 23 KSchG, den Schutz des Kündigungsschutzgesetzes; ebenso hat er die Kündigungsschutzklage fristgerecht innerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG erhoben. Jedoch ist die Kündigung entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten aus personenbedingten Gründen nicht gerechtfertigt i.S.d. § 1 KSchG. Dazu im Einzelnen:

2.

Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung u. a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers bedingt ist. Dabei ist die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht (BAG Urteil vom 10.11.2005 – Az: 2 AZR 44/05) in drei Stufen zu prüfen:

Zunächst ist auf der ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Bei einer negativen Indizwirkung hat der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist, wobei er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann genügt, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und er sodann die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG Urteil vom 08.11.2007 – Az: 2 AZR 292/06). Einer negativen Prognose steht dabei nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert.

Die prognostizierten, erheblichen Fehlzeiten sind ferner nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes auf der zweiten Stufe festzustellen ist. Liegt eine solche erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen. Dabei ist u. a. zu berücksichtigen, ob die Erkrankung auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Entgeltfortzahlungskosten aufzuwenden hatte. Ferner sind das Alter, der Familienstand und die Unterhaltspflichten sowie ggf. eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13; BAG, Urteil vom 08.11.2007 – Az: 2 AZR 292/06).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt führt zu dem Ergebnis, dass die Kündigung der Beklagten vom „12.02.2013“, zugegangen am 12.02.2014, sozial nicht gerechtfertigt ist.

Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere Kurzerkrankungen auf, sprechen diese nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes für ein entsprechendes Erscheinungsbild auch in der Zukunft. Der Arbeitgeber darf sich in solchen Fällen zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Indem die Beklagte die Krankheitszeiten des Klägers aufgeschlüsselt nach Zahl, Dauer sowie zeitlicher Folge vorgetragen hat, ist sie insoweit ihrer Darlegungslast nachgekommen. Dieses gilt selbst dann, wenn man den Betriebsunfall des Klägers aus dem Jahr 2010 abzieht. Auch dann verbleiben noch über einen Zeitraum von sechs Wochen hinausgehende Fehlzeiten jeweils in den Jahren 2011, 2012 und 2013.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte dargelegt, dass der Kläger in den letzten Jahren überdurchschnittlich häufig erkrankt war. Der Kläger hat jedoch die sich aus seinen Fehlzeiten ergebende Indizwirkung erschüttert. Er hat dargetan, dass zukünftig trotz unveränderten Arbeitsbedingungen nicht mit weiteren, derart hohen Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind einzelne Erkrankungen auch dann in die Betrachtung einzustellen, wenn sie wie etwa Erkältungen ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (z.B. eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13; BAG, Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05).

Nach dem medizinischen Sachverständigengutachten sowie der vom Kläger beigebrachten Atteste steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Rücken- und Ellenbogenerkrankung völlig ausgeheilt sind. Anhaltspunkte dafür, dass diese Krankheitsbilder in Zukunft in dieser oder anderer Form wieder auftauchen können, hat die Beklagte nicht ansatzweise dargelegt. Dies hätte sie tun müssen, denn aus ausgeheilten Erkrankungen auf weitere, auch anders gelagerte Erkrankung zu schließen, ist eine durch nichts gestützte Vermutung. Die Erkrankung aus Anlass des häuslichen Unfalls – verursacht durch die Tochter – ist ebenfalls ausgeheilt und stellt ein einmaliges Ereignis dar, mit dessen Wiederholung nicht zu rechnen ist. Rechnet man diese Zeiten aus den gesamten Fehlzeiten heraus, verbleiben lediglich die Zeiten der Erkrankung aufgrund Erkältung etc. Diese liegen jedoch deutlich unter der 6-Wochen-Marke, so dass daraus nicht der Schluss gezogen werden kann, dass auch künftig mit einer überdurchschnittlichen Fehlzeitenquote zu rechnen sei.

Damit ist die Kündigung rechtsunwirksam, das Arbeitsverhältnis der Parteien hat aufgrund der streitgegenständlichen Kündigung nicht mit Ablauf des 30.09.2014 sein Ende gefunden.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Hiernach hat die Beklagte als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage trägt der Kläger die Kosten, § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Der gemäß § 61 Abs. 1 ZPO im Urteil festzusetzende Streitwert wurde mit einem Quartalsbezug festgesetzt.

(*1) Am 22.12.2015 erging folgender Berichtigungsbeschluss:

Der Tatbestand des Urteils vom 08.10.2015 wird auf Antrag der Beklagtenseite gemäß § 319 ZPO wie folgt berichtigt:

Der 4. Satz des 2. Absatzes auf Seite 2 lautet:

„Davon beruhten 8 Fehltage auf einem Arbeitsunfall.“

Gründe:

Das Urteil war wie geschehen zu berichtigen, da es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit handelt.

Nach dem Vorbringen in diesem Verfahren war ausschließlich von 8 Tagen die Rede, die auf einem Arbeitsunfall beruhen.

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