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Leidensgerechte Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 105/21 – Urteil vom 27.10.2021

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 19.11.2020 – 2 Ca 1521/20 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine leidensgerechte Beschäftigung.

Die am .1973 geborene Klägerin ist seit dem 01.09.1991 bei der Beklagten beschäftigt, seit dem 01.10.1996 auf der Basis des Dienstvertrages vom 26.08.1996 (Bl. 32 f. d. A.) als examinierte Altenpflegerin. Aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung sind die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) anzuwenden.

Am 19.12.2017 hat die Klägerin einen Herzinfarkt erlitten, der zu einer Reduzierung der Pumpfunktion des Herzens führte. Laut ärztlichem Attest vom 07.03.2018 (Bl. 51 d.A.) sollte die Klägerin nach durchgeführter Rehabilitationsmaßnahme zum Zwecke der Stabilisierung ihrer körperlichen und psychischen Belastbarkeit im Jahre 2018 nicht als alleinige examinierte Fachkraft eigenverantwortlich auf einer Station um Altenheim arbeiten.

Mit E-Mail vom 13.05.2018 hat sich die Klägerin bei der Beklagten erfolglos auf die Stelle einer Betreuungsassistentin mit einem wöchentlichen Umfang von 35,5 Stunden ab dem 01.07.2018 beworben.

Nach Durchführung einer ambulanten/teilstationären psychosomatisch-rehabilitativen Behandlung im Zeitraum 09.07.2018 bis 24.08.2018 wegen rehabilitationsrelevanter Diagnosen der Anpassungsstörungen (F 43.2), Kontaktanlässe im Berufsleben/Bossing (Z 56) sowie Nikotinabusus (F 17.1) wurde die Klägerin als zunächst arbeitsunfähig entlassen. Wegen der Einzelheiten des vorläufigen Entlassungsberichts nebst sozialmedizinischer Leistungsbeurteilung wird auf Bl. 55 ff. d. A. verwiesen.

Zum 01.09.2018 hat die Beklagte Frau T als Assistenz der Regionalleitung/Regionale QM-Beauftragung neu eingestellt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 11.12.2018 (Bl. 75 f. d. A.) hat die Klägerin die Beklagte zur leidensgerechten Beschäftigung aufgefordert sowie eine einvernehmliche Einigung des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung unter Berücksichtigung des besonderen Kündigungsschutzes nach § 19 MAVO angeregt.

Mit Abhilfebescheid vom 20.12.2018 wurde ein Grad der Behinderung der Klägerin von 30 anerkannt, da folgende Beeinträchtigungen vorlagen: Herzminderleistung, seelische Beeinträchtigung sowie Funktionsstörung der Wirbelsäule (Bl. 85 f. d. A.).

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.11.2020 (Bl. 184 ff. d.A.) die am 13.05.2020 der Beklagten zugestellten Klage, mit der die Klägerin die Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatz als Verwaltungsmitarbeiterin begehrt, abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei nicht verpflichtet, die Klägerin trotz fehlender Qualifikation mit höherwertigen Verwaltungstätigkeiten zu betrauen. Hierzu zähle auch die von der Klägerin favorisierte Stelle als Assistenz der Regionalleitung/Regionale QM-Beauftragung. Die Klägerin habe zwar Kenntnisse bei der Umsetzung eines Qualitätssicherungskonzeptes erworben, nicht hingegen Kenntnisse hinsichtlich der Entwicklung von Konzepten der Qualitätskontrolle und der Qualitätssicherung. Zudem fielen im Unterschied zur Pflegetätigkeit administrative, IT-basierte Verwaltungsaufgaben an. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 06.01.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02.02.2021 Berufung eingelegt und diese am 08.03.2021 begründet.

Die Klägerin hat in der Zeit vom 01.09.2020 bis zum 31.08.2021 an einer Maßnahme zur Berufsorientierung und Berufswegplanung für Rehabilitanden teilgenommen (Bl. 156 d. A.).

Die Klägerin führt aus, sie beanspruche die Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes nach § 164 Abs. 4 SGB X. Hierzu zähle die von ihr beispielhaft angeführte Tätigkeit als Assistenz der Regionalleitung/Regionale QM-Beauftragung. Dabei handele es sich schwerpunktmäßig um eine Assistenzstelle mit Verwaltungstätigkeit. Als examinierte Altenpflegerin sei sie in besonderem Maße für Fragestellungen der Qualitätssicherung geeignet. Mit IT-basierten Arbeitsabläufen sei sie vertraut, sie fielen auch im Pflegebereich an, wie z. B. im Berichtswesen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 19.11.2020, Aktenzeichen 2 Ca 1521/20, wie folgt abzuändern:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin entsprechend den Bedingungen des zwischen den Parteien bestehenden Dienstvertrages vom 26.08.1996 und der „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes“ (AVR) einen leidensgerechten Arbeitsplatz als Verwaltungsmitarbeiterin in Tagesschicht im Seniorenpflegheim L zuzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Dem Klageantrag auf Zuweisung einer Tätigkeit als Verwaltungsmitarbeiterin mangele es der notwendigen Bestimmtheit, denn ihm sei die Art der begehrten Beschäftigung nicht hinreichend zu entnehmen. Es fehle der Klägerin auch an der erforderlichen fachlichen Qualifikation für eine Verwaltungstätigkeit, insbesondere für die von T besetzte Stelle als Assistenz der Regionalleitung/Regionale QM-Beauftragung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 08.03.2021 und 14.04.2021, die Sitzungsniederschrift vom 13.10.2021 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Leidensgerechte Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer
(Symbolfoto: New Africa/Shutterstock.com)

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, denn sie ist sie ist gemäß § 64 Abs. 2b) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist nicht begründet.

1. Der Klageantrag ist nur teilweise zulässig. Er genügt den Bestimmtheitsanforderungen von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur, soweit die Klägerin eine Beschäftigung als Assistenz der Regionalleitung/Regionale QM-Beauftragung begehrt. Im Übrigen ist die von der Klägerin begehrte Beschäftigung als Verwaltungsmitarbeiterin nicht hinreichend bestimmt bezeichnet.

a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Bei einem auf Beschäftigung gerichteten Klageantrag muss einerseits für den Prozessgegner aus rechtsstaatlichen Gründen erkennbar sein, in welchen Fällen er bei Nichterfüllung der ausgeurteilten Verpflichtung mit einem Zwangsmittel zu rechnen hat. Andererseits erfordern das Rechtsstaatsprinzip und das daraus folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass materiell-rechtliche Ansprüche effektiv durchgesetzt werden können (BAG, Urt. v. 15.06.2021- 9 AZR 217/20 – m. w. N.). Begehrt der Arbeitnehmer eine leidens- oder behinderungsgerechte Beschäftigung, kann aus materiell-rechtlichen Gründen nicht verlangt werden, dass der Klageantrag auf eine ganz bestimmte im Einzelnen beschriebene Tätigkeit oder Stelle zugeschnitten ist. Darauf hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch, denn weder die vertragliche Rücksichtnahmepflicht noch das Schwerbehindertenrecht begründen einen Anspruch des Arbeitnehmers auf einen selbst bestimmten Arbeitsplatz. Würde man für einen zulässigen Beschäftigungsantrag die Angabe eines einzigen konkreten Arbeitsplatzes verlangen, so liefe der klagende Arbeitnehmer stets Gefahr, dass die so konkretisierte Klage zwar zulässig, aber unbegründet wäre, weil der Arbeitgeber ihm auch einen anderen behinderungsgerechten Arbeitsplatz zuweisen dürfte. Um beiden Gesichtspunkten gerecht zu werden, muss zumindest die Art der begehrten Beschäftigung durch Auslegung des Antrags ggf. unter Heranziehung der Klageschrift und des sonstigen Vorbringens der klagenden Partei feststellbar sein. Erforderlich und ausreichend ist die Bezeichnung des Berufsbilds, mit dem der Arbeitnehmer beschäftigt werden soll, wenn sich damit hinreichend bestimmt feststellen lässt, worin die ihm zuzuweisende Tätigkeit bestehen soll. Einzelheiten hinsichtlich der Art der Beschäftigung oder sonstigen Arbeitsbedingungen muss der Antrag nicht enthalten (BAG, Urt. v. 03.12.2019 – 9 AZR 78/19 – m. w. N.).

b) Die einzige von der Klägerin konkret als leidensgerechte benannte Beschäftigung ist jene der Assistenz der Regionalleitung/Regionale QM-Beauftragung. Der Inhalt dieser Tätigkeit ist hinreichend der Stellenbeschreibung vom 03.06.2019 (Bl. 123 ff. d. A.) zu entnehmen. Im Übrigen ist der Klageantrag nicht auf konkret bezeichnete Stellen oder ein bestimmtes Berufsbild gerichtet, so dass auch unter Heranziehung des Klagevortrags nicht feststellbar ist, welche anderweitige Art von Beschäftigung in der Verwaltung die Klägerin begehrt.

2. Die Beklagte ist weder aus 164 Abs. 4 Satz 1 SGB X noch aus sonstigen Rechtsgründen verpflichtet, der Klägerin die Tätigkeit als Assistenz der Regionalleitung/Regionale QM-Beauftragung zuzuweisen.

a) Die Vorschrift des 164 Abs. 4 Satz 1 SGB X gewährt den im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Arbeitnehmern und den ihnen Gleichgestellten gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer die bisher zugewiesenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, kann dieser unter den gesetzlich genannten Voraussetzungen eine anderweitige Beschäftigung und, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht erfasst, eine entsprechende Vertragsänderung verlangen und durchsetzen. Ebenso kann der Arbeitgeber aufgrund der Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) gehalten sein, Arbeitnehmern, die aus in ihrer Person liegenden Gründen nicht mehr imstande sind, die ihnen nach § 106 Satz 1 GewO zugewiesene Arbeitsleistung zu erbringen, innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens eine Tätigkeit zu übertragen, zu deren Erbringung sie noch in der Lage sind. Daher kann der Arbeitgeber auch insoweit im Rahmen der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit verpflichtet sein, einen freien Arbeitsplatz mit einem bereits beschäftigten leistungsgeminderten Arbeitnehmer zu besetzen, wenn ihm die Neubestimmung der auszuübenden Tätigkeit rechtlich möglich und zumutbar ist (vgl.: BAG, Beschl. v 15.10.2013 – 1 ABR 25/12 – m. w. N.). Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten (BAG, Urt. v. 14.03.2006 – 9 AZR 411/05 – m. w. N.). Eine Verpflichtung zur Freikündigung eines Arbeitslatzes besteht nicht (vgl. z.B.: BVerwG, Beschl. v. 02.06.1999 – 5 B 130/99 – m. w. N.), jedenfalls dann nicht, wenn der Inhaber der infrage kommenden Stelle den allgemeinen Kündigungsschutz genießt (BAG, Urt. v . 20.11.2014 – 2 AZR 664/13 m. w. N.).

b) Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die Klägerin nicht dargetan hat, dass bei der Beklagten eine freie Arbeitsstelle als Assistenz der Regionalleitung/Regionale QM-Beauftragung vorhanden ist. Die einzige Arbeitsstelle mit diesem Arbeitsinhalt ist seit dem 01.08.2019 durch die Neueinstellung von Frau T besetzt. Die Beklagte ist jedenfalls deshalb nicht verpflichtet, das Arbeitsverhältnis mit Frau T zum Zwecke der Beschäftigung der Klägerin zu kündigen, weil Frau T aufgrund Beschäftigungsdauer und Betriebsgröße den allgemeinen Kündigungsschutz nach den §§ §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG genießt. Darüber hinaus steht einer Verpflichtung der Beklagten zur Beschäftigung der Klägerin als Assistenz der Regionalleitung/Regionale QM-Beauftragung entgegen, dass nicht hinreichend vorgetragen ist, dass diese Arbeitsstelle eine solche ist, die die Klägerin aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse sachgerecht ausüben kann. Es ist unzureichend, wenn sich die Klägerin auf pauschale Darlegungen zu ihrer Eignung im Rahmen der Qualitätssicherung und des Einsatzes IT-basierter Arbeitsabläufe im Berichtswesen des Pflegbereiches beschränkt. Die Klägerin setzt sich mit dem Anforderungsprofil der Arbeitsstelle, welches in der Stellenbeschreibung vom 03.06.2019 dokumentiert ist, nicht auseinander. So erfordert das Stellenprofil z. B. einen Abschluss eines grundständigen Studiums in einem gesundheits-, pflege- oder sozialwissenschaftlichen Fachgebiets (Bachelor, Magister, Dipl.) oder alternativ den Nachweis über eine entsprechende berufliche Erfahrung, einen erfolgreichen Abschluss einer Weiterbildung zum Qualitätsmanager oder Qualitätsmanagement-Auditors sowie Berufserfahrung im Qualitätsmanagement. Dem Vorbringen der Klägerin ist nicht ansatzweise zu entnehmen, dass sie als examinierte Altenpflegerin über die genannten formellen Abschlüsse oder über eine entsprechende Berufserfahrung verfügt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

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