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Lange Auslandsabwesenheit – Zugang Kündigungserklärung

Landesarbeitsgericht Bremen – Az.: 2 Sa 26/17 – Urteil vom 03.08.2017

Die Berufung des Klägers gegen das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 13. Dezember 2016 – 6 Ca 6172/16 – wird als unbegründet zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. In diesem Zusammenhang streiten sie vorab darüber, ob die Klage gegen die Kündigung verspätet und ggf. nachträglich zuzulassen ist.

Der am … geborene Kläger ist seit dem 01. Februar 2010 bei der Beklagten als Chefarzt für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der Klinik für G. auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 29. Dezember 2009 beschäftigt und erzielte zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von 27.500,00 EUR.

Der Kläger ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und er arbeitet seit Jahren ausschließlich im speziellen Fachgebiet der Geburtshilfe. Die von der Beklagten betriebene Klinik für G. wurde im Februar 2012 auf unbestimmte Zeit geschlossen. Dies erfolgte vor dem Hintergrund des sogenannten Keim-Skandals bei dem in der N. Klinik der Beklagten mehrere zu früh geborene Kinder nach Keiminfektionen starben.

Die Beklagte hat dem Kläger gegenüber bereits vor der nunmehr streitgegenständlichen Kündigung mehrere Kündigungen ausgesprochen. Den hiergegen vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklagen ist jeweils rechtskräftig stattgegeben worden (Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven vom 04.12.2013 – 7 Ca 7330/13 -; LAG Bremen vom 28.01.2015 – 3 Sa 23/14 -; LAG Bremen vom 03.08.2016 – 3 Sa 18/16 -).

In der Vergangenheit hat die Beklagte dem Kläger alle rechtsverbindlichen Erklärungen, die das Arbeitsverhältnis betreffen, insbesondere Kündigungen und Erklärungen über einen Betriebsübergang entweder persönlich übergeben oder per Einschreiben an die Wohnanschrift des Klägers übersendet und seit Einschaltung des nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Klägers diesen in jedem Einzelfall parallel durch Übersendung einer Kopie informiert. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2013 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zudem zu veranlassen, dass künftig alle für den Kläger bestimmten Schreiben der Beklagten an ihn zugestellt werden sollen. Zudem überreichte er eine vom Kläger unterzeichnete umfassende Vollmacht wegen sämtlicher Angelegenheiten aus dem Arbeitsverhältnis (vgl. Bl. 30 f. der Akte). Dieser Bitte kam die Beklagte bereits im Zusammenhang mit zwei Kündigungsschreiben vom 23. Dezember 2013 nicht nach. Diese Kündigungsschreiben wurden an die Wohnadresse des Klägers zugestellt. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten informierte jedoch den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom gleichen Tag unter Übersendung von Kopien der Kündigungsschreiben über den Ausspruch der beiden Kündigungen (Bl. 183 der Akte).

Der Kläger arbeitet inzwischen seit vielen Monaten als Arzt in einer Klinik in S. in Katar und hat sein Wohnhaus in A. vermietet (vgl. Angabe des Klägers in einer Mail an seinen Mieter vom 12.02.2012, Bl. 86 der Akte). An dem Wohnhaus ist weiterhin ein Hausbriefkasten mit dem Namen des Klägers angebracht.

Mit Schreiben vom 31. Mai 2016 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2017. Der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Beklagten hatte keine Kenntnis von dem Ausspruch der Kündigung, er erfuhr hiervon erst nach Zustellung der vorliegenden Klage bei der Beklagten. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger durch Einwurf in seinen Hausbriefkasten an seiner Wohnanschrift A. 18 in A. durch den Botendienst „S. “ am 07. Juni 2016 um 14:50 Uhr zu (vgl. hinsichtlich der Einzelheiten der Übergabe an den Botendienst sowie dessen Zustellbenachrichtigung Bl. 40 f. sowie 44f. der Akte). Eine Information des Prozessbevollmächtigten des Klägers über den Ausspruch der Kündigung erfolgte durch die Beklagte nicht. Tatsächlich erlangte der Kläger erst am 01. Juli 2016 Kenntnis von dem Kündigungsschreiben. Der Kläger kehrte anlässlich einer Gerichtsverhandlung vor dem Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven für einige Tage nach Deutschland zurück und suchte auch den Mieter seines Hauses in A. auf, der ihm seine Post – unter anderem auch den Brief der Beklagten, der das Kündigungsschreiben vom 31. Mai 2016 enthielt – aushändigte. Der Briefumschlag, der das Kündigungsschreiben enthielt, war nicht frankiert und enthielt äußerlich keinen Hinweis über Art und Zeit der Zustellung. Der Briefumschlag hatte auf der Vorderseite den Aufdruck „G. Bremen“ und glich Briefumschlägen, mit welchen die Beklagte dem Kläger regelmäßig Informationen allgemeiner Art z.B. über aktuelle Informationsveranstaltungen zukommen ließ (zum Aussehen des Briefumschlages vgl. Bl. 28 der Akte). Zuvor sprach die Beklagte dem Kläger zuletzt mit Schreiben vom 23. Dezember 2013 Kündigungen aus.

Mit Schriftsatz vom 05. Juli 2016, am selben Tag beim Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven eingegangen, hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben und vorsorglich beantragt, die Klage nachträglich zuzulassen.

Der Kläger hat vorgetragen, dass er trotz Anwendung der ihm obliegenden Sorgfalt gehindert gewesen sei, die Kündigungsschutzklage rechtzeitig zu erheben. Er habe den Mieter seines Wohnhauses in A. , Herrn A. , angewiesen, die an ihn adressierte Post für ihn zu sammeln und etwa einmal im Monat nach Katar nachzuschicken. Über Einschreiben und förmliche Zustellungen habe Herr A. ihn unverzüglich über WhatsApp informiert und die Schriftstücke sofort nach Katar nachgeschickt. Der Brief der Beklagten, der das Kündigungsschreiben enthielt, sei nicht frankiert gewesen und habe keinen Hinweis über Art und Zeit der Zustellung enthalten, weswegen aus Sicht des Mieters keine Veranlassung bestanden habe, diesen Brief vorab an den Kläger zu schicken. Jedenfalls vor dem Hintergrund, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Prozessbevollmächtigten der Beklagten bereits im Jahr 2013 bat, sämtliche Schreiben das Arbeitsverhältnis betreffend an ihn zu richten, habe der Kläger ausreichende Sorgfaltsvorkehrungen getroffen. Schließlich sei der Beklagten auch die Tätigkeit des Klägers im Ausland sowie die Anschrift der Klinik in S. / Katar bekannt gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 31.05.2016 nicht aufgelöst wird,

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 29.12.2009 als Chefarzt für Geburtshilfe und Pränatalmedizin vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Beendigung weiter zu beschäftigen,

vorsorglich hat er beantragt,

die Klage gemäß § 5 KSchG nachträglich zuzulassen, da der Kläger verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben.

Die Beklagte hat beantragt,

1. die Klage abzuweisen,

2. den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage zurückzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung sei bereits unzulässig, da der Kläger es versäumt habe, die Mittel zur Glaubhaftmachung der die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen mit der Antragsschrift hinreichend anzugeben. Den Kläger treffe jedenfalls ein Verschulden an der Fristversäumnis, da er trotz seiner langen Ortsabwesenheit keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen habe. Es werde bestritten, dass der Kläger seinen Mieter angewiesen habe, die an ihn adressierte Post monatlich nachzuschicken. Dies wäre unter Berücksichtigung der sehr langen Postlaufzeiten von Deutschland nach Katar ohnehin unzureichend gewesen. Schließlich bestehe auch keine Verpflichtung, rechtserhebliche Erklärungen auf dem Briefumschlag äußerlich erkennbar darzustellen.

Eine Angabe wie „Achtung, Kündigung“ sei einem Arbeitgeber unter Einbeziehung des Datenschutzes vielmehr untersagt. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger aufgrund der Vielzahl der bislang geführten Verfahren mit der Beklagten damit habe rechnen müssen, dass die Beklagte ihm gegenüber weitere Kündigungen aussprechen werde, habe er keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, um eine rechtzeitige Klageerhebung zu gewährleisten. Der Bitte des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 10. Dezember 2013, rechtserhebliche Schriftstücke nur an ihn zu übersenden, habe die Beklagte auch seinerzeit nicht entsprochen und daher den Kläger auch nicht arglistig in dem Glauben gelassen, so die Wahrung der Dreiwochenfrist zur Klageerhebung sicherstellen zu können. Es bestehe keine Pflicht des Kündigenden, während eines Kündigungsschutzprozesses die weitere Kündigung dem Prozessbevollmächtigten der Gegenseite zuzustellen oder diesen über die Kündigung zu unterrichten.

Das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven hat durch Zwischenurteil vom 13. Dezember 2016 – 6 Ca 6172/16 – entschieden, dass der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zurückgewiesen wird. Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung sei zulässig, insbesondere seien der Antragsschrift ausreichende Mittel zur Glaubhaftmachung beigefügt gewesen. Der Antrag sei jedoch unbegründet. Die Kündigungsschutzklage sei mangels Einhaltung der Frist des § 4 Satz 1 KSchG verspätet und die Klage sei nicht nachträglich zuzulassen, da der Kläger nicht unverschuldet im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG daran gehindert gewesen sei, die Klage rechtzeitig zu erheben. Dem Kläger sei es zumutbar gewesen, der Beklagten seine neue Wohnanschrift in Katar als Zustelladresse mitzuteilen. Auch bei Wahrunterstellung der durch den Kläger behaupteten Anweisungen an seinen Mieter, habe der Kläger durch diese Anweisungen keine ausreichende Vorsorge im Sinne von § 5 Absatz 1 Satz 1 KSchG getroffen. Es liege ein Organisationsverschulden des Klägers vor. Der Kläger hätte seine Anweisung, dass er über den Zugang wichtiger Briefe umgehend via WhatsApp zu informieren sei, nicht selektiv auf Einschreiben und förmlichen Zustellungen beschränken dürfen. Vor dem Hintergrund der zahlreichen zwischen den Parteien geführten Verfahren hätte der Kläger zumindest mit dem Ausspruch einer erneuten Kündigung rechnen und daher seine Anweisung zumindest auch auf Anschreiben der Beklagten erstrecken müssen. Der Kläger sei der ihm obliegenden Sorgfalt auch nicht durch die Bitte seines Prozessbevollmächtigten vom 10. Dezember 2013 nachgekommen, da durch dieses Schreiben keine Verpflichtung der Beklagten zur ausschließlichen Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des Klägers entstanden sei.

Gegen dieses Urteil, welches dem Kläger am 01. Februar 2017 zugestellt wurde (Bl. 106 d.A.), hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Februar 2017, beim Landesarbeitsgericht am 24. Februar 2017 eingegangen (Bl. 107 d. A.), Berufung eingelegt und diese, nachdem seine Berufungsbegründungsfrist durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 21. März 2017 (Bl. 124 d. A.) bis zum 02. Mai 2017 verlängert worden war, mit Schriftsatz vom 18. April 2017, der am selben Tage beim Landesarbeitsgericht einging (Bl. 126 d. A. ), begründet.

Der Kläger hält das Zwischenurteil des Arbeitsgerichtes für fehlerhaft. Der Kläger sei trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt gehindert gewesen, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben. Ihm sei nicht zuzumuten gewesen, seinem Mieter eine umfassende Genehmigung für die Öffnung sämtlicher an ihn adressierter Briefe zu erteilen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichtes sei nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu vereinbaren, nach welcher einem im Urlaub befindlichen Arbeitnehmer, welcher keinen konkreten Anlass zu der Annahme habe, dass ihm während des Urlaubs gekündigt werden solle, nicht zumutbar sei, besondere Vorkehrungen zu treffen und daher regelmäßig nach der Rückkehr aus dem Urlaub die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage geboten sei. Da der Kläger bereits seit dem 30. Juni 2014 nicht mehr tatsächlich bei der Beklagten beschäftigt gewesen ist und nach dem Kündigungsschreiben vom 23. Dezember 2013 keine weiteren Kündigungen mehr erhalten hat, habe er nicht mehr mit dem Ausspruch weiterer Kündigungen rechnen müssen. Die Situation sei mit einer urlaubsbedingten Ortsabwesenheit zu vergleichen, zum Teil befinde der Kläger sich im Abstand von nur einigen Wochen in A. (wegen der Daten der behaupteten Aufenthalte wird auf Blatt 134 d.A. verwiesen). Zumindest habe er aufgrund der vorherigen Praxis der Beklagten nicht damit rechnen müssen, dass die Beklagte eine rechtserhebliche Kündigungserklärung formlos in einem ansonsten für allgemeine Informationssendungen verwendeten Briefumschlag versenden werde, weswegen es zumindest nicht fahrlässig gewesen sei, keine besonderen Vorkehrungen für solche Briefe der Beklagten zu treffen. Zudem habe der Kläger aufgrund der bisherigen Praxis der Beklagten, sämtliche rechtserheblichen Erklärungen nur persönlich oder per Einschreiben zuzustellen und zugleich den Prozessbevollmächtigten des Klägers zu informieren, darauf vertrauen dürfen, dass besondere Vorkehrungen für die Weiterleitung von Briefen der Beklagten nicht erforderlich seien. Dies gelte insbesondere seit dem Schreiben des klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 10. Dezember 2013. Zu Recht habe der Kläger auch auf einen Nachsendeantrag bei der Post verzichtet. Dieser hätte aufgrund der erheblichen Postlaufzeiten nach Katar nicht zu einem schnelleren Zugang beim Kläger geführt und wäre bei der vorliegend vorgenommenen Botenzustellung ohnehin wirkungslos gewesen.

Der Kläger beantragt, das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 13. 21.016, 6 Ca 6172/16, zugestellt am 01.02.2017, abzuändern und die Kündigungsschutzklage vom 05.07.2016 nachträglich zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Zwischenurteil. Der Kläger habe zur Einhaltung der ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG einem Dritten die umfassende Genehmigung erteilen müssen, sämtliche Post zu öffnen und ihn von deren Inhalt in Kenntnis zu setzen. Selbst wenn es dem Kläger oder dessen Mieter nicht zumutbar sein sollte, dass der Mieter diese Aufgabe übernimmt, böten zwischenzeitlich unzählige Postdienstleistungsunternehmen an, Post regelmäßig abzuholen, einzuscannen und in digitaler Form zu übermitteln. Damit sei dem Kläger jedenfalls Fahrlässigkeit im Sinne eines Organisationsverschuldens vorzuwerfen. Dem Kläger wäre es ebenfalls zuzumuten gewesen, den Mieter anzuweisen, sämtliche Post der Beklagten unverzüglich an seinen Prozessbevollmächtigten weiterzuleiten.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie wegen ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zu Recht zurückgewiesen. Die Klage gegen die Kündigung vom 31. Mai 2016 war verspätet. Gründe für ihre nachträgliche Zulassung liegen nicht vor.

A.

Die Berufung ist gem. § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft. Sie ist im Sinne der §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig.

B.

Gegenstand der Berufung ist allein der Zwischenstreit über den Antrag des Klägers auf nachträgliche Zulassung seiner Klage gegen die Kündigung vom 31. Mai 2016. Das Arbeitsgericht hat das Verfahren zunächst auf den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage beschränkt und darüber durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO) entschieden. Dies ist auch nach Einführung des sog. Verbundverfahrens zum 01. April 2008 gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 KSchG zulässig. Im Rahmen des Zwischenstreits ist zu prüfen, ob die Klage verspätet war und ggf. nachträglich zuzulassen ist. Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist ein Hilfsantrag für den Fall, dass die Klage verspätet ist. Das Gericht darf daher über den Antrag nur entscheiden, wenn es zu der Ansicht gelangt ist, der Kläger habe gegen eine dem Arbeitgeber zuzurechnende Kündigung verspätet Klage erhoben Nach rechtskräftigem Abschluss des Zwischenstreits hat das Arbeitsgericht unter Beachtung von § 318 ZPO von Amts wegen abschließend über die Kündigungsschutzklage zu entscheiden. (vgl. BAG, Urteil vom 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 -, juris-Rn. 15)

C.

Die Berufung ist unbegründet. Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung ist zwar zulässig, aber nicht begründet.

I.

Der Antrag ist gem. § 5 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG zulässig.

1.

Der Antrag ist innerhalb der Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG gestellt worden. Der Kläger hat unbestritten erst am 01. Juli 2016 von dem Kündigungsschreiben tatsächliche Kenntnis erhalten. Mit seinem am 05. Juli 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger folglich innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG beantragt, die gegen diese Kündigung gerichtete Klage nachträglich zuzulassen.

Der Kläger hat in seiner Antragsschrift auch in ausreichendem Umfang die die nachträgliche Klagezulassung begründenden Tatsachen dargelegt und die Mittel zu deren Glaubhaftmachung angegeben (§ 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG).

a. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG muss der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung die Angabe der die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen und die Mittel für deren Glaubhaftmachung enthalten. Zu den anzugebenden Tatsachen gehören der Zeitpunkt an dem das Hindernis für die Klageerhebung beseitigt war, sowie die Umstände, aus denen zu schließen ist, dass kein Verschulden vorliegt (ErfK/Kiel KSchG 17. Aufl. § 5 Rn. 24 m.w.N.). Wobei zwar strenge, aber keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen. Die Glaubhaftmachung selbst muss nicht bereits dem Antrag beigefügt werden. Es handelt sich um eine besondere Art der Beweisführung, die auch noch später im Laufe des Verfahren erfolgen kann (ErfK/Kiel KSchG 17. Aufl. § 5 Rn. 24 m.w.N.).

b. Vorliegend hat der Kläger bereits mit dem (vorsorglichen) Antrag auf nachträgliche Klagezulassung dargelegt, wann er tatsächliche Kenntnis von dem Kündigungsschreiben erlangt hat, welche Anweisungen er seinem Mieter gegeben haben will, aus welchem Grund sein Mieter ihn nicht unverzüglich über den streitgegenständlichen Brief der Beklagten in Kenntnis gesetzt habe und bereits auf das Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 10. Dezember 2013 hingewiesen. Damit hat der Kläger bereits in der Antragsschrift die wesentlichen Tatsachen dargelegt, die eine nachträgliche Klagezulassung begründen können. Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung wird nicht nachträglich dadurch unzulässig, dass zu den in der Antragsschrift vorgetragenen Tatsachen im weiteren Verfahren ergänzende Einzelheiten vorgetragen werden. Zudem hat der Kläger bereits mit der Antragsschrift eine die dargelegten Tatsachen betreffende eidesstattliche Erklärung abgegeben.

II.

Der Antrag ist unbegründet.

1.

Die Kündigungsschutzklage ist verspätet. Die am 05. Juli 2016 beim Arbeitsgericht eingegangene Klage gegen die Kündigung vom 31. Mai 2016 wahrte nicht die Frist des § 4 Satz 1 KSchG. Das Kündigungsschreiben ist dem Kläger iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB am 07. Juni 2016 bzw. spätestens am 08. Juni 2016 zugegangen. Die Kündigungsschutzklage hätte daher spätestens am Mittwoch, den 29. Juni 2016 beim Arbeitsgericht eingehen müssen.

a. Eine verkörperte Willenserklärung geht unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – juris-Rn. 21; Palandt/Ellenberger 74. Aufl. § 130 BGB Rn. 5). Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu bestimmen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – juris-Rn. 22; 11. November 1992 – 2 AZR 328/92 – zu III 1 der Gründe; 16. März 1988 – 7 AZR 587/87 – zu I 1 der Gründe, aaO; BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – zu II 2 b der Gründe). Den Empfänger trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, so wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegenden – Gründe nicht ausgeschlossen (BAG, Versäumnisurteil vom 26. März 2015 – 2 AZR 483/14 -, Rn. 37, juris; BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 22; BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – zu II2 b der Gründe).

Ein an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben kann diesem deshalb selbst dann zugehen, wenn der Arbeitgeber von einer Ortsabwesenheit weiß. Es besteht keine rechtliche Notwendigkeit, dem Urlaub oder einer sonstigen Ortsabwesenheit des Arbeitnehmers allein in der Rechtsbeziehung zum Arbeitgeber eine zugangshemmende Wirkung zukommen zu lassen, während dies im sonstigen Rechtsverkehr nicht der Fall ist. Ist ein Arbeitnehmer infolge einer Ortsabwesenheit unverschuldet an einer rechtzeitigen Klageerhebung nach § 4 Satz 1 KSchG gehindert, besteht die Möglichkeit einer nachträglichen Zulassung seiner Klage gemäß § 5 KSchG. Dem Arbeitgeber wiederum muss es möglich sein, den Zugang einer Kündigung auch während einer urlaubsbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers zu bewirken, nicht zuletzt, um Erklärungsfristen wie etwa nach § 626 Abs. 2 BGB wahren zu können. (Vgl. insgesamt BAG vom 22.03.2012 – 2 AZR 224/11- juris – Rn. 21 – 22 m.w.N.)

b.Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze ist dem Kläger das Kündigungsschreiben vom 31. Mai 2016 damit durch den unstreitigen Einwurf in den von ihm an dem Wohnhaus in A. vorgehaltenen Briefkasten am 07. Juni 2016 um 14:50 Uhr spätestens am 08. Juni 2016 im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen. Der Beklagten ist es auch unter Berücksichtigung ihrer Kenntnis des Arbeitsverhältnisses des Klägers in Katar nicht verwehrt, sich auf den Zugang des Kündigungsschreibens am 7. Juni 2016 bzw. am 08. Juni 2016 zu berufen. Denn solange der Kläger, trotz regelmäßiger längerer Auslandsaufenthalte und Vermietung seines Wohnhauses an einen Dritten, einen mit seinem Namen versehenen Hausbriefkasten als Empfangsvorrichtung vorhält, wozu er nicht verpflichtet wäre, obliegt es ihm, Vorkehrungen zur Ermöglichung einer tatsächlichen Kenntnisnahme eingehender Erklärungen zu treffen. Die übrigen Teilnehmer des Rechtsverkehrs sind in ihrem Vertrauen darin geschützt, dass ihre Erklärungen den Kläger zeitnah nach Zugang in der Empfangsvorrichtung erreichen. Dies gilt auch für die Beklagte, die zwar Kenntnis von regelmäßigen Auslandsaufenthalten des Klägers hatte, der der Kläger jedoch zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt hat, dass Zustellungen an seine Adresse in A. nicht mehr möglich seien und die auch keine Kenntnis davon hatte, zu welchen Zeiten und wie häufig sich der Kläger in A. und zu welchen Zeiten und wie häufig er sich in Katar aufhält.

Es kann dahinstehen, ob bei dem Einwurf eines Schreibens um 14:50 Uhr nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme noch am selben Tag oder erst am Folgetag zu rechnen ist, da die Kündigungsschutzklage sowohl bei einem Zugang im Sinne von § 130 Absatz 1 Satz 1 BGB am 07. Juni 2016 wie auch bei einem Zugang am 8. Juni 2016 verspätet gewesen wäre.

2. Die Klage ist nicht nach § 5 Absatz 1 Satz 1 KSchG nachträglich zuzulassen, da der Kläger nicht trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage rechtzeitig beim Arbeitsgericht zu erheben.

a. Die nachträgliche Zulassung einer verspäteten Klage setzt gemäß § 5 Absatz 1 Satz 1 KSchG voraus, dass der AN nach erfolgter schriftlicher Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach der Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben. Hierbei darf den Arbeitnehmer kein Verschulden an der verspäteten Klageerhebung treffen, ihm darf noch nicht einmal leichte Fahrlässigkeit vorwerfbar sein. Damit gilt ein strenger, subjektiv ausgerichteter Maßstab. Auszugehen ist von der individuellen Situation und den persönlichen Fähigkeiten des konkret betroffenen Arbeitnehmers. (vgl. ErfK/Kiel 17. Aufl. § 5 Rn. 2 m.w.N.) Dieser strenge Maßstab der leichtesten Fahrlässigkeit ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 5 Absatz 1 Satz 1 KSchG, der eine nachträgliche Klagzulassung ersichtlich ausschließt, wenn dem Arbeitnehmer die rechtzeitige Klageerhebung bei Anwendung „aller ihm zuzumutenden Sorgfalt“ möglich gewesen wäre. Zudem handelt es sich bei § 5 KSchG um eine Ausnahmevorschrift zu § 4 KSchG, der bezweckt, dass Arbeitgeber nach Ablauf von drei Wochen nach Zugang einer schriftlichen Kündigungserklärung rechtssicher auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vertrauen und entsprechend disponieren können sollen. Auch aus diesem Zweck ergibt sich, dass eine nachträgliche Klagzulassung nur in Ausnahmefällen erfolgen soll.

b. Vorliegend hat der Kläger nicht alle ihm nach Lage der Umstände zuzumutende Sorgfalt angewandt. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass es für ihn im vorliegenden Fall der sich ständig wiederholenden langfristigen arbeitsbedingten Auslandaufenthalte unzumutbar gewesen sei, effektive Vorkehrungen zum Zwecke der zeitnahen tatsächlichen Kenntnisnahme von ihm an seiner deutschen Wohnanschrift zugegangenen Erklärungen zu treffen. Der vorliegende Sachverhalt ist nicht mit einmaligen bis zu sechswöchigen urlaubsbedingten Auslandsaufenthalten vergleichbar, für welche die gefestigte arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zu Recht eine solche Unzumutbarkeit annimmt. Die vom Kläger getroffenen Vorkehrungen waren nicht ausreichend. Auch bei Wahrunterstellung der Anweisung an seinen Mieter, ihm die eingehende Post gesammelt ungefähr einmal im Monat nach Katar nachzuschicken, genügt diese Anweisung nicht, da sie eine zeitnah tatsächliche Kenntnisnahme des Klägers gerade nicht ermöglicht hat. Der Kläger konnte ebenso wenig darauf vertrauen, dass sich die Beklagte an die durch den klägerischen Prozessbevollmächtigten am 10. Dezember 2013 geäußerte Bitte halten werde und er daher auf weitere Vorkehrungen im Hinblick auf arbeitgeberseitige Schreiben verzichten könne. Dies ergibt sich daraus, dass die Beklagte dem Kläger bereits wenige Wochen nach dieser Bitte zwei Kündigungsschreiben persönlich zugestellt hat. Ebenso wenig konnte der Kläger darauf vertrauen, dass die Beklagte bzw. deren Prozessbevollmächtigter weiterhin – wie in der Vergangenheit – seinen Prozessbevollmächtigten unverzüglich über die Versendung rechtserheblicher Schreiben an ihn informieren werde. Denn allein durch die bisherige tatsächliche Handhabung der Beklagten hat diese dem Kläger gegenüber nicht zu erkennen gegeben, dass sie künftig genauso handeln werde. Zudem sind die bisherigen Informationen ersichtlich nicht durch die Beklagte selber, sondern durch ihren Prozessbevollmächtigten erfolgt, weswegen der Kläger nicht darauf vertrauen durfte, dass die Beklagte auch bei künftigen evtl. ohne die Einschaltung eines Rechtsanwaltes ausgesprochenen Kündigungen, eine solche Information vornehmen werde. Der Kläger konnte auch nicht deswegen auf die weitere zeitgleiche Information seines Prozessbevollmächtigten vertrauen, weil die Beklagte hierzu verpflichtet gewesen wäre. Eine solche Verpflichtung der Beklagten ergibt sich weder aus § 241 Abs. 2 BGB noch aus § 242 BGB.

Hierzu im Einzelnen: aa.

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass es für ihn im vorliegenden Fall der sich ständig wiederholenden langfristigen arbeitsbedingten Auslandaufenthalte unzumutbar gewesen sei, effektive Vorkehrungen zum Zwecke der zeitnahen tatsächlichen Kenntnisnahme von ihm an seiner deutschen Wohnanschrift zugegangenen Schreiben zu treffen.

aaa. Nach der ständigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, die auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. Februar 1976 -2 BvR 849/75- zurückgeht, trifft den Arbeitnehmer bei einer üblichen Urlaubsabwesenheit keine Verpflichtung, für die Nachsendung von ihm in der Urlaubszeit eingeworfenen Schreiben zu sorgen. Wer eine ständige Wohnung hat und diese nur vorübergehend nicht benutzt, braucht für die Zeit seiner Abwesenheit keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen. Ein Zeitraum von bis zu sechs Wochen ist dabei als vorübergehend anzusehen. Der Arbeitnehmer darf in einem solchen Fall damit rechnen, bei durch die Abwesenheit verursachter Fristversäumnis eine nachträgliche Klagzulassung zu erhalten. Umstritten ist lediglich, ob dies auch gilt, wenn für den Arbeitnehmer konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er in der Urlaubszeit ein Kündigungsschreiben seines Arbeitgebers erhalten könnte (vgl. nur LAG Nürnberg, Beschluss vom 23. August 2005 – 6 Ta 136/05 -, Rn. 7; LAG Hessen, Beschluss vom 17.02.2005-15 Ta 578/04 -, Rn. 17 jeweils m.w.N.). Der vorgenannte Grundsatz zu kurzfristigen urlaubsbedingten Ortsabwesenheiten stellt jedoch ersichtlich eine Ausnahme von dem in § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG normierten Grundsatz dar, dass der ortsabwesende Arbeitnehmer Vorkehrungen zur Ermöglichung einer zeitnahen tatsächliche Kenntnisnahme eingehender Schreiben zu treffen hat. In diesem Sinne hat bereits das Bundesverfassungsgericht in der vorzitierten Entscheidung aus dem Jahr 1976 zutreffend folgendes ausgeführt: „Entscheidend ist allein, daß die Abwesenheit eine nur vorübergehende und relativ kurzfristige – zu denken wäre an längstens etwa sechs Wochen – von einer sonst ständig benutzten Wohnung ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 40, 182 (186) mit Nachweisen). Denn nur unter der Voraussetzung, daß in diesem Sinne die Anwesenheit die Regel und die Abwesenheit die Ausnahme bildet, ist es dem Bürger nicht zuzumuten, im Hinblick auf mögliche, aber zeitlich eben ungewisse Zustellungen „besondere“ Vorkehrungen zu treffen. Die Unzumutbarkeit ergibt sich daraus, daß – zumal beim Urlaub – der Nachsendeauftrag im Hinblick auf die recht kurzen Fristen, um deren Wahrung es geht, in der Regel unpraktikabel ist, so daß verlangt werden müßte, daß der Bürger entweder formell einen Zustellungsbevollmächtigten bestellt oder sonst eine Person seines Vertrauens um die Entgegennahme der Zustellungen und gegebenenfalls auch um die Vornahme fristwahrender Handlungen bittet. Gegenüber diesem Aufwand erscheint der geringe zeitliche Verlust, der durch die Zulassung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in den Fällen der ausnahmsweisen und relativ kurzfristigen Abwesenheit eintritt, durchaus hinnehmbar. Die Rechtssicherheit und die Effektivität der Strafrechtspflege werden nur unwesentlich beeinträchtigt. Das ist anders in den Fällen, in denen – oft aus beruflichen Gründen – die Abwesenheit von der „ständigen“ Wohnung die Regel ist; denn hier besteht von vornherein nur ausnahmsweise die Möglichkeit für den Betroffenen, ohne Einschaltung Dritter eine relativ kurze Frist zu wahren. Von solchen Betroffenen können deshalb besondere Vorkehrungen dafür verlangt werden, daß sie normalerweise rechtzeitig Kenntnis von Zustellungen erlangen.“ (BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 1976 – 2 BvR 849/75 -,Rn. 11)

bbb.

Vorliegend war der Kläger nicht lediglich einmalig kurzfristig urlaubsbedingt ortsabwesend, sondern aus beruflichen Gründen regelmäßig. Damit war bei dem Kläger die Abwesenheit von der durch ihn vorgehaltenen Empfangsvorrichtung die Regel und die Anwesenheit die Ausnahme. Aus der durch den Kläger selbst – streitig – vorgetragenen Häufigkeit der Ortsanwesenheiten ergibt sich zudem, dass der Kläger selbst bei Wahrunterstellung seines Vortrags vor dem 30. Juni 2016 zuletzt vom 28. Januar 2016 bis zum 01. Februar 2016 in Deutschland gewesen ist, also unstreitig jedenfalls teilweise Ortsabwesenheiten mit einer Dauer von deutlich über sechs Wochen vorlagen. Damit wäre es für den Kläger nicht unzumutbar gewesen die bereits vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen aufwändigen Vorkehrungen zu treffen.

bb.

Die vom Kläger – nach seiner streitigen Behauptung – getroffene Vorkehrung, der Anweisung seines Mieters, ihm die eingehende Post gesammelt ungefähr einmal im Monat nach Katar nachzuschicken, genügt nicht. Denn diese Vorkehrung hat ersichtlich nicht sichergestellt, dass der Kläger von dem Inhalt wichtiger Schreiben so rechtzeitig Kenntnis nehmen konnte, um gesetzliche Fristen einhalten zu können. Dies ergibt sich bereits aus der Nachsendung nur einmal im Monat und zusätzlich aus den vom Kläger selber vorgetragenen langen Postlaufzeiten nach Katar.

Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass auch ein Nachsendeantrag bei der Post aufgrund der langen Postlaufzeiten ebenfalls nicht zu einer Einhaltung der dreiwöchigen Klagefrist geführt hätte. Denn ein Nachsendeantrag bei der Post bei gleichzeitigem weiteren Vorhalten einer Empfangsvorrichtung an der ursprünglichen Adresse hätte ebenso wenig eine ausreichende Vorkehrung im Sinne von § 5 Absatz 1 Satz 1 KSchG dargestellt. Entfernt jemand die an der ursprünglichen Adresse vorhandene Empfangsvorrichtung und stellt ein Postnachsendeantrag kann es nach zutreffender Auffassung regelmäßig keinen Zugang mehr im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB an der ursprünglichen Adresse geben. Die verkörperten Willenserklärungen gehen dann erst im Moment des Zuganges an der neuen Adresse zu (vgl. BeckOK BGB § 130 Rn. 13). In diesem Fall gibt es keinen Zugang der Erklärung mehr an der alten Adresse des Arbeitnehmers, auf dessen Grundlage ein Arbeitgeber nach Ablauf von drei Wochen auf den Bestand der Kündigungserklärung vertrauen könnte. Anders ist es zu beurteilen, wenn ein Arbeitnehmer einen Nachsendeantrag bei der Post stellt und gleichzeitig für den Rechtsverkehr weiterhin eine Empfangsvorrichtung an der ursprünglichen Adresse beibehält. Denn in diesem Fall kann der Rechtsverkehr und damit auch der Arbeitgeber darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer bewusst diese Empfangsvorrichtung weiterhin vorhält und ausreichende Vorkehrungen getroffen hat, um rechtzeitig tatsächlich von rechtserheblichen Erklärungen Kenntnis zu nehmen, die in diese Empfangsvorrichtung eingelegt werden und damit nicht aufgrund eines etwaigen Postnachsendeantrags weitergeleitet werden.

cc.

Der Kläger konnte ebenso wenig darauf vertrauen, dass sich die Beklagte an die durch den klägerischen Prozessbevollmächtigten am 10. Dezember 2013 geäußerte Bitte halten werde und er daher auf weitere Vorkehrungen für arbeitgeberseitige Schreiben verzichten könne. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts kommt es dabei zwar nicht entscheidend darauf, ob sich aus dieser Bitte eine rechtliche Verpflichtung der Beklagten ergeben hat, sondern darauf ob der Kläger subjektiv jedenfalls darauf vertrauen durfte, dass die Beklagte sich an diese Bitte halten werde und er deswegen nach der ihm zuzumutenden Sorgfalt darauf verzichten durfte, für arbeitgeberseitige Schreiben besondere Vorkehrungen zu treffen. Dies war jedoch vorliegend nicht der Fall. Wie sich aus dem zwischenzeitlichen unstreitigen Vortrag der Parteien ergibt, hat die Beklagte bereits die Kündigungen mit Schreiben vom 23. Dezember 2013 nicht entsprechend der Bitte des klägerischen Prozessbevollmächtigten an diesen zugestellt, sondern an die Wohnadresse des Klägers. Damit konnte der Kläger nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte sich nachfolgend bei weiteren rechtserheblichen Erklärungen an die Bitte vom 10. Dezember 2013 halten werde.

dd.

Der Kläger konnte ebenfalls nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte unverändert ihre bisherige Praxis beibehalten werde, den klägerischen Prozessbevollmächtigten zumindest zeitgleich oder zeitnah von der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen zu informieren. Auch für den Kläger persönlich war erkennbar, dass die Beklagte sich mit keiner Erklärung zu einer solchen künftigen Verhaltensweise verpflichtet hat. Er musste daher damit rechnen, dass die Beklagte ihre tatsächliche Verhaltensweise künftig ändern könnte. Dies gilt im besonderen Maße, da die Information seines Prozessbevollmächtigten in vorangegangenen Fällen ersichtlich nicht durch die Beklagte selber, sondern durch deren Prozessbevollmächtigten erfolgt ist. Dem Kläger muss klar gewesen sein, dass die Beklagte in künftigen Fällen rechtserhebliche Erklärungen auch ohne Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten würde abgeben können und dann eventuell die Information seines Prozessbevollmächtigten durch den arbeitgeberseitigen Prozessbevollmächtigten entfallen könnte.

Die Beklagte war zudem trotz der ihr bekannten regelmäßigen Auslandsaufenthalte des Klägers und der damit verbundenen Kenntnis, dass sich die tatsächliche Kenntnisnahme des Klägers von ihm an seiner Wohnanschrift in A. zugehender Schreiben deswegen eventuell verzögern könnte, weder nach § 241 Abs. 2 BGB noch gemäß § 242 BGB verpflichtet, parallel zu der Zustellung der Erklärung an den Kläger persönlich eine formlose Mitteilung an den Prozessbevollmächtigten des Klägers vorzunehmen.

Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einer aus Sicht der Kammer vergleichbaren Konstellation eine solche Verpflichtung der Arbeitgeberin und damit verbunden ein entsprechendes schutzwürdiges Vertrauen des Arbeitnehmers in eine solche Handlungsweise der Arbeitgeberin angenommen.

Das Landesarbeitsgericht Köln hat folgendes ausgeführt: „Da der Kläger dem Beklagten seine Telefaxanschrift und seine postalische Anschrift in Tunesien mitgeteilt hatte, durfte er jedoch darauf vertrauen, dass der Beklagte ihn in Tunesien verständigte, wenn er das Arbeitsverhältnis kündigte.

Nachdem der Kläger entsprechend § 5 Abs. 2 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz am 21. Juni 2006 dem Beklagten per Telefax seine Arbeitsunfähigkeit und die vorläufige Dauer mitgeteilt hatte, hatte sich der Beklagte an ihn in Tunesien per Telefaxschreiben gewandt. Entsprechend der Aufforderung des Beklagten hatte der Kläger am 22. Juni 2006 bei dem Beklagten angerufen. Daraus ergab sich für den Beklagten, dass er den Kläger in Tunesien erreichen konnte, und für den Kläger, dass der Beklagte ihm Mitteilungen in Tunesien zukommen ließ. Er durfte darauf vertrauen, dass ihm der Beklagte die in ihren Rechtswirkungen bedeutsamere Kündigung zumindest per Telefax nach Tunesien übersenden würde. Es kommt hinzu, dass der Kläger dem Beklagten eine postalische Anschrift in Tunesien für etwaige Mitteilungen bekannt gegeben hatte. Dieser Umstand hatte den Beklagten auch veranlasst, das Telefaxschreiben vom 21. Juni 2006 zusätzlich per Einschreiben mit Rückschein an den Kläger zu versenden. Daraus ergibt sich, dass selbst der Beklagte davon ausging, während des Auslandsaufenthalts seien die Mitteilungen nach Tunesien zu senden. Daran änderte der Umstand, dass bei dem Beklagten eine falsche Anschrift notiert worden war, nichts. Sobald der Beklagte dies festgestellt hatte, konnte er das Kündigungsschreiben unter der Kölner Anschrift des Klägers zustellen und gleichzeitig diese Zustellung dem Kläger unter der nachweislich richtigen Telefaxanschrift in Tunesien anzeigen. In gleicher Weise konnte er verfahren, wenn ihm Bedenken kamen, ob er selbst bei zutreffender Anschrift den Zugang des Kündigungsschreibens in Tunesien überhaupt sicher nachweisen könnte.

Der Kläger war schon angesichts des Umstandes, dass der Beklagte seine Telefaxanschrift erhalten hatte, nicht verpflichtet, einen Nachsendeauftrag bezüglich der in der Kölner Wohnung eingehenden Post zu stellen oder eine andere Person zu beauftragen, seine dort eingehende Post zu öffnen und ihn zu unterrichten. Er durfte davon ausgehen, dass der Beklagte ihm alle wichtigen Mitteilungen per Telefax nach Tunesien übermitteln würde und er dann ggf. das von dort aus Machbare veranlassen konnte.

Da der Beklagte dem Kläger das Kündigungsschreiben am 4. Juli 2006 unter der Kölner Anschrift zugestellt, ohne ihn in Tunesien per Telefax oder auf andere Weise zu verständigen, hat der Kläger schuldlos die Klagefrist versäumt (vgl. dazu auch: KR- Friedrich, a.a.O., § 5 KSchG Rn. 59 m.w.N.)“ (Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 30. Mai 2007 – 9 Ta 51/07 -, Rn. 33, juris)

Der vorliegende Sachverhalt ist aus Sicht der Kammer vergleichbar, da auch vorliegend für die Beklagte eine Zustellung des Kündigungsschreibens an der Wohnadresse des Klägers zulässig, der Beklagten jedoch aufgrund des ihr bekannten Arbeitsverhältnisses des Klägers in Katar bewusst gewesen sein muss, dass es auf Seiten des Klägers praktische Probleme hinsichtlich der rechtzeitigen Kenntnisnahme geben könnte und der Beklagten zugleich spätestens durch die Bitte des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 10. Dezember 2013 und der dieser Bitte beigefügten umfassenden Vollmacht bekannt gewesen ist, dass sie selber durch eine formlose Anzeige an den durch den Kläger wirksam bevollmächtigten Rechtsanwalt ohne großen Aufwand die sonst nur unsichere tatsächliche Kenntnisnahme durch den Kläger hätte sicherstellen können. Entsprechend der vorgenannten Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Köln hätte der Kläger dann darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte eine solche formlose Mitteilung über rechtserhebliche Erklärungen auch tatsächlich vornehmen werde.

Die Kammer folgt jedoch nicht der Auffassung des Landesarbeitsgerichtes Köln. Denn die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Köln steht im Widerspruch zu dem bereits oben erläuterten Rechtsgrundsatz, dass derjenige der eine Empfangsvorrichtung für Willenserklärungen vorhält, selber alle ihm zumutbaren Vorkehrungen für eine zeitnahe tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen hat und die übrigen Teilnehmer im Rechtsverkehr darauf vertrauen dürfen, dass solche Vorkehrungen tatsächlich getroffen wurden. Konnte die Beklagte jedoch darauf vertrauen, dass der Kläger selbst ausreichende Vorkehrungen zur tatsächlichen Kenntnisnahme eingehender Erklärungen getroffen hat, musste sie es nicht für notwendig halten, selber durch formlose Anzeigen an den Prozessbevollmächtigten des Klägers oder die etwaig bekannte Adresse des Arbeitgebers des Klägers in Katar eine solche zeitnah tatsächliche Kenntnisnahme sicherzustellen.

Im Ergebnis wäre es für den Kläger unschwer möglich gewesen, entweder die Anweisung an seinen Mieter hinsichtlich förmlicher Zustellungen und Einschreiben auf sämtliche Briefe der Beklagten zu erweitern, alternativ ein Postdienstleistungsunternehmen einzuschalten oder seinen Mieter anzuweisen, etwaige Briefe seiner Arbeitgeberin unverzüglich an seinen Prozessbevollmächtigten weiterzuleiten.

D.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Bleibt ein Rechtsmittel gegen ein Grund- oder Zwischenurteil erfolglos, ergibt sich die Kostenfolge für die Kosten des Rechtsmittels aus § 97 Abs. 1 ZPO. Lediglich wenn das Rechtsmittel ganz oder teilweise Erfolg hat, ist die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorzubehalten (vgl. Musielak 14. Auflage § 97 Rn. 3 sowie BeckOK 24. Edition § 97 Rn. 13).

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG aufgrund der Abweichung von der Entscheidung des LAG Köln vom 30. Mai 2007 – 9 Ta 51/07- zuzulassen, da das Bundesarbeitsgericht bisher nicht über die Rechtsfrage entschieden hat, inwieweit es sich auf den Zugang eines Kündigungsschreibens bzw. auf die Möglichkeit einer nachträglichen Klagzulassung auswirkt, wenn einem Arbeitgeber zusätzlich zu einer Heimatanschrift eine Urlaubsanschrift bzw. eine andere Anschrift bekannt ist, bei welcher der Arbeitgeber mit Sicherheit von einer zeitnahen tatsächlichen Kenntnisnahme durch den Arbeitnehmer ausgehen kann (vgl. nur BAG vom 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – juris Rn. 39).

 

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