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Kündigungserklärungsfrist – bei Akteneinsicht in Strafverfahrensakte

ArbG Berlin, Az.: 24 Ca 4261/17, Urteil vom 01.11.2017

I.

1.

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsabrede vom 19.03.2013 am 31.03.2017 geendet hat, sondern mit Ablauf des 27.05.2017 geendet hat.

2.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 57 %, die Beklagte zu 43 % zu tragen.

III.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 23.450,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristung sowie einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung.

Der Kläger ist seit dem 01.01.1997 aufgrund befristeter Verträge bei der Beklagten als Trainer für Radsport beschäftigt, zuletzt aufgrund des Arbeitsvertrages vom 19.03.2013 ab dem 01.04.2013 befristet bis zum 31.03.2017, Bl. 19 der Akte. Er erhielt zuletzt ein Bruttomonatsgehalt von 3.350,00 €.

Der Arbeitsvertrag enthält folgende Regelung:

„1. […] Der Arbeitsvertrag ist befristet, da der Trainer aus Haushaltsmitteln des Bundesministerium des Inneren und des Senats von Berlin vergütet wird und die Zuwendung aufgrund ihrer Zweckbindung haushaltsrechtlich zu befristeten Beschäftigung von Trainern für den Spitzensport bestimmt sind und entsprechend vom OSP eingesetzt werden. Die zuvor erwähnten Zuwendungsbescheide sind Bestandteil des Vertrages.[…]“

Kündigungserklärungsfrist – bei Akteneinsicht in Strafverfahrensakte
Symbolfoto: gopixa/Bigstock

Am 14.12.2015 absolvierte die am …1999 geborene L. Sch. beim Kläger in der Radsporthalle des Beklagten ihr Training. Nachdem sie nach dem Training gegen 18:00 Uhr feststellte, dass ihre Unterhose nicht mehr zu finden war, durchsuchte sie in der Umkleidekabine alle offenen Schränke sowie einen dort abgestellten Wagen für Nassreinigung. In diesem Wagen fand sie eine Digitalkamera, die noch eingeschaltet war und eine Videoaufzeichnung fertigte. Die Stiefmutter von Frau Sch., S. P., die Frau Sch. vom Training abholte, kontaktierte daraufhin die Polizei. Die Polizisten boten Frau Sch. und Frau P. an, die Aufnahme anzusehen. Auf der Aufnahme war zu Beginn zu erkennen, wie eine Person die Kamera im Reinigungswagen auf den Umkleideraum richtete und dann durchs Bild lief. Frau Sch. erkannte hierbei den Kläger unter anderem an seiner Kleidung und einem grünen Schlüsselband.

Der Kläger räumte den Polizisten gegenüber den Tatvorwurf ein und händigte ihnen den Slip von Frau Sch. aus, den er in einer Gemüsekiste versteckt hatte. Noch am gleichen Tag durchsuchte die Polizei die Wohnung des Klägers. Hierbei wurden zwei SD-Speicherkarten gefunden, auf denen sich weitere Aufnahmen aus der betreffenden Umkleidekabine befanden. Auf den Aufnahmen, die jeweils wenige Minuten vor Trainingsbeginn bzw. nach Trainingsende beginnen bzw. enden, sind die Sportlerinnen L. Sch., J. D. und M. W. (geboren am …1998) zu sehen. Die Aufnahmen zeigen die Sportlerinnen teilweise nackt. Es handelt sich um insgesamt 38 Aufnahmen im Zeitraum vom 06.09.2015 bis zum 14.12.2015, im Einzelnen ersichtlich aus der Aufstellung Bl. 61 der Akte.

Am 15.12.2015 stellte der Kläger einen Urlaubsantrag und meldete sich anschließend arbeitsunfähig krank.

Der Beklagte erlangte von diesen Vorfällen Kenntnis durch Zeitungsberichte vom 16.12.2015. In der Folgezeit stellte der Beklagte den Kläger unter Fortzahlung der Bezüge frei.

Mit Schreiben vom 23.12.2015 beantragte der Beklagtenvertreter bei der Polizei Einsicht in die Ermittlungsakte, Bl. 113 d.A. Mit Schreiben vom 15.02.2016 erinnerte der Beklagtenvertreter an die beantragte Akteneinsicht. Die Staatsanwaltschaft Berlin teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 14.07.2016 mit, dass die Ermittlungen noch andauern, weshalb umfassende Akteneinsicht nicht gewährt werde. Am 19.10.2016 fragte der Beklagtenvertreter erneut bei der Staatsanwaltschaft Berlin nach, die mit Schreiben vom 18.11.2016 mitteilte, dass eine Akteneinsicht noch immer nicht möglich sei. Mit Schreiben vom 22.02.2017 erbat der Beklagtenvertreter erneut Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft Berlin. Diese lehnte die Akteneinsicht mit Schreiben vom 06.03.2017 zunächst ab. Der Beklagte beantragte mit Schreiben vom 20.03.2017 erneut Akteneinsicht und begründete dies unter anderem mit der zwischenzeitlich erhobenen Klage gegen die Befristung des Vertrages. Mit Schreiben vom 12.05.2017 gewährte die zuständige Richterin vom Amtsgericht Tiergarten der Beklagten Akteneinsicht, Bl. 124 der Akte. Der Beklagtenvertreter nahm am 16.05.2017 Einsicht in die Strafakte.

Mit Schreiben vom 14.03.2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er sich vor dem Hintergrund der noch laufenden Ermittlungen gegen den Kläger dazu entschlossen habe, ihm kein neues Vertragsangebot zu unterbreiten, Bl. 23 der Akte.

Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren räumte der Kläger durch schriftliche Einlassung über seinen Rechtsanwalt die Vorwürfe, von der teils unbekleideten Frau Sch. mittels einer versteckten Kamera Bildaufnahmen gefertigt sowie einen ihr gehörenden Stringtanga weggenommen zu haben, vollumfänglich ein, Bl. 70 der Akte.

Mit Schreiben vom 17.05.2017 hörte der Beklagte den Betriebsrat zur fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung an, Bl. 77 d.A. Die Betriebsratsvorsitzende bestätigte den Empfang dieses Schreibens am 22.05.2017.

Mit Schreiben vom 22.05.2017, das dem Kläger am 27.05.2017 zugegangen ist, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise fristgerecht zum 30.11.2017, Bl. 43 der Akte.

Mit der vorliegenden am 30.03.2017 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Befristung seines Arbeitsverhältnisses, mit der am 12.06.2017 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung gegen die Kündigung vom 22. Mai 2017.

Der Kläger behauptet, dass die dem Kläger vorgeworfenen Sachverhalte auf einer krankheitsbedingten Symptomatik des Klägers beruhen würden. Aufgrund invalidierender Beziehungserfahrung in der Kindheit habe der Kläger ein einseitig auf Leistungserbringung und Selbstausbeutung beruhendes Selbstwertgefühl entwickelt. Ab dem Jahr 2005 habe dies auch vor dem Hintergrund problematischer Arbeitsbedingungen zu systematischer Überforderung und Ohnmachtserfahrungen geführt. Spätestens seit dem Jahr 2015 habe die Vernachlässigung von körperlichen und emotionalen Grundbedürfnissen zu depressiven Symptomen, unter anderem Antriebsstörungen, Schlafstörungen und chronischen Schmerzen geführt. Der Kläger habe sich verstärkt dem Training der Mädchenmannschaft zugewandt, wobei die frustrierten Grundbedürfnisse nach Nähe und Intimität eine Rolle gespielt hätten. Die zur Kündigung herangezogenen Handlungen seien daher das Ergebnis jahrelanger Selbstvernachlässigung und Unfähigkeit zur Abgrenzung und Selbstfürsorge.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB von dem Beklagten nicht eingehalten worden sei. Das Recht zur ordentlichen Kündigung habe der Beklagte verwirkt, da er in Kenntnis des Kündigungsgrundes längere Zeit untätig geblieben sei.

Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass eine Wiederholungsgefahr aufgrund der therapeutischen Behandlung zum Zeitpunkt des Kündigungszuganges ausgeschlossen gewesen sei. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die soziale Entfremdung auch aufgrund des dauerhaften Leistungsdrucks und der wiederholten Befristungen auf die Tätigkeit bei dem Beklagten zurückzuführen sei. Der Beklagte habe eine Versetzung in Erwägung ziehen müssen. Der Kläger könne die Trainingseinheiten im Herrenbereich ohne weitere Besorgnis etwaiger Vertragsverletzungen aufnehmen.

Der Kläger beantragt:

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsabrede vom 19.03.2013 zum 31.03.2017 endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,

2. den Beklagten zu verurteilen, den Kläger unverändert zu den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Trainer für Radsport am Olympiastützpunkt Berlin mit einem Bruttogehalt von 3.350,00 € weiter zu beschäftigen,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 22.05.2017 geendet hat,

4. festzustellen dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31.12.2017 hinaus fortbesteht.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, dass die Betriebsratsvorsitzende Frau F. dem Verwaltungsleiter des Beklagten, Herrn W., am 24.05.2017 mündlich die Zustimmung zur beabsichtigten fristlosen und vorsorglich fristgerechten Kündigung mitgeteilt habe.

Er ist der Auffassung, dass er die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist eingehalten habe. Die Zweiwochenfrist habe erst mit Kenntnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu laufen begonnen. Ein Kündigungsberechtigter dürfe das Ergebnis eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft abwarten. Das Kündigungsrecht des Beklagten sei auch nicht nach den allgemeinen Grundsätzen verwirkt, da der Beklagte den Kläger bereits mit Kenntnis der Presseberichte sofort freigestellt habe.

Weiterhin liege ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vor. Eine weitere Zusammenarbeit könne dem Beklagten nicht zugemutet werden, da der Kläger das Vertrauen der von ihm betreuten Sportlerinnen in nicht hinnehmbarer Weise missbraucht habe.

Entscheidungsgründe

I.

Der allgemeine Feststellungsantrag zu 4. ist derzeit unzulässig, da weitere Beendigungstatbestände außerhalb der streitgegenständlichen Kündigung weder vorgetragen noch sonst wie ersichtlich sind. Im Übrigen ist die Kündigungsschutzklage zulässig (§ 256 ZPO, §§ 4,7 KSchG) und fristgerecht eingelegt, § 4 KSchG. Hinsichtlich des Antrags zur Befristung ist die Frist des § 17 TzBfG eingehalten.

II.

Die Klage ist aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht aufgrund der Befristungsabrede vom 19.03.2013 geendet, sondern ist durch die außerordentliche Kündigung vom 22.05.2017 mit Ablauf des 27.05.2017 beendet worden.

1. Die Befristung des Arbeitsvertrages vom 19.03.2013 ist rechtsunwirksam. Darlegungs- und beweisbelastet für die tatsächliche Grundlage eines Sachgrundes im Sinne von § 14 Abs. 1 TzBfG ist grundsätzlich der Arbeitgeber (vgl. ErfK/Müller-Glöge § 14 TzBfG Rn. 13f.). Der Beklagte hat keinen Grund für die angegriffene Befristung dargelegt. Zu möglichen Gründen für die Befristung – zu denken wäre vorliegend an § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG – wurde von den Parteien nichts vorgetragen.

2. Das Arbeitsverhältnis ist durch die außerordentliche und fristlose Kündigung des Beklagten vom 22.05.2017 mit Ablauf des 27.05.2017 beendet worden.

a) Es liegt ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vor. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Erst dann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. BAG v. 09.06.2011 – 2 AZR 323/10, NZA 2011, 1342 m.w.N.).

Die Kammer ist unter Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs zu der Überzeugung gelangt, dass dem Beklagten auf Grund grober Pflichtverletzungen des Klägers die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist nicht zumutbar ist.

Der Beklagte hat einen Sachverhalt dargetan, der an sich als „wichtiger Grund“ im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Der Kläger hat durch das Anbringen der Videokamera das ihm von den durch ihn betreuten Sportlerinnen entgegengebrachte Vertrauen missbraucht und durch die Aufnahmen die drei Sportlerinnen in ihrer Intimsphäre verletzt. Dies stellt einen erheblichen Verstoß gegen die ihm gegenüber dem Beklagten obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf dessen Interessen gem. § 241 Abs. 2 BGB dar. Der Beklagte hat ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran, dass die Sportlerinnen – für die der Beklagte auch eine Verantwortung trägt – nicht einem derartigen Verhalten ausgesetzt sind und hierdurch sowohl das Training als auch der Ruf des Beklagten beeinträchtigt werden.

Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen war dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zur Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar. Es handelt sich um so schwere Pflichtverletzungen, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16, NZA 2017, 1121; BAG vom 20.11.2014 – 2 AZR 651/13). Bei der Interessenabwägung sprechen für den Kläger vor allem seine langjährige Betriebszugehörigkeit seit 1997 sowie der Umstand, dass er im Ermittlungsverfahren die Vorwürfe umgehend eingeräumt hat. Weiterhin war zu berücksichtigen, dass er sich aufgrund der wiederholten Befristungen in einer für ihn belastenden Situation befunden haben mag. Im Hinblick auf die Interessen des Beklagten war insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger die Sportlerinnen wiederholt hintergangen hat. Weiterhin war zu berücksichtigen, dass es sich bei den konkreten Pflichtverletzungen um Verstöße handelt, die angesichts der Vertrauensbeziehung zwischen Trainer und Sportlerin als besonders schwerwiegend anzusehen sind. Durch das Verhalten des Klägers ist das im Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen unwiederbringlich zerstört worden.

An dieser Wertung ändert auch der Vortrag des Klägers zu seiner psychischen Erkrankung, insbesondere den depressiven Symptomen, nichts. Es ist nicht vorgetragen, inwiefern ein Zusammenhang besteht zwischen den ggf. durch Leistungsdruck oder wiederholte Befristungen entstandenen depressiven Symptomen und den hier maßgeblichen Pflichtverletzungen des Klägers. Insbesondere sind die Verhaltensweisen des Klägers nicht dem Krankheitsbild einer Depression zuzuordnen. Die Darlegungen des Klägers hierzu mögen mögliche Ursachen aufzeigen und die Entwicklung des Zustands des Klägers über die Jahre nachvollziehen, an seinem grob pflichtwidrigen Verhalten ändert dies jedoch nichts. Inwiefern die frustrierten Grundbedürfnisse nach Nähe und Intimität ein Verschulden des Klägers entfallen lassen sollen, war für die Kammer nicht nachzuvollziehen.

Als milderes Mittel wäre hier auch nicht eine ordentliche Kündigung ausreichend gewesen. Es war dem Beklagten nicht zuzumuten, angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen des Klägers diesen noch weitere 7 Monate bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Der Beklagte war daher erst recht nicht dazu verpflichtet, den Kläger als milderes Mittel in den Herrenbereich zu versetzen.

b) Der Beklagte hat auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG vom 28.10.1971 – 2 AZR 32/71, BAGE 23, 475). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne die umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann sein Kündigungsrecht nicht verwirken (BAG vom 5.12.2002 – 2 AZR 478/01).

Ein Kündigungsberechtigter darf in diesem Zusammenhang regelmäßig den Aus- bzw. Fortgang eines Strafermittlungs- bzw. eines Strafverfahrens abwarten. Entschließt sich der Kündigungsberechtigte hierzu, so kann er dann jedoch nicht zu einem beliebigen willkürlich gewählten Zeitpunkt außerordentlich kündigen. Für den gewählten Zeitpunkt bedarf es dann eines sachlichen Grundes, beispielsweise wenn der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen – neuen – ausreichenden Erkenntnisstand für eine Tatkündigung zu haben glaubt (BAG vom 17.03.2005 – 2 AZR 245 / 04, NZA 2006,101; BAG vom 05.06.2008 – 2 AZR 234 / 07, NZA-RR 2008,409).

Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen kündigungsrelevanten Sachverhalt hat, hat zur Wahrung der Ausschlussfrist alle nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts mit der gebotenen Eile zu ergreifen, um den Lauf der zweiwöchigen Frist nicht länger als notwendig hinauszuschieben. Denn für den Betroffenen Arbeitnehmer muss rasch Klarheit darüber herrschen, ob sein Arbeitgeber einen Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nehmen will (LAG Hamm vom 29.04.2016 – 13 Sa 1552 / 15, juris).

Nach diesen Grundsätzen durfte der Beklagte das strafrechtliche Ermittlungsverfahren abwarten und hat, nachdem er am 16.05.2017 Akteneinsicht nehmen konnte, mit dem Ausspruch der Kündigung zum 27.05.2017 die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

Der Beklagte erhielt erstmals Kenntnis von dem Vorfall durch Zeitungsberichte vom 16.12.2015. Aufgrund dieser Berichte lagen für den Beklagten Anhaltspunkte für einen kündigungsrelevanten Sachverhalt vor, auf den er jedoch mangels näherer Tatsachenkenntnis noch nicht mit einer Tatkündigung reagieren konnte. Entgegen der Auffassung des Klägers begann die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht mit Kenntnisnahme der Berichterstattung aus der Presse zu laufen. Diese enthielt zwar Anhaltspunkte für den maßgeblichen Sachverhalt, versetzte den Beklagten jedoch nicht in die Lage, die Fakten zu überprüfen und zu bewerten.

Der Beklagte musste nach Kenntnisnahme der Berichterstattung jedoch Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts ergreifen. Der Beklagte hat mit der gebotenen Eile reagiert und am 23.12.2015 bei der Polizei Einsicht in die Ermittlungsakte beantragt. Als diese nicht gewährt wurde, hat der Beklagte mehrfach, zunächst bei der Polizei und im Folgenden bei der Staatsanwaltschaft, an sein Akteneinsichtsgesuch erinnert. Auch der Umstand, dass der Beklagte nicht an den Kläger herangetreten ist, um ihn zu den Vorfällen zu befragen, führt nicht zu einem Verstoß gegen § 626 Abs. 2 BGB. Der Kläger stellte am Folgetag einen Urlaubsantrag und meldete sich anschließend arbeitsunfähig krank, wobei die genaueren zeitlichen Umstände von den Parteien nicht vorgetragen wurden. Der Kläger konnte auch nicht davon ausgehen, dass sein Arbeitgeber den Sachverhalt hinnehmen und von einer außerordentlichen Kündigung absehen wollte, da der Beklagte ihn für die gesamte Dauer des Ermittlungsverfahrens freigestellt hatte. Der Beklagte war auch nicht dazu verpflichtet, an die – minderjährigen – Sportlerinnen heranzutreten, um den Sachverhalt aufzuklären, da dies zum einen für die betroffenen Mädchen eine zusätzliche Belastung hätte darstellen können und zum anderen unklar war, ob hierdurch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren beeinträchtigt wird.

Der Beklagte hat die Kündigung auch nicht zu einem willkürlich gewählten Zeitpunkt ausgesprochen, sondern hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger gekündigt, nachdem er am 16.05.2017 Einsicht in die Strafakte nehmen konnte.

c) Die Kündigung ist nicht gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß zur außerordentlichen Kündigung angehört worden.

Der Beklagte ist gemäß dem Grundsatz der „subjektiven Determinierung“ (vgl. dazu BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 352/11 – Rn. 41 mwN, NZA 2013, 86) seiner Mitteilungspflicht aus § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG inhaltlich ausreichend nachgekommen. Die Betriebsratsvorsitzende Frau F. hat den Empfang des Anhörungsschreibens am 22.05.2017 bestätigt. Da die Kündigung dem Kläger am 27.05.2017 zuging, war jedenfalls die Dreitagesfrist des § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG abgelaufen. Der Beklagte konnte daher die Kündigung aussprechen (vgl. ErfK/Kania § 102 BetrVG Rn 25), auf die – bestrittene – mündliche Zustimmung des Betriebsrates kam es nicht an.

Da bereits die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat, kam es auch auf die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung zur ordentlichen Kündigung, insbesondere auf die mündliche Zustimmung der Betriebsratsvorsitzenden, nicht mehr an.

3. Da die Kammer die außerordentliche Kündigung als rechtswirksam angesehen hat, war der auf vorläufige Weiterbeschäftigung gerichtete Klageantrag zu 2. abzuweisen.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 57 %, der Beklagte zu 43 % zu tragen, § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Beklagte ist hinsichtlich des Antrags zu 1. unterlegen, der Kläger hinsichtlich der Anträge zu 2. und 3.

III.

Der Streitwert wurde gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ff. ZPO in Höhe von jeweils 3 Bruttomonatsentgelten des Klägers für die Feststellungsanträge zu 1. und 3. festgesetzt (§ 42 Abs. 2G KG). Der Weiterbeschäftigungsantrag (Antrag zu 2.) wurde mit einem Bruttomonatsgehalt bewertet. Der allgemeine Feststellungsantrag (Antrag zu 4.) wird nicht gesondert bewertet.

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