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Nachgewährung von Urlaubstagen wegen Quarantäne-Anordnung

ArbG Halle – Az.: 4 Ca 285/21 – Urteil vom 23.06.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 533,93 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird für den Kläger zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Nachgewährung von vier Urlaubstagen für das Kalenderjahr 2020.

Der am … geborene Kläger ist seit dem 01.09.1978 in anrechenbarer Weise bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Er wird als Straßenbauer gegen einen Stundenlohn in Höhe von derzeit 18,06 € brutto eingesetzt. Kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit sind auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes anzuwenden.

Am 10.12.2020 hatte der Kläger Erholungsurlaub für den Zeitraum vom 21.12.2020 bis 31.12.2020 beantragt. Der Urlaub wurde von der Beklagten gewährt. Der Kläger hat den Urlaub auch angetreten.

Aufgrund der Tatsache, dass sich eine mit dem Kläger in einem Hausstand lebende Person mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert hatte, musste sich der Kläger im Zeitraum vom 23.12.2020 bis 05.01.2021 in häusliche Quarantäne begeben. Die behördliche Anweisung hatte er zunächst telefonisch erhalten. Der Absonderungsbescheid des zuständigen Gesundheitsamts des Burgenlandkreises vom 28.12.2020 (Bl. 12 der Akte) lautete wie folgt:

„Absonderung in sog. häusliche Quarantäne gemäß 17. Allgemeinverfügung des Burgenlandkreises vom 23.11.2020

Sehr geehrter Herr A.,

hiermit teilen wir Ihnen mit, dass Sie aufgrund einer mit Ihnen in einem Hausstand lebenden Sars-CoV-2 infizierten Person in der Zeit vom 23.12.2020 bis zum Ablauf des 05.01.2021 in häuslicher Quarantäne sind.

Eine Verlängerung der Quarantäne aus infektionsschutzrechtlichen Gründen wird ausdrücklich vorbehalten.

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift“

Mit Schreiben der IG Bauen-Agrar-Umwelt vom 02.02.2021 (Bl. 16 der Akte) forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm den Urlaub „gutzuschreiben“, den er wegen der häuslichen Quarantäne nicht habe in Anspruch nehmen können.

Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 05.02.2021 (Bl. 18 der Akte) ab, da ein Fall des § 9 BUrlG nicht gegeben sei. Der Kläger sei während seines Urlaubs nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen.

Mit Wirkung vom 22.02.2021 hat der Kläger sodann beim Arbeitsgericht Halle die vorliegende Klage erhoben, im Rahmen derer er eine Gutschrift bzw. eine Nachgewährung von vier Urlaubstagen verlangt. Die Klageschrift ist der Beklagten am 27.02.2021 zugestellt worden.

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe in analoger Anwendung von § 9 BUrlG ein Anspruch auf Nachgewährung von 4 Urlaubstagen zu. Wegen der während seines Urlaubs behördlich angeordneten häuslichen Quarantäne habe er den Urlaub nicht adäquat nutzen können; er sei in seiner Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt gewesen. Die Interessenlage sei vergleichbar mit dem Fall des Eintritts einer Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, dem Urlaubskonto des Klägers die Tage 23.12.2020, 28.12.2020, 29.12.2020 und 30.12.2020 als Urlaubstage gutzuschreiben und eine Nachgewährung vorzunehmen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die Klage für unbegründet. Da der Kläger in der betreffenden Zeit selbst nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, sei die Vorschrift des § 9 BUrlG nicht einschlägig. Eine analoge Anwendung der Norm (als Ausnahmevorschrift) auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgeschlossen. Grundsätzlich trage der Arbeitnehmer das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht vollständig realisieren lasse. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass eine Entschädigung nach § 56 Abs. 5 IfSG nicht gezahlt werde, weil der Kläger keinen Verdienstausfall erlitten habe.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Nachgewährung von vier Urlaubstagen nicht zu.

Die Beklagte hat dem Kläger für den Zeitraum vom 21.12.2020 bis 31.12.2020 antragsgemäß bezahlten Erholungsurlaub gewährt, den der Kläger auch angetreten hat. Damit hat die Beklagte den Urlaubsanspruch auch im Hinblick auf die Tage erfüllt, für die das zuständige Gesundheitsamt (später) eine häusliche Quarantäne des Klägers angeordnet hat. Eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG ist nicht möglich.

I.

Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden ihm gemäß § 9 BUrlG die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.

Im Ergebnis behält er also grundsätzlich seinen Urlaubsanspruch. Ohne diese gesetzliche Regelung würde der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch ersatzlos verlieren. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums und der vorbehaltlosen Gewährung des Urlaubs (einschließlich der Zusage der Zahlung des Urlaubsentgelts) wird der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs frei, weil er alles nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan hat (§ 243 Abs. 2 BGB). Über diese Erfüllungshandlung hinaus schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keinen „Urlaubserfolg“. Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensrisikos in den Risikobereich des betreffenden Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, findet eine Umverteilung dieses Risikos zugunsten des Arbeitnehmers statt (BAG, Urteil vom 25.08.2020 – 9 AZR 612/19 – juris, Rz. 29).

II.

Im Streitfall kann der Kläger seinen Anspruch nicht auf § 9 BUrlG stützen.

Die Regelung ist vorliegend nicht einschlägig, da der Kläger während der Zeit des gewährten Urlaubs selbst – unstreitig – nicht arbeitsunfähig erkrankt war. Bei einem „nur“ Ansteckungsverdächtigen im Sinne von § 2 Ziffer 7 IfSG liegt noch keine Erkrankung vor.

Auch ein tarifvertraglicher Anspruch nicht gegeben.

Die Regelung des § 8 Ziffer 1.5 BRTV-Bau bestimmt (ebenso wie das Gesetz), dass nur Tage, an denen der Arbeitnehmer während des Urlaubs nachweislich arbeitsunfähig erkrankt war, auf den Urlaub nicht angerechnet werden.

III.

Entgegen der vom Kläger (unter Hinweis auf eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Leipzig) vertretenen Auffassung kommt eine analoge Anwendung der Regelung des § 9 BUrlG auf den vorliegenden Fall einer behördlich angeordneten Absonderung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG (häusliche Quarantäne) nicht in Betracht.

Bei der Regelung des § 9 BUrlG handelt es sich um eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschrift; eine entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, kommt grundsätzlich nicht in Betracht (BAG, Urteil vom 09.08.1994 – 9 AZR 384/92 – juris, Rz. 33; BAG, Urteil vom 25.08.2020 – 9 AZR 612/19 – juris, Rz. 29; ErfK – Gallner, 21. Aufl., § 9 BUrlG Rz. 2; HWK – Schinz, 8. Aufl., § 9 BUrlG Rz. 9).

Die Rechtsprechung hat eine entsprechende Anwendung auf andere Sachverhalte mehrfach abgelehnt. So etwa für den Fall der Pflege eines erkrankten Kindes während des bereits gewährten Urlaubs (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.11.2010 – 11 Sa 1475/10 – juris, Rz. 15 ff.).

Grundsätzlich trägt der Arbeitnehmer selbst das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht oder nicht vollständig realisieren lässt. Dieses Risiko wird regelmäßig durch innere und äußere Umstände beeinflusst, die dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen sind (BAG, Urteil vom 25.08.2020 – 9 AZR 612/19 – a.a.O.).

Auch wenn nicht verkannt wird, dass sich die Interessenlage des Arbeitnehmers im Falle der angeordneten häuslichen Quarantäne ähnlich darstellt wie im Falle einer Arbeitsunfähigkeit, scheitert eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG schon am Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke.

Der Gesetzgeber hat seit vielen Jahren in Kenntnis einiger vergleichbarer Sachverhalte (und in Kenntnis der Rechtsprechung) bewusst auf eine Änderung bzw. Erweiterung von § 9 BUrlG verzichtet. Gerade auch in jüngster Zeit wurden etliche Gesetze an die neue „Coronasituation“ angepasst. Somit kann gerade nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe eine Änderung des § 9 BUrlG „nicht im Blick gehabt“ oder schlicht vergessen (vgl. zur Frage der fehlenden planwidrigen Regelungslücke: Hein/Tophof, „Folgen einer Quarantäneanordnung während bewilligten Urlaubs“, NZA 2021, 601 (603)).

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG. Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO. Es wurde ein Betrag in Höhe der für die vier begehrten Urlaubstage rechnerisch zu zahlenden Vergütung in Ansatz gebracht und dabei die vorgerichtlich seitens der IG Bauen-Agrar-Umwelt geforderten 533,92 € zugrunde gelegt.

Obwohl der Wert des Beschwerdegegenstandes somit die Summe von 600,00 € nicht übersteigt, war die Berufung gemäß § 64 Abs. 3 Ziffer 1 ArbGG für den Kläger zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die betreffende Rechtsfrage ist höchstrichterlich bisher nicht entschieden.

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