Skip to content

Mehrarbeitsvergütung – keine ausdrückliche Vereinbarung über Arbeitszeitdauer

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 556/20 – Urteil vom 07.07.2021

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 09.06.2020 – 8 Ca 7777/19 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung von Mehrarbeitsvergütung.

Der Kläger ist seit dem Mai 2018 aufgrund eines mündlichen Arbeitsvertrages als Fahrer bei der Beklagten, die eine Spedition betreibt, beschäftigt. Sein Monatslohn beträgt 2.800,00 EUR. Der Kläger hat regelmäßig mehr als 174 Stunden den Monat gearbeitet. Wegen der Einzelheiten der Anzahl der Arbeitsstunden wird auf Bl. 3 ff. d. A. verwiesen.

Nach erfolgloser vorgerichtlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 24.09.2019 (Bl. 30 f. d. A.) hat der Kläger Zahlungsklage erhoben, mit der er ausgehend von einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden Mehrarbeitsvergütung für den Zeitraum Mai 2018 bis einschließlich Oktober 2019 begehrt.

Mehrarbeitsvergütung - keine ausdrückliche Vereinbarung über Arbeitszeitdauer
(Symbolfoto: Daniel M Ernst/Shutterstock.com)

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 09.06.2020 (Bl. 96 ff. d. A.) die Beklagte verurteilt, an den Kläger – unter Abweisung im Übrigen – 4.061,56 EUR brutto nebst Verzugszinsen zu zahlen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, vergütungspflichtig seien nur diejenigen Stunden, die über der gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden hinaus geleistet worden seien. Eine abweichende Vereinbarung mit einer geringeren Arbeitszeit hätten die Parteien nicht getroffen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbingens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihm am 07.07.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.07.2020 Berufung eingelegt und diese am 03.09.2020 begründet.

Der Kläger meint, die Beklagte sei verpflichtet, weitere 9.334,07 EUR brutto zu zahlen, denn mangels ausdrücklicher arbeitsvertraglicher Vereinbarung sei von einer konkludent vereinbarten 40-Stunden-Woche als Regelfall eines Vollzeitarbeitsverhältnisses auszugehen. Ein Rückgriff auf das ArbZG sei aufgrund der abweichenden Zielrichtung der öffentlich-rechtlichen Schutzrechte nicht angezeigt. Die tarifvertragliche Arbeitszeit für Kraftfahrer wie auch die betriebsübliche Arbeitszeit betrage 40 Stunden die Woche. In diesem Umfang sei der Kläger zuletzt auch beschäftigt worden. Die Beklagte habe ihre Fahrer in den vergangenen Jahren regelmäßig fünf Arbeitstage eingesetzt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 9. Juni 2020 – Aktenzeichen: 8 Ca 7777/19 – aufzuheben und dahingehend abzuändern, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 13.395,63 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Oktober 2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung vom 29.07.2020 gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 09.06.2020 zum Aktenzeichen 8 Ca 7777/19 zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Eine betriebsübliche Arbeitszeit von 40 Wochenstunden bestehe nicht, der einzige mit dem Kläger vergleichbare Fahrer habe hinsichtlich des zeitlichen Umfanges in gleichem Maße gearbeitet wie der Kläger. Eine Arbeitszeit von 40 Stunden die Woche sei bei einem Kraftfahrer nicht der übliche Regelfall. Zwar gehe der einschlägige Lohntarifvertrag von einer 40-Stunden-Woche aus, jedoch bei einem deutlich geringeren Grundlohn.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 05.08.2020, 24.11.2020 und 17.01.2021, die Sitzungsniederschrift vom 07.07.2021 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und sie wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Der Berufung bleibt der Erfolg versagt. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder aus § 612 Abs. 1 BGB noch aus sonstigem Rechtsgrund einen Anspruch auf Zahlung von weiteren 9.334,07 EUR brutto, denn die Parteien haben eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden nicht (konkludent) gemäß den §§ 133, 157 BGB vereinbart.

1. Eine arbeitsvertragliche Klausel, wonach ein Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt wird, darf der Arbeitnehmer in der Regel so verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit – unter Zugrundelegung einer Fünf-Tage-Woche und der in § 3 Satz 1 ArbZG vorgesehenen acht Stunden arbeitstäglich – 40 Wochenstunden nicht übersteigt (BAG, Urt. v. 25.03.2015 – 5 AZR 602/13 -). Wird im Arbeitsvertrag hingegen keine ausdrückliche Vereinbarung über die Dauer der Arbeitszeit getroffen, ist davon auszugehen, dass die Parteien die betriebsübliche Arbeitszeit vereinbaren wollen, da dies dem Vertragswillen verständiger und redlicher Vertragspartner entspricht (BAG, Urt. v. 15.05.2013 – 10 AZR 325/12- m. w. N.). Wird ein Arbeitsvertrag ohne ausdrückliche Willenserklärung zu seinem konkreten Inhalt geschlossen, kann in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte auf das gelebte Rechtsverhältnis als Ausdruck des wirklichen Parteiwillens abgestellt werden, auch wenn dem tatsächlichen Verhalten nicht notwendig ein bestimmter rechtsgeschäftlicher Erklärungswert in Bezug auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses zukommt (BAG, Urt. v. 02.11.2016 – 10 AZR 419/15 – m. w. N.). Die Auslegung konkludenter Vereinbarungen erfolgt gemäß den §§ 133, 157 BGB. Nach den §§ 133, 157 BGB sind Willenserklärungen und Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten, wobei vom Wortlaut auszugehen ist. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, wider spruchsfreien und den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt (vgl.: BAG, Urt. v. 27.04.2021 – 9 AZR 343/20 – m. w. N.).

2. Die Parteien haben unstreitig ein Vollzeitarbeitsverhältnis vereinbart, jedoch eine ausdrückliche Vereinbarung zum Umfang der wöchentlichen Arbeitspflicht nicht getroffen. Eine betriebsübliche Arbeitszeit von 40 Wochenstunden lässt sich nicht positiv feststellen. Das allgemein gehaltene Vorbringen des Klägers bleibt diesbezüglich ohne hinreichende Substanz. Es ist dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen, welche betrieblichen Arbeitnehmer und welche Fahrer, die nur an fünf Tagen eingesetzt worden sind, lediglich 40 Stunden die Woche beschäftigt worden sind. Im Falle des Klägers war dies jedenfalls nicht der Fall. Aus der Tatsache, dass die Beklagte nach Erhebung der Klage den Kläger nur noch in einer 40-Stunden-Woche eingesetzt hat, lässt sich nicht der Schluss auf die vom Kläger behauptete betriebsübliche Arbeitszeit in der Vergangenheit ziehen. Dieser reduzierte Arbeitszeiteinsatz war, wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, erkennbar eine Reaktion auf die Klage auf Mehrarbeitsvergütung. Zugunsten des Klägers streitet zwar eine regelmäßige Erwartung eines Arbeitnehmers auf Begründung eines Vollzeitarbeitsverhältnisses mit 40 Stunden die Woche. Jedoch ist zu beachten, dass der Umfang der Arbeitszeit wie auch die Entlohnung Bestandteil des arbeitsvertraglichen Synallagmas sind, also in das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung eingebettet sind. Auch wenn seitens des Klägers keine Tarifbindung besteht, kann im Rahmen der Berücksichtigung der Verkehrssitte das Tarifwerk für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen mit herangezogen werden. Der Kläger hat als Kraftfahrer eine Vergütung bezogen, die erheblich über dem Tariflohn lag. Bis einschließlich Dezember 2018 hat der Tariflohn für Fahrer der Klasse CE (Lohngruppe 3) nach § 3 des Lohntarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 27.10.2016 bei einer 40 Stundenwoche ab dem 01.11.2017 2.038,59 EUR brutto und ab dem Januar 2019 nach § 3 des Lohntarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 27.10.2016 2.250,83 EUR brutto betragen, mithin lediglich 72,8 % bzw. 80,4 % des zwischen den Parteien vereinbarten Monatslohns. Selbst unter Berücksichtigung der Zuschlagspflicht (Mehrarbeitszuschlag von 25 % für Kraftfahrer) nach § 3 Nr. 1a) des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 20.08.2013 für die Zeit bis einschließlich Dezember 2018 bzw. des § 3 Nr. 1b) des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 19.11.2018 für den Zeitraum ab Januar 2019 wird jedenfalls der vom Arbeitsgericht rechtskräftig zugesprochene Lohn der Höhe nach nicht erreicht, wenn die vom Kläger eingestellten Arbeitsstunden nach Tarifvertrag berechnet werden. Im Streitfall sind darüber hinaus keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder ersichtlich, warum es aufgrund der Umstände des Einzelfalls der beiderseitigen Interessenlage entsprechen sollte, dass die Beklagte für eine Grundvergütung, die erheblich über dem einschlägigen Tariflohn liegt, lediglich eine dem Zeitumfang tarifgerechte Arbeitsleistung hat erwarten dürfen. Schließlich spricht auch das übereinstimmende Verhalten der Parteien gegen die Annahme der Vereinbarung einer 40-Stunden-Woche. Die Beklagte hat den Kläger durchgehend monatlich mit 2.800,00 EUR brutto vergütet, der Kläger hat in Kenntnis des Umfangs seiner Arbeitsleistung dies über einen Zeitraum von etwa 17 Monaten unbeanstandet hingenommen und erstmals mit Schreiben vom 24.09.2019 (Bl. 30 f. d. A.) die Vergütung von Mehrarbeit bis Juli 2019 verlangt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!