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Kündigung wegen Rückfall nach Drogenentzug

Landesarbeitsgericht Thüringen – Az.: 7 Sa 374/15 – Urteil vom 19.04.2016

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 30.07.2015, 2 Ca 377/15, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung wegen Rückfalls nach Drogenentzug.

Die Beklagte fertigt F. f.d. A . Sie beschäftigt in ihrem Betrieb in E. ca. 1750 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist gewählt. Im Betrieb besteht ein absolutes Alkohol- und Drogenverbot. Suchtgefährdete oder suchtabhängige Mitarbeiter können sich in die Betriebsvereinbarung (BV) Sucht vom 07.08.03 aufnehmen lassen. Sie werden dann von einem Suchtteam begleitet, das geeignete Hilfsmaßnahmen festlegt. Wegen der Einzelheiten wird auf die BV Sucht Bezug genommen (Bl. 43/44 d. A.).

Der Kläger (geb. am ….86, ledig) absolvierte bei der Beklagten ab 01.09.04 seine Berufsausbildung und wurde ab 01.02.08 als Maschinenbediener übernommen. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie des Landes Thüringen kraft beidseitiger Verbandszugehörigkeit Anwendung. Zuletzt wurde der Kläger in der Abteilung EhP/MSC als Maschinenbediener an der Fertigungslinie eingesetzt. Auf die Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsbedingungen vom 07.05.14 wird Bezug genommen (Bl. 39/40 d. A.).

Wegen Unpünktlichkeit am 28.10.11, am 24.05.12 und am 12.06.12 wurde der Kläger jeweils schriftlich abgemahnt. Die Beklagte vermutete Drogenprobleme. Im Personalgespräch vom 11.07.12 erklärte der Kläger, von der Droge Christal Meth abhängig zu sein. Er war mit der Aufnahme in die BV Sucht einverstanden.

Nach Festlegung des Suchtteams stellte er sich einem klinischen Drogenentzug mit anschließender stationärer Langzeittherapie. Wegen bevorstehender betrieblicher Wiedereingliederung ab 06.05.13 legte das Suchtteam mit dem Kläger die weiteren Maßnahmen im Rahmen der BV Sucht fest, nämlich die wöchentliche Durchführung eines Urintests zur Abstinenzkontrolle, die Teilnahme an einer ambulanten fortlaufenden Suchtberatung und eine monatliche Rücksprache bei der Werksärztin. Der Kläger willigte in diese Maßnahmen schriftlich ein. Auf das Protokoll vom 02.05.13 wird Bezug genommen (Bl. 49 d. A.).

Die Wiedereingliederung war erfolgreich. Das Arbeitsverhältnis verlief unauffällig. Der Kläger hielt sich an die am 02.05.13 festgelegten Maßnahmen. Die wöchentlichen Urintests waren negativ. Nach Festlegung des Suchtteams vom 16.06.13 (Bl. 50 d. A.) wurde der Urintest mit Einwilligung des Klägers abgelöst durch einen Haaranalysetest, der mindestens einmal im Quartal durchgeführt werden sollte. Auch die Haaranalyse war zunächst negativ.

Der Befund einer Haaranalyse vom 21.07.14 aufgrund Entnahme vom 11.07.14 war positiv (Bl. 51 d. A.). Im Betrieb hatte es keine Auffälligkeiten gegeben. Der Kläger verblieb auf seinem Arbeitsplatz. Er wurde am 24.09.15 vom Suchtteam angehört und schloss einen bewussten Rückfall aus. Das Suchtteam legte fest, dass der Kläger eine Abmahnung erhält und die BV Sucht mit den bisherigen Maßnahmen mindestens ein weiteres Jahr fortgeführt wird. Auf das Gesprächsprotokoll vom 02.10.14 (Bl. 53 d. A.) und die von der Personalleitung ausgesprochene Abmahnung vom 02.10.14 (Bl. 52 d. A.) wird Bezug genommen.

Der nächste Befund einer Haaranalyse vom 31.12.14 aufgrund Entnahme vom 16.12.14 (Bl. 54 d. A.) war wiederum positiv. Im Betrieb hatte es keine Auffälligkeiten gegeben.

Nach Betriebsratsbeteiligung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26.02.15 zum 30.06.15. Ab 01.03.15 wurde er unbezahlt freigestellt. Gegen die ihm am 26.02.15 zugegangene Kündigung hat der Kläger am 12.03.15 beim Arbeitsgericht Klage eingereicht und seine vorläufige Weiterbeschäftigung verlangt.

Der Kläger hat behauptet, er sei zwar drogenabhängig, nach Entzug und Therapie aber nicht wieder rückfällig geworden. Die positiven Laborbefunde seien unzutreffend. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil er seiner Arbeitspflicht nach Rückkehr in den Betrieb ordnungsgemäß nachgekommen und weder bezüglich der Drogenproblematik noch in sonstiger Weise negativ auffällig geworden sei. Im Übrigen sei das Verfahren nach der BV Sucht nicht eingehalten.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26.02.15 nicht beendet worden ist;

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenbediener weiterzubeschäftigen.

Kündigung wegen Rückfall nach Drogenentzug
(Symbolfoto: Photographee.eu/Shutterstock.com)

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger sei rückfällig geworden. Die positiven Befunde der Haaranalyse seien zutreffend (Beweis: Sachverständigengutachten). Die Beklagte hat gemeint, damit sei die Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen wirksam. Der Rückfall indiziere künftige Suchterkrankung. Der Betriebsablauf sei gestört, weil wegen der prognostisch fortbestehenden Drogensucht jederzeit mit der Beeinträchtigung der Arbeitssicherheit gerechnet werden müsse. Die Interessenabwägung gehe zu Lasten des Klägers.

Mit Urteil vom 30.07.15 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung ist ausgeführt, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Als personenbedingte scheitere die Kündigung an den fehlenden Betriebsablaufstörungen, als verhaltendbedingte an der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 17.09.15 zugestellte Urteil am 07.10.15 Berufung eingelegt und am 16.11.15 begründet. Die Weiterbeschäftigungsklage hat der Kläger im zweiten Rechtszug wegen außerordentlicher Folgekündigung vom 14.03.16 zurückgenommen.

Die Berufung rügt, das Arbeitsgericht verkenne die Voraussetzung einer krankheitsbedingten Kündigung wegen Drogensucht. Die vermisste Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bestehe nach der Rechtsprechung des BAG darin, dass wegen Drogensucht jederzeit mit der Beeinträchtigung der Arbeitssicherheit gerechnet werden müsse.

Die Berufung beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichtes Suhl vom 30.07.15, 2 Ca 377/15, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Ergänzend wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung ist unbegründet. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.02.15 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nicht zum 30.06.15 aufgelöst.

I. Die Kündigung ist nicht wegen Suchterkrankung aus personenbedingten Gründen nach § 1 Abs.2 KSchG sozial gerechtfertigt.

1. Unterstellt werden kann, dass der Kläger nach der stationären Drogentherapie rückfällig wurde. Nach der Rechtsprechung des BAG ist damit die Prognose gerechtfertigt, dass er in absehbarer Zeit nicht von seiner Sucht geheilt wird (BAG v. 20.03.14, 2 AZR 565/12, juris, zur Alkoholsucht). Niemand kann aber wegen Krankheit entlassen werden, wenn er die geschuldete Leistung trotzdem störungsfrei erbringt (ErfK-Oetker, 16.Aufl. 2016, § 1 KSchG Rz 103). Kündigungsvoraussetzung ist vielmehr, dass der Arbeitnehmer wegen seiner Sucht nicht in der Lage ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Erforderlich sind konkrete Betriebsablaufstörungen (LAG Berlin-Brandenburg v. 12.08.14, 7 Sa 852/14; v. 05.09.12, 15 Sa 911/12; LAG Rheinland-Pfalz v. 06.09.12, 11 Sa 167/12 – alle juris; BBDK/Bram § 1 KSchG Rz 146, Bearbeitung 5/13).

2. Nach der stationären Drogentherapie arbeitete der Kläger störungsfrei. Unter Anziehung der Entscheidung des BAG v. 20.03.14 (a. a.O.) meint die Berufung deshalb, wegen der prognostisch fortbestehenden Drogensucht habe die Beklagte im Kündigungszeitpunkt jederzeit mit einer Beeinträchtigung der Arbeitssicherheit rechnen müssen, was als kündigungserhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen ausreiche. Das überzeugt nicht. In dem vom BAG entschiedenen Fall war der dortige Kläger im Betrieb nämlich in drei Fällen positiv auf Alkohol getestet worden. Er besaß also nicht die Fähigkeit zu Abstinenz im Betrieb. Im Fall hier gab es im Betrieb keine Drogenauffälligkeiten. Der positive Haartest – seine Richtigkeit unterstellt – lässt keinen Schluss darauf zu, dass der Kläger unter Drogen gearbeitet hat. Die Berufung unterstellt, dass der Kläger seine Sucht auch im Betrieb nicht im Griff hat. Tatsächliche Anhaltspunkte für diesen Kontrollverlust fehlen.

II. Die Kündigung ist auch nicht aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Es fehlt schon an der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. Erheblich wären Drogen im Betrieb. Die Beklagte weiß es nicht. Drogen in der Freizeit fehlt der Bezug zum Arbeitsverhältnis. Dieser Bezug wird nicht über die BV Sucht hergestellt. Dort werden Obliegenheiten begründet, keine Rechtspflichten.

B. Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung hat die Beklagte nach § 97 Abs.1 ZPO zu tragen.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs.2 Nr.1 ArbGG.

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