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Nachfragen nach Herkunft – rassistische Belästigung

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 12 Sa 51/22 – Urteil vom 14.10.2022

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. November 2021 – 3 Ca 727/21 – wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin wird des Rechtsmittels für verlustig erklärt.

III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 5% und die Beklagte 95% zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Zusammenfassung

Bundeswehr-Mitarbeiterin streitet mit Arbeitgeberin um Kündigungen

Nachfragen nach Herkunft - rassistische Belästigung
(Symbolfoto: Michele Ursi/Shutterstock.com)

Eine ehemalige Mitarbeiterin der Bundeswehr wehrt sich gegen zwei Kündigungen, die sie von ihrer Arbeitgeberin erhalten hat. Die Frau hatte im März 2021 angeblich rassistische und diskriminierende Äußerungen gegenüber einer Kollegin mit dunkler Hautfarbe gemacht. Daraufhin wurde sie freigestellt und später fristlos und ordentlich gekündigt. Die Beklagte begründete die Kündigungen damit, dass die Klägerin arbeitsvertragliche Nebenpflichten verletzt und den Betriebsfrieden gestört habe. Die Klägerin hält die Kündigungen für unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt, da keine rassistischen oder diskriminierenden Äußerungen vorgefallen seien. Das Arbeitsgericht hat den Kündigungsschutzanträgen stattgegeben, da die Kündigungen unverhältnismäßig seien. Die Beklagte hat Berufung eingelegt und fordert die Abweisung der Kündigungsschutzanträge. Die Klägerin verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und hat ihre Berufung gegen das zusätzlich eingeklagte Thema zurückgenommen.

Die Beklagte hat Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts eingelegt, das die Kündigung des Arbeitsverhältnisses für ungültig erklärt hat. Die Berufung ist zulässig, da sie innerhalb der Frist und formal korrekt eingereicht wurde. Die Berufung ist jedoch unbegründet, da die Kündigung ohne gültigen Grund erfolgte. Eine außerordentliche Kündigung erfordert einen wichtigen Grund gemäß § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Eine ordentliche Kündigung erfordert einen sozial gerechtfertigten Grund gemäß § 1 des Kündigungsschutzgesetzes. Beide Kündigungen waren ungültig, da keine angemessene Abmahnung vorlag. Die Klägerin hatte Frau S aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft diskriminiert und belästigt. Dies verstößt gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Die Äußerungen waren unerwünscht und es war objektiv erkennbar, dass sie diskriminierend waren. Daher war die Kündigung ungültig. […]

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier Kündigungen.

Die beklagte Bundesrepublik beschäftigte die im April 1968 geborene und jedenfalls bis Ende April 2021 schwerbehinderte Klägerin unter Anerkennung einer Dienstzeit seit dem 18. April 1988 als Zivilbeschäftigte der B, zuletzt als Leiterin einer Prüfgruppe für Abrechnungen mit fünf ihr unterstellten Mitarbeitern.

Am 8. März 2021 nahm die verheiratete Regierungssekretärin S eine Tätigkeit als Rechnungsprüferin in der der Klägerin unterstellten Prüfgruppe auf. Ein Großvater von Frau S stammt aus der Republik Sambia. Frau S hat eine dunkle Hautfarbe.

Im Hinblick auf Äußerungen, die die Klägerin in Gesprächen am 8., 11 und 12 März 2021 gegenüber Frau S gemacht haben soll, fasste die Beklagte den Entschluss, die Klägerin zu kündigen.

Am 12. Mai 2021 stellte die Beklagte die Klägerin widerruflich von der Arbeitsleistung frei.

Die Beklagte beteiligte Integrationsamt, Schwerbehindertenvertretung und Personalrat. Zu den diesbezüglichen Einzelheiten wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts verwiesen.

Die Klägerin erhielt am 20. Juli 2021 ein Schreiben vom selben Tag, mit dem die Beklagte die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärte. Mit der am 4. August 2021 zugestellten Klage zum Arbeitsgericht hat sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung gewandt.

Am 13. Oktober 2021 erhielt die Klägerin eine hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung erklärte ordentliche Kündigung. Hiergegen hat sie sich mit Klageerweiterung, zugestellt am 26. Oktober 2021, gewandt.

Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht behauptet, sie habe in einem Gespräch am 8. März 2021 anlässlich einer Bemerkung zum Thema: „Urlaub in Deutschland“ Frau S gefragt: „Apropos Deutschland. Sie sind nicht ganz deutsch, was für ein Einschlag ist bei Ihnen drin, wenn ich fragen darf?“ Bezogen auf den Ehemann der Klägerin habe sie, nachdem Frau S von sich aus dieses Thema angesprochen hatte, an Frau S die Frage gestellt: „Also blond und blauäugig?“ Sie hat die Auffassung vertreten, außerordentliche und ordentliche Kündigung seien unwirksam. Ausländerfeindliche, rassistische, diskriminierende oder extremistische Äußerungen oder Verhaltensweisen lägen als Kündigungsgrund weder objektiv noch subjektiv vor. Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei der Vorrang der Abmahnung als milderes Mittel zu beachten. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sei nicht anwendbar. Sie und Frau S seien gleichermaßen Beschäftigte.

Soweit für die Berufung von Interesse hat die Klägerin vor dem Arbeitsgericht beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 20. Juli 2021 beendet wird;

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 13. Oktober 2021 beendet wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin habe am 8. März 2021 in einem ersten Gespräch zu Frau S gesagt, Sie sehe gar nicht deutsch aus, wo komme Sie oder Ihre Eltern denn her? Auf deren Antwort, aus Deutschland, habe die Klägerin unter Bezugnahme auf die Hautfarbe erneut nachgefragt, wo Frau S herkomme und sich nach dem Hinweis von Frau S auf ihren afrikanischen Großvater erkundigt, aus welchem afrikanischen Land genau der Großvater stamme. Im Hinblick auf die Vorstellung von Frau S gegenüber den weiteren Mitgliedern der Prüfgruppe habe die Klägerin geäußert, die Herkunft von Frau S werde sie nicht erzählen. Das sollten die Kollegen selbst erfragen. In einem weiteren Gespräch am 8. März 2021 habe die Klägerin Frau S gefragt, wo sie ihren Ehemann kennengelernt habe. Ob dies in einem Club gewesen sei und ob der Ehemann ebenfalls afrikanischer Abstammung sei? In einem Gespräch am 11. März 2021 habe die Klägerin gegenüber Frau S geäußert, die Ehe sei ein Gefängnis. Sie solle sicher sein, spätestens, wenn Sie ein Kind kriege, werde Ihr Mann fremdgehen, weil Sie dann keinen Geschlechtsverkehr mehr haben wolle. Die Klägerin habe in dem Gespräch außerdem geäußert, der Sex mit ihrem Freund sei gut. In einem am 12. März 2021 geführten Gespräch habe die Klägerin geäußert, Frau S möge verstehen, dass Sie hier etwas Besonderes sei, eine Sensation. Hinzugefügt habe sie, wenn Sie hier nichts Persönliches äußere, werde Frau S zwangsläufig bei den Kolleginnen anecken. Außerdem habe die Klägerin geäußert, Frau S solle bedenken, dass sie weiter zu ihr in ihr Büro kommen müsse.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die fristlose Kündigung jedenfalls aber die ordentliche Kündigung seien wirksam. Der Kündigungsgrund ergäbe sich aus Äußerungen der Klägerin gegenüber Frau S zu deren Herkunft und zu Eheleben und Sexualität, aus denen sich eine rassistische Ideologie erkennen ließe und durch die sie die Ehre der Frau S und deren Privat- und Intimsphäre und deren Persönlichkeitsrecht verletzt habe. Die Klägerin habe arbeitsvertragliche Nebenpflichten verletzt, indem sie gegen Belästigungsverbote aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verstoßen habe. Die Klägerin sei aufgrund der Hautfarbe der Frau S davon ausgegangen, dass diese keine Deutsche sein könne und auch mit einem Mann afrikanischer Abstammung verheiratet sein müsse. Dadurch habe sie bei Frau S ein starkes Unbehagen hervorgerufen. Den Hinweis, sie müsse weiter in das Büro der Klägerin kommen, habe Frau S als Drohung aufgefasst. Ihr Verhalten habe zu einer Störung des Betriebsfriedens geführt, weil es ihren Beschäftigten nicht zuzumuten sei, mit einer Kollegin zusammen zu arbeiten, die mit rassistischen und sexuellen Bemerkungen die Ziele der Bundeswehr untergrabe. Eine Abmahnung als milderes Mittel scheide auch deshalb aus, weil die Klägerin ihr Verhalten trotz einer eindringlichen Belehrung über die Unangemessenheit ihrer Äußerungen nicht angepasst, sondern am 12. März 2021 Frau S erneut auf ihre Besonderheit hingewiesen und als Sensation dargestellt habe. Die rassistischen Äußerungen und Anschauungen der Frau S stellten eine Form von Extremismus dar, wie er bei der Bundeswehr in keiner Form geduldet werden könne. Außerdem habe die Klägerin gegen die tarifvertragliche Treuepflicht aus § 41 Satz 2 TVöD BT-V verstoßen.

Mit Urteil vom 30. November 2021 hat das Arbeitsgericht den Kündigungsschutzanträgen stattgegeben. Zur Begründung hat es – zusammengefasst – ausgeführt: Beide Kündigungen könnten das Arbeitsverhältnis nicht beenden, da sie unverhältnismäßig seien. Es sei zwar auf der Grundlage ihres eigenen Vorbringens davon auszugehen, dass die Klägerin Frau S rassistisch gegenübergetreten sei. Deshalb bedürfe es keiner Beweiserhebung über die streitig gebliebenen Äußerungen. Auch würden die bestrittenen Äußerungen bezüglich des Sexuallebens geschmacklos sein. Mangels einer vorherigen Abmahnung und im Hinblick auf die gebotene Einzelfallabwägung könnten aber der für die außerordentliche Kündigung erforderliche wichtige Grund bzw. die Bedingtheit der ordentlichen Kündigung im Verhalten der Klägerin als Rechtfertigungsgrund für die ordentliche Kündigung nicht festgestellt werden. Dabei sei davon auszugehen, dass die Klägerin Frau S nicht habe bewusst verletzen oder diskriminieren wollen.

Gegen das ihr am 23. Dezember 2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. Januar 2021 Berufung eingelegt, die sie – nach Fristverlängerung auf den 23. März 2022 – am 22. März 2022 begründet hat. Sie verfolgt die Abweisung der Kündigungsschutzanträge weiter. Sie nimmt Bezug auf den gesamten Vortrag erster Instanz und macht geltend: Sie könne sich der Überzeugung des Arbeitsgerichts, das Verhalten der Klägerin rechtfertige nur eine Abmahnung, nicht anschließen. In Bezug auf die Klägerin sei erkennbar, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten gewesen wäre. Dies folge daraus, dass die Klägerin trotz seitens der Vorgesetzten erfolgter Belehrung sich erneut rassistisch und diskriminierend geäußert habe. Außerdem lasse das Arbeitsgericht außer Acht, dass sich die Klägerin weder im Rahmen der vor Ausspruch der Kündigungen durchgeführten Anhörungen noch im erstinstanzlichen Verfahren einsichtig gezeigt habe. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Vorgesetztenstellung verpflichtet gewesen, in angemessener Weise und unter Berücksichtigung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten gegenüber untergebenen Mitarbeiterinnen aufzutreten. Jedenfalls sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Es sei nicht ersichtlich, voraus das Arbeitsgericht auf einen bei der Klägerin fehlenden Vorsatz schließe. Die Klägerin habe bis zum heutigen Tage nicht ansatzweise eingeräumt, dass ihre Äußerungen als rassistisch oder diskriminierend zu werten seien.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. November 2021 – 3 Ca 727/21 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat die Berufung beantwortet. Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Zwar werde weiterhin die Auffassung vertreten, dass mangels objektiver und subjektiver Tatbestandsmerkmale keine rassistische Äußerung vorgefallen sei. Sie habe sich aber äußerst intensiv mit dem Begriff „Alltagsrassismus“ beschäftigt und sei zu der Erkenntnis gelangt, keine persönlichen Fragestellungen und Unterhaltungen mit Kolleginnen und Kollegen zu führen. Es seien Belehrungen zur Problematik der Reichweite rassistischer Äußerungen durch die Beklagte erforderlich.

Die Klägerin hatte Berufung gegen das von der Beklagten angefochtene Urteil eingelegt und sich damit gegen die dort erfolgte Teilklageabweisung wegen eines zusätzlich eingeklagten Anspruchs auf Abrechnung und Auszahlung von 31,5 Überstunden gewandt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Oktober 2022 hat die Klägerin ihre Berufung zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zurückzuweisen. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Berufung ist zulässig.

Ihre Statthaftigkeit folgt aus § 64 Absatz 2 Buchstabe c Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Die Parteien führen eine Rechtsstreitigkeit über Kündigungen eines Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte hat die Berufung innerhalb der Fristen aus § 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG eingelegt und begründet. Einlegung und Begründung der Berufung genügen den formalen und inhaltlichen Anforderungen aus § 64 Absatz 6 und 7, § 46c, § 46g ArbGG, § 519, § 520 Zivilprozessordnung (ZPO). Die erforderliche auf den Einzelfall zugeschnittene Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen ist erfolgt.

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat den jeweils innerhalb der Klagefrist aus § 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) erhobenen Kündigungsschutzanträgen gegen beide Kündigungen ohne Rechtsverletzung stattgegeben. Das Vorbringen im Berufungsverfahren begründet keine abweichende Entscheidung. Wie es das Arbeitsgericht angenommen hat, sind außerordentliche und ordentliche Kündigung mangels des jeweils erforderlichen Kündigungsgrundes unwirksam.

1. Beide Kündigungen setzen zu ihrer Wirksamkeit einen Kündigungsgrund voraus.

a. Für die außerordentliche Kündigung folgt dies aus § 626 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach setzt die fristlose Kündigung von Dienstverhältnissen einschließlich Arbeitsverhältnissen einen wichtigen Grund voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

b. Für die ordentliche Kündigung folgt das Erfordernis eines rechtfertigenden Grundes aus § 1 Absatz 1 KSchG. Danach ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Die soziale Rechtfertigung kann sich aus dem Verhalten der Arbeitnehmerin ergeben. Sozial ungerechtfertigt aber ist eine Kündigung unter diesem Aspekt, wenn sie nicht durch Gründe bedingt ist, die in dem Verhalten der Arbeitnehmerin liegen und die deren Weiterbeschäftigung in dem Betrieb entgegenstehen, § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG. Die Vorschrift aus § 1 KSchG ist vorliegend im Hinblick auf die Bestandsdauer des Arbeitsverhältnisses, das im Zeitpunkt des Kündigungszugangs länger als sechs Monate bestanden hat, und die Anzahl der regelmäßigen Beschäftigten von mehr als zehn anwendbar, § 1 Absatz 1, § 23 Absatz 1 KSchG.

2. Ein wichtiger Grund oder ein verhaltensbedingter Grund im Sinne der genannten Vorschriften können vorliegend nicht festgestellt werden. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert – wie es das Arbeitsgericht angenommen hat – jedenfalls daran, dass es zuvor keine Abmahnung der Klägerin gab. Eine solche Abmahnung war vorliegend nicht entbehrlich.

a. Als die Kündigung begründende Pflichtverletzungen der Klägerin kommt vorliegend eine von ihr begangene Benachteiligung der Frau S in Gestalt wiederholter Belästigungen und eines darin liegenden Verstoßes gegen das AGG sowie arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflichten in Betracht. Dabei sind der zunächst erforderlichen Prüfung der Erheblichkeit des Beklagtenvorbringens alle von ihr behaupteten Äußerungen der Klägerin zu Grunde zu legen, ohne dass eine Unterscheidung erforderlich sein würde, welche davon die Klägerin zugestanden hat.

aa. Entgegen der Auffassung der Klägerin unterliegt sie in ihrem Arbeitsverhältnis zur Beklagten dem Verbot, Kolleginnen entgegen den Vorschriften des AGG zu benachteiligen. § 7 Absatz 1 AGG verbietet die Benachteiligung von Beschäftigten wegen der in § 1 AGG genannten Merkmale, darunter die Rasse und das Geschlecht. Die Vorschrift ist passivisch formuliert. Der Adressatenkreis ist mithin nicht auf den Arbeitgeber als Vertragspartner und Inhaber des Weisungsrechts beschränkt. Verboten sind benachteiligende Verhaltensweisen allen Personen, die rein tatsächlich Beschäftigte benachteiligen könnten. Das schließt Vorgesetze, Mitarbeiter und Kollegen ein (Däubler/Beck/Wolfgang Däubler, 5. Aufl. 2022, AGG § 7 Rn 27; ErfK/Schlachter, 22. Aufl. 2022, AGG § 7 Rn 2). Nach § 7 Abs. 3 AGG verletzt eine Benachteiligung vertragliche Pflichten. Im vorliegenden Kontext ist die Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsvertrag zwischen benachteiligendem Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeint (vgl. MüKoBGB/Thüsing, 9. Aufl. 2021, AGG § 7 Rn 25). Bei einer Benachteiligung von Beschäftigten untereinander, ist § 7 Abs. 3 AGG dahingehend zu verstehen, dass der Handelnde die Nebenpflicht aus seinem Arbeitsvertrag zum Arbeitgeber verletzt, dessen Interesse an einem störungsfreien Betriebsablauf nicht zu beeinträchtigen (ErfK/Schlachter, 22. Aufl. 2022, AGG § 7 Rn 9).

bb. § 7 Absatz 1 AGG verbietet Benachteiligungen einschließlich von Belästigungen. Nach § 3 Absatz 3 AGG ist eine Belästigung eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund – also etwa der Rasse – in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Bei sexuellen Belästigungen bildet ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten einschließlich Bemerkungen sexuellen Inhalts die zu beanstandende Verhaltensweise, vgl. § 7 Absatz 4 AGG.

cc. Naheliegend erscheint die Annahme einer rassistischen Belästigung im Hinblick auf die von der Beklagten behaupteten Äußerungen der Klägerin gegenüber Frau S mit Bezug auf deren Hautfarbe und Herkunft. Ein insistierendes Nachfragen nach der Herkunft, das aus dem Zusammenhang der Äußerungen rassistische Einstellungen erkennen lässt, kann eine Benachteiligung wegen der Rasse darstellen.

(1) Die Äußerungen stehen mit einer Benachteiligung wegen der Rasse im Zusammenhang. Sie bringen zum Ausdruck, dass aus deren Hautfarbe auf eine grundsätzliche Andersartigkeit von Frau S geschlossen wird.

Die Äußerung, Frau S sähe nicht deutsch aus, impliziert, dass es keine dunkelhäutigen Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit gäbe. Dies entspricht nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Im Jahr 2008 schätzte die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) die Zahl der Afrodeutschen auf etwa 500.000 Personen (zitiert nach wikipedia, Afrodeutsche, https://de.wikipedia.org/wiki/Afrodeutsche, Abfrage vom 18. Oktober 2022).

Die wiederholten Äußerungen zu einer vorausgesetzten nichtdeutschen Herkunft würden naheliegend dahin zu verstehen sein, die Hautfarbe und eine damit verbundene Abstammung von Frau S bewirkten deren grundsätzliche Andersartigkeit. Rassismus knüpft an Unterscheidungen nach Rasse, Hautfarbe und Abstammung an. In diesem Zusammenhang sei auf die Definition aus Artikel 1 Absatz 1 des Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 (Bundesgesetzblatt 1969, Teil II, Nr. 29, S. 962-977) verwiesen, wonach der Ausdruck „Rassendiskriminierung“ jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.

Für eine von der Klägerin implizierte Unterscheidung nach Rassen würde eine Nachfrage sprechen, ob der Ehemann blond und blauäugig sei. Damit würde ein weiteres Rassenklischee angesprochen und angedeutet, eine Ehe zwischen hell- und dunkelhäutigen Menschen sei eine bemerkenswerte Kuriosität. Aus diesen wiederholten Äußerungen würde sprechen, dass die Klägerin eine Unterscheidung der ihr gegenübertretenden Personen nach der Hautfarbe vornimmt und diese sogar für besonders wichtig hält. Letzteres würde in der Bezeichnung der Klägerin als „Sensation“ deutlich werden.

(2) Die Äußerungen würden unerwünscht im Sinne von § 3 Absatz 3 AGG sein.

Maßgeblich hierfür ist, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv klar erkennbar war. Eine aktive Verdeutlichung einer ablehnenden Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen durch die betroffene Person ist nicht erforderlich (ErfK/Schlachter, 22. Aufl. 2022, AGG § 3 Rn 16; vgl. zur sexuellen Belästigung: BAG, 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10, juris Rn 19). Die Unerwünschtheit der Verhaltensweise muss nicht bereits vorher ausdrücklich gegenüber dem Belästigenden zum Ausdruck gebracht worden sein. Vielmehr ist es ausreichend, dass die Handelnden aus der Sicht eines objektiven Beobachters davon ausgehen können, dass ihr Verhalten unter den gegebenen Umständen von den Betroffenen nicht erwünscht ist oder nicht akzeptiert wird (MüKoBGB/Thüsing, 9. Aufl. 2021, AGG § 3 Rn 61).

Vorliegend sind die Äußerungen objektiv klar erkennbar unerwünscht. Zwar ist die Frage nach der Herkunft einer Person zunächst unverfänglich. Allerdings besteht bei der Adressierung einer ihrem äußeren Erscheinungsbild nach Besonderheiten aufweisenden Person die Gefahr, dass die Frage als Ausgrenzung verstanden wird. Jedenfalls im Hinblick auf das beharrliche Insistieren auf einer nicht deutschen Herkunft, die Äußerungen im Zusammenhang mit der Herkunft des Ehemannes und die Adressierung als Sensation ist die Schwelle zur erkennbaren Unerwünschtheit der Ansprache auf Herkunft und Hautfarbe überschritten. Sensation bedeutet aufsehenerregendes, unerwartetes Ereignis (https://www.duden.de/rechtschreibung/Sensation, Abfrage vom 14. November 2022). Als ein aufsehenerregendes Ereignis allein wegen Äußerlichkeiten dargestellt zu werden, werden viele Menschen als unangenehm empfinden. Verstärkt wird dies für die adressierte Person, wenn die Äußerlichkeit in einem angeborenen, nicht veränderbaren Merkmal wie der Hautfarbe besteht.

(3) Schließlich könnte eine die Würde verletzende Wirkung und die Schaffung eines von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld anzunehmen sein.

Für die Bejahung einer Belästigung müssen beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Es bedarf sowohl einer bezweckten oder tatsächlich bewirkten Würdeverletzung als auch der Schaffung eines sogenannten feindlichen Umfelds als Synonym für „ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ (BAG, 18. Mai 2017 – 8 AZR 74/16, juris Rn 97).

Die Würdeverletzung würde aus dem Insistieren auf einer Andersartigkeit von Frau S und deren Herausstreichen folgen. Das fortdauernde Konfrontieren mit einer behaupteten Andersartigkeit kann für dunkelhäutige Menschen eine Belastung darstellen und als ihre Würde verletzend erlebt werden. Die dadurch bewirkte Ausgrenzung erfolgt vor dem Hintergrund der Geschichte der Unterdrückung von Menschen mit dunkler Hautfarbe, wie sie in Versklavung und Kolonialismus ihre bedrückenden Ausprägungen gefunden hat. Das Beharren auf einer Andersartigkeit dunkelhäutiger Menschen erinnert so angesprochene Person an diese Unterdrückungsgeschichte, insoweit als die Unterscheidung nach vermeintlichen Rassen Voraussetzung der Benachteiligung und Unterdrückung dunkelhäutiger Personen war und ist.

Das in der Regel für die Annahme einer Belästigung vorauszusetzende fortdauernde Verhalten (vgl. BAG, 18. Mai 2017 – 8 AZR 74/16, juris Rn 98) würde sich daraus ergeben, dass die Klägerin die Herkunft der Klägerin an zwei Tagen und in insgesamt drei Gesprächen zum Thema gemacht hat.

Darauf, ob die Klägerin erkannt haben würde, dass ihr Verhalten Frau S in deren Würde verletzt, kommt es im hier interessierenden Zusammenhang nicht an. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an (BAG, 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10, juris Rn 19).

dd. Die für den 11. März 2021 behaupteten Äußerungen könnten eine sexuelle Belästigung darstellen sowie einen Übergriff in die Intimsphäre der Frau S und damit eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Artikel 2 Absatz 1 iVm. Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz.

(1) § 3 Absatz 4 AGG bezieht Äußerungen sexuellen Inhalts ausdrücklich in die sexuellen Belästigungen ein. Die Unerwünschtheit der Bemerkungen zu sexuellen Aktivitäten würde sich insbesondere daraus ergäben, dass die Klägerin das Gespräch im Rahmen der dienstlichen Tätigkeit und als Vorgesetzte geführt hat. Äußerungen, die im außerdienstlichen Kontakt zwischen KollegInnen eine bloße Geschmacklosigkeit bleiben, der sich die oder der Angesprochene durch Abbruch des Kontakts entziehen kann, werden bei Ansprache in dienstlichem Zusammenhang durch eine(n) Vorgesetzte(n) zur nicht vermeidbaren Belästigung. Offen kann bleiben, ob die Äußerungen sexuellen Inhalts die Intensität einer Belästigung erreicht haben. Das Gespräch am 11. März 2021 war jedenfalls kein schwerwiegender Übergriff, vergleichbar einem Bedrängen oder einem unerwünschten Berühren. Die Klägerin hat Bemerkungen sexuellen Inhalts nicht in weiteren Gesprächen wiederholt.

(2) Zugleich könnte die Klägerin durch ihre Äußerungen in persönlichkeitsrechtswidriger Weise in die Privatsphäre der Frau S eingegriffen haben. Spekulationen über zukünftige sexuelle Aktivitäten können beschämend wirken und sind jedenfalls im Verhältnis zwischen Vorgesetzter und den ihr unterstellten Dienstkräften erkennbar unangemessen.

ee. Dagegen ist unter den von der Beklagten außerdem angesprochenen Gesichtspunkten einer Drohung, der Treuepflicht, der Unterbindung extremistischen Verhaltens oder der Störung des Betriebsfriedens eine Pflichtwidrigkeit der Klägerin nicht zu erkennen.

(1) In der Äußerung, Frau solle bedenken, dass sie weiter in das Büro der Klägerin kommen müsse, kann eine Drohung nicht erblickt werden. Die Androhung eines künftigen Übels, dessen Eintritt von dem Willen der Klägerin abhängt, kommt in dieser Äußerung nicht zum Ausdruck. Aus dem Vorbringen der Beklagten wird nicht erkennbar, aufgrund welcher Überlegungen oder zusätzlicher Anhaltspunkte Frau S die Bemerkung als Drohung verstanden hat. Allein auf das Verständnis der Frau S kann für das Vorliegen einer Drohung aber nicht abgestellt werden.

(2) Aus § 41 Abs. 1 Satz 2 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – Besonderer Teil Verwaltung folgt für Beschäftigte des Bundes eine Treuepflicht. Die erfassten Beschäftigten müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen.

Vorliegend ist nicht erkennbar, auf welche Weise die Klägerin durch die ihr vorgehaltenen Äußerungen die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage gestellt haben soll. Zwar kann das Bekennen und Verbreiten rassistischer Überzeugungen in Gestalt der Befürwortung von Benachteiligung und Unterdrückung von Personengruppen die erforderliche Verfassungstreue in Frage stellen. Die Gleichheit gehört zu den Grundlagen der als freiheitlich demokratische Grundordnung geschützten rechtsstaatlichen Herrschaftsordnung (BVerfG, 23. Oktober 1952 – 1 BvB 1/51, juris Leitsatz 2). Die hier in Rede stehenden Äußerungen sind jedoch von einer geringeren Intensität und dies sehr deutlich. Eine Benachteiligung oder Unterdrückung von Personengruppen hat die Klägerin in keiner Weise gutgeheißen.

(3) Entsprechendes gilt für den von der Beklagten geäußerten Verdacht extremistischer Einstellungen, der ebenfalls sehr fernliegend ist.

(4) Schließlich ist unter dem Gesichtspunkt der Störung des Betriebsfriedens kein Kündigungsgrund erkennbar. Zwar ist die Arbeitnehmerin gemäß § 241 Absatz 2 BGB verpflichtet, Störungen des Betriebsfriedens oder Betriebsablaufs zu vermeiden (vgl. BAG, 1. Juni 2017 – 6 AZR 720/15, juris Rn 49). Pflichtwidrige Handlungen, die das friedliche Zusammenarbeiten der Arbeitnehmer untereinander und mit dem Arbeitgeber erschüttern oder nachhaltig beeinträchtigen und nachteilige betriebliche Auswirkungen (zum Beispiel Störungen des Arbeitsablaufs) haben, können eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen rechtfertigen (Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, 6. Aufl. 2021, KSchG § 1 Rn. 299). Entsprechende pflichtwidrige Handlungen können aber auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens nicht festgestellt werden. Eine Unzumutbarkeit der weiteren Zusammenarbeit ist nicht erkennbar. Die diesbezüglichen Überlegungen der Beklagten erscheinen vor dem tatsächlichen Hintergrund deutlich überzogen. Die Äußerungen der Klägerin untergraben nicht die Ziele der Bundeswehr.

b. Letztlich kann dahinstehen, ob die Klägerin durch die ihr vorgehaltenen Äußerungen pflichtwidrig Belästigungen vorgenommen hat. Jedenfalls würde eine wirksame Kündigung eine vorherige Abmahnung voraussetzen. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Entbehrlichkeit der Abmahnung sind nicht erfüllt. Dementsprechend bleibt eine Beweiserhebung über die tatsächlich gemachten Äußerungen entbehrlich.

aa. Hinsichtlich des Erfordernisses einer vorherigen Abmahnung gelten folgende Überlegungen.

(1) Die Voraussetzung einer vergeblichen Abmahnung des Vertragspartners vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung folgt aus § 314 Absatz 2 BGB, wonach die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus einem wichtigen Grund, der in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag besteht, erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig ist. Im Bereich der ordentlichen Kündigung ist Rechtsgrundlage des Abmahnungserfordernisses der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. KR/Fischermeier/ Krumbiegel, 13. Aufl. 2022, § 626 Rn 266f; KR/Rachor, 13. Aufl. 2022, § 1 KSchG Rn 435).

(2). Beruht die als Kündigungsgrund herangezogene Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das künftige Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG, 20. November 2014 – 2 AZR 651/13, juris Rn 22). Eine Kündigung scheidet aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG, 16. Dezember 2021 – 2 AZR 356/21, juris Rn 12).

(3) Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, 16. Dezember 2021 – 2 AZR 356/21, juris Rn 12).

(4) Für den Schutz vor Benachteiligungen im Zusammenhang unter anderem aus Gründen der Rasse wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in § 12 Abs. 3 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen jedoch insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, das heißt eine Wiederholung ausschließen (BAG, 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10, juris Rn 28).

bb. Die der Klägerin vorgehaltenen Pflichtwidrigkeiten sind nicht so schwerwiegend, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Dies gilt für die möglichen Pflichtverletzungen einzeln betrachtet, aber auch in deren Gesamtschau.

(1) Das Gewicht der Pflichtwidrigkeit, wie es eine Abmahnung entbehrlich machen kann, ist anhand der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Diese müssen aber die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen. Dazu gehören etwa ihre Art und ihr Ausmaß, ihre Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Situation bzw. das „Klima“, in der bzw. in dem sie sich ereignete (BAG, 20. Mai 2021 – 2 AZR 596/20, juris Rn 27).

(2) In Anwendung dieser Grundsätze stellen die vorliegend zu beurteilenden Äußerungen, aus denen eine rassistische Benachteiligung folgen würde, keine hinreichend gravierende Pflichtwidrigkeit dar. Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse in Gestalt eines insistierenden Nachfragens nach der Herkunft, das aus dem Zusammenhang der Äußerungen rassistische Überzeugungen erkennen lässt, wird in der Regel erst nach einer einschlägigen Abmahnung eine Kündigung rechtfertigen können. Dies gilt für den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt. Nach Art und Ausmaß liegt keine schwerwiegende Belästigung vor. Insbesondere hat die Klägerin in ihren Äußerungen keine Benachteiligung oder Herabwürdigung von Personen mit anderer Herkunft explizit gutgeheißen oder zum Ausdruck gebracht.

Dies unterscheidet das insistierende Nachfragen nach der nichtdeutschen Herkunft einer dunkelhäutigen Person von rassistischen Beleidigungen, mit denen die Verachtung des Angesprochenen zum Ausdruck gebracht wird. So ist angenommen worden, dass die Beleidigung eines dunkelhäutigen Kollegen in Anwesenheit mehrerer anderer Kollegen mit Affenlauten wie „Ugah Ugah“ einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Absatz 1 BGB darstellt, der die fristlose Kündigung des – allerdings einschlägig abgemahnten – Beleidigenden rechtfertigen kann. Die Ansprache mit Affenlauten bringe eine Verachtung des Gegenübers und eine rassistische Unterscheidung nach höher- und minderwertig zum Ausdruck (Landesarbeitsgericht Köln, 6. Juni 2019 – 4 Sa 18/19, juris Rn 69, 73).

Für die Bezeichnung einer Kollegin mit den Worten „Ming Vase“ verstärkt durch eine auf eine asiatische Augenform hinweisende Geste ist eine besonderes, die fristlose Kündigung rechtfertigendes Gewicht im Hinblick darauf angenommen worden, dass sie zur Ausgrenzung von Mitmenschen anderer Herkunft, deren Beleidigung und zu deren Herabsetzung geeignet ist und zugleich Ausdruck eines Alltagsrassismus, der im „Kleinen“, also im täglichen Alltag auftritt und gerade deswegen umso nachhaltiger wirkt (ArbG Berlin, 5. Mai 2021 – 55 BV 2053/21, juris Rn 46).

Eine entsprechende Eignung zur Beleidigung und Herabsetzung kann für die insistierende Nachfrage nach einer aufgrund der Hautfarbe vorausgesetzten nichtdeutschen Herkunft auch unter Berücksichtigung der weiteren herangezogenen Äußerungen nicht angenommen werden. Es fehlt das lächerlich machende, herabsetzende Element, wie es in dem Vergleich mit einer Vase oder der Ansprache mit Affenlauten zum Ausdruck kommt. Die Äußerungen der Klägerin bringen zwar eine rassistische Unterscheidung zum Ausdruck, nicht aber eine Verachtung des Gegenübers oder Auffassungen zur unterschiedlichen Wertigkeit vermeintlicher Rassen.

(3) Was die Frage nach dem Verschulden angeht, wie es ebenfalls bei der Beurteilung des Gewichts der Pflichtwidrigkeit zu berücksichtigen sein würde, sind für die Zeit vor der für den 12. März 2021 behaupteten eindringlichen Belehrung keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen auf eine Erkennbarkeit der belästigenden Wirkungen ihrer Äußerungen für die Klägerin geschlossen werden könnte. Was das Verhalten nach der Belehrung angeht, so muss der belehrten Person zugebilligt werden, dass sie einige Zeit benötigt, die belästigende Wirkung eines insistierenden Nachfragens nach der Herkunft und eines Herausstellens als andersartig zu verstehen und ihr Verhalten anzupassen. Eine besondere Situation, etwa in Gestalt eines andauernden Konflikts oder vorangegangener Diskriminierungen an der Arbeitsstätte, die die mögliche Pflichtwidrigkeit gravierender erscheinen ließe, ist nicht ersichtlich.

(4) Wie angesprochen ist für die die Äußerungen vom 11. März 2021 bereits fraglich, ob sie ihrer Intensität nach überhaupt eine sexuelle Belästigung darstellen können. Jedenfalls würde es sich nicht um eine schwerwiegende sexuelle Belästigung handeln, für die die Annahme einer Entbehrlichkeit der Abmahnung geboten sein kann (vgl. BAG, 20. Mai 2021 – 2 AZR 596/20, juris Rn 29, 35). Im Hinblick auf ihre geringe Intensität vermag die sexuelle Belästigung auch in der Gesamtschau der Pflichtwidrigkeiten nicht die Entbehrlichkeit der Abmahnung wegen des Gewichts der Pflichtverletzungen zu begründen.

cc. Vorliegend war eine Abmahnung nicht deshalb entbehrlich, weil bereits im Voraus erkennbar war, eine Verhaltensänderung stünde auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten.

(1) Im maßgebenden Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung war nicht zu erkennen, dass eine Abmahnung keine Verhaltensänderung bei der Klägerin bewirken würde. Für die hier vorrangig in Rede stehende Belästigung durch insistierendes Nachfragen nach einer nichtdeutschen Herkunft gilt, dass es nicht offensichtlich oder leicht zu erkennen ist, dass hierin eine rassistische Belästigung liegen kann. Deshalb ist Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, wenn sie nicht durch weitergehende Äußerungen rassistische Beleidigungen begehen, zuzubilligen, dass sie Zeit und Anstöße für einen Erkenntnisprozess benötigen. Hier kann vorbeugenden Maßnahmen und Unterrichtungen seitens des Arbeitgeber gemäß § 12 Absätze 1 und 2 AGG eine besondere Bedeutung zukommen, damit innerhalb der Belegschaft die erforderliche Sensibilität entsteht. Wird nach solchen Sensibilisierungsmaßnahmen ein entsprechendes Verhalten ausgeführt, kann mit einer Abmahnung die individuelle Pflichtwidrigkeit verdeutlicht werden. Insbesondere durch die mit ihr verbundene Kündigungsandrohung kommt der Abmahnung ein besonderes Gewicht zu, wie es regelmäßig die Erwartung einer Abänderung steuerbaren Verhaltens begründet. Dies gilt auch für die Abmahnung einer Belästigung durch insistierendes Nachfragen nach einer nichtdeutschen Herkunft. Insoweit steht grundsätzlich zu erwarten, dass der Arbeitgeber solches Verhalten bereits durch Belehrungen, Rügen und Abmahnungen und damit durch mildere und deshalb verhältnismäßige Maßnahmen unterbinden kann

(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen im Hinblick auf die Klägerin keine besonderen persönlichen Umstände vor, weshalb eine Verhaltensänderung durch Abmahnung nicht zu erwarten war. Solche folgen nicht aus dem Gespräch mit der Vorgesetzten am 12. März 2021. Die Beklagte behauptete damit keine Abmahnung. In dem Gespräch soll die Klägerin belehrt worden sein. Eine Kündigungsandrohung gab es nicht. Diese verleiht aber der Abmahnung ihr besonderes Gewicht. Bereits deshalb kann aus Fortsetzung von Fehlverhalten nicht auf die Entbehrlichkeit der Abmahnung geschlossen werden.

(3) Die Entbehrlichkeit einer Abmahnung wird angenommen, wenn der Arbeitnehmer durch sein Verhalten oder seine Äußerungen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, sein Fehlverhalten nicht ändern zu wollen (Hessisches Landesarbeitsgericht, 23. Oktober 2015 – 10 Sa 254/15, juris Rn 105; KR/Fischermeier/Krumbiegel, 13. Aufl. 2022, § 626 BGB Rn 280). Entsprechende ausdrückliche Erklärungen der Klägerin sind nicht vorgetragen. Diese hat auch durch ihr Verhalten nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, sie wolle ihr Fehlverhalten nicht ändern. Letzteres folgt insbesondere nicht aus dem nach der behaupteten Belehrung am 12. März 2021 mit Frau S geführten Gespräch. Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt die Belehrung verstanden hatte und sich des rassistisch ausgrenzenden Beharrens auf einer vermeintlichen Andersartigkeit von Frau S überhaupt bewusst war. Dies würde jedenfalls erforderlich sein, um eine konkludente Erklärung annehmen zu können, es werde an dem Fehlverhalten festgehalten.

(4) Soweit die Beklagte auf eine in Anhörungen zu den Äußerungen gezeigte Uneinsichtigkeit abstellt, übergeht sie, dass die Klägerin sich dort in einer Rechtfertigungssituation befand und gegen mögliche Sanktionen verteidigen wollte. Unter Berücksichtigung dieser Situation kann aus dem Nichteinräumen einer Pflichtwidrigkeit nicht auf die Unmöglichkeit einer Verhaltensänderung geschlossen werden.

dd. Schließlich ist nicht erkennbar, weshalb zukünftige Belästigungen nicht durch eine Abmahnung im Sinne von § 12 Absatz 3 AGG unterbunden werden können. Wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das künftige Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann, so gilt dies auch für rassistische Belästigungen. Zwar mag es Ausnahmen geben und Vorkommnisse gravierender rassistischer Belästigungen, für die eine entsprechende Erwartung nicht begründet werden kann. Wie dargestellt, ist dies aber für den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt nicht der Fall.

III.

Wegen der zurückgenommenen Berufung der Klägerin war in Anwendung von § 516 Absatz 3 Satz 1 ZPO auszusprechen, dass die Klägerin des Rechtsmittels verlustig ist.

IV.

Von den Nebenentscheidungen beruht die Kostenentscheidung auf § 92, § 516 Absatz 3 Satz 1 ZPO. Die Beklagte ist mit der von ihr eingelegten Berufung unterlegen. Die Klägerin hat die ihrerseits eingelegte Berufung zurückgenommen. Die ausgesprochene Kostenquote folgt aus dem Verhältnis der Streitwerte für beide Berufungen.

Umstände, die in Anwendung von § 72 Absatz 2 ArbGG die Zulassung der Revision begründen würden, sind nicht ersichtlich.

Gegen die Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen.

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