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Kündigung wegen öffentlicher Missachtung und Herabwürdigung eines Vorgesetzten

LAG Frankfurt – Az.: 9 Sa 791/11 – Urteil vom 31.05.2012

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 3. März 2011 – 2 Ca 348/10 – werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung tragen der Kläger zu 1/7, die Beklagte zu 6/7.

Die Revision wird für beide Parteien nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten auch zweitinstanzlich um den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der 19XX geborene Kläger, Diplomingenieur, ist verheiratet und drei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Er ist seit 1. Juni 1991 bei der Beklagten beschäftigt und verdiente zuletzt monatlich EUR 7.000 brutto. Seit Ende 2006 ist er zunächst befristet, seit 1. April 2009 unbefristet Area Manager Middle East. Im Dezember 2009 veräußerte die Muttergesellschaft der Beklagten 82 % ihrer Anteile an der Beklagten an ein Unternehmen mit Sitz in A.

Kündigung wegen öffentlicher Missachtung und Herabwürdigung eines Vorgesetzten
Symbolfoto: Von Rawpixel.com /Shutterstock.com

In der Zeit vom 13. bis 17. Sept. 2010 fand in B die Messe „T“ statt, an welcher auch der Kläger teilnahm. Am 15. Sept. 2010 fand zwischen ihm, dem Geschäftsführer C und dem designierten Geschäftsführer Dr. D eine Besprechung statt, in der es darum ging, ob der Kläger am Folgetag nach E fliegen sollte. Dr. D forderte den Kläger auf, umgehend den Messestand zu verlassen und nach F zurückzukehren. Er untersagte dem Kläger, in Zukunft in irgendeiner Weise für die Beklagte tätig zu werden. Der Kläger erwiderte, Dr. D sei nicht Geschäftsführer. Daraufhin wiederholte Herr C die Anweisung. Der Kläger verlangte eine von zwei Geschäftsführern unterzeichnete schriftliche Anweisung. Herr C und Dr. D übergaben dem Kläger eine handschriftliche Anweisung. Der Kläger zerriss das Schriftstück und drückte Dr. D die Papierfetzen in die Hand. Am 16. Sept. 2010 forderte Dr. D auf dem Messestand den Kläger nochmals auf, die Heimreise anzutreten. Am 17. Sept. 2010 erschien der Kläger ein weiteres Mal auf der Messe.

Nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 21. Sept. und 24. Sept. 2010, zu der dieser mit Schreiben vom 28. Sept. und 1. Okt. 2010 Stellung nahm, erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber mit Schreiben vom 29. Sept. 2010 die fristlose und mit Schreiben vom 4. Okt. 2010 die ordentliche fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Gegen diese Kündigungen hat der Kläger am 14. Okt. 2010 per Telefax Klage eingereicht. Er hat behauptet, die Kündigungen seien von langer Hand vorbereitet gewesen. 2009 / 2010 seien – insoweit unstreitig – die Geschäftsführer G, H, I, Dr. J und Dr. D abberufen worden. Die Vorgänge auf der Messe seien vorgeschoben gewesen. Am Nachmittag des 15. Sept. 2010 sei er von Dr. D und Herrn C zu einem Gespräch gebeten worden. Dabei sei es um die Preisgestaltung und Fertigstellung des Angebotes für das Projekt K in L gegangen. Er sei bei der Messe voll in die Gästebetreuung eingebunden gewesen. Er habe geäußert, es sei kontraproduktiv, wenn er während der Messe nach M fliege. Er habe vorgeschlagen, dass der Mitarbeiter N, der sich ohnehin in O befunden habe, nach M fliege. Es mag sein, dass er in erregtem Tonfall gesprochen habe, er habe aber weder geschrien noch jemanden beleidigt. Er habe sich mit dem Betriebsratsvorsitzenden in Verbindung gesetzt, der ihm geraten habe, sich eine rechtsverbindliche schriftliche Anweisung geben zu lassen. Am 16. Sept. 2010 habe er auf die Aufforderung von Dr. D hin den Messestand sofort verlassen. Er ist der Ansicht gewesen, der Ausspruch einer Abmahnung wäre insoweit angemessen gewesen und hat gerügt, es habe keine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung stattgefunden.

Der Kläger hat – soweit für das Berufungsverfahren von Interesse – beantragt,

1. festzustellen, dass die mit Schreiben der Beklagten vom 29. Sept. 2010 ausgesprochene fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers sozial ungerechtfertigt und unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht zur Auflösung bringt;

2. festzustellen, dass die mit Schreiben der Beklagten vom 4. Okt. 2010 ausgesprochene ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers sozial ungerechtfertigt und unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht zur Auflösung bringt;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 30 Arbeitstage Urlaub für das Jahr 2009 und 7,5 Urlaubstage für das 2010 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe auf der Messe die Autorität seiner Vorgesetzten unterminiert und sei dabei auch beleidigend geworden. Er habe am 15. Sept. 2010 einen Vorschlag von Herrn C als idiotisch bezeichnet und seine Vorgesetzten angeschrien. Er habe gegenüber Dr. D auf dessen Anweisung, den Messestand zu verlassen, erwidert, er akzeptiere ihn nicht als Geschäftsführer. Er habe ihn angeschrien, Dr. D habe ihm nichts zu sagen, er habe geäußert: „Du bist nichts…, Du hast mir nichts zu sagen.“ Auch am Folgetag habe er auf die nochmalige Aufforderung, den Messestand zu verlassen, lautstark und gestenreich reagiert. Dr. D habe mit einer Kündigung gedroht, falls der Kläger den Messestand nicht verlasse. Am Freitag hätte der Kläger versucht, bei den anderen Mitarbeitern negative Stimmung gegenüber der Beklagten zu verbreiten.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Hanau hat der gegen die fristlose Kündigung gerichteten Klage durch Urteil vom 3. März 2011 – 2 Ca 348/10 – stattgegeben, die gegen die fristgemäße Kündigung gerichtete Klage jedoch abgewiesen. Zur Begründung hat es nach Vernehmung von Dr. D als Zeugen ausgeführt, der Kläger habe durch das Zerreißen der Anweisung dokumentiert, dass er die Anweisungen seiner Vorgesetzten ignoriere und diese bewusst und demonstrativ missachte. Er habe die Befugnis seiner Vorgesetzten, ihm Anweisungen zu erteilen, in Frage gestellt. Durch das Zerreißen der Anweisung habe er den Vorgesetzten seine Missachtung plastisch vor Augen geführt. Bei diesem Sachverhalt sei eine Abmahnung entbehrlich. Dies rechtfertige im vorliegenden Einzelfall zwar keine fristlose, aber eine ordentliche Kündigung. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das ihm am 6. Mai 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1. Juni 2011 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 8. Aug. 2011 am 5. Aug. 2011 begründet. Die Anschlussberufung der Beklagten ist innerhalb der Berufungserwiderungsfrist mit gleichzeitiger Begründung bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen.

Der Kläger behauptet, er habe am 15. Sept. 2010 auf der Messe seine Vorgesetzten weder angeschrien noch beleidigt. Dass Dr. D ihm nichts zu sagen hätte, hätte er ebenfalls nicht geäußert. Das Arbeitsgericht lasse unberücksichtigt, dass der Kläger sich für die Beklagte über 20 Jahre hinweg sehr verdient gemacht hätte und es sich um eine einmalige Verfehlung gehandelt hätte. Sein Verhalten mag nicht angemessen gewesen sein, die einseitige Suspendierung seitens der Beklagten sei jedoch rechtswidrig gewesen. Ohne vorherige Abmahnung sei die Kündigung als unverhältnismäßig und sozialwidrig zu beurteilen. Von einer Negativprognose könne nicht ausgegangen werden. Bei der Interessenabwägung habe das Arbeitsgericht die persönlichen und betrieblichen Umstände weitgehend außer Acht gelassen. Die fristlose Kündigung könne schon aufgrund seiner langjährigen Beschäftigungsdauer keinen Bestand haben.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die mit Schreiben der Beklagten vom 4. Okt. 2010 ausgesprochene ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial ungerechtfertigt ist und das Arbeitsverhältnis nicht zum 30. April 2011 aufgelöst worden ist, sondern dieses über den 30. April 2011 hinaus weiter fortbesteht.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und im Wege der Anschlussberufung, das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 3. März 2011 – 2 Ca 348/10 – dahingehend abzuändern, dass die Klage gegen die fristlose Kündigung vom 29. Sept. 2010 und insoweit, als sie sich auf die Gewährung von mehr als 30 Urlaubstagen richtet, abgewiesen wird, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aufzulösen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, soweit es die fristgemäße Kündigung als sozial gerechtfertigt angesehen hat, ist jedoch der Ansicht, das Arbeitsverhältnis sei bereits durch die fristlose Kündigung aufgelöst worden, und behauptet ergänzend, die Arbeitsleistung des Klägers sei keineswegs immer unbeanstandet gewesen. Der Kläger habe schon aufgrund des Schreibens vom 19. März 2010 davon ausgehen müssen, dass seine Weigerung, Anordnungen zu befolgen, zur Kündigung führe. Der hilfsweise Auflösungsantrag werde darauf gestützt, dass der Kläger – wie das E-Mail vom 25. Juli 2011 (Bl. 207 d. A.) mit Handelsregisterangaben zeige – Konkurrenztätigkeit ausübe. Der Auflösungsantrag werde außerdem darauf gestützt, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2012 gesagt habe, die Kopie der schriftlichen Anweisung vom 15. Sept. 2010 sei nachträglich angefertigt worden, weil die richtige Weisung nicht zwei Unterschriften enthalten hätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschriften vom 19. Jan. und 31. Mai 2012 verwiesen. Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Dr. D, P, Q, R und S. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 31. Mai 2012 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist statthaft, §§ 8 Abs.2 ArbGG, 511 Abs. 1 ZPO, 64 Abs. 2 c) ArbGG, und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs.1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO, und damit insgesamt zulässig. Die innerhalb der Berufungserwiderungsfrist eingelegte und gleichzeitig begründete Anschlussberufung der Beklagten ist ebenfalls zulässig.

Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten, durch die sowohl die fristlose als auch die fristgemäße Kündigung sowie der Auflösungsantrag der Beklagten Gegenstand des Berufungsrechtszuges sind, sind nicht begründet.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Seine Kündigungsschutzklage ist, soweit sie sich gegen die ordentliche Kündigung richtet, unbegründet. Die Begründetheit einer verhaltensbedingten Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG verlangt Gründe, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen (BAG Urteil vom 17. Jan. 2008 – 2 AZR 536/06 – EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 72; BAG Urteil vom 13. Dez. 2007 – 2 AZR 818/06 – EzA § 4 n.F. KSchG Nr. 82; BAG Urteil vom 12. Jan. 2006 – 2 AZR 21/05 – EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67; BAG Urteil vom 24. Juni 2004 – 2 AZR 63/03 – EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; BAG Urteil vom 11. Dez. 2003 – 2 AZR 667/02 – § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62; BAG Urteil vom 17. Juni 2003 – 2 AZR 62/02 – EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59). Erforderlich ist, dass das dem Arbeitnehmer vorgeworfene Verhalten eine schuldhafte Vertragsverletzung darstellt, die das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt, und dass keine zumutbare Möglichkeit anderweitiger Beschäftigung besteht, eine negative Prognose gegeben ist und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der beiderseitigen Interessen als billigenswert und angemessen erscheint.

Kündigungsgrund ist die Weigerung des Klägers, die ihm von seinen Vorgesetzten auf der Messe „T“ in B am 15., 16. und 17. Sept. 2010 erteilten Anweisungen auszuführen und sein Verhalten diesen gegenüber. Aufgrund der Durchführung der Beweisaufnahme steht fest, dass der Geschäftsführer C und der noch nicht eingetragene Geschäftsführer Dr. D bereits am 14. Sept. 2010 nur mit Mühe erreicht haben, dass der hierzu mehrfach aufgeforderte Kläger den Besprechungsraum auf der Messe verlassen hat. Am 15. Sept. wurde der Kläger von beiden zu einem Gespräch über die Abstimmung hinsichtlich eines Angebotes in L gebeten. Im Zusammenhang mit der Alternative: Flug nach E oder Übermittlung einer Excel-Tabelle nannte der Kläger letzteres idiotisch und wurde im Gespräch lauter. Dies hat der Zeuge Dr. D, der zu dieser Zeit einen Geschäftsführervertrag hatte, aber als Geschäftsführer noch nicht eingetragen war, bestätigt. Er hat ausgesagt, das Gespräch im Pavillon mit dem Kläger sei immer mehr eskaliert und der Kläger sei laut geworden. Hintergrund sei gewesen, dass der Kläger sich geweigert hätte, nach E zu fahren. Die Wände des Pavillons seien sehr dünn gewesen, so dass Besucher dies hätten hören können. Herr C und er hätten den Kläger dann aufgefordert, nach F in den Betrieb zu fahren. Der Kläger verlangte eine schriftliche Anweisung. Die dem Kläger übergebene schriftliche Anweisung habe dieser demonstrativ zerrissen und gesagt: „Du bist nichts, Du hast mir nichts zu sagen“. Dies spielte sich im öffentlichen Bereich gegen Mittag oder – so der Zeuge P – am Nachmittag ab, der Messestand sei noch voll gewesen. Dass der Kläger den Zettel vor dem Messestand zerrissen und auf den Boden geschmissen hat, hat auch der Zeuge P vom Empfangstresen aus gesehen. Der Zeuge P bestätigte, dass der Kläger auf die Aufforderung von Dr. D, den Messestand zu verlassen, erwiderte, Dr. D hätte ihm nichts zu sagen, sein Arbeitsplatz sei hier in der Messe. Dr. D habe den Kläger nochmals aufgefordert die Messe zu verlassen und gesagt, über personalrechtliche Konsequenzen würde am Montag in der Firma gesprochen. Auf die Kopie der handschriftlichen Anweisung an den Kläger, die vor Übergabe an den Kläger gefertigt worden ist, wird Bezug genommen (Bl. 25 d. A.). Die Zeugin Q bekundete, die Kunden hätten schon nach der Auseinandersetzung geguckt. Auch sie hat nach ihrer Aussage gesehen, wie der Kläger den Zettel zerriss und die Schnipsel auf den Boden warf. Die Zeugen P und Q bekundeten, der Kläger sei nach dem Zerreißen des Zettels an dem Messestand geblieben. Als der Kläger am nächsten Tag gleichwohl wieder erschienen sei, habe der Zeuge Dr. D Herrn R als Zeugen hinzugebeten und den Kläger nochmals eindringlich aufgefordert, den Messestand zu verlassen.

Dr. D und Herr C hatten nach Aussage von Dr. D die unternehmerische Entscheidung getroffen, dass der Kläger nach E fährt. Er hat sich aber unter den geschilderten Begleitumständen geweigert. Aufgrund seines Weisungsrechts kann der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unter Beachtung billigen Ermessens im Sinne von § 106 GewO einseitig bestimmte Anweisungen geben, soweit das Weisungsrecht nicht durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt ist (BAG Urteil vom 19. April 2007 – 2 AZR 78/06 – Juris; BAG Urteil vom 11. Oktober 1995 – 5 AZR 1009/94 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 45 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 16; BAG Urteil vom 11. Februar 1998 – 5 AZR 472/97 – AP a.a.O Nr. 54 = EzA BGB § 315 Nr. 48). Weigert sich der Arbeitnehmer, die ihm im Rahmen einer rechtmäßigen Ausübung des Weisungsrechts gegebenen Anweisungen auszuführen, so kann dies den Ausspruch einer Kündigung rechtfertigen (BAG 2. Urteil vom 5. April 2001 – 2 AZR 580/99 – NZA 2001, 893; BAG Urteil vom 21. November 1996 – 2 AZR 357/95 – AP BGB § 626 Nr. 130 = EzA KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50).

Die Weigerung, nach E zu fahren und das Verhalten des Klägers seinen Vorgesetzten gegenüber ist eine grobe Vertragsverletzung. Es besteht eine deutliche negative Verhaltensprognose (vgl. BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – § 626 BGB 2002 Nr. 32; BAG Urteil vom 26. Nov. 2009 – 2 AZR 751/08 – EzA § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 5; BAG Urteil vom 13. 12.2007 – 2 AZR 818/06 – EzA § 4 n.F. KSchG Nr. 82; BAG Urteil vom 31. Mai 2007 – 2 AZR 200/06 – Juris; BAG Urteil vom 24. Juni 2004 – 2 AZR 63/03 – EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65). Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde zukünftig den Arbeitsvertrag erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Normalerweise ergibt sich dies aus weiteren Vertragsverletzungen nach einer oder mehreren Abmahnungen, einer Abmahnung bedarf es jedoch dann nicht, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar -ausgeschlossen ist (BAG Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 381/10 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35).

Das Verhalten des Klägers gegenüber seinen Vorgesetzten war nicht akzeptabel. Die Erteilung von Anweisungen durch einen Geschäftsführer bedarf nicht dessen Eintragung in das Handelsregister. Dr. D hatte zweifellos die vertragliche Position eines Vorgesetzten des Klägers. Der Kläger hat mit seinem missachtenden Verhalten gegenüber seinen Vorgesetzten in der Messeöffentlichkeit absolut überzogen. Dass eine derartige demonstrative Herabsetzung der Vorgesetzten in der Messeöffentlichkeit von der Beklagten nicht hingenommen werden wird, musste dem Kläger auch ohne Abmahnung klar gewesen sein. Es handelt sich auch nicht um eine punktuelle Überreaktion, sondern einer massiven Herabwürdigung dieser beiden Personen an zwei Tagen hintereinander.

Die vorzunehmende Interessenabwägung zeigt keinen angemessenen Weg, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten angesichts des Verhaltens des Klägers unzumutbar sind (BAG Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 381/10 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35). Der Kläger hat gewichtige Interessen vorzuweisen, vor allem seine fast zwanzigjährige Betriebszugehörigkeit und seine Verdienste, die er sich um die Beklagte erworben hat, sein Lebensalter und seine erheblichen Unterhaltspflichten sowie sein großes Engagement und sein Einsatz in dem Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, dass sich der Kläger in seiner Position angesichts der Umstrukturierungen im Unternehmen bedroht sah. Gleichwohl überwiegen die Interessen der Beklagten an der fristgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weil der Kläger auf der Messe überzogen hat und auch seine Situation die Herabsetzung seiner Vorgesetzten nicht rechtfertigen konnte. Die Beklagte müsste auch zukünftig mit einem derart vertragswidrigen Verhalten des Klägers rechnen. Die Vorgesetzten sind den Wünschen des Klägers durchaus nachgekommen und haben dem Kläger die Anweisung zweifach unterschrieben schriftlich überreicht, aber einer derartigen Herabsetzung des Vorgesetzten durch das Zerreißen der Anweisung und das auf den Bodenwerfen der Schnipsel muss die Beklagte die Vorgesetzten nicht mehr aussetzen.

Die Kündigung verstößt, wie schon das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, schließlich nicht gegen § 102 BetrVG. Auf die fast siebenseitige Anhörung vom 21. und 24. Sept. 2010 wird Bezug genommen (Bl. 17 ff., 30 d. A.).

Die Anschlussberufung der Beklagten ist nicht begründet, weil die mit Schreiben der Beklagten vom 29. Sept. 2010 ausgesprochene fristlose Kündigung unwirksam ist. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB, der es der Beklagten unzumutbar gemacht hätte, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen, stand dieser nicht zur Seite. Auch hierzu wird vollinhaltlich auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts (Seite 12, 13 der Entscheidungsgründe, Bl. 147 R, 148 d. A.) Bezug genommen. Die Interessenabwägung führt zwar bei der Prüfung der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung zum Überwiegen der Interessen der Beklagten, aber insbesondere angesichts der langjährigen Beschäftigungsdauer, des Einsatzes und der Arbeitsleistung sowie der persönlichen Situation des Klägers war es der Beklagten nicht unzumutbar, den Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

Ein Auflösungsantrag kommt für den Arbeitgeber bei einer fristlosen Kündigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG nicht in Betracht.

Die Anschlussberufung muss angesichts des festgestellten Bestandes des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch wegen der restlichen Urlaubstage erfolglos bleiben.

Die Kosten ihrer erfolglosen Berufungen tragen die Parteien wie erstinstanzlich im Verhältnis ihres gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens.

Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung, § 72 Abs. 2 ArbGG.

 

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