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Lohnanspruch – behauptete Verletzung der Pfändungsfreigrenzen

Landesarbeitsgericht Niedersachsen – Az.: 14 Sa 989/10 – Urteil vom 16.09.2011

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts D-Stadt vom 24.06.2010 – 5 Ca 9/10 – wird zurückgewiesen. Die Widerklage der Beklagten wird abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Streitverkündete hat die durch ihren Beitritt entstandenen Kosten zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 14.402,59 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Gegenstand der Berufung ist ein Teilurteil über einen Lohnanspruch des Klägers gegen die Beklagte wegen behaupteter Verletzung der Pfändungsfreigrenzen.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit März 2007 als Fahrer beschäftigt. Wegen der monatlich erstellten Lohnabrechnungen im streitgegenständlichen Zeitraum von März 2007 bis November 2009 wird auf die Anlagen zur Klagschrift verwiesen. Die Beklagte führte in den Monaten März, April, Mai und Juni 2007 die aus den Abrechnungen ersichtlichen Beträge an Pfändungsgläubiger ab. Im Mai 2007 legte die Streitverkündete gegenüber der Beklagten die vom Kläger erteilte Abtretung des pfändbaren Teils seines Arbeitseinkommens offen. Daraufhin führte die Beklagte im Zeitraum von Juli 2007 bis November 2009 die aus den Abrechnungen ersichtlichen Beträge („Pfändung“ bzw. „Abtretung“) an die Streitverkündete ab.

Der Kläger wurde im September 2009 von seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass die vorgenommenen Abzüge wohl nicht korrekt seien. Er macht im vorliegenden Rechtsstreit unter Berücksichtigung einer von ihm behaupteten und von der Beklagten bestrittenen Unterhaltspflicht für seinen Sohn die seiner Ansicht nach zu wenig an ihn ausgekehrten Lohnbeträge für die Zeit von März 2007 bis November 2009 in Höhe von insgesamt 20.456,19 Euro geltend. Gegenstand des vorliegend mit der Berufung angegriffenen Teilurteils des Arbeitsgerichts ist ein Teilbetrag von 13.122,34 Euro, der sich nach den Berechnungen des Klägers jedenfalls ergibt, wenn keine Unterhaltspflicht angesetzt wird.

Der Kläger hat die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 20.456,19 € zuzüglich div. Zinsen (vgl. Tatbestand des angegriffenen Urteils S. 4) beantragt. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die behaupteten Ansprüche des Klägers seien jedenfalls verwirkt. Der Kläger habe auch keinerlei Schaden erlitten, weil die an die Streitverkündete überwiesenen Beträge seine dortige Schuld gemindert hätten. Hinzu komme, dass der Kläger Bruttopositionen unzulässigerweise mit dem Nettolohn verrechnet habe.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat mit seinem Teilurteil vom 24.06.2010 der Klage jedenfalls insoweit stattgegeben, als es der Berechnung des Klägers gemäß seiner Anlage zum Schriftsatz vom 10.03.2010 unter Berücksichtigung von 0 Unterhaltspflichten entspricht. Wegen der Entscheidungsbegründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Klagabweisungsbegehren weiter und macht widerklagend den infolge des Teilurteils von ihr nebst Zinsen gezahlten Betrag von 14.402,59 Euro geltend. In Höhe von 10.600,- Euro hat die Beklagte die Widerklage wegen inzwischen vorgenommener Verrechnungen für erledigt erklärt. Dem hat der Kläger nicht widersprochen. Die Beklagte meint weiterhin, es liege jedenfalls Verwirkung vor, weil der Kläger die Abrechnungen zeitnah fortlaufend erhalten und keine Beanstandungen erhoben habe. Durch das Verhalten der Beklagten sei er nicht etwa geschädigt, sondern in Höhe der abgeführten Beträge von Verbindlichkeiten gegenüber Dritten befreit worden. Weil der Kläger den Abrechnungen nie widersprochen habe, sei die Beklagte davon ausgegangen, dass er mit der Abführung der ausgewiesenen Beträge an Pfändungs- und Abtretungsgläubiger einverstanden gewesen sei. Auch seien die Berechnungen des Klägers fehlerhaft, weil die Steuer- und Sozialabgaben nach Abzug der Bezüge gemäß § 850a ZPO nicht erneut gemäß § 850e ZPO hätten in Abzug gebracht werden dürfen. Notwendig sei deshalb die fiktive Ermittlung des Nettoentgeltes aufgrund des zu berücksichtigenden Bruttoentgeltes. Andernfalls finde eine unzulässige Überberücksichtigung der anteiligen Steuer- und Sozialabgaben statt. Zusammen mit der Streitverkündeten ist die Beklagte darüber hinaus der Auffassung, der Kläger sei für die streitbefangene Forderung nicht aktivlegitimiert, seine Forderung begründe nunmehr einen kapitalisierten Anspruch auf Arbeitseinkommen für die Vergangenheit, der nicht dem Pfändungsschutz unterliege.

Wegen der zweitinstanzlich gestellten Anträge wird auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 03.08.2010 und ihren Schriftsatz vom 26.10.2010 unter Berücksichtigung einer Teilerledigungserklärung in Höhe von 10.600,- Euro sowie den Schriftsatz der Streitverkündeten vom 26.08.2010 verwiesen. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Berufung und die Abweisung der Widerklage. Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Sachvortrags der Parteien und der dem Rechtsstreit beigetretenen Streitverkündeten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist ebenso wie die zweitinstanzlich erhobene Widerklage unbegründet. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 13.122,34 Euro aus § 611 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag der Parteien. Die Beklagte hat die an den Kläger für den Zeitraum von März 2007 bis November 2009 zustehende Arbeitsvergütung nicht vollständig bezahlt, weil sie bei ihren Berechnungen von zu einem hohen pfändbaren Betrag ausgegangen ist. Dabei verhält sich das vorliegend zu überprüfende Teilurteil lediglich über die Beträge, die sich unter Zugrundelegung von 0 Unterhaltspflichten ergeben. Die darüber hinaus vom Kläger geltend gemachten Ansprüche sind der Schlussentscheidung des Arbeitsgerichts vorbehalten.

Soweit es die Monate März bis Juni 2007 betrifft, gelten die §§ 850 ff. ZPO unmittelbar, soweit es die Abtretungserklärung im Rahmen des zwischen dem Kläger und der Streitverkündeten abgeschlossenen Darlehensvertrages betrifft, sind die §§ 850 ff. ZPO über § 400 BGB anzuwenden. Danach kann eine Forderung nicht abgetreten werden, soweit sie der Pfändung nicht unterworfen ist.

Der Kläger und ihm folgend das Arbeitsgericht haben die auf der Grundlage von 0 Unterhaltspflichten pfändbaren Beträge in den monatlichen Abrechnungen zutreffend berechnet. Gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 850e Nr. 1. ZPO sind nach dem sog. Bruttoprinzip die nach § 850a ZPO unpfändbaren Bezüge nicht um Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zu verringern, sondern komplett abzuziehen. Auch wenn bei dieser durch § 850e ZPO vorgegebenen Berechnungsart die Abzüge teilweise rechnerisch doppelt abgesetzt werden, handelt es sich um eine zulässige gesetzgeberische Konkretisierung des Pfändungsschutzes, die den Lebensunterhalt und die Existenz des Schuldners sichern soll und dem Arbeitgeber im Übrigen ohne zumutbaren Aufwand eine Berechnung des pfändungsfreien Betrages ermöglicht (vgl. LAG Berlin 14.01.2000 – 19 Sa 2154/99 -; diese Berechnung liegt auch zugrunde BAG 04.04.1989 – 8 AZR 689/87 -; vgl. auch Depré/Bachmann, die Praxis der Lohnpfändung, 4. Aufl., S. 88). Dementsprechend verfährt die Beklagte inzwischen auch bei ihren monatlichen Berechnungen.

Soweit die Beklagte und die Streitverkündete meinen, der Kläger sei für die streitbefangene Forderung nicht mehr aktivlegitimiert, weil diese einen kapitalisierten Anspruch auf Arbeitseinkommen für die Vergangenheit begründe, der nicht dem Pfändungsschutz unterliege, hält das Gericht dies für abwegig. Der Pfändungsschutz ist nicht deshalb unbeachtlich, weil er in der Vergangenheit missachtet wurde (vgl. zu einer ähnlichen Argumentation die Ausführungen in LAG München 30.10.2008 – 3 Sa 480/08 – Rz 110 ff.).

Das Gericht folgt auch der Begründung des arbeitsgerichtlichen Urteils hinsichtlich der nicht vorliegenden Verwirkung. Es ist entgegen der Berufungsbegründung unerheblich, ob eine irgendwie geartete Bereicherung der Beklagten vorliegt oder ob der Kläger durch das Verhalten der Beklagten bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung geschädigt worden ist oder nicht. Der Beklagten ist auch nicht darin zu folgen, dass sie allein wegen der widerspruchslosen Hinnahme der Abrechnungen durch den Kläger über den streitgegenständlichen Zeitraum davon ausgehen konnte und musste, der Kläger sei mit der Abführung der Beträge einverstanden gewesen und mache vermeintliche Differenzansprüche nicht mehr geltend. Der Kläger ist bei der Beklagten als Fahrer eingesetzt. Es ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht feststellbar, dass er über vertiefte Kenntnisse im Pfändungsrecht verfügt, und dass deshalb ein derartiges Vertrauen der Beklagten begründet gewesen wäre. Es ist auch nicht der Streitverkündeten zu folgen, die meint, es habe in dem wohlverstandenen Interesse des Klägers gelegen, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, obwohl dadurch zwingende gesetzliche Pfändungsfreigrenzen verletzt werden.

Damit ist auch die Widerklage unbegründet, dies gilt von Anfang an auch in dem inzwischen beiderseits für erledigt erklärten Umfang, § 91a ZPO. Eine Streitwerterhöhung wurde dadurch nur insoweit veranlasst, als es die Zinsen als Hauptforderung betrifft. Im Übrigen geht es wirtschaftlich um ein und denselben Betrag.

Auch eine Würdigung des sonstigen Sachvortrags der Parteien, von deren Darstellung im Einzelnen Abstand genommen wird, führt zu keinem abweichenden Ergebnis.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 91a, 74 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

 

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