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Kündigungsverzicht durch vorausgegangene Abmahnungen

Streitfall Kündigung: Ein harter Kampf um Arbeitsverhältnisse

In diesem Fall geht es um ein intensives Auseinanderreißen von Arbeitsbeziehungen, die durch einen komplizierten Streit um die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses geprägt sind. Der Hauptkonflikt dreht sich um die Frage, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen oder alternativ einer ordentlichen Kündigung beendet wurde. Die Streitigkeiten wurden vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz ausgetragen.

Das betroffene Unternehmen, ein Teil einer GmbH, gliedert sich in zwei organisatorisch getrennte Bereiche. Einer beschäftigt sich mit traditioneller Elektrotechnik und Elektromaschinenbau, der andere mit der Entwicklung und dem Bau von Personal Computern. Hierbei wird das Arbeitsumfeld des Klägers, Herrn G., und der Geschäftsführung des Unternehmens skizziert.

Herr G., geboren 1980, verheiratet und Vater von drei Kindern, hat keinen qualifizierten Berufsabschluss und war von Mai 2007 bis Dezember 2018 für das Unternehmen tätig. Ob diese Tätigkeit als Scheinselbstständigkeit zu bewerten ist, wird kontrovers diskutiert. Seit Januar 2019 besteht ein Arbeitsvertrag mit einem festen Bruttomonatsentgelt.

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Auseinandersetzungen im Vorfeld

Im Vorfeld der Kündigung gab es mehrere Auseinandersetzungen. Einerseits betrafen diese eine zugesagte Lohnerhöhung, die Herr G. nur gegen den Verzicht auf Elternzeit erhielt. Andererseits bekam Herr G. vier Abmahnungen, weil er negativ über seine Kollegen und Vorgesetzten gesprochen und sich geweigert hatte, andere Mitarbeiter einzulernen. Das Unternehmen argumentierte, Herr G. habe seine Position missbraucht und versucht, das Unternehmen unter Druck zu setzen, indem er drohte, Erziehungsurlaub zu nehmen, falls er nicht mehr Lohn erhalte.

Die Abmahnungen als Auslöser

Die Abmahnungen bilden den zentralen Auslöser für den vorliegenden Rechtsstreit. Sie beinhalteten verschiedene Vorwürfe gegen Herrn G., darunter die Aussage, dass niemand im Betrieb ihn ersetzen könne und dass sowohl die anderen Mitarbeiter als auch der Chef nur Fehler machten. Besonders strittig war eine Situation, in der er sich weigerte, neue Mitarbeiter einzulernen und grundlegende Arbeitsabläufe zu erklären.

Folgen und Auswirkungen der Auseinandersetzung

Der Konflikt führte schließlich zu einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gegen die Herr G. vor Gericht zog. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen zurück und ließ eine Revision nicht zu. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser Fall auf ähnliche Situationen in der Zukunft auswirken wird.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 7 Sa 383/20 – Urteil vom 28.07.2021

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – vom 3. November 2020, Az.: 6 Ca 244/20, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen aufgrund einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen, welches unter dem Dach einer GmbH zwei organisatorisch getrennte Betriebsteile umfasst. Das ist zum einen das traditionelle Unternehmen der Elektrotechnik und des Elektromaschinenbaus mit dem heutigen Schwerpunkt Automatisierung und Schaltschrankbau. Der zweite Betriebsteil beschäftigt sich mit der Entwicklung und dem Bau von Personal Computern. In diesem Betriebsteil waren lediglich der Kläger, Herr G. sowie der Geschäftsführer der Beklagten tätig. Insgesamt beschäftigt die Beklagte mehr als zehn Arbeitnehmer.

Der 1980 geborene, verheiratete und gegenüber drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger verfügt über keinen qualifizierten Berufsabschluss. Er war seit Mai 2007 bis zum 31. Dezember 2018 für die Beklagte tätig. Ob diese Tätigkeit rechtlich als Scheinselbstständigkeit zu qualifizieren ist, ist zwischen den Parteien streitig. Ab dem 1. Januar 2019 setzten die Parteien ihre Zusammenarbeit auf Basis eines Arbeitsvertrags (Bl. 38 ff. d. A.) und eines Bruttomonatsentgelts in Höhe von 3.300,00 € brutto fort.

Mit Schreiben vom 5. Februar 2020, Bl. 6 d. A., bestätigte die Beklagte dem Kläger eine Lohnerhöhung um 250,00 € brutto ab Februar 2020. Durch handschriftlichen Zusatz verpflichtete sich der Kläger „auf Elternzeit zu verzichten, die nächste Lohnerhöhung ist frühestens April 2022 fällig“.

Am 21. Februar 2020 gingen dem Kläger insgesamt vier Abmahnungen vom 18. und 19. Februar 2020 zu. Mit einer Abmahnung vom 18. Februar 2020, wegen deren Inhalts ergänzend auf Bl. 92 d. A. Bezug genommen wird, mahnte die Beklagte den Kläger ab, „Äußerungen wie, dass keiner im Betrieb sie ersetzen könne und von den anderen Mitarbeitern und auch vom Chef nur Fehler gemacht werden, zu unterlassen.“ In dieser Abmahnung heißt es weiter:

„Auf der Suche nach weiteren Mitarbeiter/-innen verweigerten Sie bereits letzte Woche am Mittwoch, den 12.02.2020 die Bereitschaft, irgendeinen neuen Mitarbeiter einzulernen. Wohlgemerkt in ganz normale handwerkliche Tätigkeiten, wie kleben, löten und montieren. Sie erhielten bereits letzte Woche eine mündliche Abmahnung.

Zeuge war Herr G..

Gestern, am 17.02.2020, wurden Sie aufgefordert, unserer Praktikantin Fr. E., einfache Handgriffe zu zeigen. Sie sagten mir auch, dass Sie das nicht machen werden, ich solle es selbst machen.

Für diese Aussage erhalten Sie heute eine schriftliche Abmahnung.“

In der weiteren Abmahnung vom 18. Februar 2020 (Bl. 93 d. A.) heißt es auszugsweise:

„Sie haben mehrmals bzw. in den letzten Wochen immer wieder versucht, Ihren Arbeitgeber unter Druck zu setzen, in dem Sie ihm mit fernbleiben durch Erziehungsurlaub usw. gedroht haben, wenn Sie nicht mehr Lohn erhalten. Sie sind ungelernt, bzw. Sie haben keine Ausbildung und bekamen einen Arbeitslohn von 3.300,00 Euro brutto. Ihren Aussagen und immer wiederkehrenden Forderungen nach, müssten Sie 5.000,00 € brutto bzw. darüber hinaus noch mehr erhalten. Sie erpressten Hr. E. mit der Forderung nach mehr Lohn, oder Sie würden ein Jahr Erziehungsurlaub nehmen. Da in Ihrer Abteilung zwei Mitarbeiter arbeiten, ist es für uns existenzgefährdend, wenn hier ein Mitarbeiter über einen langen Zeitraum nicht anwesend ist. Nur aus diesem Grund war Hr. E. bereit, Ihnen weitere 250€ brutto (dies sind 7,5% Lohnerhöhung) auszuzahlen. Bereits 2-3 Tage später verlangten Sie eine weitere Lohnerhöhung, sonst würden Sie nur noch Arbeit nach Vorschrift machen, nicht aber alles geben.

Weiter haben Sie sich bei und im Beisein von Mitarbeitern beschwert, sie müssten die Hälfte vom Umsatz erhalten, da Sie nach Ihrer Meinung, die E.-PC Firma mit aufgebaut haben.

Die Leistungen Ihrer Arbeitskollegen sind für Sie nichts wert.

Sie stiften in unserer Firma Unruhe und darunter leidet auch das Arbeitsklima.

Wegen des oben dargestellten Vorfalles mahnen wie Sie ab und fordern Sie auf, Ihr Verhalten zu ändern.

Wir weisen Sie darauf hin, dass das Verhalten bei Wiederholung arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung drohen kann.“

Mit der weiteren Abmahnung vom 18. Februar 2020, wegen deren Inhalts im Übrigen auf Bl. 91 d. A. Bezug genommen wird, mahnte die Beklagte den Kläger ab, weil er „sich trotz mehrmaliger Aufforderungen nicht an die Regel des bestehenden Rauchverbotes innerhalb der Firmenräumlichkeiten gehalten“ habe.

Gegenstand der Abmahnung vom 19. Februar 2020, wegen deren Inhalts ergänzend auf Bl. 90 d. A. Bezug genommen wird, war, dass der Kläger heute seine Krankmeldung in die Firma gebracht und dabei heftige Beleidigungen über seinen Chef und Vorgesetzten E. gegenüber einem Mitarbeiter ausgesprochen und nicht mehr aufgehört habe, bis ihn ein anderer Mitarbeiter aus der Firma verwiesen habe. In dieser Abmahnung heißt es weiter:

„Beispiel Zitat von Ihnen:

‚Chef hat einen Schuss, weil er mir den Transponder weggenommen hat.‘

Sie haben noch mehr heftige und derbe Aussagen über Ihren Chef ausgesagt.

Wir untersagen Ihnen, künftig Mitarbeiter von der Arbeit abzuhalten und Ihre extremen Beleidigungen zu unterlassen.

Durch Ihre Beleidigungen, Abwertungen und Ihren Erpressungen gegenüber Herrn E., haben wir kein Vertrauen mehr zu Ihnen. Deshalb gewähren wir Ihnen auch nur noch Eintritt über die Klingelanlage. Ihr Transponder geht nur noch für die Stechuhr/Arbeitszeiterfassung.

Wir untersagen Ihnen hiermit auch den Zugang zum Internet und unserer Firmensoftware, welche wir auch für Sie bereits gesperrt haben, indem wir Passwörter geändert haben.

Wir weisen Sie hiermit darauf hin, sollten Sie noch einmal Mitarbeiter von der Arbeit abhalten und derartige derbe Aussagen über Ihre Vorgesetzten verbreiten, dürfen Sie jetzt schon mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung rechnen.“

Der Kläger widersprach den Abmahnungen mit E-Mail von 24. Februar 2020, 09:48:27 Uhr, wegen deren Inhalts auf Bl. 94 ff. d. A. Bezug genommen wird.

Mit Schreiben vom 27. Februar 2020 (Bl. 7 d. A.), dem Kläger zugegangen am 28. Februar 2020 kündigte die Beklagte dem Kläger außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Mai 2020.

Mit E-Mail Kläger vom 2. März 2020, wegen deren Inhalts auf Bl. 36 d. A. Bezug genommen wird, wendete sich der Kläger unter dem Betreff „A._Einigungsversuch“ an den Beklagten.

Der Kläger war vom 28. Januar 2020 bis 7. Februar 2020 sowie vom 18. Februar bis 28. Februar 2020 arbeitsunfähig erkrankt.

Gegen die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 27. Februar 2020 wendet sich der Kläger mit seiner am 16. März 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 20. März 2020 zugestellten Kündigungsschutzklage.

Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein – Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz, Az. 5 Ca 15/21 verfolgt der Kläger Ansprüche auf Entfernung der Abmahnungen vom 18. und 19. Februar 2020 aus seiner Personalakte.

Die Deutsche Rentenversicherung hat mit Bescheid vom 18. Juni 2021 eine abhängige Beschäftigung des Klägers vor dem 1. Januar 2019 festgestellt. Die Beklagte hat hiergegen Widerspruch eingelegt.

Der Kläger war der Ansicht, es bestehe weder ein wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung noch ein Grund für eine ordentliche Kündigung. Die Nichteinhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB werde vorsorglich gerügt. Seine Beschäftigungszeit bis zum 31. Dezember 2018 sei als Scheinselbstständigkeit zu qualifizieren und mithin als Arbeitsverhältnis anzurechnen.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 27. Februar 2020 noch durch deren hilfsweise erklärte ordentliche fristgemäße Kündigung vom selben Tag aufgelöst worden ist, sowie das Arbeitsverhältnis aufzulösen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Kläger sei bis Ende 2018 selbstständig gewesen und habe sich gegen eine Anstellung bei ihr ausdrücklich verwahrt. Seit Februar 2020 habe er versucht, ihren Geschäftsführer mit Arbeitsverweigerung und der Drohung mit Scheinselbstständigkeit zu einer nochmaligen Lohnerhöhung zu veranlassen. Ihr Geschäftsführer habe das nur als versuchte Nötigung oder Erpressung werten können. Damit sei das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien derart zerstört gewesen, dass nur eine fristlose Kündigung möglich gewesen sei.

Der Kläger habe bereits vor 2008 eine eigene Firma zur Kabelkonfektion gehabt. Er habe sich selbst als selbstständig gesehen und auch so bezeichnet und seine eigene Ehefrau als Angestellte beschäftigt. Er habe sich in dieser Selbstständigkeit von einem Steuerberater betreuen lassen. Er habe sich nicht in ihre Arbeitsorganisation einordnen wollen und einordnen lassen. Der Kläger habe stets auf die freie Verfügbarkeit seiner Tätigkeit gepocht, für weitere Auftraggeber gearbeitet oder dies jedenfalls gegenüber den Eheleuten E. und deren Mitarbeitern glaubhaft versichert. An die betriebsüblichen Arbeitszeiten habe sich der Kläger nie gehalten, habe selbstständig seinen Urlaub festgelegt und sich regelmäßig herausgenommen an Wochenenden nach eigener Planung ihre Werkstatt für seine berufliche Tätigkeit zu nutzen. Dort habe er dann regelmäßig und unter den Augen der auf dem Gelände wohnenden Familie E. Tätigkeiten für sie sowie eigene oder für Drittunternehmen bestimmte Arbeiten ausgeführt. Der Kläger habe für seine Tätigkeit Rechnungen geschrieben und dafür auch eine Bezahlung erhalten, die deutlich über dem gelegen habe, was ein Angestellter für die gleiche Tätigkeit als Lohn erhalten hätte. Bei rascher Bezahlung habe der Kläger Skonto gegeben.

Sie sei es gewesen, die dem Kläger mehrfach eine Festanstellung angeboten habe. Letztmals im Dezember 2018 habe sie auf eine Zusammenarbeit im Anstellungsverhältnis und in Vollzeit gedrängt. Zuvor hätten Werklohnansprüche des Klägers bei ihr gepfändet werden sollen. Dem Drängen habe der Kläger dann mit dem Arbeitsvertrag vom 1. Januar 2019 nachgegeben.

Mit der Geburt seines dritten Kindes im Dezember 2019 habe der Kläger ihren Geschäftsführer immer wieder damit genötigt, für ein Jahr in den Erziehungsurlaub gehen zu wollen, wenn er nicht mehr Lohn bekäme. Der Kläger habe dabei durchblicken lassen, dass der Erziehungsurlaub für ihn nicht so wichtig wäre, wenn sein Verdienst von bis dahin 3.300,00 € brutto höher werde. Ihr Geschäftsführer habe sich – vor diese Alternative gestellt – dahin genötigt fühlen müssen, weil einerseits der Kläger im Zeitraum Januar/Februar 2020 mehrfach arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und vor allen Dingen in der PC-Abteilung wesentliche Fähigkeiten bei Entwicklung und Herstellung der Produkte in der ohnehin kleinen Abteilung nur beim Geschäftsführer der Beklagten und eben dem Kläger gelegen hätten. Man habe sich dann auf eine Lohnerhöhung von 250,00 € brutto ab Februar 2020 geeinigt gegen das Versprechen des Klägers, auf seine Elternzeit zu verzichten. Die nächste Lohnerhöhung habe überdies frühestens im April 2022 fällig werden sollen.

Mit dem ab Februar 2020 ausgehandelten Bruttolohn in Höhe von 3.550,00 € sei der Kläger, der seine Kenntnisse und Fähigkeiten für die bei ihr zuletzt ausgeübte Tätigkeit im Wesentlich bei ihr erworben habe, weit überdurchschnittlich bezahlt. Andere angelernte, aber langjährige Mitarbeiter erhielten gegenüber dem Kläger circa 800,00 € weniger. Gleichzeitig mit der erzwungenen Lohnerhöhung habe der Kläger sich selbst ein Zeugnis ausgestellt und von ihrem Geschäftsführer unterschreiben lassen.

Bereits zwei Tage nach der Vereinbarung habe der Kläger im Betrieb herumerzählt, dass er hier viel zu wenig verdiene. Er habe sich gegenüber anderen Mitarbeitern beklagt, darüber hinaus aber auch behauptet, seine Arbeit könne sonst niemand machen. Vielmehr würden von den anderen Mitarbeitern und auch vom Chef nur Fehler gemacht. Von ihrem Geschäftsführer habe er eine weitere Lohnerhöhung von nochmals 250,00 € verlangt.

Am Montag, 17. Februar 2020 sei die Situation eskaliert, als der Kläger sich zunächst geweigert habe, eine Mitarbeiterin anzulernen und ihr Fertigkeiten im Löten zu vermitteln. Vorangegangen sei am 12. Februar 2020 ein Auftrag an die Agentur für Arbeit in K., Herrn H., nach einer/einem ungelernten Mitarbeiter/in zu suchen, die/der in der PC-Abteilung habe eingesetzt werden sollen, um den Kläger wenigstens teilweise zu ersetzen angesichts dessen mehrfacher Krankenscheine. Diese Suche habe ihr Geschäftsführer dem Kläger erläutert und begründet. Der Kläger habe daraufhin ihrem Geschäftsführer erklärt, dass er niemandem etwas zeigen werde und niemanden einlernen werde, weil dies alles sein Können sei, was er sich selbst beigebracht habe. Der Geschäftsführer habe dem Kläger daraufhin eine mündliche Abmahnung erteilen müssen. Am 17. Februar 2020 habe ihr Geschäftsführer die Arbeitsagentur davon unterrichtet, dass es der Anzeige nicht mehr bedürfe. Seine Tochter habe die schriftliche Abiturprüfung abgelegt gehabt und einen Teilzeitjob gesucht. Der Kläger sei an diesem Tag angewiesen worden, Frau E. beizubringen, wie gelötet werde. Der Kläger habe sich geweigert, die ihm bekannte Tochter des Geschäftsführers einzulernen. Im weiteren Verlauf des Vormittags habe der Kläger die vorstehend angesprochene weitere Lohnerhöhung zur Sprache gebracht. Er habe ausdrücklich gesagt, dass er sein „Wissen“, also die erworbenen Kenntnisse in Löten oder Kleben nur dann weitergebe, wenn er als Produktionsleiter angestellt werde, dann aber mit einem Bruttolohn von 5.000,00 €. Ihr Geschäftsführer, der verständlicherweise verärgert gewesen sei, habe sich auf weitere Diskussionen nicht einlassen wollen. Der Kläger habe das ignoriert. Ihr Geschäftsführer habe den Kläger des Büros verweisen müssen mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass er mit einer Kündigung rechnen müsse, wenn er weiterhin die Arbeit verweigere, sich über die angeblich zu geringe Gehaltserhöhung vom 5. Februar 2020 beschwere oder sich darüber und sein Missfallen gegenüber anderen Betriebsangehörigen nochmals äußere. Daraufhin habe der Kläger mit einem unverschämten Grinsen gegenüber dem Geschäftsführer gesagt. „Du kannst mir gar nicht kündigen, ich sage nur eines: 12 Jahr Rente.“

Auch in den Folgetagen habe der Kläger das Thema nicht fallen lassen und mehrfach, auch im E-Mailverkehr, deutlich gemacht, dass er bei Kündigung oder Verweigerung der Lohnerhöhung seine frühere freiberufliche Tätigkeit für sie als Scheinselbstständigkeit deklarieren und untersuchen lassen würde. Aufgrund dieser Drohungen und der nach vorangegangener mündlicher Abmahnung vom 12. Februar 2020 erneuten Arbeitsverweigerung am 17. Februar 2020 habe die Beklagte die Kündigung vom 27. Februar 2020 ausgesprochen.

Auch nach der Kündigung habe der Kläger sie mit der Drohung genötigt, sich als Scheinselbstständiger zu deklarieren und damit eine Untersuchung der Rentenversicherung in die Wege zu leiten mit dem Ziel, nachträglich Sozialleistungen, insbesondere Rentenansprüche durch Zahlung der Beklagten zu erwerben. Diese Maßnahme habe der Kläger dann „vergessen“ wollen, wenn er entweder eine angeblich versprochene Position als Produktionsleiter mit einer seiner Vorstellung nach angemessenen Bezahlung von 5.000,00 € erhalten würde oder eine angemessene Abfindung.

Angesichts der Tatsache, dass sich der Kläger immer geweigert gehabt habe, vor 2019 in ein Anstellungsverhältnis zu treten, obwohl ihm das von ihr und ihrem Steuerberater mehrfach angeboten und nahegelegt worden sei, habe sie das Verhalten des Klägers, insbesondere dessen Drohung mit einer Anzeige bei der Rentenversicherung, als Nötigung oder Erpressung auffassen müssen. Erst angesichts der Drohungen des Klägers mit einer Anzeige wegen vorgeblicher Scheinselbstständigkeit habe sie Kenntnis darüber erlangt, dass der Kläger offensichtlich keine Altersvorsorge aufgebaut gehabt habe. Das entschuldige sein Verhalten allerdings in keiner Weise.

Das Vertrauensverhältnis sei dadurch derart gestört, dass ihr auch das Einhalten der ordentlichen Kündigungsfrist (vertragsgemäß drei Monate) nicht zuzumuten gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 3. November 2020 festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 27. Februar 2020 und durch deren hilfsweise erklärte ordentliche fristgemäße Kündigung vom selben Tag aufgelöst worden ist. Den Auflösungsantrag des Klägers hat das Arbeitsgericht zurückgewiesen. Es hat – zusammengefasst – zur Begründung ausgeführt, die Kündigungsgründe, die zum Ausspruch der fristlosen wie auch hilfsweise fristgerechten Kündigung geführt hätten, seien infolge der drei Abmahnungen vom 18. Februar 2020 und der Abmahnung vom 19. Februar 2020 verbraucht. In diesen Abmahnungen habe der Beklagte sowohl die Beleidigungen gegenüber dem Geschäftsführer und gegenüber einem Mitarbeiter, den Verstoß gegen das bestehende Rauchverbot, die Weigerung einen neuen Mitarbeiter einzulernen und das Unter-Druck-Setzen des Arbeitgebers mit Androhung von Erziehungsurlaub beanstandet mit dem Hinweis, dass das Verhalten bei Wiederholung zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung führen könne. Die Abmahnungen seien dem Kläger am Freitag, 21. Februar 2020 zugegangen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen bis zum Zeitpunkt des Zugangs der ausgesprochenen fristlosen wie auch hilfsweisen ordentlichen Kündigung. Infolgedessen habe das Gericht keinen weiteren, gleichartigen Pflichtenverstoß, der bereits Gegenstand einer Abmahnung gewesen sei, zu Lasten des Klägers feststellen können. Der Auflösungsantrag des Klägers sei rechtsunwirksam. Es sei für das Gericht in keiner Weise erkennbar, inwiefern dem Kläger die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten sei (§ 9 Abs. 1 S. 1 KSchG). Der Kläger habe offensichtlich den Auflösungsantrag nicht wegen der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung gestellt, sondern ausschließlich um für die komplette Beschäftigungsdauer einschließlich der Beschäftigungszeiten als Dienstnehmer eine Abfindung zu erhalten. Dies sei kein anerkennenswerter Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 113 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 24. November 2020 zugestellt worden. Die Beklagte hat hiergegen mit einem am 21. Dezember 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese mit am 8. Februar 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag (innerhalb der durch Beschluss vom 19. Januar 2021 bis einschließlich 24. Februar 2021 verlängerten Berufungsbegründungsfrist) begründet.

Zur Begründung der Berufung macht die Beklagte nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie der Schriftsätze vom 28. Mai 2021 und 22. Juli 2021, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 155 ff., 191 ff., 215 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,

das Arbeitsgericht habe den Kündigungsgrund verkannt. Sie stütze ihre außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung auf mehrere Gründe. Zum einen stütze sie die Kündigung darauf, dass der Kläger trotz vereinbarter Lohnerhöhung am 5. Februar 2020 mit der dahingehenden Vereinbarung, dass eine weitere Lohnerhöhung frühestens im April 2022 erfolge, ihren Geschäftsführer mit einer Arbeitsverweigerung zur Lohnerhöhung habe nötigen wollen. Zum anderen habe der Kündigungsentschluss vor allem auf der Drohung des Klägers beruht, seine zuvor ausgeübte selbstständige Tätigkeit als Scheinselbstständigkeit deklarieren und überprüfen zu lassen, wenn die Beklagte einer Lohnerhöhung nicht zustimme, obwohl diese bis zum April 2022 einvernehmlich ausgeschlossen worden sei. Mit letzterem Kündigungsgrund habe sich das Arbeitsgericht nicht auseinandergesetzt. Als besonders verwerflich sei dabei der Umstand anzusehen, dass der Kläger die behauptete Scheinselbstständigkeit selbst herbeigeführt und mehrfach ausdrücklich den Status als Selbstständiger verlangt und sich damit gegenüber anderen Mitarbeitern auch gebrüstet gehabt habe. Dabei habe der Kläger in zweierlei Hinsicht infam und höchst treuwidrig gehandelt. Zum einen habe er vor dem Beginn der abhängigen Beschäftigung ab 1. Januar 2019 sämtliche ihrer Angebote, mit ihr ein Arbeitsverhältnis einzugehen, abgelehnt, um anschließend unter bewusst falscher Darstellung der Verhältnisse die Rechte eines Arbeitnehmers in Anspruch nehmen zu wollen. Zum anderen habe er sich bereits wenige Tage danach gegen die Vereinbarung vom 5. Februar 2020 gestellt, eine Lohnerhöhung frühestens im April 2022 zu fordern und zu erhalten. Die Anzeige der Scheinselbstständigkeit hätte nicht lediglich eine Überprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung zur Folge, sondern gegebenenfalls auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren. Aufgrund des schwerwiegenden Grundes sei eine Abmahnung nicht in Betracht gekommen. Die Drohung und Nötigung mit der Scheinselbstständigkeit sei von den Abmahnungen nicht umfasst gewesen. Ausweislich des Wortlauts der Abmahnung vom 19. Februar 2021 sei die Drohung mit der Scheinselbstständigkeit nicht angeführt. Das hätte jedoch explizit angesprochen werden müssen, wenn die Abmahnung auch darauf hätte gestützt werden sollen. Das Wort „usw.“ deute die Scheinselbstständigkeit weder an, noch könne aufgrund der Unbestimmtheit angenommen werden, dass diese darunter zu fassen sein solle.

In der Abmahnung vom 19. Februar 2021 habe sie beispielhaft ein Zitat des Klägers vom 19. Februar 2021 wiedergegeben und im darauffolgenden Satz klargestellt, dass weitere verachtende Aussagen getätigt worden seien. Darauf beziehe sich dann der weitere Abschnitt: „Durch Ihre Beleidigungen, Abwertungen und Erpressungen gegenüber Herrn E.“. Der verwendete Plural stelle lediglich klar, dass nicht nur die zitierte Aussage vom Kläger getroffen worden sei, sondern an diesem Tag mehrere Äußerungen, die Missachtung und Nichtachtung zum Ausdruck gebracht hätten, erfolgt seien. Sie habe damit sämtliche an diesem Tag getätigten beleidigenden Äußerungen zusammenfassen wollen.

Auch der Kläger selbst gehe nicht davon aus, dass die Abmahnungen die Drohung mit der Anzeige der Scheinselbstständigkeit umfassten. Dies ergebe sich aus seinem ausführlich begründeten Widerspruch gegen die Abmahnungen vom 24. Februar 2020. Darin greife der Kläger sämtliches in den Abmahnungen moniertes Fehlverhalten auf und äußere sich hierzu. Eine Stellungnahme zu der Drohung mit der Anzeige der Scheinselbstständigkeit erfolge gerade nicht.

Ihre E-Mail vom 26. Februar 2021 belege nichts Gegenteiliges. Darin werde zwar die Drohung erwähnt, jedoch nicht festgestellt, dass diese in den Abmahnungen enthalten sei. Sämtliche Abmahnungen beschrieben ein bestimmtes Fehlverhalten und führten dieses abschließend auf. Folgerichtig habe der Kläger in seiner Klage auf Entfernung der Abmahnungen nicht eine unzureichende Konkretisierung der Abmahnungen beanstandet, sondern lediglich die Sachverhalte bestritten.

In der Drohung mit der Anzeige der Scheinselbstständigkeit liege ein schwerwiegender Kündigungsgrund. Sie habe davon ausgehen dürfen, dass der Kläger im Rahmen der Überprüfung seines Status bewusst unzutreffende Angaben machen würde. Das Verhalten des Klägers habe die Vertrauensbeziehung zwischen den Parteien so schwerwiegend beeinträchtigt, dass es dem Arbeitgeber auch nicht zuzumuten gewesen sei, den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist abzuwarten.

Es lasse sich ohne weiteres belegen, dass der Kläger im Statusfeststellungsverfahren mutwillig falsche Angaben mache. So verschweige er, dass ihm mehrfach eine Anstellung angeboten worden sei und er diese vor Zeugen stets abgelehnt habe. Ebenso habe er seine weiteren Kunden und seine Unabhängigkeit vom Betriebsablauf der Beklagten geleugnet. Es liege im Fall des Klägers nicht ein Irrtum über die rechtliche Einordnung einer Tätigkeit vor, sondern der Versuch, sich nach der Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses die Vorteile einer staatlichen Altersversorgung unter falschem Vorbringen zu erschleichen.

Dass der Kläger den Geschäftsführer der Beklagten zu einem für ihn günstigen und von ihm gewollten Verhalten habe „erpressen“ wollen, ergebe sich auch aus dem Schreiben des Klägers vom 2. März 2021.

Die Beklagte beantragt, auf ihre Berufung das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein – Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz – vom 3. November 2020, Az. 6 Ca 244/20, wie folgt abzuändern:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 11. Mai 2021 sowie des Schriftsatzes vom 29. Juni 2021, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 170 ff., 208 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend.

Am Dienstag, 28. Januar 2020 sei er beim Arzt gewesen und sei arbeitsunfähig geschrieben worden bis einschließlich Freitag, 7. Februar 2020. Es hätten in dieser Woche mehrere Untersuchungen stattgefunden. Den Krankenschein habe er noch am 28. Januar 2020 persönlich dem Geschäftsführer der Beklagten abgegeben. Im Rahmen der Übergabe habe er darauf hingewiesen, dass er gerne Elternzeit nehmen würde. Hintergrund sei gewesen, dass im Rahmen seiner ärztlichen Untersuchungen ärztlicherseits mehrfach auf eine Erschöpfung hingewiesen worden sei. Er habe es also als Gelegenheit erachtet, nunmehr für seinen dritten Sohn etwas mehr zur Verfügung zu stehen und sich in diesem Zuge auch Erholung zu suchen. Der Geschäftsführer der Beklagten habe getobt, als er auf die Elternzeit angesprochen worden sei. Er habe gedroht, dass er sich (würde Elternzeit genommen) jemanden suchen würde und er würde ihm dann eine Wiederkehr unmöglich machen dahingehend, dass er irgendwann aufgebe und selber kündigen würde. Er habe also keine Wahl gehabt, da ihn die Beklagte vor die Wahl gestellt habe. In diesem Kontext habe er auch angesprochen, dass er seit über 13 Jahren kaum Urlaub gehabt habe, was den Geschäftsführer aber nicht interessiert habe. Er, der Kläger, habe geäußert, dass er unter diesen Umständen keine Möglichkeit habe die Elternzeit zu nehmen. Er möchte dann aber wenigstens über eine Lohnerhöhung sprechen, da diese bereits zwei Jahre zurückliege und er ohnehin unterbezahlt sei. Man habe sich hier einstweilen auf eine Lohnerhöhung von 250,00 € pro Monat geeinigt, wobei ihm überhaupt keine andere Wahl geblieben sei, als die Lohnerhöhung einfach anzunehmen. Die Vertragsunterzeichnung sei dann am 5. Februar 2020 noch während seiner Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Der Geschäftsführer der Beklagten habe dann auch verlangt, dass er noch weitere Stunden an diesem Tag ableiste. Die Tätigkeit habe, da er noch nicht arbeitsfähig gewesen sei, nach ca. 2,5 Stunden abgebrochen werden müssen. Auch nach dem 7. Februar 2020 habe er sich noch nicht vollständig genesen gefühlt. In der Zeit vom 10. bis 16. Februar hätten jedoch zahlreiche Aufträge zur Auslieferung angestanden. Daher habe er seine Arbeit am 10. Februar 2020 wiederaufgenommen. In der Zeit zwischen dem 10. und dem 17. Februar 2020 sei es dann zu diversen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien gekommen, die allesamt in den Abmahnungen vom 18. und 19. Februar 2020 aufgegriffen und beschrieben seien. Am 18. Februar 2020 habe er sich gegen 11:00 Uhr krankgemeldet. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe er sodann im Original am 19. Februar 2020 gegen 9:00 Uhr übergeben. Ihm sei hier eine Arbeitsunfähigkeit bis vorläufig 21. Februar 2020 bescheinigt worden. Diese sei später bis einschließlich 28. Februar 2021 verlängert worden. Dies sei dem Geschäftsführer der Beklagten telefonisch vorab mitgeteilt worden. Am Vormittag des 24. Februar 2020 habe er nach Erhalt der Abmahnungen am 21. Februar 2020 die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung persönlich zur Beklagten gebracht. Mit der Übergabe der AU-Bescheinigung habe er einen schriftlichen Widerspruch zu den Abmahnungen eingereicht. Noch vor Ort habe der Geschäftsführer ihm die Firmenschlüssel entzogen und ihm mitgeteilt, er werde diese wiederbekommen, wenn seine Arbeitsunfähigkeit ende. Ohne einen weiteren Kontakt zwischen den Parteien habe die Beklagte sodann am 27. Februar 2020 die streitgegenständliche Kündigung ausgesprochen, die ihm am 28. Februar 2020 zugegangen sei.

Aus der Abmahnung vom 19. Februar 2020 ergebe sich zunächst, dass damit ein Verhalten am 19. Februar 2020 habe abgemahnt werden sollen. Aus der Abmahnung ergebe sich sodann weiter, dass die Beklagte damit sowohl auf aktuelles als auch vergangenes Verhalten habe Bezug nehmen wollen, denn es werde jeweils im Plural von Beleidigungen, Abwertungen und Erpressungen gesprochen. Damit sei unstreitig auch der Sachverhaltskomplex Drohung mit Scheinselbstständigkeit erfasst gewesen. Das ergebe sich zu guter Letzt auch aus dem Prozessvortrag der Beklagten selbst im Schriftsatz vom 30. Oktober 2020. Die Beklagte stelle selbst dar, dass in die Abmahnungen der Sachverhalt bis zum 21. Februar 2020 eingeflossen sei. Dies werde im Übrigen auch durch die E-Mail vom 26. Februar 2020 deutlich. Die gegebenenfalls unpräzise Formulierung in der Abmahnung gehe zu Lasten der Beklagten. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass ihm, wie in den Abmahnungen selbst dargestellt, Gelegenheit zur Besserung gegeben werde. Auch der „zweite Kündigungsgrund“ sei damit verbraucht.

Dass die „Drohung mit der Selbstständigkeit“ gegebenenfalls nicht explizit in die Abmahnungen aufgenommen worden sei, möge auch einen guten Grund haben. Denn der Geschäftsführer der Beklagten habe es tunlichst vermieden, diesen Aspekt in irgendeiner Form zu verschriftlichen. Es sei nicht ersichtlich, welche weiteren Drohszenarien hätten umfasst sein sollten. Der Vortrag der Beklagten passe auch insgesamt nicht zu dem zeitlichen Ablauf. Denn nach der Übergabe des Widerspruchs zu den Abmahnungen sowie der Rückgabe der Schlüssel habe es keinen Kontakt zwischen den Parteien gegeben. Im Zuge der Übergabe der Schlüssel sei ihm noch in Aussicht gestellt worden, er erhalte die Schlüssel nach Ende der Arbeitsunfähigkeit zurück. Damit sei auch die Beklagte zum Zeitpunkt 21. Februar bzw. 24. Februar 2020 davon ausgegangen, dass die vergangenen Sachverhalte zunächst abgeschlossen seien. Ihm sei eine weitere Zusammenarbeit in Aussicht gestellt worden.

Er bestreite eine Drohung mit der Scheinselbstständigkeit. Zwar sei die Scheinselbstständigkeit bzw. seine Beschäftigung im Zeitraum 2007 bis 2018 durchaus Thema zwischen den Parteien bzw. ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten gewesen. Allerdings habe eine Bedrohung, Nötigung oder gar Erpressung zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Seine E-Mail vom 2. März 2020 sei völlig neutral formuliert. Es sei auch nichts Verwerfliches, zur Vermeidung einer Klage/gerichtlichen Auseinandersetzung eine Abfindung vom Arbeitgeber zu fordern. Zudem scheitere die Nötigung an der Tatsache, dass es ihm freistehe, durch eine entsprechende Clearingstelle Klarheit über das Beschäftigungsverhältnis herbeizuführen. Insofern habe er tatsächlich Einfluss und gebe diesen Einfluss nicht nur vor.

Allein aus der Tatsache, dass er zwischenzeitlich davon ausgegangen sei, dass es sich um eine abhängige Beschäftigung handele, lasse sich nicht die Vermutung ableiten, dass er Falschangaben gegenüber der Deutschen Rentenversicherung machen werde. Dies sei nämlich der Tatsache geschuldet, dass er sich entsprechend arbeitsrechtlich informiert habe und festgestellt habe, dass seine angeblich freie Beschäftigung vielmehr eine abhängige Beschäftigung im Sinne eines Arbeitsverhältnisses darstelle.

Für den Fall, dass das Gericht davon ausgehe, dass der Komplex „Scheinselbstständigkeit“ nicht in die Abmahnungen eingeflossen sein sollte, wäre die Kündigung jedenfalls aufgrund des Maßregelungsverbots nach § 612a BGB unwirksam.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 28. Juli 2021 (Bl. 221 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

B.

In der Sache hatte die Berufung der Beklagten  keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. Februar 2020 aufgelöst worden ist.

I.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. Februar 2020 nicht beendet worden. Die Beklagte hat durch Ausspruch der insgesamt vier Abmahnungen vom 18. und 19. Februar 2020 konkludent auf ihr Kündigungsrecht wegen Drohungen oder Erpressungsversuchen seitens des Klägers verzichtet. In der Zeit zwischen dem Ausspruch der Abmahnungen und demjenigen der außerordentlichen Kündigung sind weitere maßgebliche Gründe für die Kündigungsentscheidung nicht hinzugetreten oder bekannt geworden. Zudem liegt kein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) dahingehend vor, dass der Kläger höheren Lohn unter In-Aussicht-Stellen der Deklarierung und Prüfung der Scheinselbstständigkeit gefordert hätte.

1.

Die außerordentliche Kündigung vom 27. Februar 2020 ist unwirksam, weil die Beklagte mit dem Ausspruch der insgesamt vier Abmahnungen vom 18. und 19. Februar 2020 einen konkludenten Kündigungsverzicht erklärt hat und weitere maßgebliche Gründe für eine Kündigungsentscheidung nicht hinzugetreten oder später bekannt geworden sind.

Der Arbeitgeber kann auf das Recht zum Ausspruch einer – außerordentlichen oder ordentlichen – Kündigung jedenfalls nach dessen Entstehen durch eine entsprechende Willenserklärung einseitig verzichten. Ein solcher Verzicht ist ausdrücklich oder konkludent möglich (BAG 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 28, juris). Mit Ausspruch einer Abmahnung verzichtet der Arbeitgeber regelmäßig konkludent auf ein Kündigungsrecht wegen der Gründe, die Gegenstand der Abmahnung waren. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, er sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, dass er es nicht mehr fortsetzen könnte (BAG 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 28 mwN., juris). Auf das dafür maßgebliche Motiv kommt es nicht an (BAG 12. Mai 2011 – 2 AZR 479/09 – Rn 53 mwN., juris). Für den Arbeitnehmer als Empfänger einer Abmahnung erklärt der Arbeitgeber, dass er wegen der mit der Abmahnung gerügten Vorwürfe von der Möglichkeit weitergehender arbeitsrechtlicher Maßnahmen keinen Gebrauch macht. Mit der Ankündigung im Abmahnungsschreiben, in dem gerügten Verstoß liege eine nicht hinnehmbare Vertragspflichtverletzung und die arbeitsvertraglichen Pflichten seien genau einzuhalten, da anderenfalls mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechnet werden müsse, erklärt der Arbeitgeber konkludent, wegen der aktuell gerügten Pflichtverstöße keine Kündigung aussprechen zu wollen. Darin liegt ein bewusster Rechtsverzicht. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn gemäß §§ 133, 157 BGB der Abmahnung selbst oder den Umständen zu entnehmen ist, dass der Arbeitgeber die Angelegenheit mit der Abmahnung nicht als „erledigt“ ansieht (BAG 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 28 mwN., juris).

Vom Kündigungsverzicht nicht erfasst sind solche eine Kündigung rechtfertigenden Gründe, die erst nach Erklärung der Abmahnung hinzugetreten sind oder die dem Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Abmahnung bekannt geworden sind, obwohl sie zum Zeitpunkt der Abmahnungserklärung bereits objektiv vorlagen. Solche weiteren Gründe sind nicht vom Kündigungsverzicht erfasst und können vom Arbeitgeber zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden, die insgesamt sowohl die neuen oder neu bekannt gewordenen Tatsachen als auch die bereits abgemahnten Gründe unterstützend erfasst, sofern sich aus der Gesamtschau aller neuen und alten Umstände anders als im Abmahnungszeitpunkt ein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender Kündigungsgrund ergibt (BAG 12. Mai 2011 – 2 AZR 479/09 – Rn. 56 mwN., juris).

Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte vorliegend mit den dem Kläger am 21. Februar 2020 zugegangenen insgesamt vier Abmahnungen vom 18. und 19. Februar 2020, insbesondere mit der Abmahnung vom 18. Februar 2020 wegen Drohung „mit fernbleiben durch Erziehungsurlaub usw.“ (Bl. 93 d. A.) und der Abmahnung vom 19. Februar 2020, unter anderem wegen eines Vertrauensverlustes durch „Ihre Beleidigungen, Abwertungen und Ihren Erpressungen gegenüber Herrn E.“ auf ein auf denselben Vorwurf gestütztes Kündigungsrecht verzichtet.

Die Auslegung der beiden letztgenannten Abmahnungen gemäß §§ 133, 157 BGB ergibt nach Ansicht der Kammer, dass von diesen auch eine – vom Kläger bestrittene – Drohung mit der Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung des Status des Klägers in der Zeit von Mai 2007 bis zum 31. Dezember 2018 umfasst wäre.

Mit der Abmahnung vom 18. Dezember 2020 (Bl. 93 d. A.) beanstandet die Beklagte ausweislich des Eingangssatzes, dass der Kläger „mehrmals bzw. in den letzten Wochen immer wieder versucht“ habe, seinen „Arbeitgeber unter Druck zu setzen, in dem“ er „ihm mit fernbleiben durch Erziehungsurlaub usw. gedroht“ habe, wenn er nicht mehr Lohn erhalte. Durch das Wort „usw.“ wird deutlich, dass von der Abmahnung alle Drohungen des Klägers umfasst sein sollten, die der Durchsetzung seiner Forderung nach einem höheren Arbeitsentgelt dienten. Da die Beklagte den Kläger ausweislich des dritten Absatzes dieser Abmahnung „wegen des oben dargestellten Vorfalles“ abmahnte, ist von der Abmahnung das gesamte im ersten Absatz genannte Verhalten des Klägers umfasst, also auch sämtliche Drohungen seitens des Klägers mit dem Ziel ein höheres Entgelt zu erhalten. Dem entspricht, dass die Beklagte erstinstanzlich in ihrem Schriftsatz vom 5. Mai 2020 vorgetragen hat, der Kläger habe „seit Februar 2020 (…) versucht, den Geschäftsführer der Beklagten mit Arbeitsverweigerung und der Drohung mit einer Scheinselbständigkeit zu einer nochmaligen Lohnerhöhung zu veranlassen. Der Geschäftsführer der Beklagten“ habe „das nur als versuchte Nötigung oder Erpressung werten“ können. „Damit“ sei „das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien derart zerstört“ worden, „dass nur eine fristlose Kündigung möglich“ gewesen sei.

In der Abmahnung vom 19. Februar 2020 bezieht sich die Beklagte ausdrücklich auf „Ihre Beleidigungen, Abwertungen und Ihren Erpressungen“, ohne letztere auf ein bestimmtes Mittel oder einen bestimmten Zweck einzuschränken. Sie würde daher auch eine – vom Kläger bestrittene – Erpressung mit dem Mittel „Überprüfung des Vorliegens einer Scheinselbstständigkeit“ umfassen. Der Vortrag der Beklagten, der verwendete Plural stelle lediglich klar, dass nicht nur die zitierte Aussage vom Kläger getroffen worden sei, sondern an diesem Tag mehrere Äußerungen, die Missachtung nicht Nichtachtung zum Ausdruck gebracht hätten, erfolgt seien, und dass sie damit sämtliche an diesem Tag getätigten beleidigenden Äußerungen habe zusammenfassen wollen, erklärt nicht, wieso auch mehrere Erpressungen erwähnt werden.

Beide Abmahnungen enthalten keinen Hinweis darauf, dass die in den Abmahnungen geschilderten Sachverhalte von der Beklagten mit der Erteilung dieser Abmahnungen nicht „als erledigt“ angesehen wurden. Als konkrete Konsequenz der Beleidigungen, Abwertungen und Erpressungen hat die Beklagte ausweislich der Abmahnung vom 19. Februar 2020 die Gewährung des Eintritts nur noch über die Klingelanlage sowie die Untersagung des Zugangs zum Internet und zur Firmensoftware genannt. Die im Schlussabsatz der Abmahnung vom 19. Februar 2020 angedrohten „arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung“ beziehen sich zwar dem Wortlaut dieses Absatzes nach nur auf das nochmalige Abhalten von Mitarbeitern von der Arbeit und das Verbreiten „derartiger derber Aussagen über Ihre Vorgesetzten“, dem Schreiben lässt sich jedoch nach Auffassung der Kammer insgesamt entnehmen, dass durch die bereits ergriffenen Maßnahmen und durch die Erteilung der Abmahnung, insbesondere auch in der Zusammenschau mit den drei Abmahnungen vom Vortag, die vorangegangenen Verfehlungen des Klägers abschließend sanktioniert wurden und sich erst an ein neuerliches Fehlverhalten des Klägers weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung anschließen sollten. Bestätigt wird dies dadurch, dass der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger den Transponder in der 9. Kw mit der Aussage entzog, er erhalte diese nach seiner Wiedergenesung zurück.

Nichts anderes ergibt sich aus der E-Mail des Klägers vom 24. Februar 2020. Zwar hat der Kläger in dieser Stellungnahme zu den Abmahnungen nicht zu einer Drohung bzw. Erpressung mit der Einleitung eines Verfahrens zur Statusüberprüfung Stellung genommen. Dies erklärt sich jedoch daraus, dass der Kläger nur zu den explizit genannten Vorfällen Ausführungen gemacht hat und außerdem jegliche Drohung mit der Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung des Vorliegens einer Scheinselbstständigkeit bestreitet.

Eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes ist der Beklagten zwischen dem Zugang der Abmahnungen am 21. Februar 2020 und der außerordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 27. Februar 2020 nicht bekannt geworden. Ein etwaiger – vom Kläger bestrittener – Erpressungsversuch mit der Einleitung einer Überprüfung der Zeiten seiner Beschäftigung in den Jahren vor 2019 am 17. Februar 2020 war der Beklagten bereits am 19. Februar 2020 bekannt, da dieser – streitige – Erpressungsversuch gegenüber ihrem Geschäftsführer erfolgt sein soll. Erpressungsversuche in der hierauf folgenden Zeit bis zum Ausspruch der Kündigung hat die Beklagte nicht vorgetragen. Sie hat sich darauf beschränkt allgemein vorzutragen, der Kläger habe sich die Abmahnungen nicht zu Herzen genommen, sondern innerhalb kürzester Zeit das abgemahnte Verhalten wiederholt. Die E-Mail des Klägers vom 24. Februar 2020, 09:48:27 erwähnt lediglich die zwölfjährige Mitarbeit des Klägers, ohne auf die Frage einer Scheinselbstständigkeit einzugehen und an deren etwaiges Vorliegen Forderungen zu knüpfen.

Die E-Mail des Klägers vom 2. März 2020 lag bei Kündigungszugang noch nicht vor. Auf sie kann daher die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung nicht gestützt werden.

2.

Darüber hinaus liegt im Streitfall kein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung der Beklagten darin, dass der Kläger versucht hätte, die Beklagte mit der Drohung der Einleitung einer Überprüfung seines Status zu einer Gehaltserhöhung zu zwingen.

a)

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 29. Juni 2017 – 2 AZR 47/16 – Rn. 17; 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 16, jeweils mwN., juris).

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 17; 19. April 2012 – 2 AZR 258/11 – Rn. 14 mwN). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 17 mwN., juris). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 17 mwN., juris). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist unter anderem die ordentliche Kündigung (BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 17 mwN., juris).

Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann.

Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin – je nach den Umständen des Einzelfalls – ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen. Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 20 mwN., juris). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt (BAG 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 76 mwN.; 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 20 mwN., beide juris). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB bilden (BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 20 mwN., juris).

Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (vgl. BAG 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 81). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, das heißt das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, das heißt die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 22, juris).

b)

Hier hat die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen, dass der Kläger seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dadurch verletzt hat, dass er – wie von der Beklagten als Kündigungsgrund angeführt – gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten damit gedroht hätte, seine zuvor ausgeübte selbstständige Tätigkeit als Scheinselbstständigkeit zu deklarieren und überprüfen zu lassen, wenn die Beklagte einer Lohnerhöhung nicht zustimme, sowie dass hierbei damit zu rechnen gewesen wäre, dass der Kläger anschließend bei der Deutschen Rentenversicherung Bund die Verhältnisse bewusst falsch darstellen würde.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren angegeben, sie stütze ihre außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung auf mehrere Gründe. Zum einen stütze sie die Kündigung darauf, dass der Kläger trotz der vereinbarten Lohnerhöhung am 5. Februar 2020 mit der dahingehenden Vereinbarung, dass eine weitere Lohnerhöhung frühestens im April 2022 erfolge, den Geschäftsführer der Beklagten mit einer Arbeitsverweigerung zur Lohnerhöhung habe nötigen wollen. Diesen Sachverhalt hat die Beklagte mit Abmahnung vom 18. Februar 2020 abgemahnt. Es fehlt – wie dargelegt – an einem weiteren Fehlverhalten des Klägers nach Ausspruch der Abmahnung.

Zum anderen habe der Kündigungsentschluss nach der Darstellung der Beklagten vor allem auf der Drohung des Klägers beruht, seine zuvor ausgeübte selbstständige Tätigkeit als Scheinselbstständigkeit zu deklarieren und überprüfen zu lassen, wenn die Beklagte einer Lohnerhöhung nicht zustimme, obgleich diese bis zum April 2022 einvernehmlich ausgeschlossen worden sei. Insoweit sei mit einer Falschdarstellung des Klägers gegenüber der Deutschen Rentenversicherung zu rechnen. Auch wenn die von der Beklagten geschilderte Aussage des Klägers zur Scheinselbstständigkeit nicht von den vorangegangenen Abmahnungen umfasst gewesen wäre, liegt nach Auffassung der Kammer im Streitfall insoweit kein wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB vor

Nach dem – streitigen – Vortrag der Beklagten hat der Kläger ihrem Geschäftsführer am 17. Februar 2020 konkludent mit der Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung der Frage der Scheinselbstständigkeit gedroht, in dem er mit einem „unverschämten Grinsen“ gesagt habe: „Du kannst mir gar nicht kündigen, ich sage nur eines: 12 Jahr Rente“.

In der Einleitung etwa eines Verfahrens zur Überprüfung des Status kann aus Sicht des Arbeitsgebers die Ankündigung eines zukünftigen Übels, also eines Nachteils, liegen, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Die Drohung musste nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, sondern konnte versteckt durch den Hinweis auf „12 Jahr Rente“ erfolgen. Dafür, dass darüber hinaus bereits vor Kündigungsausspruch damit zu rechnen gewesen wäre, dass der Kläger im Verfahren zur Prüfung einer Scheinselbstständigkeit falsche Angaben machen würde und hiermit gedroht habe, hat die Beklagte keine konkreten nachprüfbaren Tatsachen oder Anhaltspunkte vorgetragen.

Die Beklagte hat außerdem nicht substantiiert vorgetragen, dass der Kläger bereits vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 27. Februar 2020 die Drohung mit diesem Übel mit der Forderung nach der Übertragung der Position als Betriebsleiter mit entsprechendem Gehalt verknüpft hat. Nach dem – streitigen – Vortrag der Beklagten erfolgte die Äußerung des Klägers (erst) darauf, dass der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger des Büros verwiesen und darauf hingewiesen hatte, dass der Kläger mit einer Kündigung zu rechnen habe. Auch nach dem vom Beklagten zitierten, vom Kläger bestrittenen Wortlaut der Äußerung des Klägers bezog sich diese auf die Abwehr der Kündigung seitens der Beklagten („Du kannst mir gar nicht kündigen“). Dem entspricht die Sachverhaltsdarstellung durch den Geschäftsführer der Beklagten in seiner E-Mail vom 26. Februar 2020, in der es auszugsweise heißt: „Ich erwiderte, dass die letzte Lohnerhöhung gerade mal 5 Tage her ist und dass jetzt mal Gut ist, und kündigte Ihnen an, dass sie damit rechnen müssen, von mir gekündigt zu werden, wenn Sie sich weiterhin so verhalten. Sie jedoch sagten darauf hin zu mir: Du kannst mich nicht kündigen, ich sage nur: 12 Jahre Rente“.

Soweit die Beklagte weiter ausgeführt hat, der Kläger habe auch in den Folgetagen das Thema nicht fallen gelassen und mehrfach, auch im E-Mail-Verkehr, deutlich gemacht, dass er bei Kündigung oder Verweigerung der Lohnerhöhung seine frühere freiberufliche Tätigkeit für die Beklagte als Scheinselbstständigkeit deklarieren und untersuchen lassen würde, ist ihr Vortrag weder substantiiert noch hat sie insoweit Beweis angeboten. Insbesondere bleibt offen, wann genau und mit welchem genauen Inhalt der Kläger in der Zeit zwischen dem 18. Februar 2020 und dem Kündigungsausspruch eine derartige Drohung ausgesprochen haben soll.

Die von der Beklagten vorgelegte E-Mail des Klägers vom 2. März 2002 wurde von diesem erst nach Zugang der Kündigungserklärung am 28. Februar 2020 verfasst. Inhaltlich enthält diese E-Mail ein Zitat aus dem Internet zu den Folgen einer Feststellung einer Scheinselbstständigkeit sowie Vergleichsangebote des Klägers.

Die Ankündigung einer Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung des Status des Klägers als solche ist nicht widerrechtlich. Dem Kläger steht es frei, seinen Status nachträglich klären zu lassen. Dem stünde auch nicht entgegen, wenn er zuvor als Selbstständiger hätte beschäftigt werden wollen.

II.

Das Arbeitsverhältnis ist auch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. Februar 2020 nicht zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet worden.

Eine Kündigung ist im Sinn von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch insoweit kann eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers eine Kündigung rechtfertigen (BAG 15. Dezember 2016 – 2 AZR 42/16 – Rn. 11; 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 24, jeweils mwN., juris). Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen vonseiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 15. Dezember 2016 – 2 AZR 42/16 – Rn. 11; 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 24, jeweils mwN., juris). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist (BAG 15. Dezember 2016 – 2 AZR 42/16 – Rn. 11 mwN., juris; 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 24, jeweils mwN., juris).

Auch insoweit hat der Kläger nach dem – streitigen – Vortrag der Beklagten dieser ein Übel, nämlich die Einleitung einer Überprüfung seines Status in den Jahren bis 2018, jedenfalls unterschwellig, angedroht. Der Kläger hat aber auch insoweit nach dem Beklagtenvortrag keinen Zusammenhang mit der Zahlung von mehr Lohn hergestellt. Außerdem hat die Beklagte durch die von ihr ausgesprochenen Abmahnungen vom 18. und 19. Februar 2020 auch auf den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung wegen der abgemahnten Vorfälle verzichtet.

III.

Der vom Kläger in erster Instanz verfolgte Auflösungsantrag war im Berufungsverfahren nicht streitgegenständlich.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

 

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