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Kündigung wegen Tätlichkeit gegenüber einem Kollegen – Abmahnung/verhaltensbedingte Kündigung?

LAG Köln, Az.: 11 Sa 1024/15, Urteil vom 07.09.2016

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 01.09.2015 – 4 Ca 1212/15 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung.

Der am …1976 geborene Kläger, ledig und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet, ist seit dem April 2006 bei der Beklagten, die Frühstücks- und Süßwaren herstellt, als Maschinenführer beschäftigt. Vorbeschäftigungszeiten des Klägers wurden von der Beklagten anerkannt, so dass er bis zum Kündigungsvorfall 13 Jahre beschäftigt war.

Am 20.03.2015 kam es im Betrieb zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und einem Arbeitskollegen, dem Zeugen T . Der Hergang der auch körperlich ausgetragenen Meinungsverschiedenheit ist zwischen den Parteien umstritten. Der Betriebsarzt stellte bei dem Zeugen T einen diskreten Druckschmerz fest. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die ärztliche Bescheinigung vom 01.10.2015 verwiesen (Bl. 107 d.A.). Die Beklagte erteilte dem Zeugen T eine schriftliche Ermahnung, weil dieser das unwahre Gerücht verbreitet hatte, der Sohn des Abteilungsleiters habe frei verfügbaren Joghurt in den Kofferraum seines Personenkraftwagens verladen. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger kündigte die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben vom 26.03.2015 (Bl. 23 ff. d.A.) schriftlich unter dem 31.03.2015 fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage nach Beweisaufnahme (Bl. 65 ff. d.A.) mit Urteil vom 01.09.2015 (Bl. 69 ff. d.A.) statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass es nicht davon überzeugt sei, dass der Kläger dem Zeugen T einen Kopfstoß versetzt und mit beiden Händen weggestoßen habe. Die Aussagen der Zeugen T und M seien widersprüchlich. Die Bekundung des Zeugen T , der erst später zum Ort der Auseinandersetzung gekommen sei, sei unergiebig. Die von der Beklagten behauptete Äußerung des Klägers, er habe dem Zeugen T gedroht, ihn nach der Arbeit zusammenzuschlagen, habe keiner der Zeugen bestätigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Kündigung wegen Tätlichkeit gegenüber einem Kollegen – Abmahnung/verhaltensbedingte Kündigung?
Symbolfoto: fizkes/Bigstock

Gegen das ihr am 28.09.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.10.2015 Berufung eingelegt und diese am 27.11.2015 begründet.

Die Beklagte wendet sich gegen die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts, denn sowohl der Zeuge T als auch der Zeuge M hätten übereinstimmend bekundet, dass der Kläger den Zeugen T geschubst und mit dem Kopf einen Stoß auf die Nase versetzt habe. Das vorherige Verhalten des Zeugen T durch Verbreitung eines unwahren Gerüchts wie auch die vom Zeugen ausgesprochene Beleidigung, der Kläger habe „keine Eier“, rechtfertige den körperlichen Angriff nicht.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 1. September 2015, Az.: 4 Ca 1212/15, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger bestreitet eine körperliche Auseinandersetzung und verteidigt die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 25.11.2015 und 10.12.2015 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen. Das Landesarbeitsgericht hat die Zeugen T und M erneut zur Heftigkeit des Kopfstoßes vom 20.03.2015 vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die die Sitzungsniederschrift vom 07.09.2016 (Bl. 136 ff. d.A. verwiesen).

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß eingelegt und begründet.

II. Der Berufung blieb der Erfolg versagt. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Kündigung vom 31.03.2015 das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst hat.

1. Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern „an sich“ auch ohne vorherige Abmahnung einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Ein tätlicher Angriff auf einen Arbeitskollegen stellt eine schwere Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen des anderen Arbeitnehmers dar. Der Arbeitgeber ist nicht nur allen Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind. Er hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und Mitarbeiter verletzt werden und ggfs. ausfallen. Ferner kann der Arbeitgeber auch berücksichtigen, wie sich ein solches Verhalten auf die übrigen Arbeitnehmer und den Betrieb auswirkt, insbesondere wenn er keine personellen Maßnahmen ergreifen würde (BAG, Urt. v. 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06 – m.w.N.). Ist ein Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ als Kündigungsgrund geeignet, bedarf es sodann der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG, Urt. v. 17.03.2016 – 2 AZR 110/15 – m.w.N.). Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG, Urt. v. 29.08.2013 – 2 AZR 273/12 – m.w.N.).

2. Nach der beim Arbeitsgericht und im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass der Kläger im Rahmen der Auseinandersetzung am 20.03.2015 die körperliche Integrität des Zeugen T verletzt hat. Die Zeugen T und M haben übereinstimmendend bekundet, dass der Kläger den Zeugen T gegen einen Trägerpfeiler geschubst hat, dieser sodann mit dem Oberkörper zurückgekippt ist und der Kläger ihm mit seinem Kopf einen Kopfstoß verpasst hat. Das Verhalten des Klägers ist als ein tätlicher Angriff zu werten, welcher „an sich“ als wichtiger Kündigungsgrund geeignet ist. Jedoch gelangt die Kammer nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls dazu, dass die Beklagte ausnahmsweise gehalten war, das mildere Mittel der Abmahnung zu ergreifen. Zugunsten des Beendigungsinteresses der Beklagten ist in Rechnung zu stellen, dass sie in ihrem Produktionsbetrieb zur Wahrung des Betriebsfriedens keine Tätlichkeiten duldet, sie aus Fürsorge zum Schutz betroffener Mitarbeiter einschreitet. Jedoch sprechen Entstehen, Hergang und Auswirkung des Vorfalls sowie bisheriger Verlauf des Arbeitsverhältnisses für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Der Zeuge T hat zu der erhitzten Atmosphäre am Arbeitsplatz in erheblichem Maße beigetragen, indem er bewusst Unwahrheiten zu der Vergabe des Joghurts verbreitet und so den Zorn des Klägers herbeigeführt hat. Noch unter dem Eindruck dieser Lügen haben sich der Kläger und der Zeuge T , wie dessen Aussage vor dem Arbeitsgericht am 01.09.2015 zu entnehmen ist, wechselseitig schwerwiegend beleidigt und sich gegenseitig vorgehalten, sie hätten „keine Eier“. Die Situation habe sich hochgeschaukelt und „irgendwann“ sei der Kläger ausgerastet. Es ist nicht zu verkennen, dass der Zeuge T den Kläger durch sein bewusstes Fehlverhalten gereizt und selbst keinerlei Beitrag zur Deeskalation geleistet hat. Der folgende Schubser an den Trägerpfeiler sowie das Stoßen des Kopfes beim Zurückkippen des Oberkörpers lassen sich dadurch zwar nicht rechtfertigen, erklären aber den Ausnahmecharakter der Handlung. Der Kläger ist jedenfalls nach dem prozessualen Vortrag der Beklagten bislang nicht durch Tätlichkeiten im Betrieb auffällig geworden. Die Beklagte hat auch nicht dargetan, dass der Kläger (einschlägig) abgemahnt wurde, so dass davon auszugehen ist, dass das Arbeitsverhältnis störungsfrei verlaufen ist. Die Folgen der Tat waren geringfügig. Die Aussagen der Zeugen T und M zur Heftigkeit des Kopfstoßes lassen nicht mit der gebotenen Sicherheit den Schluss zu, dass es sich um erhebliche Kraftanwendung gehandelt hat. Der Zeuge M vermochte sich zu der Heftigkeit der „Kopfnuss“ nicht zu äußern, konnte lediglich bekunden, dass es sich um eine „schnelle Kopfnuss“ gehandelt habe. Der betroffene Zeuge T hat in seiner Vernehmung vor dem Landesarbeitsgereicht zwar einen schnellen und festen Kopfstoß geschildert. Jedoch überzeugt dies nicht, denn es steht in Widerspruch zu seiner Bekundung vor dem Arbeitsgericht, wonach der Kopfstoß „nicht besonders feste“ gewesen sei. Unter Berücksichtigung der zeitnahen Feststellungen des Betriebsarztes, wonach lediglich eine „diskreter Druckschmerz“ zu verzeichnen gewesen sei, kann daher von einem schweren körperlichen Angriff nicht ausgegangen werden. Die Beklagte hat auch keine erheblichen betrieblichen Belastungen aufgrund der körperlichen Auseinandersetzung vorgetragen. Die Kontrahenten ließen sich vom Zeugen M ohne Schwierigkeiten trennen und beruhigten sich sofort. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falls und unter Berücksichtigung des gesteigerten Bestandsschutzinteresses des Klägers aufgrund der langjährigen Betriebszugehörigkeit und der Unterhaltspflicht für ein Kind dem Interesses des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses der Vorrang gegenüber dem Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einzuräumen ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

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