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Kündigungsschutzverfahren – Streitgegenstand

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 9 Sa 484/16, Urteil vom 08.07.2016

Konsultationsverfahren

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. Februar 2016 – 27 Ca 9900/15 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die „vorsorglich erneut aus betriebsbedingten Gründen“ ausgesprochene fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 27. Juni 2015 nicht aufgelöst worden ist.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.

Die Klägerin ist seit November 1996 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern gegen ein monatliches Bruttoentgelt von 2.145,00 Euro tätig, zunächst im Bereich Kundendienst und Check-in, zuletzt als Sekretärin und Mitglied des Betriebsrats.

Die Fluggastabfertigungsdienstleistungen an den Flughäfen Tegel und Schönefeld wurden lange von der G. Berlin GmbH & Co. KG (im Folgenden: GGB) erbracht. Die Gesellschaftsanteile an diesem Unternehmen wurden 2008 durch die W.-Gruppe übernommen. Seitdem kam es zu diversen gesellschaftsrechtlichen Umorganisationen, u.a. zu einer Trennung der GGB in vier Geschäftsbereiche. Der Bereich „Passage“ wurde durch die Beklagte erbracht. Komplementärin der Beklagten ist die P. S. Berlin Beteiligungs-GmbH, einzige Kommanditistin die GGB. Deren Kommanditanteile werden von einem Unternehmen der W.-Gruppe gehalten.

Die GGB als einzige Auftraggeberin der Beklagten kündigte im September 2014 sämtliche noch vorhandenen Aufträge der Beklagten aus dem Bereich Check-In zu Anfang November 2014, die übrigen Aufträge zum 31.03.2015. Die GGB als allein stimmberechtigte Gesellschafterin der Beklagten fasste am 22.09.2014 die Absicht, den Betrieb der Beklagten zum 31.03.2015 stillzulegen und die dem Betriebszweck dienende Organisation zu diesem Termin vollständig aufzulösen. Der Geschäftsführer der Beklagten wurde von der GGB angewiesen, die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen und mit dem Betriebsrat Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs aufzunehmen.

Nach Sitzungen mit dem Betriebsrat am 25.09. und 07.10.2014 wurde eine Einigungsstelle zur Verhandlung über einen Interessenausgleich und Sozialplan eingerichtet. Nach Verhandlungen am 28.11., 02.12., 04.12. und 18.12.2014 erklärten die Beisitzer der Beklagten in der Sitzung am 18.12.2014 für diese das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen. Danach verhandelten die Betriebsparteien in der Einigungsstelle über einen Sozialplan. In der 7. Sitzung der Einigungsstelle am 21.01.2015 wurde durch Spruch der Einigungsstelle ein Sozialplan aufgestellt, den der Betriebsrat zwischenzeitlich erfolgreich angefochten hat.

Die GGB beschloss am 20.01.2015, den Betrieb der Beklagten zum 31.03.2015 stillzulegen und die dem Betriebszweck dienende Organisation zu diesem Datum vollständig aufzulösen. Die Beklagte kündigte allen Arbeitnehmern mit Ausnahme derer mit Sonderkündigungsschutz mit Schreiben vom 29.01.2015 wegen der Schließung des Betriebes ordentlich, im Falle der Klägerin zum 31.07.2015. Die Kündigungen der Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz wurden nach Erteilung der erforderlichen Zustimmungen der Behörden erklärt. Die Klägerin macht in einem anderweitigen Verfahren die Unwirksamkeit dieser Kündigung geltend und verlangt hilfsweise Nachteilsausgleich. Eine rechtskräftige Entscheidung hierüber liegt bisher nicht vor. Nach erstinstanzlichem Obsiegen der Klägerin mit dem Kündigungsschutzantrag (Az. 19 Ca 1898/15) wurde die Klage in zweiter Instanz insgesamt abgewiesen (Az 8 Sa 1394/15). Die Klägerin hat die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision eingelegt (Az 2 AZR 124/16).

Nach vorliegenden Entscheidungen in Verfahren betreffend die Kündigungen vom Januar 2015 teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit Schreiben vom 10.06.2015 mit, sie habe sich rein vorsorglich entschlossen das Verfahren zu wiederholen da einige Kammern des Arbeitsgerichts eine Verletzung von Massenentlassungsvorschriften des § 17 KSchG festgestellt hätten. Vor diesem Hintergrund wolle man den Betriebsrat noch einmal gemäß § 17 Abs. 2 KSchG unterrichten. Aus ihrer Sicht bestünden keine Alternativen zur Schließung. Die GGB habe sämtliche Aufträge gekündigt, sie sehe keine Möglichkeit am Markt ausreichend Aufträge zur Fortführung der Gesellschaft zu gewinnen. Die Geschäftsführerin der GGB habe bestätigt, Grund für die Kündigung der Aufträge und Entscheidung für die Schließung des Betriebes seien die bestehenden und perspektivisch hohen Verluste sowie das Scheitern sämtlicher Versuche, diese dauerhaft zu reduzieren. Die Gründe für den Verlust lägen insbesondere in den hohen Personalkosten, aber auch in den Restriktionen beim Einsatz der Mitarbeiter aufgrund der Betriebsvereinbarung zur Dienstplanung. Sie sei verpflichtet, über die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden und schlage als Termin den 17.06.2015, 15.00 Uhr vor. Auf das Schreiben wird Bezug genommen (s. Bl. 207-209 d.A.). Der Betriebsrat erklärte am 12.06.2015, man nehme das Angebot der Beratung selbstverständlich an und werde nach der nächsten Betriebsratssitzung am 16.06.2015 inhaltlich Stellung nehmen. Den Termin am 17.06.2015 könne man nicht bestätigen, man schlage den 19.06.2015 ab 10.00 Uhr vor. Mit Schreiben vom 17.06.2015 führte der Betriebsrat aus, man müsse jetzt konkret ausloten, wie die Bedingungen aussehen müssten, zu denen rückkehrwilligen Beschäftigten die Weiterarbeit angeboten werden könne, wofür es näherer Informationen bedürfe (s. i.E. Bl. 222-223 d.A.). Nachdem die Beklagte mitteilte, ein Termin am 19.06.2015 sei für ihre Seite nicht möglich, verständigten sich die Betriebsparteien auf einen Termin am 24.06.2015.

Mit Schreiben vom 12.06.2015 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten vorsorglichen weitern Kündigung der Klägerin und weiterer 128 Arbeitnehmer wegen Betriebsstilllegung an (s. i.E. Bl. 253-259 d.A.).

An dem Beratungstermin am 24.06.2015 von etwa 12.50 Uhr bis 18.50 Uhr nahmen für den Betriebsrat dessen Vorsitzende und ein weiteres Betriebsratsmitglied, der Klägervertreter und Herr G. als Sachverständiger sowie für die Beklagte deren Geschäftsführer und die Beklagtenvertreterin teil. Auf der Grundlage einer mehrseitigen Präsentation der Beklagten wurden u. a. Möglichkeiten einer Neueröffnung des Betriebes erörtert. Hier heißt es u.a. „um auf das Niveau der Fläche zu kommen müssten die Beschäftigten ca. auf ein Drittel ihres Einkommens verzichten, ggf. wäre um Einbußen von bis zu einem Drittel der Vergütung zu verhandeln“. Auf den Ausdruck der Präsentation wird Bezug genommen (s. Bl. 229-235 RS d.A.). Der Betriebsrat forderte weitere Informationen und Unterlagen. Die Beklagtenvertreterin teilte mit, das Schreiben des Betriebsrats vom 17.06.2015 sei an die GGB weitergeleitet worden, erste Gespräche hätten stattgefunden, es sei noch keine abschließende Entscheidung getroffen worden. In dem von der Beklagten erstellten Protokoll – s. i.E. Bl. 226-228 RS d.A. – heißt es am Ende:

„CH [Betriebsratsvorsitzende] – Frage, ob man die Präsentation bis Montag haben könne, da man am Dienstag mit dem Betriebsrat zusammensitzen werde.

UR [Beklagtenvertreterin] – Wir werden die Unterlagen sehr kurzfristig zukommen lassen. Ergänzung durch BA, dass dies wahrscheinlich noch heute Abend, spätestens morgen früh möglich sei.

BA [Geschäftsführer der Beklagten] – Bis 12 Uhr morgen noch Möglichkeit Ergänzungen zu heutigem Gespräch und Schreiben vom mitzuteilen, da wir morgen Nachmittag mit GGB über das weitere Vorgehen sprechen werden.“

Um 19.34 Uhr desselben Tages übermittelte der Geschäftsführer der Beklagten dem Betriebsrat die Präsentation per E-Mail und teilte mit, das Gespräch mit der GGB fände erst am Abend statt. Ergänzungen zum heutigen Gespräch und zu den Schreiben vom 17.06.2015 sowie vom 24.06.2015 bzw. eine abschließende Stellungnahme seien noch bis 18:00 Uhr (des 25.06.2015) möglich. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die GBB am Folgetag eine endgültige Entscheidung treffen werde. Dazu erklärte die Betriebsratsvorsitzende am 25.06.2015 um 16.40 Uhr per Faxschreiben (s. Bl. 237 d. A.), nach der Beratung am 24.06.2015 seien die Betriebsparteien so verblieben, dass der Geschäftsführer nach Besprechung mit der GGB dem Betriebsrat seine Sicht der Dinge so rechtzeitig mitteilen werde, dass das gesamte Betriebsratsgremium darüber in seiner Sitzung am nächsten Dienstag beraten könne. Auf der Grundlage der Erörterungen und Beschlussfassung des Gremiums werde der Betriebsrat dann unverzüglich und abschließend Stellung nehmen. Die Mitglieder der gestrigen Verhandlungskommission hofften, auf der Basis der auf dem Flipchart niedergeschriebenen Informationswünsche in einem weiteren Termin inhaltlich weiterzukommen. Darauf antworte der Geschäftsführer mit Schreiben vom 26.06.2015 (s. Bl. 238 d. A.), man habe nicht vereinbart, bis zur nächsten Sitzung des Betriebsrats am Dienstag zu warten. Ohne eine deutliche kurzfristige Senkung der Personalkosten sei eine Wiedereröffnung nicht möglich. Dies wiederum erfordere die Zustimmung und Rückendeckung von Gewerkschaft und Belegschaft. Hierauf habe sich der Betriebsrat nicht einmal im Ansatz einlassen wollen und diese Themen weder mit der Belegschaft noch mit ver.di vorbesprochen. Entsprechend sei völlig unklar, ob es eine realistische Chance gebe, dass entsprechende Neuverhandlungen bei Gewerkschaft und Mitarbeitern auf Zustimmung stießen.

Mit Schreiben vom 26.06.2015 erstattete die Beklagte bei der Arbeitsagentur Cottbus eine Massenentlassungsanzeige, die bei dieser am 26.06.2015 einging (s. i.E. Bl. 239 -243 RS d.A.), desweiteren bei der Agentur für Arbeit in Berlin. Die Agentur für Arbeit in Berlin teilte mit Schreiben vom 5. Oktober 2015 mit, die Anzeige vom 26.06.2015 sei rechtswirksam am 26.06.2015 eingegangen und werde zuständigkeitshalber von der Agentur für Arbeit in Cottbus bearbeitet.

Mit Schreiben vom 27.06.2015 kündigte die Beklagte u.a. das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin vorsorglich erneut zum 31.12.2015.

Mit ihrer am 15.07.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage hat die Klägerin die Unwirksamkeit dieser Kündigung geltend gemacht und hilfsweise Nachteilsausgleich verlangt. Diese Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Die zugrundeliegenden unternehmerischen Entscheidungen seien rechtsmissbräuchlich. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Massenentlassungsanzeigen und das Verfahren gemäß § 17 KSchG seien nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Im Falle der Wirksamkeit der Kündigung bestehe mangels den Anforderungen entsprechenden vorherigen Interessenausgleichsverhandlungen ein Anspruch auf Nachteilsausgleich.

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die vorsorglich erneut ausgesprochene fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 27.06.2015 nicht aufgelöst werden wird, hilfsweise für den Fall des rechtskräftigen Obsiegens der Klägerin hinsichtlich der vorangegangenen Kündigung vom 31.1.2015 und des Unterliegens mit dem Hauptantrag im vorliegenden Verfahren die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin als Schadensersatz nach den §§ 113 Abs. 3 BetrVG, 9, 10 KSchG einen Betrag zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Es liege eine aufgrund der Stilllegung des Betriebes sozial gerechtfertigte Kündigung nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats vor. Sie habe das Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt und eine den Anforderungen entsprechende Massenentlassungsanzeige erstattet. Der Hilfsantrag sei aufgrund anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage durch Urteil vom 23.02.2016 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob das Arbeitsverhältnis bereits durch die Kündigung vom 29.01.2015 beendet worden sei, jedenfalls sei die Kündigung vom 27.06.2015 isoliert betrachtet wirksam. Betriebsbedingte Gründe lägen in der Stilllegung des Betriebes und dem damit verbundenen Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für sämtliche Arbeitnehmer. Anhaltspunkte für eine Fortführung des Betriebes, einen Betriebsübergang oder ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Beklagten gebe es nicht. Die Beklagte habe die erforderliche Massenentlassungsanzeige sowohl bei der Agentur für Arbeit in Cottbus als auch in Berlin eingereicht, weshalb es nicht darauf ankomme, welche der beiden Agenturen für Arbeit zuständig sei. Den Betriebsrat habe die Beklagte mit Schreiben vom 02.01.2015 sowie mit ergänzendem Schreiben vom 10.06.2015 im Sinne des § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG informiert. Gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 habe der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden und ihre Folgen abzumildern. Diese Pflicht zur Beratung gehe über eine bloße Anhörung deutlich hinaus. Die hierfür erforderliche hinreichende Unterrichtung des Betriebsrats bedeute aber keine Pflicht des Arbeitgebers zur Mitteilung wirtschaftlicher Einzelheiten bis ins Detail. Es genüge, dies in groben Zügen zu umreißen, was im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens geschehen sei. Die Beklagte habe eine den Anforderungen des § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG genügende Massenentlassungsanzeige erstattet. Ausreichend sei die Unterrichtung des Betriebsrats zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige und die die Darlegung des Standes der Beratungen. Zwar seien am 24.06.2015 noch Beratungen durchgeführt worden, auch sei streitig, ob eine abschließende Stellungnahme bis zum folgenden Tag, 18.00 Uhr abzugeben gewesen sei oder ob der Betriebsrat hierfür noch bis zur nächsten Gremiensitzung Zeit haben solle. Für letzteres gebe es jedoch keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Der Betriebsrat sei gemäß § 102 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung angehört worden. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich bestehe nicht, weil die Beklagte einen Interessenausgleich versucht und die Betriebsänderung nicht vor Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen begonnen habe. Auf die Entscheidungsgründe im Einzelnen wird Bezug genommen (s. Bl. 487-506 d.A.).

Gegen dieses ihr am 26.02.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23.03.2016 Berufung eingelegt und diese am 25.04.2016 begründet.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts liege eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes vor. Unabhängig hiervon habe die Beklagte ihre Verpflichtungen gem. § 17 KSchG nicht erfüllt. Unzutreffend gehe das Arbeitsgericht von einer hinreichenden Information des Betriebsrats aus. Die Beklagte habe weiterhin keine betriebswirtschaftlich nachvollziehbaren Daten zu einer etwaigen finanziellen Drucksituation des W.-Konzerns, d.h. die Kalkulations- und Verteilungsgrundsätze im Hinblick auf die konzerninterne Aufteilung der vereinbarten Gesamtentgelte vorgelegt. Ohne diese Grundlage sei keine Beratung über eventuelle Entgeltverzichte zur Erhaltung von Arbeitsplätzen möglich. Selbst wenn man eine ausreichende Unterrichtung annehme, seien die Beratungen jedenfalls nicht abgeschlossen gewesen. Eine Befragung der Beschäftigten und Vorklärung mit der Gewerkschaft „ins Blaue hinein“ könne nicht erwartet werden. Zuvor müsse klargestellt werden, um welche konkreten Einschnitte zu welchen Bedingungen es gehe und woraus sich die Erforderlichkeit ergebe. Auch wenn man eine ausreichende Information mit Übersendung der Präsentation annehme, sei es nicht möglich, binnen der gesetzten Frist die Bereitschaft der Betroffenen und das Einverständnis der Mitglieder der Tarifkommission zu Gehaltsverzichten abzufragen. Hinzu komme, dass die Betriebsratsmitglieder anders als zum Zeitpunkt der Sozialplanverhandlungen aufgrund eines Restmandats tätig und teilweise anderweitig zeitlich gebunden seien. Jedenfalls habe die Beklagte die Stellungnahme des Betriebsrats in Kenntnis der Tatsache, dass dieser in wenigen Tagen zu einer Sitzung zusammenkommen werde, nicht abgewartet.

Unabhängig hiervon liege keine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige vor. Die Beklagte habe durch unzutreffende Angaben zum Betriebssitz eine Bearbeitung durch eine örtlich unzuständige Agentur verursacht. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei ein Vorgehen nach § 17 Abs. 3 2. Alt. KSchG während der noch laufenden Konsultationen nicht zulässig, zudem sei der Stand der Beratungen nicht mitgeteilt. Auch sei nach Abbruch des Konsultationsverfahrens zumindest eine ergänzende Anhörung nach § 102 BetrVG zum Ergebnis des Konsultationsverfahrens erforderlich.

Gehe man von der Wirksamkeit der Kündigung aus, bestehe der geltend gemachte Anspruch auf Nachteilsausgleich. Mangels Informationen hätten trotz zahlreicher Termine die erforderlichen Verhandlungen nicht stattgefunden. Zudem seien die Verhandlungen abgebrochen worden, bevor die Bundesagentur für Arbeit ihrer Vermittlungsfunktion nachgekommen sei. Diesbezüglich liege keine doppelte Rechtshängigkeit vor, da der Antrag hilfsweise für den Fall des Fortbestehens über die erste Kündigung hinaus und Abweisung des Kündigungsschutzantrages betreffend die streitgegenständliche Kündigung gestellt werde. Dagegen beziehe sich der Antrag im anderen Verfahren auf die Kündigung vom 29.01.2015 und eine Beendigung des Arbeitsverhältnis aufgrund dieser Kündigung.

Die Klägerin beantragt mit dem Hinweis, Gegenstand des vorliegenden Verfahrens solle weiterhin nur die Kündigung mit Schreiben vom 27.06.2015 sein,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 23.02.2016 – 27 Ca 9900/15 – festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien [auch] durch die [weitere] „vorsorglich erneut aus betriebsbedingten Gründen“ ausgesprochene fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 27.06.2015 nicht aufgelöst worden ist, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin als Schadensersatz nach den §§ 113 Abs. 3 BetrVG, 9, 10 KSchG einen Betrag zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Es liege eine wirksame betriebsbedingte Kündigung wegen vollständigen Auftragsverlustes und infolgedessen erfolgter Betriebsstilllegung vor. Sie habe die Verpflichtungen gem. § 17 Abs. 2 KSchG erfüllt und das Konsultationsverfahren unverzüglich nach dem Entschluss, die Arbeitsverhältnisse vorsorglich erneut zu kündigen, eingeleitet. Sie habe den Betriebsrat umfassend unterrichtet und sich ernsthaft und intensiv mit der vom Betriebsrat vorgeschlagenen Möglichkeit einer Wiederöffnung auseinandergesetzt. Aufgrund der Anregungen des Betriebsrats mit Schreiben vom 17.06.2015 habe sich ihr Geschäftsführer in Vorbereitung des Konsultationstermins mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auseinandergesetzt und Berechnungen vorgenommen, unter welchen Voraussetzungen einer Wiedereröffnung des Betriebes grundsätzlich möglich wäre und die Ergebnisse bei der Beratung präsentiert. Im Rahmen des Gesprächs habe sich herausgestellt, dass der Betriebsrat weder ernsthaft einen möglichen Verzicht auf Gehaltsbestandteile noch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit verfolgt habe. Der Betriebsrat habe vielmehr deutlich gemacht, dass eine Diskussion u.a. über Gehaltsabsenkungen aus seiner Sicht nur nach einer gründlichen Analyse umfangreichen Zahlenmaterials möglich und gewollt sei. Der Betriebsrat habe eingeräumt, solche Möglichkeiten bisher weder mit den betroffenen Beschäftigten noch mit der Gewerkschaft, deren Einverständnis angesichts der Tarifbindung erforderlich sei, abgestimmt oder auch nur beraten zu haben. Eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats erst am 01.07.2015 sei nicht vereinbart worden. Am 24.06.2015 habe die Möglichkeit der umfassenden Äußerung bestanden. Dass der Betriebsrat zu diesem Termin nicht als vollständiges Gremium erschienen sei, sei nicht ihr zuzurechnen. Die Frist bis zum Abend des 25.06.2015 sei weder unangemessen noch unzumutbar. Im Rahmen der Sozialplanverhandlungen habe die Betriebsratsvorsitzende in weniger als drei Stunden ein beschlussfähiges Gremium zusammengerufen, was zeige, dass dies möglich sei. Letztlich sei es dem Betriebsrat ersichtlich nur um eine Verzögerung gegangen. Die Massenentlassungsanzeige sei nach mehrfacher telefonische Anfrage des Geschäftsführers zur Zuständigkeit unter Schilderung der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere der mehrheitlichen Beschäftigung von Arbeitnehmern in Tegel, bei der Agentur für Arbeit in Cottbus erstattet worden.

Der hilfsweise geltend gemachte auf Nachteilsausgleich gerichtete Antrag sei wegen anderweitiger Rechtshängigkeit bereits unzulässig.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b), c) ArbGG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG).

II. Die Berufung ist begründet.

1. Streitgegenstand der vorliegenden Entscheidung ist allein die Wirksamkeit der Kündigung vom 27.06.2015.

Zwar umfasst ein Antrag nach § 4 S. 1 KSchG regelmäßig auch das Begehren festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis bis zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt noch bestanden hat, weshalb mit einer stattgebenden Entscheidung feststeht, dass das Arbeitsverhältnis nicht vor oder bis zu diesem Termin aufgrund eines anderen Umstands geendet hat. Mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist jedoch davon auszugehen, dass eine Begrenzung des Kündigungsschutzantrages und damit des Streitgegenstandes auf die Unwirksamkeit einer später wirkenden Kündigung möglich ist (BAG, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 2 AZR 163/14 -, BAGE 150, 234-245, Rn. 22 m.w.N.). In diesem Fall bleibt eine Entscheidung über die Unwirksamkeit einer später wirkenden Kündigung ohne Auswirkung auf die Wirksamkeit der früheren Kündigung.

Hier liegt eine solche Begrenzung vor. Die Klägerin hat bereits durch ihren Sachvortrag zu dem anderweitigen Rechtsstreit betreffend die Kündigung vom 29.01.2015 – soweit auch der 31.01.2015 genannt wird, dürfte es sich um den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung handeln – zu erkennen gegeben, dass es im vorliegenden Verfahren ausschließlich um die Kündigung vom 27.06.2015 gehen soll. Die Beklagte hat im Rahmen der erstinstanzlichen Auseinandersetzung über eine von der Beklagten abgelehnte Aussetzung des Verfahrens ausdrücklich auf eine mögliche Begrenzung des Streitgenstandes im vorliegenden Verfahren hingewiesen und damit – sollte man dies für erforderlich halten – ihr diesbezügliches Einverständnis erklärt. Das Arbeitsgericht bezieht sich in den Entscheidungsgründen auf die isoliert betrachtete Kündigung vom 27.06.2015. In der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer am 08.07.2016 hat die Klägerin ausdrücklich erklärt, dass auch im Rahmen der Berufung unabhängig von der Frage der Wirksamkeit der vorhergehenden Kündigung nur eine Entscheidung über diese Kündigung ergehen soll. Entsprechend war das Verfahren nicht auszusetzen.

2. Die streitgegenständliche Kündigung mit Schreiben vom 27.06.2015 ist entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts gem. § 17 Abs. 2 KSchG i. V. m. § 134 BGB unwirksam. Die Beklagte hat die Kündigung ausgesprochen, bevor das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat abgeschlossen war.

a) Der Arbeitgeber, der beabsichtigt, nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat den Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG schriftlich zu unterrichten über die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie für die Berechnung etwaiger Abfindungen. Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG muss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat die Möglichkeiten beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen abzumildern. Die Pflicht zur Beratung iSv. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG geht dabei über eine bloße Anhörung deutlich hinaus. Der Arbeitgeber hat mit dem Betriebsrat über die Entlassungen bzw. die Möglichkeiten ihrer Vermeidung ernstlich zu verhandeln, ihm dies zumindest anzubieten (BAG 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – a.a.O. Rn. 15; vgl. auch 28. Juni 2012 – 6 AZR 780/10 – BAGE 142, 202, Rn. 57).

b) Die Konsultationspflicht wird der Sache nach regelmäßig erfüllt, wenn der Arbeitgeber bei einer Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG, soweit mit ihr ein anzeigepflichtiger Personalabbau verbunden ist oder sie allein in einem solchen besteht, einen Interessenausgleich abschließt und dann erst kündigt (BAG 13. Dezember 2012 – 6 AZR 752/11 – Rn. 46; 18. September 2003 – 2 AZR 79/02 – zu B III 1 b der Gründe, BAGE 107, 318). Soweit die ihm obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen nach § 111 Satz 1 BetrVG übereinstimmen, kann der Arbeitgeber sie gleichzeitig erfüllen. Dabei muss der Betriebsrat allerdings klar erkennen können, dass die stattfindenden Beratungen (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen (vgl. BAG 20. September 2012 – 6 AZR 155/11 – Rn. 47, BAGE 143, 150; 18. Januar 2012 – 6 AZR 407/10 – Rn. 34, BAGE 140, 261; 26. Februar 2015 – 2 AZR 955/123 – NZA 2015, 881, Rn. 17).

c) Nach § 17 Abs. 2 KSchG darf der Arbeitgeber eine Massenentlassung erst vornehmen, nachdem das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat abgeschlossen ist (BAG vom 21. März 2013 – 2 AZR 60/12 – Rn. 26 u. 28, a. a. O.). Dies entspricht den Vorgaben der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL). Nach der Entscheidung EuGH vom 27.01.2005 (C-188/03 -, AP Nr. 18 zu § 17 KSchG – Junk -) darf der Arbeitgeber Massenentlassungen erst nach Ende des Konsultationsverfahrens i. S. d. Art. 2 der Richtlinie und nach der Anzeige der beabsichtigen Massenentlassung i. S. d. Art. 3 und 4 der Richtlinie vornehmen. Art 2 der Richtlinie begründet eine Verpflichtung zu Verhandlungen, um über die Möglichkeiten, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken und ihre Folgen zu mildern, zu einer Einigung zu gelangen. Die praktische Wirksamkeit einer solche Verpflichtung wird beeinträchtigt, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsverträge während oder sogar schon zu Beginn des Verfahrens kündigen dürfte, weil es für die Arbeitnehmervertretung erheblich schwieriger wäre, die Rücknahme einer bereits getroffenen Entscheidung zu erreichen als den Verzicht auf eine beabsichtigte Entlassung. Die Kündigung des Arbeitsvertrags darf also erst nach Ende des Konsultationsverfahrens ausgesprochen werden, d. h. nachdem der Arbeitgeber die Verpflichtungen nach Art. 2 der Richtlinie erfüllt hat (s.a. EuGH 10. September 2009 – C-44/08 -, AP Nr. 3 zu Richtlinie 98/59/EG – Keskusliitto -).

d) Wann das Konsultationsverfahren als abgeschlossen betrachtet werden kann, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt (vgl. dazu BVerfG vom 25.02.2010 – 1 BvR 230/09 – AP Nr. 65 zu Art. 101 GG).

(1) Unzweifelhaft abgeschlossen ist das Konsultationsverfahren nur, wenn sich die Betriebsparteien geeinigt haben oder wechselseitig davon ausgehen, dass alle Einigungsversuche ausgeschöpft sind, und das Verfahren übereinstimmend als beendet ansehen (vgl. ErfK-Kiel, § 17 Rn. 25a; KR-Weigand, § 17 Rn. 103), oder wenn der Betriebsrat eine abschließende Stellungnahme abgegeben hat (ErfK-Kiel, § 17 Rn. 25).

(2) Eine konkreten Zeitrahmen für die Konsultation gibt weder § 17 Abs. 2 KSchG noch die MERL vor. Der in § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG genannte Zeitraum von zwei Wochen ab der vollständigen Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG bezieht sich nur auf die Massenentlassungsanzeige und betrifft nicht das Konsultationsverfahren als solches (vgl. BAG vom 26.02.2015 – 2 AZR 955/13 – NZA 2015, 881, Rn. 29). Es kann deshalb auch offen bleiben, ob und unter welchen Umständen die Regelung in § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG und die Zwei-Wochen-Frist mit der MERL im Einklang steht (vgl. BAG vom 26.02.2015 – 2 AZR 955/13 -, Rn. 30, a. a. O.). Für den Abschluss des Konsultationsverfahrens kann der Zwei-Wochen-Frist grundsätzlich nur dann Bedeutung zukommen, wenn der Betriebsrat nach vollständiger Unterrichtung gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG innerhalb der Frist nicht reagiert und ein entsprechendes Beratungsangebot des Arbeitgebers nicht wahrnimmt (vgl. BAG vom 28.06.2014 – 6 AZR 780/120 – AP Nr. 40 zu § 17 KSchG 1969 Rn. 57). In einem solchen Fall darf der Arbeitgeber davon ausgehen, dass er seiner Beratungspflicht genüge getan habe (Reinhard, RdA 2007, 207, 214).

(3) Jedenfalls kann das Konsultationsverfahren nicht abgeschlossen sein, bevor der Arbeitgeber dem Betriebsrat nach der Erteilung aller zweckdienlichen Auskünfte genügend Gelegenheit für eine abschließende Stellungnahme gegeben hat. Systematik sowie Sinn und Zweck des § 17 Abs. 2 KSchG sprechen dafür, dass die Beratungen i.S.v. Satz 2 der Vorschrift zwar vor der vollständigen Unterrichtung nach ihrem Satz 1 beginnen, jedoch erst im Anschluss an diese abgeschlossen werden können. Auch nach Art. 2 der MERL, dessen Umsetzung § 17 Abs. 2 KSchG dient, muss der Arbeitgeber die erforderlichen Auskünfte zwar nicht unbedingt zum Zeitpunkt der Eröffnung der Konsultationen erteilen, hat sie aber „im Verlauf des Verfahrens“ zu vervollständigen und alle einschlägigen Informationen bis zu dessen Abschluss zu erteilen (EuGH vom 10.09.2009 – C-44/08 – <Keskusliitto> Rn. 52, 53, a. a. O.). Damit dürfte es in der Regel unvereinbar sein, das Konsultationsverfahren bereits mit der vollständigen Unterrichtung des Betriebsrats als abgeschlossen anzusehen. Der Arbeitgeber wird vielmehr eine Reaktion des Betriebsrats auf die abschießende Unterrichtung abwarten müssen. Er wird im Rahmen der ihm zukommenden Beurteilungskompetenz den Beratungsanspruch des Betriebsrats erst dann als erfüllt ansehen dürfen, wenn entweder die Reaktion, die auf die „finale“, den Willen zu möglichen weiteren Verhandlungen erkennen lassende Unterrichtung erbeten worden war, nicht binnen zumutbarer Frist erfolgt oder sie aus Sicht des Arbeitgebers keinen Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen bietet (BAG vom 26.02.2015 – 2 AZR 955/13 – Rn. 29, a. a. O.; vgl. auch KR-Weigand, § 17 Rn. 103).

e) In Anwendung dieser Grundsätze kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte ihre Informationspflichten erfüllt hat. Jedenfalls hat die Beklagte die endgültige Entscheidung, die Massenentlassung durchzuführen und erneut zu kündigen, zu einem Zeitpunkt getroffen, als das Konsultationsverfahren noch nicht abgeschlossen war.

aa) Nach den Beratungen am 24.06.2015 über die beabsichtigte erneute Massenentlassung hat die Beklagte dem Betriebsrat Gelegenheit für Ergänzungen und eine abschließende Stellungnahme bis zum folgenden Tag um 18.00 Uhr gegeben. Sie ist hiervon auch nicht abgerückt, nachdem die Vorsitzende des Betriebsrats mit Faxschreiben vom 25.06.2015 eingewandt hatte, nach den Beratungen am Vortrag sei man so verblieben, dass der Geschäftsführer nach der Besprechung mit der GGB seine Sicht der Dinge so rechtzeitig mitteile, dass das gesamte Gremium am nächsten Dienstag darüber beraten könne. Vielmehr hat die Beklagte (oder die GGB als deren allein stimmberechtigte Gesellschafterin) die endgültige Entscheidung, die geplante Massenentlassung vorzunehmen, noch am Abend des 25.06.2015, spätestens am Morgen des folgenden Tages getroffen und am darauf folgenden Tag, dem 27.06.2015, die Kündigungen erneut ausgesprochen. So heißt es am Ende des der Agentur für Arbeit Cottbus am 26.06.2015 per Fax zwecks Erstattung der Massenentlassungsanzeige übersandten Schreibens von demselben Tag, nach Beratungen mit GGB habe sie sich entschlossen, „die Kündigungen zu wiederholen und dies dem Betriebsrat entsprechend heute morgen (…) mitgeteilt“.

bb) Die dem Betriebsrat eingeräumte Frist für die abschließende Stellungnahme von nicht einmal 24 Stunden war unangemessen kurz. Er hatte dadurch – unabhängig von dem Termin der regelmäßigen Betriebsratssitzung – keine realistische Chance, eine solche tatsächlich abzugeben. Dabei ist zu berücksichtigten, dass Adressat der Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG der Betriebsrat als Kollegialorgan ist (BAG vom 26.02.2012 – 2 AZR 955/13 – Rn. 21 m. w. N., a. a. O.) und die Betriebsratsvorsitzende nicht anstelle des Betriebsrats handeln kann, sondern nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG diesen nur im Rahmen der von dem Gremium gefassten Beschlüssen vertritt. Ein wirksamer Beschluss des Betriebsrats setzt nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG aber eine rechtzeitige Einladung zu einer Sitzung unter Mitteilung der Tagesordnung voraus (st. Rspr., z. B. BAG vom 04.11.2015 – 7 ABR 61/13 – Rn. 32, juris). Dies war innerhalb der gesetzten Frist einschließlich Beratung und Beschlussfassung auch unter Annahme zumutbarer Anstrengungen und zügigen Vorgehens im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit realistischerweise kaum möglich. Dem Betriebsrat war jedenfalls die Einhaltung einer derart kurzen Frist nach den Grundsätzen der vertrauensvollen Zusammenarbeit des § 2 Abs. 1 BetrVG nicht zumutbar (ebenso LAG Berlin-Brandenburg vom 26.02.2016 – 6 Sa 1581/15 -; 14.04.2016 – 21 Sa 1544/15 und 21 Sa 1568/15), zumal die Beklagte den Betriebsrat auch nicht im Vorfeld der Beratungen am 24.06.2015 darauf vorbereitet oder zumindest vorgewarnt hatte, dass sie innerhalb kürzester Frist nach den Beratungen eine abschließende Stellungnahme erwarte, so dass keine Veranlassung für den Betriebsrat bestand, sich für einen kurzfristigen Einsatz bereit zu halten. Den im Zusammenhang mit der Terminsuche an den Betriebsrat gerichteten Schreiben lässt sich ein solcher Hinweis jedenfalls nicht entnehmen. Nicht einmal aus dem von der Beklagten gefertigten Protokoll der Beratungen ergibt sich eine solche Erwartung. Vielmehr heißt es in dem Protokoll lediglich, dass Ergänzungen zum „heutigen“ Gespräch und den dem Gespräch vorangegangenen Schreiben des Betriebsrats noch bis 12.00 Uhr des folgenden Tages möglich seien. Vor einer abschließenden Stellungnahme ist keine Rede.

cc) Die Beklagte durfte auch nicht darauf verzichten, dem Betriebsrat Gelegenheit zu einer abschließenden Stellungnahme zu geben.

Dabei kann offen bleiben, ob die Betriebsparteien nach den Beratungen am 24.06.2015 tatsächlich so verblieben waren, wie es die Betriebsratsvorsitzende in ihrem Schreiben vom 25.06.2015 schildert, und ob der Betriebsrat vor der Abgabe einer abschließenden Stellungnahme erwarten konnte, von dem Geschäftsführer über das Ergebnis der Besprechung mit der GGB informiert zu werden. Die Möglichkeit zu einer abschließenden Stellungnahme war schon deshalb erforderlich, weil an den Beratungen nicht der gesamte Betriebsrat, sondern nur dessen Vorsitzende zusammen mit einem juristischen und einem sachverständigen Berater teilgenommen hatte.

Zudem sind der Verhandlungskommission während der Beratungen weitere Auskünfte erteilt worden, die innerhalb des Gremiums für die Entscheidung darüber von Bedeutung sein konnten, ob und wieweit der Betriebsrat – ggf. nach Abstimmung mit der Tarifkommission – zu der von der Beklagten geforderten drastischen Gehaltskürzung bereit sei, um eine Wiedereröffnung des Betriebs zu ermöglichen. So hatte die Beklagte für die Beratungen als Diskussionsgrundlage eine Präsentation erstellt, die u. a. eine Analyse der tariflichen Besitzstände der noch verbliebenen Beschäftigten und nähere Angaben zu der aus Sicht der Beklagten erforderlichen Senkung der Vergütung enthielt. Die Analyse als solche war zwar nach dem Vortrag der Beklagten in der Berufungsverhandlung nicht neu, enthielt aber die aktuellen Zahlen und durfte für die Beklagte auch deshalb nicht als für die erneute Meinungsbildung des Betriebsrats unerheblich angesehen werden, weil der Betriebsrat im Lichte der zu diesem Zeitpunkt vom Arbeitsgericht teilweise für sozial gerechtfertigt erachteten Kündigungen Veranlassung hatte, über das Ausmaß der von der Beklagten für eine Wiedereröffnung des Betriebs geforderten Gehaltskürzung erneut nachzudenken und ggf. eine entsprechende Bereitschaft der betroffenen Arbeitnehmer abzufragen. Weiter wurde der Verhandlungskommission des Betriebsrats die von diesem mit Schreiben vom 17.06.2015 erbetene Liste mit den Beschäftigten übergeben, deren Arbeitsverhältnisse zwischen Februar 2015 und dem 30.06.2015 geendet hatten. Dafür, dass die Präsentation weitere, für den Betriebsrat erhebliche Informationen enthielt, spricht auch die Bitte der Betriebsratsvorsitzenden, ihr die Präsentation bis Montag zur Verfügung zu stellen, weil der Betriebsrat als Gremium am Dienstag zusammensitzen werde.

Die Beklagte durfte nach dem Gang der Erörterungen am 24.06.2015 redlicherweise auch nicht davon ausgehen, es gebe keinen Ansatz für weitere Verhandlungen mit dem Betriebsrat mit dem Ziel, den Betrieb wieder zu eröffnen. Dem von der Beklagten erstellten Protokoll ist nicht zu entnehmen, dass der Betriebsrat sich der aus Sicht der Beklagten unabdingbaren Gehaltsreduzierung kategorisch verweigert oder erkennbar nur „auf Zeit gespielt“ hätte, um den Kündigungszeitpunkt um einen weiteren Monat hinauszuschieben. Zudem gab die Beklagte mit der Einräumung einer Stellungnahmefrist zu erkennen, dass sie eine Reaktion des Betriebsrats für erforderlich hielt.

3. Da die Kündigung aus diesem Grund unwirksam ist, kann dahingestellt bleiben, ob Kündigungsgründe im Sinne des § 1 KSchG für die Kündigung vom 27.06.2015 vorliegen, der Betriebsrat zu dieser Kündigung gem. § 102 BetrVG vor deren Ausspruch ordnungsgemäß angehört wurde und eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige im Sinne des § 17 Abs. 3 KSchG erstattet wurde.

4. Da dem Hauptantrag stattgegeben wurde, fiel der Hilfsantrag nicht zur Entscheidung an.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zugelassen.

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