Skip to content

Kündigung wegen sexueller Belästigung

ArbG Siegburg – Az.: 3 Ca 722/19 – Urteil vom 02.10.2019

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Streitwert: 5.700,00 EUR

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten.

Der am 15.11.1959 geborene Kläger ist seit dem 11.03.2002 als Maschinenführer bei der Beklagten zu einem monatlichen Bruttogehalt i. H. v. 1.900 EUR beschäftigt. Bei der Beklagten sind 180 Arbeitnehmer, davon 120 in der Produktion, darunter wiederum fünf Frauen tätig. Am 25.02.2019 wandten sich hiervon Frau A., bei der Beklagten beschäftigt seit dem 06.04.2018, und Frau I., bei der Beklagten beschäftigt seit dem 01.05.2016, an die Personalleiterin der Beklagten und erklärten dieser, sie seien vom Kläger seit mehreren Monaten sexuell belästigt worden. Beide Arbeitnehmerinnen sind ebenso wie eine weitere Mitarbeiterin, Frau C., im Folienlager der Beklagten an Etikettiertischen tätig. Dieser Arbeitsbereich ist durch eine Trennwand vom Produktionsbereich, in dem der Kläger tätig ist, abgetrennt. Der Kläger muss diesen Bereich passieren, wenn er zum Pausenraum oder zu den Toiletten gehen möchte. Im Zuge der Nachforschungen der Beklagten erhob auch Frau C. entsprechende Vorwürfe gegen den Kläger. Der Kläger wiederum stritt in der Anhörung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen am 26.02.2019 ab, die Mitarbeiterinnen berührt zu haben. Mit Schreiben vom 27.02.2019 hörte die Beklagte den Vorsitzenden des bei ihr bestehenden Betriebsrates durch die Personalleiterin und die Geschäftsführerin schriftlich und mündlich an. In dem Anhörungsschreiben, auf das hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 35 der Akte), heißt es sinngemäß, der Kläger habe regelmäßig, wenn er mit Frau A. Spätschicht gehabt habe, deren Nähe gesucht und trotz entsprechender Bitte der Mitarbeiterin nicht Abstand gehalten, sondern sie immer wieder an ihrer Schulter berührt und ihre Arme gestreichelt. An einem Tag im November sei er dann auf sie zugegangen und habe sehr bedrückt geschaut, woraufhin diese ihn tröstend in den Arm genommen habe. Diese Situation habe der Kläger genutzt, mit einer Hand an ihrem Po und mit der anderen Hand in ihren und anschließend sich selbst in den Schritt gefasst und gesagt „Oh, da tut sich ja direkt was!“ Nach Anhörung des Klägers und dem auch von den beiden anderen Mitarbeiterinnen erhobenen Vorwurf, der Kläger habe sie wiederholt an Armen und Schulter gefasst, bestehe für sie der dringende Verdacht einer sexuellen Belästigung. Am Ende des Anhörungsschreibens gab der Betriebsratsvorsitzende die Erklärung ab, der Betriebsrat habe der Kündigung zugestimmt. Dann kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 27.02.2019 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.08.2019. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 12.03.2019 eingereichten Klage. Mittlerweile wurde er rechtskräftig wegen sexueller Belästigung strafrechtlich verurteilt.

Er behauptet, er sei verheiratet und habe zwei unterhaltsberechtigte Kinder. Zwar habe er seinen Kolleginnen und Kollegen gelegentlich Kaffee, Kuchen oder Cola angeboten, körperlich berührt – sehe man von einem Händedruck anlässlich von Neujahrswünschen einmal ab – oder gar bedrängt habe er sie jedoch nicht. Er bestreitet, dass der Betriebsrat der Kündigung zugestimmt habe.

Er beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.02.2019 beendet wird;

2. festzustellen dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht;

3. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) und/oder 2) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,  die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Kläger sei ledig und habe ausweislich seiner Steuerkarte keine Unterhaltspflichten. Der habe Frau A. nach anfänglichen Komplimenten und nicht angenommenen Einladungen zu Getränken und Eis 2-3 Monate nach Beschäftigungsbeginn der Mitarbeiterin an deren Schulter gefasst sowie deren Arme und Tätowierungen mindestens einmal wöchentlich gestreichelt, obwohl diese ihn aufgefordert habe, dies zu unterlassen. Frau A. habe dann versucht, dem Kläger aus dem Weg zu gehen und hierzu Pausen auf der Toilette verbracht. Am 19.11.2018 habe Frau A. die Toilette deutlich nach dem Gong zum Pausenende verlassen, dann jedoch den Kläger an ihrem Arbeitsplatz angetroffen, der sich sehr bedrückt gezeigt habe. Daraufhin habe Frau A. den Kläger in den Arm genommen, um ihm Trost zu spenden. Der Kläger habe ihr daraufhin mit einer Hand an den Po und mit der anderen zunächst ihr und dann sich selbst in den Schritt gefasst und die in der Betriebsratsanhörung erwähnte Äußerung getan. Frau A. habe sich daraufhin abgewendet und dem Kläger entzogen. Auch danach habe der Kläger noch wöchentlich versucht, sich ihr zu nähern und sie zu berühren.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin A.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 02.10.2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist hinsichtlich des allgemeinen Feststellungsantrages unzulässig, im Übrigen ist sie unbegründet.

Kündigung wegen sexueller Belästigung
(Symbolfoto: Von Andrey_Popov/Shutterstock.com)

I.  Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis zu der Beklagten fortbesteht. Der zu dem Kündigungsschutzantrag nach § 4 KSchG hinzutretende Feststellungsantrag, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht, bedarf eines eigenständigen, über das Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung hinausgehenden Feststellungsinteresses. Der Antrag ist daher nur zulässig, wenn weitere mögliche Beendigungstatbestände in den Prozess eingeführt werden. Solche sind vorliegend nicht ersichtlich, so dass es an dem nötigen Feststellungsinteresse fehlt.

II.  Der vom Kläger gestellte Kündigungsschutzantrag ist hingegen unbegründet. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung aufgelöst worden.

1.  Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil v. 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 -, Rn. 14, juris). Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet (BAG, Urteil v. 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 -, Rn. 16, juris). Sie stellt einen erheblichen Verstoß gegen die dem Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitnehmerin obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf deren Interessen gem. § 241 Abs. 2 BGB dar und ist „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung zu bilden (BAG, Urteil v. 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 -, BAGE 159, 267-277, Rn. 14). Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird (BAG, Urteil v. 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 -, BAGE 159, 267-277, Rn. 16). Auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen können den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (BAG, Urteil v. 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 -, BAGE 159, 267-277, Rn. 17). Schutzgut der § 7 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden. Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen. Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist demnach bereits deshalb sexuell bestimmt i. S. d. § 3 Abs. 4 AGG, weil es sich um einen auf die körperliche Intimsphäre gerichteten Übergriff handelt. Bei anderen Handlungen, die nicht unmittelbar das Geschlechtliche im Menschen zum Gegenstand haben, wie bspw. Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund einer mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 -, BAGE 159, 267-277, Rn. 18). Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Ebenso kommt es auf vorsätzliches Verhalten nicht an (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 -, BAGE 159, 267-277, Rn. 20). Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, u. a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG, Urteil v. 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 -, Rn. 16, juris).

2.  Das Gericht ist nach der Vernehmung der Zeugin A. zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger diese unter Berücksichtigung dieses Maßstabes sexuell belästigt hat, so dass Tatsachen vorliegen, die eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigen.

a) Der Kläger hat der Zeugin A. im November 2018 in den Schritt gefasst und anschließend nach einem Griff in den eigenen Schritt geäußert, dass sich da etwas tue. Dies hat die Zeugin A. zur Überzeugung des Gerichts bestätigt. Die Aussage der Zeugin entsprach zwar nur im Kerngeschehen, nicht jedoch im Randgeschehen dem Vortrag der Beklagten, dafür war sie jedoch im Gegensatz zu diesem in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Während der Vortrag der Beklagten noch die Frage aufkommen ließ, warum die Zeugin einen Kollegen, der ihr ständig zu nahe tritt und vor dem sie sich sogar in den Pausen versteckt, nur aufgrund eines betrübten Blickes umarmen sollte, enthielt die Aussage der Zeugin diesen Widerspruch nicht, da sie körperliche Annäherungsversuche vor dem streitigen Vorfall gerade verneinte. Man mag sich zwar fragen, wie es zu der Umarmung kommen konnte, wenn der Kläger sich von hinten näherte und eigentlich an der Zeugin vorbeigehen wollte. Da die Zeugin jedoch erklärt hat, sie habe sich zuvor umgedreht, hält die Kammer das geschilderte Geschehen nicht für ausgeschlossen. Gerade weil die Zeugin unstreitig in der Vergangenheit Einladungen des Klägers zu einem Kaffee oder einer Cola ausgeschlagen und nach eigenem Bekunden gerade noch keine negativen Erfahrungen mit ihm gemacht hatte, mag sie in dieser Situation das Bedürfnis gehabt haben, ihn aufzuheitern, auch wenn sie nicht gewusst haben will, wo bei ihm der Schuh drückte. Nach dem kurzen persönlichen Eindruck, den sich die Kammer von der Zeugin machen konnte, würde ein solches Verhalten jedenfalls zu ihrer Persönlichkeit passen. Auch andere nach der Schilderung der Zeugin sich zunächst stellende Fragen wurden im weiteren Verlauf ihrer Aussage ohne weiteres geklärt. So soll sich der Vorfall nach Schilderung der Zeugin, anders als nach dem Vortrag der Beklagten, nicht am Ende der Pause sondern zu deren Beginn abgespielt haben. Da die Zeugin erklärt hat, der Kläger benötige von seinem Arbeitsplatz einige Zeit um zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen, stellte sich die Frage, warum sie sich da noch während der Pause am Arbeitsplatz befand. Dies erschloss sich jedoch durch den Hinweis der Zeugin darauf, dass sie ihr aufgrund einer täglichen Arbeitszeit von 4 Stunden keine Pause zustand. Auch war die Darstellung der Beklagten, dass die Zeugin sich vor dem Kläger auf der Toilette versteckte nicht falsch, sondern zeitlich nur falsch eingeordnet. Nach Bekunden der Zeugin hat sie sich erst nach dem streitigen Vorfall vor dem Kläger bei Pausen z. B. auf der Toilette versteckt, was angesichts des Vorfalls nachvollziehbar ist. Auch hat sie nicht etwa dann doch Pausen gemacht, sondern sich nur jeweils zu Beginn und zum Ende einer Pause in andere Räumlichkeiten begeben, um dem Kläger auszuweichen. Nachvollziehbar ist auch, dass sich der Griff des Klägers in den eigenen Schritt nach der Aussage der Zeugin erst ereignet haben soll, nachdem diese den Kläger bereits zurück geschubst hatte. Aufgrund des Griffs in den Schritt der Zeugin war eine unmittelbare Reaktion und Zurückweisung des Klägers zu erwarten, so dass der Kläger vor der Zurückweisung gar keine Zeit für einen Griff in den eigenen Schritt gehabt haben konnte. Die Aussage der Zeugin hat ferner erklärt, warum sie erst Monate später bei der Beklagten vorstellig geworden ist. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass sie zunächst versucht hat, den ihren Intimbereich betreffenden Vorfall selbst zu verarbeiten, sich, als dies nicht gelang, im Januar 2019 einer Kollegin anvertraut hat, die ebenfalls von negativen Erfahrungen mit dem Kläger in diese Richtung berichten konnte, und dann schließlich nach einer gewissen Überlegungszeit schließlich gemeinsam mit dieser die Personalleiterin der Beklagten aufgesucht hat, um weitere Kolleginnen vor ähnlichen Vorfällen zu schützen. Während der Vortrag der Beklagten noch die Frage aufkommen ließ, wie es zu einer so späten Meldung bei der Beklagten gekommen ist, ließ die Aussage der Zeugin diese Frage nicht offen. Die Aussage warf jedoch noch die Frage auf, warum die Zeugin die späte Meldung auch mit ihrer Probezeit begründete, die nach ihren Angaben ein Jahr betragen haben soll. Während das Zuwarten an sich bei Bestehen einer Probezeit nachvollziehbar erscheint, zumal sich die Meldung auf einen langjährigen Mitarbeiter der Beklagten bezog, wäre eine Probezeit mit üblicher Länge von sechs Monaten im Zeitpunkt des Vorfalls bereits abgelaufen gewesen. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass zum einen nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beklagte mit der Zeugin tatsächlich eine solch lange, unübliche Probezeit vereinbart hatte, zum anderen mit der Probezeit seitens der Zeugin etwas anderes gemeint gewesen sein kann, als die Probezeit im Sinne des § 622 Abs. 3 BGB. So ließ sich der Aussage der Zeugin entnehmen, dass sich ihre Arbeitszeit mittlerweile erhöht, sich also die arbeitsvertragliche Grundlage für ihre Tätigkeit geändert hat. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie zunächst auf ein Jahr „zur Probe“ befristet beschäftigt gewesen sein mag und nun einen neuen Arbeitsvertrag erhalten hat. Jedenfalls gibt diese offene Frage keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt der Aussage der Zeugin zu zweifeln.

b)  Sowohl der Griff in den Schritt der Zeugin als auch die anschließende Äußerung stellen eine sexuell bestimmte körperliche Berührung bzw. Bemerkungen sexuellen Inhalts im oben genannten Sinne dar. Der Griff des Klägers ging unmittelbar in Richtung auf ein primäres Geschlechtsmerkmal der Zeugin und war damit ohne weiteres sexuell motiviert, was auch durch den Griff des Klägers in den eigenen Schritt und die anschließende Äußerung offenbar wird. In der Situation, in der sich der Vorfall ereignete, war die Tätlichkeit des Klägers unerwünscht und verletzte die Würde der Zeugin, da in deren Intimbereich ungefragt im wahrsten Sinne des Wortes eingegriffen wurde und stellte mithin eine sexuelle Belästigung im oben geschilderten Sinne dar.

3.  Dieses Verhalten rechtfertigt auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine außerordentliche Kündigung. Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht, Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Kündigung wirksam ist, gilt das Prognoseprinzip. Zweck einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht eine Sanktion für die begangene Pflichtverletzung, sondern die Vermeidung künftiger Pflichtenverstöße – ggf. selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Die fragliche Pflichtverletzung muss sich deshalb noch für die Zukunft belastend auswirken. Eine entsprechende Prognose ist berechtigt, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch künftig erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzten. Das ist häufig ungewiss. Eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt deshalb regelmäßig eine einschlägige Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine solche Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer gleichwohl erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch künftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Außerdem ist in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Abmahnung als milderes Mittel einer Kündigung vorzuziehen, wenn schon durch ihren Ausspruch das Ziel, die künftige Einhaltung der Vertragspflichten zu bewirken, erreicht werden kann (BAG, Urteil v. 26.11.2009 – 2 AZR 751/08 – juris, Rn. 10). Allerdings kann eine Abmahnung bei schweren Pflichtverletzungen entbehrlich sein. Bei einer schweren Pflichtverletzung ist nämlich regelmäßig dem Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne weiteres genauso erkennbar, wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, Urteil v. 23.06.2009 – 2 AZR 283/08 – juris, Rn. 18). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der Kläger konnte aufgrund des Gewichts seiner in der Grenzüberschreitung liegenden Pflichtverletzung, die immerhin den absoluten Intimbereich der Zeugin berührte, nicht damit rechnen, die Beklagte werde sein Verhalten tolerieren.

Auch unter Berücksichtigung seiner langjährigen Beschäftigungszeit war der Beklagten nicht zuzumuten, den Kläger auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Zum einen war die Kündigungsfrist gerade aufgrund der Beschäftigungsdauer mehrere Monate lang, zum anderen ist die Beklagte gesetzlich gehalten, ihre Mitarbeiter vor sexuellen Belästigungen wirksam zu schützen. Da der Kläger durch sein Verhalten seine Bereitschaft zu einem nicht verzeihlichen Distanzverlust gezeigt hatte und zudem keine Reue zeigte, sondern den Vorfall abstritt, war der Beklagten nicht zuzumuten, während des Laufs der Kündigungsfrist weitere Vorfälle zu riskieren, zumal sie auch von anderen Mitarbeiterinnen Hinweise – seien sie nun zutreffend oder nicht – auf Zudringlichkeiten des Klägers ihnen gegenüber erhalten hatte. Mögliche Unterhaltspflichten des Klägers können an diesem Ergebnis nichts ändern.

4.   Auch die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist ersichtlich gewahrt. Die Beklagte hat einen Hinweis auf das Fehlverhalten des Klägers erst am 25.02.2019 erhalten und dem Kläger wenige Tage später gekündigt. Hinweise darauf, dass die Beklagte tatsächlich schon früher Kenntnis von dem Verhalten des Klägers hatte, lassen sich weder dem Vortrag des Klägers noch der Aussage der Zeugin entnehmen.

5.   Die Kündigung ist schließlich auch nicht nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG unwirksam.

a)  Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen, d. h. der Arbeitgeber muss schriftlich oder mündlich dem Betriebsrat neben näheren Informationen über die Person des betroffenen Arbeitnehmers die Art und den Zeitpunkt der Kündigung und die seiner Ansicht nach maßgeblichen Kündigungsgründe mitteilen. Der für den Arbeitgeber maßgebende Sachverhalt ist unter Angabe der Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, näher so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden. Kommt der Arbeitgeber diesen Anforderungen an seine Mitteilungspflicht nicht oder nicht richtig nach und unterlaufen ihm insoweit bei der Durchführung der Anhörung Fehler, ist die Kündigung unwirksam. Allerdings ist die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers subjektiv determiniert. An sie sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess. Es müssen dem Betriebsrat also nicht alle objektiv kündigungsrechtlich erheblichen Tatsachen, sondern nur die vom Arbeitgeber für die Kündigung als ausschlaggebend angesehenen Umstände mitgeteilt werden. Dagegen führt eine aus Sicht des Arbeitgebers bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats (BAG, Urt. v. 23.06.2009 – 2 AZR 474/07 – juris, Rn. 34). Teilt der Arbeitgeber objektiv kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deshalb nicht mit, weil er darauf die Kündigung nicht oder zunächst nicht stützen will, ist die Anhörung ordnungsgemäß erfolgt. Dem Arbeitgeber ist es dann aber verwehrt, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhalts hinausgehen. Seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG kommt der Arbeitgeber erst dann nicht mehr nach, wenn er aus seiner Sicht dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet (BAG, Urt. v. 12.08.2010 – 2 AZR 104/09 – juris, Rn. 17). Hinsichtlich der i. S. d. § 102 BetrVG ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gilt eine abgestufte Darlegungslast. Danach hat im Prozess der Arbeitnehmer zunächst einmal die für ihn günstige Tatsache vorzutragen, dass überhaupt ein Betriebsrat besteht und deshalb nach § 102 BetrVG vor Ausspruch einer Kündigung dessen Anhörung erforderlich war. Ohne dieses Vorbringen ist das Gericht nicht berechtigt und nicht verpflichtet, das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung – von Amts wegen – zu prüfen. Auf einen entsprechenden Sachvortrag des Arbeitnehmers hin obliegt es dem Arbeitgeber darzulegen, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist. Da die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung ist, trifft die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich insoweit den Arbeitgeber. Auf einen entsprechenden Prozessvortrag des Arbeitgebers hin darf sich der Arbeitnehmer dann nicht mehr darauf beschränken, die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung pauschal mit Nichtwissen zu bestreiten. Er hat sich vielmehr nach § 138 Abs. 1 und 2 ZPO vollständig über den vom Arbeitgeber vorgetragenen Sachverhalt zu erklären und im Einzelnen zu bezeichnen, ob er rügen will, der Betriebsrat sei entgegen der Behauptung des Arbeitgebers überhaupt nicht angehört worden, oder in welchen einzelnen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder die dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen für unvollständig hält. Dies erfordert gegebenenfalls einen ergänzenden Sachvortrag des Arbeitgebers und ermöglicht eine Beweiserhebung durch das Gericht über die tatsächlich streitigen Tatsachen BAG, Urteil v. 23.05.2005 – 2 AZR 193/04 – juris, Rn. 13).

b)  Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann eine Fehlerhaftigkeit der Betriebsratsanhörung nicht festgestellt werden. Das für den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung maßgebliche Kerngeschehen hat die Beklagte ihrem Betriebsrat zutreffend mitgeteilt. Das in ihrem Sachvortrag von der Aussage der Zeugin abweichende Randgeschehen hat in der Betriebsratsanhörung weitgehend keinen Niederschlag gefunden. Soweit es doch Eingang in die Betriebsratsanhörung gefunden hat, ist nicht feststellbar und wird auch von dem Kläger nicht behauptet, dass die Beklagte ihren Betriebsrat insoweit bewusst falsch informiert hat. Als Ursache hierfür können Fehler in der Kommunikation oder Wiedergabe des Geschilderten durch die Beklagte nicht ausgeschlossen werden. Auch in Bezug auf die Information des Betriebsrats zu Familienstand und Unterhaltspflichten des Klägers ist ein unbewusster Fehler nicht auszuschließen, zumal diese persönlichen Verhältnisse angesichts der Schwere des Pflichtenverstoßes des Klägers ohnehin nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein können. Soweit der Kläger schließlich bestreitet, dass der Betriebsrat seiner Kündigung zugestimmt hat, ist sein Bestreiten angesichts der schriftlich dokumentierten Zustimmungserklärung des Betriebsratsvorsitzenden nicht substantiiert. So lässt sich seinem Bestreiten schon nicht entnehmen, ob er die Zustimmungserklärung an sich oder einen dieser Erklärung zugrundeliegenden Betriebsratsbeschluss streiten möchte.

III.  Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 ZPO.

IV.  Der Streitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 42 Abs. 2 GKG festgesetzt.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!