Skip to content

Kündigungsschutzprozess – Aussetzung wegen des Verdachts einer Straftat

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – Az.: 4 Ta 439/17 – Beschluss vom 20.12.2017

1. Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des ArbG Mönchengladbach vom 12.10.2017 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

3. Streitwert: 1.290,00 EUR

Gründe

I.

Die sofortige Beschwerde wendet sich gegen die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens durch das Arbeitsgericht.

Die Parteien streiten im Hauptverfahren über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die beklagte Arbeitgeberin vom 28.07.2017. Die Beklagte ist ein Logistik-Unternehmen und betreibt ein Speditions- und Kommissionierungslager. Dort kommissioniert sie unter anderem auch Waren der C. GmbH, zu denen sogenannte U.-Boxen gehören (Kinderspielzeuge, die nach Aufsetzen einer Figur Hörspiele abspielen). Ferner befinden sich in den Lagern der Beklagten Produkte ihres Kunden P.-Baumarkt.

Im Juli 2017 erfuhr die Beklagte, dass die Ehefrau des Klägers über das Internetportal „ebay Kleinanzeigen“ U.-Boxen verkauft hatte. Auf Strafanzeige der Beklagten hin fand am 28.07.2017 eine Haus- und Fahrzeugdurchsuchung beim Kläger und seiner Ehefrau statt. Ausweislich des „Durchsuchungs-/Sicherstellungsprotokolls“ (Bl. 35 d.A.) wurde unter anderem eine U.-Box in der Farbe Pink sowie diverse Warenbestände gefunden, die zur Produktpalette der Firma P. gehören.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 28.07.2017 wegen Diebstahls. Der Kläger lässt sich dahin ein, dass er die U.-Box auf dem Flohmarkt für seine Kinder erworben habe. Die übrigen Waren seien von der Beklagten aussortiert und den Mitarbeitern ihre Mitnahme gestattet worden.

Die Beklagte behauptet, die von der Ehefrau über ebay veräußerte U.-Box müsse sich nach ihrem Warenwirtschaftssystem noch im Lager befinden. Sie sei daher offenbar entwendet worden.

Mit Schriftsatz vom 06.09.2017 hat die Beklagte beantragt, das Verfahren bis zur Entscheidung über das eingeleitete Ermittlungsverfahren gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau gem. § 149 ZPO bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens auszusetzen.

Mit Beschluss vom 12.10.2017 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Die mit einer Aussetzung des Verfahrens verbundene Verzögerung des Rechtsstreits erscheine mit Blick auf den für das Kündigungsschutzverfahren geltenden besonderen Beschleunigungsgrundsatz (§ 61a Abs. 1 ArbGG) nicht zumutbar. Der weitere Verlauf des Ermittlungsverfahrens (jetzt: Staatsanwaltschaft Düsseldorf – 30 Js 9262/17) verspreche zudem keinen wesentlichen neuen Erkenntnisgewinn, zumal eine Durchsuchung von Haus und Fahrzeug des Klägers bereits erfolgt und den Parteien das Ergebnis bekannt sei.

Der Beschluss ist der Beklagten am 24.10.2017 zugestellt worden. Mit ihrer am 27.10.2017 eingegangenen sofortigen Beschwerde macht sie geltend, es sei denkbar, dass weitere vermisste Waren beim Kläger aufgefunden worden seien. Nach den Erkenntnissen des Ermittlungsverfahrens stünde bereits fest, dass die von der Ehefrau des Klägers über Ebay veräußerte U.-Box aus dem Warenlager der Beklagten entwendet worden sei. Die Ermittlungen würden aber hinsichtlich etwaiger weiterer Ebay-Verkäufe von U.-Boxen durch den Kläger und seine Ehefrau fortgesetzt.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13.11.2017 nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Aussetzung erscheine mit Blick auf den für das Kündigungsschutzverfahren geltenden besonderen Beschleunigungsgrundsatz (§ 61a Abs. 1 ArbGG) nicht angemessen, da mit einem Abschluss des Ermittlungsverfahrens vor Jahresfrist offenkundig nicht zu rechnen sei (§ 149 Abs. 2 ZPO).

II.

Die gem. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 252 ZPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat eine Aussetzung des Verfahrens mit dem angegriffenen Beschluss ermessensfehlerfrei abgelehnt.

1. Nach § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn sich im Laufe des Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Gemäß § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO hat das Gericht jedoch die Verhandlung auf Antrag einer Partei fortzusetzen, wenn seit der Aussetzung ein Jahr vergangen ist. Das gilt nicht, wenn gewichtige Gründe für die Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen (§ 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Zweck der Aussetzungsmöglichkeit ist es, im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit eine doppelte Arbeitsleistung, zusätzliche Belastungen der Parteien etwa durch die Vernehmung von Zeugen oder doppelte Beweisaufnahmen zu verhindern. Der Gesetzgeber hat die Aussetzung dabei nicht als Regelfall unterstellt, sondern die Abwägung, ob ein Verfahren im Hinblick auf ein Strafverfahren ausgesetzt werden soll, den Gerichten überlassen. Der Zivilrichter hat dabei die Pflicht, das Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz gemäß Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG zu beachten und die Nachteile einer Verzögerung des Zivilprozesses gegen den Vorteil eines möglichen Erkenntnisgewinns aus dem Strafverfahren gegeneinander abzuwägen.

Bei der Abwägung kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Ergebnis des Strafverfahrens nicht ohne weiteres im Zivilprozess verwertbar ist. Bei Vorliegen der prozessualen Voraussetzungen könnten Feststellungen aus dem Strafverfahren nur im Wege des Urkundsbeweises im Zivilverfahren verwertet werden. Den Parteien ist es allerdings unbenommen, auf einer unmittelbaren Vernehmung der Zeugen zu bestehen (BAG 18.01.1968 – 5 AZR 207/67, NJW 1968, 957). Unabhängig davon besteht wegen des besonderen Beschleunigungsgrundsatzes aus § 61a Abs. 1 ArbGG und wegen der begrenzten Relevanz einer strafrechtlichen Beurteilung für den Ausgang des Kündigungsrechtsstreits regelmäßig keine Rechtfertigung für die Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses bis zur rechtskräftigen Entscheidung eines strafgerichtlichen Verfahrens (vgl. BAG, 25. Oktober 2010 – 2 AZR 801/09 -, juris, Rn. 17; 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11 -, juris, Rn. 15). Denn eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen rechtfertigt weder eine Tatkündigung noch eine Verdachtskündigung; vielmehr haben die Gerichte für Arbeitssachen in einem Kündigungsschutzprozess ohne Bindung an das Strafurteil den Sachverhalt selbst aufzuklären und zu bewerten (vgl. BAG 18. November 1999 – 2 AZR 852/98 -, juris, Rn. 23; 25. Oktober 2010 – 2 AZR 801/09 -, juris Rn. 17; 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11 – , juris, Rn. 15).

Bei der Entscheidung über die Aussetzung gemäß § 149 Abs. 1 ZPO hat das Arbeitsgericht einen Ermessensspielraum, wobei sich das Ermessen an Zweck und Grenzen der Vorschrift auszurichten hat. Im Beschwerdeverfahren nach § 252 ZPO kann die Entscheidung des Arbeitsgerichts nur auf Verfahrens- oder Ermessensfehler überprüft werden (LAG Düsseldorf 20.02.2014 – 17 Ta 57/14, m. w. N.). Nicht zu kontrollieren ist, ob auch eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre.

2. In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 12.10.2017 unter Berücksichtigung der Nichtabhilfeentscheidung vom 13.11.2017 als ermessensfehlerfrei.

a. Allerdings sind die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, gegeben. Entgegen dem missverständlichen Gesetzeswortlaut ist eine Aussetzung auch zulässig, wenn der Verdacht einer Straftat sich – wie hier – nicht erst im Laufe des Rechtsstreits ergibt, sondern die behauptete Straftat von vornherein den Grund für den Rechtsstreit bildete (Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 149 Rz. 3 mwN). Strafverfahren iSv § 149 ZPO ist auch das einer Anklage vorausgehende Ermittlungsverfahren. Ein solches Verfahren ist bereits anhängig (StA Düsseldorf – 30 Js 9262/17, zuvor bereits polizeilich).

Die Ermittlung der Straftat ist auch auf die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits „von Einfluss“. Bei der Beurteilung dieser Frage hat sich das Beschwerdegericht zunächst auf den Standpunkt des Ausgangsgerichts zu stellen. Dieses und gegebenenfalls das Rechtsmittelgericht im Hauptverfahren haben zu beurteilen, ob der Hauptanspruch gegeben ist und wovon er abhängt; hierfür ist nicht das Beschwerdegericht nach § 252 ZPO zuständig (BAG 26.10.2009 – 3 AZR 24/09, NZA 2009, 1436 Rn. 9 – zu § 148 ZPO).

Der Einfluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auf den Kündigungsschutzantrag des Klägers besteht jedenfalls insoweit, als etwaige Straftaten des Klägers vor Ausspruch der Kündigung und zu Lasten der Beklagten eine Kündigung begründen könnten, und sei es als nachgeschobener Grund.

b. Gleichwohl ist die Ermessensentscheidung des Arbeitsgerichts, den Kündigungsrechtsstreit nicht auszusetzen, beschwerderechtlich nicht zu beanstanden.

aa. Der Ausgang des Strafverfahrens hat auf den Kündigungsrechtsstreit nur begrenzten Einfluss. Eine Bindung des Arbeitsgerichts an den Ausgang des Strafverfahrens besteht nicht. Eine erneute Beweisaufnahme lässt sich nicht mit Gewissheit vermeiden. Selbst bei Einstellung des Strafverfahrens oder Freispruch des Klägers bleiben im Kündigungsrechtsstreit ggfs. – nicht strafbare – Treuepflichtverletzungen zu prüfen.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Aufklärung der strafrechtlichen Vorwürfe gegen den Kläger besonderer Mittel eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bedürfte, die im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren nicht zur Verfügung stünden. Die Beklagte wird hier nicht rechtlos gestellt. Vielmehr erscheint der Sachverhalt überschaubar und einer Aufklärung durch das Arbeitsgericht ohne weiteres zugänglich. Die Beklagte hat am Tage der Hausdurchsuchung eine Tatkündigung wegen der ebay-Verkäufe der Ehefrau des Klägers und der bei ihnen aufgefundenen Waren erklärt. Sie ist, jedenfalls nachdem sie zwischenzeitlich Einblick in die Ermittlungsakten nehmen konnte, in der Lage, ihre Gründe vorzutragen und unter Beweis zu stellen. Eine Aussetzung zur Ermittlung neuer Kündigungsgründe – wegen etwaiger weiterer ebay-Verkäufe von U.-Boxen – scheidet indessen aus. Die Aussetzung dient nicht dazu, weitere Kündigungsgründe erst zu ermitteln.

bb. Auf der anderen Seite steht das Interesse beider Parteien an einer zügigen Durchführung des Kündigungsschutzverfahrens, wie es in § 61a ArbGG Ausdruck gefunden hat. Hieran hat regelmäßig auch der klagende Arbeitnehmer Interesse, zumindest dann, wenn er am Arbeitsverhältnis festhalten will. Im Rahmen dieser Abwägung ist es notwendig, mit dem Arbeitsgericht auch auf die zu erwartende Dauer der Verzögerung abzustellen. Diese Erwägung hat in § 149 Abs. 2 ZPO gesetzlichen Niederschlag gefunden. Ein Erkenntnisgewinn für die Vorbereitung von Regressansprüchen, worauf die Beklagte zusätzlich abzuheben scheint, rechtfertigt eine Aussetzung des Kündigungsrechtsstreits schließlich ebenfalls nicht.

III.

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Die durch das Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten sind Teil der Prozesskosten und gegebenenfalls bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen (BGH 12.12.2005 – II ZB 30/04, MDR 2006, 704 mwN). Der Beschwerdewert war auf 1/5 des Gegenstandswerts der Hauptsache festzusetzen.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde iSv §§ 78, 72 Abs. 2 ArbGG lagen nicht vor.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

 

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!