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Missachtung von Hygienevorschriften bei Covid-19 – Arbeitnehmerkündigung

Arbeitsgericht Kassel entscheidet gegen gekündigte Pflegekraft

Das Arbeitsgericht Kassel hat die Kündigung einer schwerbehinderten Pflegehilfskraft durch ein Seniorenheim bestätigt. Die Klägerin hatte gegen die verhaltensbedingte Kündigung geklagt. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Klägerin ihre vertraglichen Nebenpflichten zur Einhaltung der Corona-Hygienevorschriften verletzt habe. Dies stellte eine so schwere Verletzung dar, dass die Beklagte nicht weiter mit ihr zusammenarbeiten konnte. Die Pflegekraft soll Angehörige eines Bewohners im Quarantänebereich des Heims besucht haben. Das Gericht berief sich dabei auf eine Beweisaufnahme. Eine Abmahnung der Klägerin wegen des Vorfalls wurde zuvor vom Arbeitsgericht Kassel als zu unkonkret beanstandet und aus der Personalakte entfernt.

Die Klägerin hatte die Vorwürfe zurückgewiesen. Auch die Betriebsratsanhörung sei unwirksam gewesen, weshalb die Kündigung nichtig sei. Das Gericht folgte dieser Auffassung nicht. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.


Hessisches Landesarbeitsgericht – Az.: 14 Sa 1216/21 – Urteil vom 20.05.2022

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 23. September 2021 – 1 Ca 449/20 – wird verworfen, soweit sie sich gegen die Abweisung der allgemeinen Feststellungsklage wendet.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Missachtung von Hygienevorschriften bei Covid-19 - Arbeitnehmerkündigung
(Symbolfoto: Maridav/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten auch in der Berufungsinstanz über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses, insofern um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung und um Weiterbeschäftigung.

Die Beklagte betreibt ein Seniorenheim mit zum Kündigungszeitpunkt 77 Bewohnern in unterschiedlichem Gesundheitszustand. Sie beschäftigt 86 Arbeitnehmer. Bei ihr besteht ein Betriebsrat.

Die 1965 geborene, mit einem GdB 70 schwerbehinderte Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. Oktober 2013 als Pflegehilfskraft mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. 1890,25 EUR brutto beschäftigt.

Mit zwei Schreiben vom 14. Dezember 2020, eines der Klägerin am gleichen Tag zugegangen, eines ihrem Prozessbevollmächtigten am Folgetag, kündigte die Beklagte der Klägerin das Arbeitsverhältnis ordentlich verhaltensbedingt zum 28. Februar 2021.

Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht Kassel hat Beweis über die Frage erhoben, ob die Klägerin am 28. April 2021 im Rahmen einer Schulungsveranstaltung darauf hingewiesen worden ist, dass in den Quarantänezimmern keine Besucher zugelassen sind und ob sie am 27. Juli 2020 gegen 16:30 Uhr drei Angehörige in das Zimmer eines in Quarantäne befindlichen Bewohners gelassen hat durch die Vernehmung der Zeuginnen A und B (Beweisbeschluss Bl. 216 d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 5. August 2021 (Bl. 242 – 245 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Kassel hat die Klage mit Schlussurteil vom 5. August 2021 hinsichtlich des allgemeinen Feststellungsantrags als unzulässig und hinsichtlich der Kündigungsschutzklage als unbegründet abgewiesen. Die Abweisung der allgemeinen Feststellungsklage hat das Arbeitsgericht damit begründet, dass mangels weiteren in Betracht kommenden Beendigungstatbestandes kein Feststellungsinteresse gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 256 Abs.1 ZPO bestehe.

Hinsichtlich der Kündigungsschutzklage ist das Arbeitsgericht von einer einheitlichen Kündigungserklärung vom 14. Dezember 2020 ausgegangen, deren Zugang lediglich auf doppelte Weise habe bewirkt werden sollen und hat angenommen, dass diese das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 28. Februar 2021 beendet habe. Es hat soziale Rechtfertigung der Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG mit der Begründung bejaht, die Klägerin habe ihre vertraglichen Nebenpflichten zur Einhaltung der Corona-Hygienevorschriften derart schwer verletzt, dass der Beklagten eine weitere Zusammenarbeit mit ihr nicht zumutbar gewesen sei. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin am 27. Juli 2020 die Angehörigen des an diesem Tag eingezogenen und deshalb in Quarantäne befindlichen Herrn C in dessen Zimmer gelassen habe. Die vernommene Zeugin Frau B sei uneingeschränkt glaubwürdig gewesen. Sie habe erkennbar keinen Belastungseifer gezeigt und der Beklagten eher kritisch gegenübergestanden. Ihre Aussage in Bezug auf das Beweisthema sei detailreich, schlüssig und insgesamt glaubhaft gewesen. Sie sei außerdem nach Überzeugung der Kammer durch die Angaben der Zeugin A zu diesem Beweisthema bestätigt worden. Zwar habe diese das Geschehen nur aufgrund des Telefonats mit der Zeugin B und nicht aus eigenem Erleben schildern können, die Aussagen hätten sich jedoch in Detailfragen gedeckt.

Das Arbeitsgericht hat weiter angenommen, die Klägerin habe sich der Bedeutung von Quarantänezimmern bewusst sein müssen, dies ergebe sich zum einen aus der allgemeinen Lebenserfahrung die Gepflogenheiten in Senioren- und Pflegeeinrichtungen betreffend, zum anderen habe die Zeugin A glaubhaft ausgesagt, dass die Klägerin entgegen ihrer Behauptung am 28. April 2020 an einer Schulungsveranstaltung teilgenommen habe, deren Thema der Umgang mit Quarantänezimmern gewesen sei.

Vor dem Hintergrund der bereits ausgesprochenen Abmahnung vom 13. Mai 2020 wegen nicht vollständig angelegter Schutzkleidung beim Betreten von Quarantänezimmern habe ein milderes Mittel als der Ausspruch der ordentlichen Kündigung nicht zur Verfügung gestanden. Hiergegen könne auch nicht eingewendet werden, dass die Abmahnung vom 13. Mai 2020 nach rechtskräftigem Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 17. Dezember 2020 (Bl. 170 ff. der Akte aus der Personalakte) aus der Personalakte der Klägerin habe entfernt werden müssen, weil der in ihr enthaltene Hinweis auf „bekannte Hygienevorgaben“ und „notwendige Schutzkleidung“ den Anforderungen an eine ausreichend konkrete Bezeichnung der Verhaltenspflicht in der Abmahnung nicht genüge. Die Abmahnung erfülle gleichwohl die Warnfunktion, da sie das der Klägerin vorgeworfene und von dieser in tatsächlicher Hinsicht auch nicht bestrittene Fehlverhalten im Kern richtig bezeichne. Im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung überwiege das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das der Klägerin am Erhalt ihres Arbeitsplatzes. Insoweit sei zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass insbesondere in der aktuellen Zeit der Corona-Pandemie eine einfache Unachtsamkeit im Bereich der Hygienemaßnahmen für die bei ihr lebenden Menschen lebensbedrohlich verlaufen könne. Sie müsse daher in ihre Mitarbeitenden das unbedingte Vertrauen haben können, dass diese die Hygienemaßnahmen strikt einhalten.

Schließlich scheitere die Wirksamkeit der Kündigung auch nicht an § 102 Abs. 1 BetrVG. Insofern geht das Arbeitsgericht davon aus, dass die schriftliche Anhörung dem inzwischen verstorbenen Betriebsratsvorsitzenden am 9. Dezember 2020 übergeben wurde, weil dieser auf der vorletzten Seite des Unterrichtungsschreibens die Stellungnahme ausgefüllt und auf der fortlaufend nummerierten Folgeseite eigenhändig unterzeichnet habe. Ob die von der Klägerin behaupteten Mängel bei der Beschlussfassung des Betriebsrats vorgelegen hätten, könne offenbleiben, da auch dies nicht dazu führe, dass der Arbeitgeber bis zum Ausspruch der Kündigung die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG abwarten müsse. Schließlich sei die gemäß § 168 SGB IX notwendige Zustimmung des Integrationsamts mit Bescheid vom 3. Dezember 2020 erteilt worden.

Wegen der Begründung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung und des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die angegriffene Entscheidung verwiesen (Bl. 257 – 268 d.A.).

Die Klägerin hat gegen das ihr am 27. September 2021 zugestellte Urteil am 12. Oktober 2021 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29. Dezember 2021 mit am 29. Dezember 2021 eingegangener Berufungsbegründungsschrift begründet.

Die Klägerin rügt, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die sie in Bezug auf den Bewohner C und dessen Besucher arbeitsvertragliche Nebenpflichten verletzt habe. Die Beweisaufnahme sei nicht ergiebig gewesen, die Zeugin B habe gerade nicht bekundet, dass sie diese und ihre Angehörigen ins Zimmer hinein gebeten habe. Auch aus der Aussage der Zeugin A ergebe sich dies nicht. Es könne auch, anders als das Arbeitsgericht ausführe, nicht davon ausgegangen werden, die Zeugin A wäre glaubhaft und unparteiisch, nachdem sie ausgesagt habe, dass ihr die Akte von der Heimleitung der Beklagten vorgelegt wurde und sie sich diese im Hinblick auf die Fragestellung angeschaut hätte. Außerdem habe das Arbeitsgericht nicht gewürdigt, dass sie die Zeugin B und deren Angehörige über die Vorgaben der Beklagten hinaus mit einer vollständigen Schutzkleidung ausgestattet hatte. Sie behauptet, ihr sei auch nicht klar gewesen, dass das Quarantänezimmer mit Schutzkleidung nicht durch die Bewohner betreten werden durfte. Eine entsprechende Dienstanweisung habe nicht bestanden. Außerdem fehle es jedenfalls an einem nachhaltigen und wiederholten Verstoß gegen Sicherheit- und Unfallverhütungsvorschriften. Eine Abmahnung sei nicht entbehrlich gewesen, ihr Arbeitsverhältnis müsse nämlich als abmahnungsfrei angesehen werden, weil die beiden ihr erteilten Abmahnungen aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Arbeitsgerichts Kassel vom 17. Dezember 2020 aus der Personalakte entfernt werden mussten. Sie meint, die Abmahnung vom 13. Mai 2021 habe die Warnfunktion nicht erfüllen können, weil aus ihr nicht erkennbar gewesen sei, welches Verhalten von ihr erwartet werde und welches Verhalten von der Beklagten als so schwerwiegend angesehen werde, dass ihr die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses drohe. Schließlich falle auch die Interessenabwägung zulasten der Beklagten aus. Zu ihren Gunsten seien nämlich nicht nur ihr Lebensalter und ihre Schwerbehinderung zu bewerten, sondern auch, dass sie dafür gesorgt habe, dass die Angehörigen und der Betreute noch mehr geschützt seien, als die Beklagte dies vorgegeben habe, nämlich durch die Ankleidung der Besucher mit zusätzlicher Schutzkleidung.

Weiterhin ist die Klägerin unverändert der Ansicht, die Kündigung sei mangels wirksamer Betriebsratsanhörung unwirksam. Dass die sechste Seite der Betriebsratsanhörung, auf der die Unterschrift enthalten sei, der Betriebsratsanhörung beigefügt gewesen sei, bestreitet die Klägerin ebenso wie die Beifügung der Anl. 1-4 nebst den E-Mails, des Hygienekonzepts, des Hygieneplans und des Hygienehandbuchs. Schließlich meint sie, die Betriebsratsanhörung sei unwirksam, weil die Klägerin betreffend die Abmahnung vom 13. Mai 2020 eine Gegendarstellung zur Personalakte gereicht habe, die der Betriebsratsanhörung unstreitig nicht beigefügt war. Insofern bezieht sich die Klägerin auf eine undatierte nicht unterschriebene zur Akte gereichte Notiz (Bl. 303 der Akte) und behauptet, diese sei dem Einrichtungsleiter der Beklagten etwa eine Woche nach Erhalt der Abmahnung übergeben worden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgericht Kassel vom 23. September 2021 – 1 Ca 449/20 – abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14. Dezember 2020 nicht aufgelöst worden ist; festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände beendet worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht und für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin als Pflegehilfskraft bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Dabei vertritt sie die Ansicht, das Arbeitsgericht habe zutreffend das Beweisthema als bestätigt angesehen. Der Aussage der Zeugin B sei klar zu entnehmen, dass die Klägerin diese, deren Tochter und deren Schwiegersohn in das Zimmer des Bewohners C hinein gebeten habe. Die Zeugin A habe bestätigt, dass die Mitarbeiter über die Bedeutung von Quarantänezimmern und das Thema Besuch diesbezüglich informiert gewesen seien. Das Arbeitsgericht Kassel sei auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Abmahnung vom 13. Mai 2020 die Warnfunktion erfülle, so dass die Würdigung des Arbeitsgerichts, das Arbeitsverhältnis habe nicht abmahnungsfrei bestanden, zutreffend sei. Schließlich zeigten die Ausführungen der Klägerin im Rahmen der Interessenabwägung, dass diese offenbar immer noch nicht verstanden habe, wie sie sich im Hinblick auf Quarantänezimmer zu verhalten habe, wenn sie meine, durch die Ausrüstung der Angehörigen mit Schutzkleidung sogar mehr getan habe, als von ihr verlangt werde. Es werde offenbar, dass die Klägerin ein eigenes Verständnis zur Umsetzung von Hygienemaßnahmen habe, und sie sich nicht auf sie verlassen könne.

Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere auch nicht an § 102 Abs. 1 BetrVG. Insoweit behauptet die Beklagte, dem verstorbenen Betriebsratsvorsitzenden sei vom Geschäftsführer der Beklagten persönlich am 9. Dezember 2020 die im Prozess vorgelegte Betriebsratsanhörung nebst Anlagen, bestehend aus insgesamt 29 Blättern, persönlich übergeben worden. Dort sei selbst verständlich auch die mit Seitenzahl sechs fortlaufend nummerierte Seite beigefügt gewesen, ebenso die Gegendarstellung der Klägerin vom 4. Juni 2020. Insoweit verweist die Beklagte auf die von ihr zur Akte gereichte Ausfertigung der Betriebsratsanhörung, auf der der damalige Betriebsratsvorsitzende deren Erhalt mit Datum 9. Dezember 2020 quittiert hat und behauptet, der Geschäftsführer habe zwei Exemplare der Betriebsratsanhörung erstellt, davon eins für den Betriebsrat unterschrieben und das zweite, auf dem er sich zuvor den Empfang durch den Betriebsrat habe quittieren lassen, für seine eigenen Unterlagen verwendet. So gehe er vor, für den Fall, dass der Betriebsrat gar keine Stellungnahme abgebe oder die Frist verstreichen lasse. Deswegen sei auf der ersten zur Akte gereichten Abschrift der Betriebsratsanhörung kein Empfang quittiert, wohl aber auf der als Anlage B 12 eingereichten Abschrift der Betriebsratsanhörung. Die von der Klägerin mit der Berufungsbegründung hereingereichte “Stellungnahme“ sei ihr nicht bekannt und von dieser nicht zur Personalakte gereicht worden. Sie klinge auch bereits nach ihrem Wortlaut nicht nach einer Stellungnahme, was der direkte Vergleich mit der unstreitigen Stellungnahme vom 4. Juni 2020 ergebe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 20. Mai 2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Klägerin ist nur teilweise zulässig.

1.

Die Berufung ist statthaft, §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 Abs. 1 ZPO, 64 Abs. 2 b ArbGG und auch form- und fristgerecht eingelegt worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519 ZPO.

2.

Soweit die Klägerin sich mit ihrer Berufung gegen die Abweisung der allgemeinen Feststellungsklage wendet, ist die Berufung unzulässig, da sie nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend begründet wurde.

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Begründung der Berufung auch im Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen anwendbar. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die Berufungsbegründung muss sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (vgl. BAG 19. Februar 2013 – 9 AZR 543/11 – AP Nr. 48 zu § 64 ArbGG 1979; BAG 15. März 2011 – 9 AZR 813/09 – AP Nr. 44 zu § 64 ArbGG 1979).

b) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung hinsichtlich der gegen die Zurückweisung der Feststellungsklage gerichteten Berufung nicht. Sie befasst sich nicht mit den Argumenten des angefochtenen Urteils.

aa) Das Arbeitsgericht hat die Unzulässigkeit der allgemeinen Feststellungsklage mit fehlendem Feststellungsinteresse begründet, da weitere Beendigungstatbestände oder deren Möglichkeit neben der angegriffenen Kündigung von der Klägerin nicht aufgezeigt oder in den Prozess eingeführt worden seien.

bb) Hiermit setzt sich die Berufungsbegründung in keiner Weise auseinander. Sie äußert sich gar nicht zu der Begründung für die Abweisung der allgemeinen Feststellungsklage und führt auch nicht nunmehr weitere Beendigungstatbestände oder deren Möglichkeit neben der angegriffenen Kündigungen in den Prozess ein.

3.

Im Übrigen erfüllt die Berufungsbegründung unproblematisch die Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.

II.

1.

Die Berufung hat jedoch, soweit sie zulässig ist, in der Sache keinen Erfolg.

Die Kündigungsschutzklage ist zwar zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14. Dezember 2020 zum 28. Februar 2021 aufgelöst worden.

2.

Die Rechtmäßigkeit der Kündigung ist zu prüfen, da die Klägerin innerhalb der Dreiwochenfrist der §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben hat und diese demnächst iSd. § 167 ZPO zugestellt worden ist.

3.

Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 1 KSchG. Sie ist durch im Verhalten der Klägerin liegende Gründe bedingt, § 1 Abs. 2 KSchG. Dies hat das Arbeitsgericht mit gründlicher und zutreffender Begründung, die sich die Kammer gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG vollumfänglich zu eigen macht, richtig festgestellt. Die Angriffe der Beklagten führen zu keiner abweichenden Beurteilung und geben lediglich Anlass zu folgenden Ausführungen:

a) Entgegen der Auffassung der Berufung hat die Zeugin B das Beweisthema klar bestätigt. Die von der Klägerin zitierte Passage „was soll ich da sagen, ich weiß es nicht mehr ganz genau. Ich glaube, sie war dann schon drinnen …“ steht dem nicht entgegen. Was die Zeugin nicht genau erinnerte, war nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Aussage, wo die Schutzkleidung angelegt worden ist, ob die Klägerin sich hierbei nämlich bereits im Zimmer des Herrn C befand oder nicht. Die Aussage der Zeugin, die Pflegerin, die ihr die Schutzkleidung anlegte – dass dies die Klägerin war, ist zwischen den Parteien unstreitig- sei an die Terrassentür gekommen und habe gefragt, ob die Zeugin B, deren Tochter und deren Schwiegersohn hineinkommen wollen („ …da kam eine Frau und fragte, ob wir hereinkommen wollen…“) ist klar und eindeutig. Gleiches gilt für ihre Einlassung, sie habe noch eingewendet, sie denke, das sei verboten, hierauf sei die Mitarbeitende der Beklagten aber nicht eingegangen. Auf die von der Zeugin tatsächlich nicht eindeutig erinnerte Frage, wo die Schutzkleidung angelegt wurde, kam es hingegen dem Beweisthema nach nicht an. Gegen die arbeitsgerichtliche Würdigung der Zeugin als glaubwürdig und ihre Aussage als glaubhaft im Übrigen wendet sich die Berufung nicht, so dass es diesbezüglicher Ausführungen vor dem Hintergrund der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts nicht bedarf. Ergänzend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Vortrag der Klägerin, sie habe die Besucher mit Schutzkleidung eingekleidet, sie aber nicht in das Zimmer gelassen, unplausibel ist. Warum die Besucher, wenn sich außerhalb des Zimmers Bewohners C auf der Terrasse hätten aufhalten sollen, Schutzkleidung hätten tragen sollen, erschließt sich nicht.

b) Auch betreffend die Aussage der Zeugin A vermögen die Argumente der Berufung nicht zu überzeugen.

aa) Insbesondere leuchtet nicht ein, warum durch die Aussage der Zeugin A, die Zeugin B habe ihr mitgeteilt, dass sie erst eingekleidet und dann in das Zimmer hereingelassen worden sei, die Aussage widerlegt worden sein soll, die Zeugin B sei von der Klägerin in das Zimmer des unter Quarantäne stehenden Herrn C hereingelassen worden. Hieraus resultiert höchstens, dass die Zeugin B sich bei dem Telefonat mit der Zeugin A noch an die Reihenfolge zwischen Eintreten in das Zimmer und Anlegen der Schutzkleidung erinnerte, bei der Vernehmung hingegen nicht mehr.

bb) Die Zeugin A war auch nicht, wie die Klägerin meint, deswegen parteiisch, weil sie vor ihrer Vernehmung die Akte bei der Beklagten eingesehen hatte. Gemäß § 378 ZPO ist der Zeuge, soweit es ihm die Aussage erleichtert, sogar verpflichtet, Aufzeichnungen und andere Unterlagen einzusehen, wenn ihm das gestattet und zumutbar ist.

Weitere Einwände gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin bringt die Berufungsbegründung nicht vor.

cc) Schließlich ist die Aussage der Zeugin A auch nicht unergiebig, soweit sie die Teilnahme der Klägerin und den Inhalt der Schulung vom 28. April 2021 betrifft. Die Teilnahme der Klägerin hat sie klar bestätigt, wogegen sich die Berufung auch nicht wendet. Auch wenn sie hinsichtlich des Inhalts der Schulung das Beweisthema nicht vollständig bestätigt hat, so hat sie jedoch keineswegs, wie die Berufung meint, nur ausgesagt, Gegenstand der Schulung sei das Einkleiden für das Quarantänezimmer gewesen. Sie hat vielmehr ausgesagt, Thema sei die Bedeutung des Quarantänezimmers gewesen und es sei noch einmal darüber aufgeklärt worden, dass die Wahrscheinlichkeit geringer ist, dass Keime heraus- und weitergetragen werden, wenn nur eine Person das Zimmer betritt. Es sei also klar gewesen, dass möglichst wenig Leute in das Zimmer von unter Quarantäne stehenden Personen eintreten sollen. Die Zeugin konnte sich zwar nicht mehr 100-prozentig daran erinnern, ob konkret das Thema Besuch in der Schulung angesprochen worden sei, sie hat aber ausgesagt, es sei völlig klar gewesen und auch in der Vergangenheit so praktiziert worden, dass „Besuch nie ein Thema in den Quarantänezimmern“ gewesen sei. Vor dem Hintergrund ihrer Erläuterung, eine Ausnahme habe es nur gegeben, wenn der Bewohner im Sterbeprozess gewesen sei oder andere gewichtige Gründe vorlagen, was aber mit der Heimleitung abzusprechen gewesen sei, ist diese Formulierung unmissverständlich dahingehend zu verstehen, dass das Besuch in Quarantänezimmern verboten und dies den Mitarbeitenden auch bekannt gegeben worden ist. Tatsächlich ergibt sich allein durch die nach Aussage der Zeugin in der Schulung erfolgte Erläuterung der Bedeutung von Quarantänezimmern – Isolation des Betreffenden zur Vermeidung von Keimverschleppung und Ansteckung -,dass Besuch dort grundsätzlich ausgeschlossen ist.

c) Die Berufung hat auch keinen Erfolg, soweit sie sich darauf beruft, es habe an der für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen Negativprognose gefehlt.

aa) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin durch die Ausstattung der Besucher, die sie nach Überzeugung der Kammer verbotswidrig in das Zimmer des Bewohners C eingelassen hat, keineswegs, wie sie selbst in der Berufungsbegründung noch meint, mehr getan hat, als nach den Vorgaben der Beklagten erforderlich gewesen wäre. Zwar mögen die aus dem Regelverstoß resultierenden Ansteckungsgefahren dadurch gesenkt worden sein, für das Bestehen einer Negativprognose kommt es aber auf die Frage an, ob die Beklagte damit rechnen muss, die Klägerin werde auch künftig gegen Hygienevorschriften, insbesondere im Hinblick auf Covid-19-Schutzmaßnahmen verstoßen. Diese Wiederholungsgefahr wird gerade nicht dadurch gemildert, dass die Klägerin meinte, selbst entscheiden zu können, durch welche Maßnahmen sie die Ansteckungsgefahr senkt. Hinzu kommt, dass die Klägerin in mehrfacher Weise gegen die geltenden Covid-19-Schutzmaßnahmen verstoßen hat. Sie hat nämlich nicht nur verbotswidrig Besuch in einem Quarantänezimmer zugelassen, sondern durch den Einlass von gleich drei Besuchern zusätzlich die Einhaltung der allgemein geltenden Abstandsregelungen verletzt.

bb) Das Arbeitsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die bereits erteilte Abmahnung vom 13. Mai 2021 eine negative Prognose für das künftige Verhalten der Klägerin rechtfertigt. Unstreitig hat die Klägerin bereits am 10. Mai 2021 gegen Hygienevorschriften der Beklagten verstoßen und ist hierfür abgemahnt worden. Sie hat den diesbezüglichen Vorwurf ausdrücklich in tatsächlicher Hinsicht anerkannt. Die Abmahnung erfüllt dabei die kündigungsrechtliche Warnfunktion, die den Arbeitnehmer vor einer Überraschungskündigung schützen und zugleich klarstellen soll, welchen Tatbestand der Arbeitgeber als Vertragsverstoß wertet und dass dieser Tatbestand für ihn ausreichendes Gewicht hat, um seine Erfüllung zum Anlass für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu nehmen (LAG Köln 5. Februar 1999 – 11 Sa 565/98 – MDR 1999, 877). Dabei mag es sein, dass die Abmahnung vom 13. Mai 2020 nicht hinreichend klar beschreibt, aus welchen Einzelteilen die Schutzausrüstung besteht, die die Klägerin in einem Quarantänezimmer tragen muss und welches Verhalten diesbezüglich genau von ihr erwartet wird. Dies betrifft jedoch die Rügefunktion der Abmahnung. Für die Frage, ob die Abmahnung die kündigungsrechtliche Warnfunktion betreffend Verstöße gegen Covid-19-Schutzmaßnahmen erfüllt, kommt es hierauf hingegen nicht an. Entscheidend für die die Negativprognose begründende Warnfunktion der Abmahnung ist, ob die Klägerin erkennen konnte, dass Verstöße gegen Covid-19-Schutzmaßnahmen von der Beklagten als Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses angesehen werden und gleichwohl erneut eine gleichartige Nebenpflichtverletzung begangen hat. Dies ist nach der dortigen Formulierung, Verstöße gegen die hinlänglich bekannten Hygienevorgaben seien schon in „normalen Zeiten nicht hinzunehmen, aber schon gar nicht während einer flächendeckenden Pandemielage“ und für den Fall eines erneuten Verstoßes der gerügten oder ähnlichen Art werde sich die Beklagte nicht scheuen, das Arbeitsergebnis zu kündigen, unproblematisch der Fall.

cc) Auch die Abmahnung vom 20. Mai 2021 ist nicht deshalb kündigungsrechtlich vollständig ohne Bedeutung, weil sie sachlich streitig ist. Auch hier hat die Beklagte keinen Zweifel daran gelassen, als wie schwerwiegend sie die Verletzung der bei ihr geltenden Hygieneregeln vor dem Hintergrund der bestehenden Pandemielage wertet und dass sie eine solche im Wiederholungsfalle zum Anlass nimmt, dass Arbeitszeiten zu beenden. Hat der Arbeitnehmer den abgemahnten Pflichtverstoß nicht begangen, kann die Abmahnung die Warnfunktion und damit auch eine Bedeutung für die Negativprognose zwar nur in dem Maß erfüllen, wie dies bei antizipierten Abmahnungen der Fall ist (vgl. hierzu etwas LAG Düsseldorf 15. August 2012 – 12 Sa 697/12 – Juris; LAG Hessen 6. November 2015 – 14 Sa 364/13 – Juris). Auch diese vermögen jedoch, wenn auch in abgeschwächter Weise, eine negativen Prognose für einen künftig unbelasteten Bestand des Arbeitsverhältnisses begründen (BAG 5. April 2001 – 2 AZR 580/99 –, BAGE 97, 276, LAG Düsseldorf 11. Mai 2005 – 12 (11) Sa 115/05 – Juris). Dies gilt insbesondere, wenn eine solche antizipierte Abmahnung wie hier in zeitlich engem Zusammenhang mit einer einschlägigen, unstreitig inhaltlich begründeten Abmahnung erfolgt ist und der den Kündigungsgrund bildende, ebenfalls einschlägige Vertragsverstoß wiederum in zeitlicher Nähe hierzu eingetreten ist.

Vorliegend lagen zwischen dem in der ersten Abmahnung abgemahnten Vorwurf vom 10. Mai 2021 und dem Ausspruch der – möglicherweise unbegründeten- Abmahnung vom 20. Mai 2021 zehn Tage und nur etwas mehr als zwei Monate später hat die Klägerin erneut und massiv ihre bestehenden Nebenpflichten im Hinblick auf die Einhaltung der Covid-19-Schutzmaßnahmen verletzt.

dd) Die Beharrlichkeit der von der Klägerin begangenen Pflichtverletzung zeigt sich im Übrigen auch darin, dass sie selbst auf den von dieser bezeugten Einwand der Zeugin B, Besuche im Zimmer seien ihres Wissens nicht erlaubt, ihre Vorgehensweise nicht hinterfragt, sondern den Vertragsverstoß schlicht fortgesetzt hat. Auch hieraus muss geschlossen werden, dass die Klägerin der Auffassung war, selbst zu entscheiden, welche Maßnahmen im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie notwendig sind.

ee) Schließlich muss die Kammer davon ausgehen, dass es sich bereits bei dem mit der Abmahnung vom 13. Mai 2021 gerügten Verstoß gegen bei der Beklagten geltende Hygienemaßnahmen nicht um den ersten gehandelt hat. Der Abmahnung zu entnehmen, dass die Klägerin schon mehrfach auf die Einhaltung von Hygieneregeln und die daraus resultierende Verhaltenspflichten hingewiesen wurde, ohne dass dies zu einer Veränderung ihres Verhaltens im Hinblick auf die Einhaltung der Hygienevorgaben geführt hat. Die Klägerin hat diese Abmahnung in tatsächlicher Hinsicht anerkannt, damit auch diesen, auf tatsächliche Umstände bezogenen Teil der Abmahnung bestätigt und auch im Prozess nicht bestritten.

d) Schließlich bedingen die Angriffe der Berufung gegen die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung keine abweichende Beurteilung der Sozialwidrigkeit der Kündigung. Das Arbeitsgericht hat die Interessenabwägung mit zutreffender Begründung zulasten der Klägerin getroffen. Dem Interesse der Beklagten, durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin der Gefahr entgegen zu treten, wegen Verstößen gegen diese Regeln einen Covid-19- Ausbruch in einem Pflegeheim zu verursachen, ist der Vorrang vor dem Interesse der Klägerin am Erhalt ihres Arbeitsplatzes einzuräumen.

aa) Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass im Rahmen der Interessenabwägung ihr Alter und ihre Schwerbehinderung zu berücksichtigen sind – hinsichtlich ihrer siebenjährigen Betriebszugehörigkeit ist allerdings von einem eher mittleren sozialen Besitzstand auszugehen, der sich nicht erheblich zu ihren Gunsten auszuwirken vermag. Richtig ist hingegen, dass im Rahmen der Interessenabwägung zu ihren Gunsten zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin die Besucher mit Schutzkleidung ausgestattet hat. Wie dargelegt vermag dies zwar nicht die Negativprognose zu relativieren, im Gegenteil, die Gefahr eines Schadenseintritts hat die Klägerin damit allerdings reduziert. Die Kammer verkennt auch weder die Tatsache, dass die Zeugin B ausgesagt hat, die betreffende Pflegerin – also die Klägerin – habe den Eindruck vermittelt, alles richtig machen zu wollen und dass der Bewohner C voraussichtlich am fraglichen Tag – es war ja der Einzugstag- vermutlich bereits ohnehin Kontakt mit seiner Ehefrau, der Zeugin B, hatte.

bb) Auf seine zudem aus einem anderen Haushalt stammende Tochter und seinen Schwiegersohn trifft dies allerdings nicht zu. Soweit die Klägerin zudem meint, die Gesundheit des Bewohners C sei zu keinem Zeitpunkt mehr gefährdet gewesen, als wenn jeder andere Mitarbeiter der Beklagten den Bewohner mit Schutzkleidung im Zimmer versorgt hätte, verkennt sie wiederum in mehrfacher Hinsicht die Situation. Unabhängig davon, dass es der Klägerin nicht obliegt, selbst zu entscheiden, welche Vorsichtsmaßnahmen die Ansteckungsgefahr ausreichend senken, ist der Einlass von insgesamt drei Personen von „außerhalb“ mit dem im Rahmen der Versorgung des Bewohners erforderlichen Kontakt in keiner Weise vergleichbar. Die Ansteckungsgefahr im Rahmen der Versorgung eines Bewohners durch das Pflegepersonal ist nicht vermeidbar. Um sie gleichwohl zu minimieren, war bei der Beklagten vorgesehen, dass nach Möglichkeit dieselbe und jedenfalls nur eine Pflegeperson gleichzeitig das Zimmer eines in Quarantäne befindlichen Bewohners in Schutzkleidung betreten sollte. Die zwangsläufig eintretende Gefährdung des Bewohners C im Rahmen seiner Versorgung durch das geschulte Pflegepersonal entfiel auch nicht durch die Gestattung des Besuchs durch die Klägerin, sondern musste zusätzlich erfolgen.

cc) Zulasten der Klägerin ist im Rahmen der Interessenabwägung zu werten, dass es sich um einen besonders schweren Verstoß gegen die bei der Beklagten geltenden Covid-19-Schutzmaßnahmen handelte, weil sie nicht nur Besuch im Quarantänezimmer veranlasst, sondern im Hinblick darauf, dass es sich um drei Besucher aus mindestens zwei Haushalten in einem kleinen Zimmer handelte, auch noch eine Verletzung der allgemeinen Abstandsregelungen verursacht hat und dies obwohl die Zeugin B sie darauf aufmerksam gemacht hat, dass Besuch im Zimmer ihres Mannes ihres Wissens verboten sei. Zudem hat sie auch noch die bei der Beklagten unstreitig zu diesem Zeitpunkt ohnehin knappe Schutzkleidung – dieser Umstand war ihr aufgrund der Schulung vom 28. April 2021 nach Aussage der Zeugen A bekannt – zu einem hierfür nicht vorgesehenen Zweck verwendet und zwar für gleich drei Personen.

Entscheidend für die Interessenabwägung zugunsten der Beklagten ist jedoch, dass die Beklagte eine erhebliche Fürsorgepflicht für ihre Bewohner, aber auch für die Mitarbeitenden trifft. Sie muss sich darauf verlassen können, dass diese sich an verlautbarte und besprochene Regelungen halten und die Einhaltung nicht ins eigene Ermessen stellen. Zum Zeitpunkt des Vertragsverstoßes stand noch keine Impfung zur Verfügung. Die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln war die einzige Möglichkeit, das Risiko einer Ansteckung überhaupt positiv zu beeinflussen. Die mit einem Covid-19-Ausbruch einhergehende Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit besonders vulnerabler Personengruppen, die auf die Einhaltung der Schutzmaßnahmen zudem im Zweifel keinen Einfluss nehmen können, war im Mai 2020 erheblich, ist auch jetzt nicht gebannt und wird sich in der kälteren Jahreszeit erfahrungsgemäß wieder erhöhen. Die aus einer Verletzung der Schutzmaßnahmen resultierende Gesundheitsgefährdung der Bewohner beschränkt sich dabei nicht auf die Gefahr weiterer Ansteckungen – vielmehr hat ein Covid-19-Ausbuch wegen der wiederum hiermit ein einhergehenden notwendigen Maßnahmen der verschärften Kontaktreduzierung für alle Bewohner erhebliche Auswirkungen, etwa im Hinblick auf die Absage von gemeinschaftlichen Veranstaltungen.

4.

Die Kündigung ist auch nicht gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte hat den Betriebsrat unter dem 9. Dezember 2020 ordnungsgemäß angehört und zum Zeitpunkt der Entäußerung der Kündigungserklärung vom 14. Dezember 2020 hatte dieser abschließend Stellung genommen.

a) Dass der Betriebsratsvorsitzende am 9. Dezember 2020 vom Geschäftsführer der Beklagten die als B 12 zur Akte gereichte Betriebsratsanhörung – unbeschadet der Frage der Anlagen- erhalten hat, ist gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, nachdem die Beklagte diese in zweiter Instanz mit einem Empfangsbekenntnis des Betriebsratsvorsitzenden zur Akte gereicht hat, vorgetragen hat, warum das ursprünglich zur Akte gereichte Exemplar keine Empfangsbestätigung enthält und die Klägerin sich zu diesem Vortrag der Beklagten nicht geäußert hat.

b) Ob die Anlagen 1-4 kann dahinstehen der dem Betriebsratsvorsitzenden übergebenen Betriebsratsanhörung beigefügt waren, kann offenbleiben. Es besteht keine Verpflichtung des Arbeitgebers, im Rahmen der Betriebsratsanhörung diesem schriftliche Unterlagen zuzuleiten (BAG 26. Januar 1995 – 2 AZR 386/94 –Juris; BAG 6. Februar 1997 – 2 AZR 265/96 – Juris). Entscheidend ist allein, dass ihm die nach § 102 Abs. 1 BetrVG erforderlichen Informationen erteilt werden, eine bestimmte Form ist hierfür nicht erforderlich.

c) Die Betriebsratsanhörung ist auch nicht deshalb als unzureichend anzusehen, weil der Betriebsrat unstreitig nicht über eine weitere Gegendarstellung der Klägerin zu einer Abmahnung als die vom 4. Juni 2021 informiert wurde. Dass eine solche, zum Kündigungszeitpunkt noch aktuelle Gegendarstellung der Klägerin vorlag, hat diese nicht substantiiert dargelegt, wozu sie aber jedenfalls nach dem Bestreiten der Beklagten gehalten gewesen wäre. Einer Vernehmung des sistierten Zeugen D bedurfte es deshalb im Berufungstermin nicht. Nach dem Vorbringen der Klägerin in der Berufungsbegründung soll die als Anlage zur Akte gereichte „Gegendarstellung“ zur Abmahnung vom 13. Mai 2020 erfolgt sein und der Heimleitung der Beklagten etwa einer Woche nach deren Erteilung übergeben worden sein. Auf der zur Akte gereichten Notiz wird ausgeführt, der Bewohner sei schwer behindert, könne nicht reden, sondern nur mit dem Kopf nicken. Seine Schwester habe immer seine Wäsche gewaschen. Bereits hieraus wird deutlich, dass sich die Notiz nicht auf die Abmahnung vom 13. Mai 2021 bezieht, denn diese hatte den Kontakt zu einer Bewohnerin in Quarantäne ohne ausreichende Schutzkleidung zum Gegenstand und mit dem Waschen von Wäsche nichts zu tun. Soweit es sich lediglich um einen Bezeichnungsfehler handelt und die Klägerin vortragen wollte, zu der Abmahnung vom 20. Mai 2020 Stellung genommen zu haben, genügt ihr Vortrag ebenfalls nicht den Anforderungen des § 138 Abs. 1,3 ZPO. Zum einen weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass der Wortlaut der zur Akte gereichten Notiz nicht dem einer Stellungnahme entspricht, wenn die Klägerin formuliert „… Habe ich nicht anerkannt …“. Auch der äußeren Form nach entspricht die Notiz nicht einer schriftlichen Stellungnahme zu einem Abmahnungsvorwurf – sie ist weder datiert noch nennt sie einem Betreff noch ist sie unterzeichnet. Dass der Klägerin bewusst ist, welche äußere Gestaltung einer solchen Stellungnahme jedenfalls üblich ist, zeigt deren unstreitige Stellungnahme vom 4. Juni 2021. Selbst wenn man aber die undatierte Notiz als Stellungnahme zu der Abmahnung vom 20. Mai 2021 ansehen wollte, erschließt sich deren Relevanz nicht. Die Klägerin trägt vor, die Stellungnahme etwa eine Woche nach Erhalt der Abmahnung der Heimleitung übergeben zu haben. Wenn dies zuträfe, wäre die ausführliche, datierte und unterzeichnete Stellungnahme vom 4. Juni 2021 der Heimleitung danach überreicht worden und müsste somit als die aus Sicht der Klägerin maßgebliche Einlassung angesehen werden. Eine Verpflichtung der Beklagten, den Betriebsrat über eine offenbar überholte, schon der Form nach nicht einer Stellungnahme entsprechende Notiz der Klägerin zu unterrichten, besteht jedoch nicht.

d) Der Betriebsrat ist im Rahmen der schriftlichen Anhörung vom 9. Dezember 2020 auch im Übrigen inhaltlich ordnungsgemäß angehört worden, und zwar auch dann, wenn ihm die Anlagen 1-4 tatsächlich nicht beigelegen hätten.

aa) § 102 Abs. 1 BetrVG begründet für den Arbeitgeber die Pflicht, dem zuständigen Betriebsrat den für die Kündigung maßgebenden Sachverhalt so genau und umfassend mitzuteilen, dass dieser ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden (BAG 12. September 2013 – 6 AZR 121/12 – NZA 2013, 1412; BAG 23. Juni 2009 – 2 AZR 474/07 – EZA § 626 BGB 2002, Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8; BAG 21. Juli 2005 – 6 AZR 498/04 – EZA § 102 BetrVG 2001 Nr. 15). Hierzu gehören die Informationen über die Person des Arbeitnehmers, Art und Termin der beabsichtigten Kündigung und über den konkreten Kündigungsgrund. Die Anhörungspflicht des Arbeitgebers ist dabei subjektiv determiniert (BAG 12. Februar 2015 – 6 AZR 845/13 – Juris; BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13 – Juris; BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 352/11 – BAGE 142, 339). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat also die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13 – Juris; BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – NZA 2014, 243). Das, was der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitteilt, muss inhaltlich zutreffend und so detailliert sein, dass der Betriebsrat sich auf dieser Basis das geforderte eigene Bild machen kann. Im Hinblick auf die Person des Arbeitnehmers muss die Betriebsratsanhörung die sogenannten formellen Angaben enthalten. Dazu gehört neben der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters und des Familienstands des Arbeitnehmers die Zahl der Kinder, denen Unterhalt geleistet wird (vgl. LAG Berlin Brandenburg 9. Dezember 2009 – 15 Sa 1769/09 – Juris).

cc) Die Anhörung vom 9.12.2020 enthält alle erforderlichen Sozialdaten der Klägerin; Alter, Familienstand, Schwerbehinderung und Betriebszugehörigkeit. Auch die erforderlichen Angaben zum Arbeitsplatz sind enthalten. Die Beklagte informiert den Betriebsrat ordnungsgemäß über die Art der beabsichtigten Kündigung und die Dauer der Kündigungsfrist, sowie darüber, dass das Integrationsamt bereits die Zustimmung zur Kündigung erteilt hat. Auch hinsichtlich des Kündigungsgrundes entspricht die Anhörung den insofern gelten Voraussetzungen. Ausgeführt werden alle Tatsachen, die erforderlich sind, um den Vorfall am 27. Juli 2020 zu beurteilen. Das Fehlverhalten der Klägerin an diesem Tag wird ebenso geschildert, wie die vorangegangenen Schulungen zum Thema Hygienemaßnahmen. Die Schilderungen sind aus sich heraus verständlich, so dass es auf die Frage, ob die E-Mail des Heimleiters vom 29. Juli 2020 an den Geschäftsführer der Beklagten der Betriebsratsanhörung als Anl. 1 beigefügt waren, nicht ankommt. Zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Kündigung informiert die Betriebsratsanhörung den Betriebsrat über die beiden vorangegangenen Abmahnungen vom 13. Mai 2020 und vom 20. Mai 2020, die den Abmahnungen zu Grunde liegenden Sachverhalte, und zwar ausführlich genug, dass dahinstehen kann, ob die Abmahnungen der Betriebsratsanhörung als Anlage 2 und 3 beigefügt waren. Auch die Reaktion der Klägerin auf die Abmahnungen – Anerkennung in tatsächlicher Hinsicht im Hinblick auf die Abmahnung vom 13. Mai 2020, Abgabe einer Gegendarstellung bezüglich der Abmahnung vom 20. Mai 2020, ist der Betriebsratsanhörung zu entnehmen, ebenso die von der Beklagten in die Interessenabwägung einbezogen Umstände und die Gründe, warum sich die Beklagte im Ergebnis für die Kündigung entschieden hat.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 ZPO.

IV.

Die Zulassung der Revision ist durch keinen der gesetzlich vorgesehenen Gründe veranlasst, § 72 Abs. 2 ArbGG.

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