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Nachweis der Kausalität bei Mobbing-Schäden: Hürden fürs Schmerzensgeld

Eine Sachbearbeiterin klagte nach zwölf Jahren Schikanen auf über 30.000 Euro Schmerzensgeld nach Mobbing am Arbeitsplatz. Obwohl das Gericht die jahrelangen Verletzungen des Persönlichkeitsrechts anerkannte, scheiterte ihre Hauptforderung.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Sa 219/19 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg‑Vorpommern
  • Datum: 10.06.2020
  • Aktenzeichen: 3 Sa 219/19
  • Verfahren: Berufung
  • Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Schadensersatzrecht, Persönlichkeitsrecht

  • Das Problem: Eine langjährige Angestellte warf ihrer Arbeitgeberin vor, sie über Jahre hinweg durch Vorgesetzte systematisch gemobbt zu haben. Sie forderte Schmerzensgeld von mindestens 30.000 Euro sowie Ersatz für alle materiellen Schäden wegen Gesundheitsverletzungen.
  • Die Rechtsfrage: Ist ein Arbeitgeber zum Schmerzensgeld verpflichtet, wenn Mobbingvorwürfe zwar das Persönlichkeitsrecht verletzten, aber der kausale Zusammenhang zu den schweren gesundheitlichen Folgen fehlt?
  • Die Antwort: Ja, aber nur in einem sehr geringen Umfang. Das Gericht sprach der Klägerin 2.500 Euro Schmerzensgeld wegen nachgewiesener Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu. Weitergehende Forderungen scheiterten, da die Klägerin den ursächlichen Zusammenhang zwischen den Vorfällen und ihren schweren Erkrankungen nicht beweisen konnte.
  • Die Bedeutung: Opfer von Mobbing erhalten nur dann umfassenden Schadensersatz, wenn sie die Kausalkette zwischen den Handlungen und den konkreten Gesundheitsschäden zweifelsfrei nachweisen können. Einzelne, gut dokumentierte Bloßstellungen können jedoch bereits einen Anspruch auf geringes Schmerzensgeld wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung begründen.

Der Fall vor Gericht


Womit scheiterte die Klägerin nach einem Jahrzehnt des Mobbings?

Über Jahre führte eine Sachbearbeiterin akribisch Tagebuch über Demütigungen, Schikanen und Arbeitsüberlastung durch ihre Vorgesetzte. Es sollte ihre stärkste Waffe im Kampf um Gerechtigkeit werden.

Die Arbeitnehmerin präsentiert Belege zur Dokumentation ihrer Mobbing-Vorfälle, um den Nachweis der Kausalität für Schmerzensgeld zu erbringen.
Gericht erkennt nur einzelne Persönlichkeitsverletzungen an, Schmerzensgeld begrenzt auf 2.500 Euro. | Symbolbild: KI

Doch vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern zeigte sich, dass selbst die detaillierteste Chronik des Leidens an einer entscheidenden Hürde scheitern kann. Die Frau forderte über 30.000 Euro Schmerzensgeld. Zugesprochen bekam sie am Ende 2.500 Euro. Die Geschichte hinter dieser Differenz ist eine Lektion über den schmalen Grat zwischen erlittenem Unrecht und dem, was vor Gericht beweisbar ist.

Worum ging es in dem jahrelangen Konflikt?

Eine Sachbearbeiterin, seit 1986 im Amt für Stadtentwicklung beschäftigt und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt, sah sich über zwölf Jahre hinweg systematischen Schikanen ihrer direkten Vorgesetzten ausgesetzt. Ihr Vorwurf war massiv und detailliert. Sie sprach von gezieltem „Zuschütten“ mit Arbeit, öffentlichen Bloßstellungen vor Kollegen und Bauherren, dem Zurückhalten ihrer Stellungnahmen und der systematischen Isolation im Team. Sie dokumentierte, wie man sie nach krankheitsbedingten Ausfällen bewusst nicht wieder einarbeitete und ihr fachliche Äußerungen verbat.

Diese Behandlung, so ihr Vortrag, ruinierte ihre psychische Gesundheit. Es folgten zahlreiche stationäre und teilstationäre Klinikaufenthalte über Jahre hinweg. Mit einem Bündel an ärztlichen Unterlagen und ihrem „Mobbingtagebuch“ zog sie vor Gericht. Sie forderte Schmerzensgeld und die Feststellung, dass ihr Arbeitgeber für alle materiellen Schäden haften müsse, die aus dem Mobbing entstanden sind oder noch entstehen werden. Der Arbeitgeber bestritt die Vorwürfe. Er hielt den Vortrag für pauschal und forderte für jeden einzelnen Vorfall handfeste Beweise.

Warum scheiterte der Anspruch wegen Diskriminierung?

Die Klägerin versuchte zunächst, ihren Fall auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu stützen. Ihre Argumentation: Die schlechte Behandlung stehe im Zusammenhang mit ihrer anerkannten Schwerbehinderung. Das Gericht durchkreuzte diesen Ansatz aus zwei Gründen.

Erstens fehlte der erkennbare Zusammenhang. Die Richter konnten nicht nachvollziehen, inwiefern eine Knie- und Mobilitätsbehinderung bei einer überwiegend sitzenden Tätigkeit zu den vorgeworfenen Schikanen – etwa Kommunikationsstörungen oder Arbeitsüberlastung – geführt haben sollte. Die Klägerin legte keine Fakten vor, die eine Brücke zwischen ihrer Behinderung und dem Verhalten der Vorgesetzten schlugen.

Zweitens waren mögliche Ansprüche verfristet. Das Gesetz setzt enge Zeitfenster. Ein Anspruch muss innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 4 AGG). Die Klage muss dann spätestens drei Monate danach eingereicht sein (§ 61 b Abs. 1 ArbGG). Die Mitarbeiterin hatte einen konkreten Vorfall aus dem Jahr 2016 – die Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch – erst viel zu spät im Prozess vorgebracht. Die Fristen waren längst abgelaufen.

Wieso konnte die Mitarbeiterin keinen Schadensersatz für ihre Gesundheitsschäden durchsetzen?

Hier lag der Kern des Problems und die größte Hürde für die Klägerin. Für einen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Gesundheitsverletzung aus dem Arbeitsvertrag (§§ 280, 241 BGB) muss eine lückenlose Kausalkette bewiesen werden. Die Klägerin musste beweisen, dass exakt die Handlungen der Vorgesetzten ursächlich für ihre psychischen Erkrankungen und die langen Ausfallzeiten waren.

Das Gericht stellte fest: Dieser Beweis wurde nicht erbracht. Die bloße zeitliche Abfolge – hier eine Schikane, dort eine Krankmeldung – reicht nicht aus. Das Mobbingtagebuch und die Liste der Fehlzeiten belegen zwar das Leiden der Frau, aber nicht den juristisch zwingenden Ursprung dieses Leidens im Verhalten des Arbeitgebers. Ohne diesen Kausalitätsnachweis gab es kein Schmerzensgeld für die nachweislich erlittenen Gesundheitsschäden.

Auf welcher Grundlage erhielt die Frau dann doch ein Schmerzensgeld?

Das Gericht schlug die Tür für die vertraglichen Ansprüche zu, öffnete aber eine andere – die des Deliktsrechts. Es prüfte, ob die Handlungen der Vorgesetzten das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiterin verletzten (Art. 1 und 2 Grundgesetz) und der Arbeitgeber dafür haften muss (§§ 823, 831 BGB). Hier wurde das Gericht fündig.

Während der Großteil des Vortrags als zu pauschal oder unbewiesen galt, waren einzelne Vorfälle so konkret und nachvollziehbar dargelegt, dass sie für sich genommen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellten. Ein Beispiel war eine personalisierte „Schichtinformation“, die die Vorgesetzte während der Abwesenheit der Klägerin für alle sichtbar im Beratungsraum ausgelegt hatte. Ein klarer Akt der Bloßstellung.

Für solche einzelnen, nachweisbaren Demütigungen muss der Arbeitgeber einstehen. Er haftet für das Fehlverhalten seiner Führungskräfte, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben einsetzt. Das Gericht bejahte deshalb einen Anspruch auf Schmerzensgeld – allerdings nur für diese isolierten, bewiesenen Nadelstiche und nicht für das gesamte, über Jahre geschilderte Mobbing-Geschehen.

Wie begründete das Gericht die geringe Höhe des Schmerzensgeldes?

Die zugesprochenen 2.500 Euro spiegeln exakt den Teilerfolg der Klägerin wider. Das Gericht machte deutlich, dass es nicht das gesamte behauptete Martyrium entschädigt, sondern nur die wenigen Vorfälle, die es als zweifelsfrei nachgewiesene Verletzungen des Persönlichkeitsrechts wertete. Der große Rest der Vorwürfe scheiterte an der Beweislast oder der fehlenden Kausalität zu den Gesundheitsschäden.

Die Kostenentscheidung des Gerichts zementierte dieses Ergebnis: Die Klägerin musste 94 % der Prozesskosten tragen, der Arbeitgeber nur 6 %. Ein finanzieller Sieg, der sich für die Klägerin wie eine Niederlage anfühlen musste.

Die Urteilslogik

Wer vor Gericht Schäden aus psychischer Belastung oder Mobbing geltend macht, muss nicht nur das Leid dokumentieren, sondern beweisen, dass die Taten des Arbeitgebers lückenlos die Ursache für die erlittenen Gesundheitsschäden waren.

  • Kausalität beweisen: Die bloße zeitliche Abfolge von Schikanen und psychischen Erkrankungen begründet keinen Anspruch auf Schmerzensgeld; der Kläger muss die juristisch zwingende und lückenlose Kausalkette zwischen der Pflichtverletzung des Arbeitgebers und dem konkreten Gesundheitsschaden nachweisen.
  • Arbeitgeber haften für Persönlichkeitsverletzung: Der Arbeitgeber trägt die deliktische Verantwortung für einzelne, nachweisbare Demütigungen durch seine Vorgesetzten, sofern diese Handlungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter verletzen.
  • Beweislast präzisieren: Ein umfangreiches Tagebuch dient zwar der Dokumentation des Leidenswegs, genügt jedoch nicht als juristischer Beweis, wenn es lediglich pauschale Vorwürfe enthält und für die einzelnen Rechtsansprüche keine spezifischen, fristgerechten Beweisfakten liefert.

Das Gericht entschädigt rigoros nur diejenigen Schädigungen, die zweifelsfrei und kausal auf das Fehlverhalten des Arbeitgebers zurückzuführen sind, während unbewiesenes oder pauschal vorgetragenes Unrecht unberücksichtigt bleibt.


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Experten Kommentar

Wer zehn Jahre lang akribisch das erlittene Unrecht dokumentiert, erwartet mehr als einen symbolischen Betrag. Die große strategische Lektion dieses Urteils liegt nicht in der Dokumentation des Leidens, sondern in der juristischen Kausalitätskette. Die Gerichte stellen klar: Das detaillierteste Mobbing-Tagebuch beweist zwar die Demütigung, aber es beweist nicht automatisch, dass die konkreten Vorfälle die alleinige Ursache für die komplexen psychischen Schäden waren. Wer Schmerzensgeld für Gesundheitsschäden fordert, muss eine medizinisch und juristisch wasserdichte Brücke zwischen Pflichtverletzung und Erkrankung schlagen. Ohne diesen Nachweis bleibt der Arbeitgeber im Zweifel nur für einzelne, isolierte Beleidigungen haftbar.


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Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Reicht mein Mobbing-Tagebuch als Beweis vor Gericht für Schmerzensgeld aus?

Das Mobbing-Tagebuch ist ein notwendiges, aber kein ausreichendes Beweismittel für hohe Schmerzensgeldforderungen. Es dokumentiert zwar Ihr erlittenes Leid und die zeitliche Abfolge der Vorkommnisse präzise. Das Tagebuch beweist aber nicht die juristisch zwingende Kausalität zwischen den Handlungen des Arbeitgebers und Ihren schweren Gesundheitsschäden.

Gerichte betrachten eine Chronik des Leidens ohne zusätzliche, objektive Beweise oft nur als pauschalen Vortrag. Schmerzensgeld für schwere psychische Erkrankungen setzt den Nachweis voraus, dass die Schikane direkt die Ursache für die Krankheit ist. Die bloße zeitliche Abfolge von Schikane und Krankmeldung genügt hierfür nicht. Ohne diesen eindeutigen Kausalitätsnachweis scheitert der Hauptanspruch auf Entschädigung für die erlittenen Gesundheitsschäden.

Trotzdem ist das Mobbing-Tagebuch nicht wertlos für Ihre Klage. Es kann einzelne, nachweisbare Demütigungen und Beleidigungen untermauern. Solche isolierten Vorfälle führen zu einer Entschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Deliktsrecht). Konkret führte beispielsweise eine öffentlich ausgelegte, bloßstellende Information zu einer Verurteilung des Arbeitgebers. Solche Teilerfolge spiegeln sich jedoch in minimalen Schmerzensgeldern wider und entschädigen nicht das gesamte Martyrium.

Überprüfen Sie jeden Tagebucheintrag sofort auf die Existenz von Zeugen (Namen, Funktion) oder objektiven Beweisen (E-Mail, Foto), um die Vorfälle gerichtsverwertbar zu machen.


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Wie weise ich die Kausalität zwischen Mobbing und meiner psychischen Erkrankung lückenlos nach?

Der lückenlose Nachweis der Kausalität gehört zu den größten juristischen Hürden bei Mobbing-Fällen. Gerichte fordern dafür gerichtsverwertbare medizinische Gutachten. Diese müssen exakt belegen, dass die konkreten Handlungen der Vorgesetzten den juristisch zwingenden Ursprung Ihrer psychischen Erkrankung darstellen. Die bloße zeitliche Abfolge von Schikane und Krankmeldung gilt als unzureichender Beweis.

Sie müssen beweisen, dass die Pflichtverletzungen des Arbeitgebers (§§ 280, 241 BGB) nicht nur ein allgemeiner Auslöser waren, sondern die rechtlich relevante Ursache. Dies bedeutet, dass die Gutachten externe Stressfaktoren oder andere Lebensumstände als mögliche Gründe für die psychische Störung ausschließen müssen. Das Gericht muss die Kette von den nachweisbaren Demütigungen oder Überlastungen bis zur diagnostizierten psychischen Störung lückenlos nachvollziehen können.

Viele Betroffene verlassen sich fälschlicherweise auf Atteste ihres Hausarztes, die lediglich die Existenz des Schadens bestätigen (zum Beispiel eine Depression). Dies beweist jedoch nur die Diagnose, nicht die juristische Zurechnung zum Arbeitgeberverhalten. Im Fall der Sachbearbeiterin scheiterte der Anspruch auf hohes Schmerzensgeld genau daran, weil der Kausalitätsnachweis zu den schweren Gesundheitsschäden fehlte. Ohne diesen Beweis erhalten Sie kein Schmerzensgeld für die erlittenen Gesundheitsschäden.

Erstellen Sie für Ihren Facharzt eine chronologische Liste der schlimmsten, bewiesenen Mobbing-Vorfälle und bitten Sie ihn, diese gezielt in seine Stellungnahme aufzunehmen, um den direkten ursächlichen Zusammenhang zu belegen.


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Welche Fristen muss ich für eine erfolgreiche Klage wegen Mobbing unbedingt einhalten?

Wenn Sie Mobbing auf Basis des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) geltend machen, sind die Fristen extrem kurz. Viele Betroffene denken irrtümlich an die übliche Verjährungsfrist von drei Jahren. Das AGG setzt jedoch strikte Ausschlussfristen, die eine erfolgreiche Klage schnell verhindern können. Diese engen Zeitfenster führen oft dazu, dass Verfahren von Beginn an scheitern, selbst wenn die Vorfälle eindeutig diskriminierend waren.

Die Regel: Sie müssen den Anspruch innerhalb von nur zwei Monaten nach Kenntnis des diskriminierenden Vorfalls schriftlich beim Arbeitgeber geltend machen (§ 15 Abs. 4 AGG). Diese Frist gilt für jeden einzelnen Akt der Diskriminierung, etwa bei einer Schikane nach einer Krankschreibung wegen Schwerbehinderung. Wird ein Vorfall auch nur unwesentlich zu spät vorgebracht, ist der gesamte Anspruch auf Entschädigung oder Schadensersatz aus dem AGG in der Regel verfristet.

Nach der fristgerechten schriftlichen Geltendmachung folgt die zweite, ebenso wichtige Frist für die Klage selbst. Diese Klage muss spätestens drei Monate nach der schriftlichen Rüge beim zuständigen Arbeitsgericht eingehen (§ 61 b Abs. 1 ArbGG). Halten Sie diese engen Vorgaben nicht ein, wird das Gericht den Anspruch auf Basis des AGG abweisen. Ein klassisches Beispiel: Wird ein konkreter, diskriminierender Vorfall erst Jahre später im Prozess als Sammelklage nachgereicht, scheitert er an der Verfristung.

Dokumentieren Sie diskriminierende Vorfälle sofort und senden Sie dem Arbeitgeber bei jedem einzelnen Akt einen fristwahrenden Brief per Einschreiben mit Rückschein, um diese Fristen zuverlässig zu wahren.


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Wann haftet mein Arbeitgeber für Mobbing durch Vorgesetzte oder Kollegen?

Die Haftung des Arbeitgebers erfolgt primär über das Deliktsrecht, nicht automatisch wegen einer allgemeinen Pflichtverletzung aus dem Arbeitsvertrag. Ein Unternehmen muss für die Handlungen seiner Führungskräfte einstehen, insbesondere wenn diese das Grundrecht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters verletzen (§§ 823, 831 BGB). Diese Haftung greift bei einzelnen, konkret nachweisbaren Vorfällen der Demütigung oder Bloßstellung.

Der Arbeitgeber wird als „Herr des Geschehens“ zur Rechenschaft gezogen. Er setzt Vorgesetzte als sogenannte Erfüllungsgehilfen ein, um seine organisatorischen Pflichten wahrzunehmen. Wenn diese Führungskräfte ihre Macht missbrauchen und das Ehrgefühl oder die Ehre des Mitarbeiters verletzen, löst dies eine zivilrechtliche Haftung aus. Es genügt, wenn Vorgesetzte durch ihre Taten die grundgesetzlich geschützten Rechte des Arbeitnehmers auf Würde und freie Entfaltung missachten (Art. 1 und 2 GG).

Diese Haftung beschränkt sich jedoch meist auf die isolierten, bewiesenen Verletzungen, die juristisch als „Nadelstiche“ gelten. Im Fall der Sachbearbeiterin, die Schmerzensgeld erhielt, war der ausschlaggebende Punkt eine personalisierte „Schichtinformation“, die öffentlich im Beratungsraum ausgelegt wurde. Diese bewusste öffentliche Bloßstellung war ein konkreter Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht. Für das gesamte, unbewiesene Mobbing-Geschehen, das keine Gesundheitsschäden beweist, haftet der Arbeitgeber ohne Kausalitätsnachweis nicht.

Priorisieren Sie für eine erfolgreiche Klage Aktionen der Vorgesetzten, die vor Zeugen oder Dritten stattfanden und eine öffentliche Demütigung darstellten.


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Wie hoch fällt das Schmerzensgeld bei Mobbing aus, wenn die Kausalität nicht bewiesen wird?

Wenn der Nachweis der Kausalität zwischen den Mobbing-Handlungen und den schweren Gesundheitsschäden scheitert, fällt die Entschädigung minimal aus. Gerichte sprechen in solchen Fällen oft nur symbolische Teilbeträge zu, die das erlittene psychische Leid nicht vollständig abbilden. Das Schmerzensgeld entschädigt dann lediglich einzelne, konkret bewiesene Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dadurch spiegelt die Summe nur einen Bruchteil der ursprünglichen Forderung wider.

Die Höhe des Schmerzensgeldes bemisst sich exakt nach dem Umfang des gerichtlichen Teilerfolgs. Hohe Forderungen, die auf langwierigen psychischen Erkrankungen basieren, scheitern, wenn die Ursachenkette nicht lückenlos bewiesen wird. Ohne diesen juristisch zwingenden Nachweis entfällt jeglicher Anspruch auf Entschädigung für die schwerwiegenden Gesundheitsschäden. Das Gericht würdigt dann ausschließlich die isolierten „Nadelstiche“, die als Verletzung der Ehre oder Bloßstellung zweifelsfrei durch Zeugen oder Dokumente nachgewiesen wurden.

Ein Beispiel: Fordern Betroffene 30.000 Euro Schmerzensgeld, erhalten aber nur 2.500 Euro zugesprochen, so repräsentiert diese geringe Summe die Entschädigung für die wenigen, bewiesenen Vorfälle, wie den öffentlichen Aushang einer diskreditierenden Notiz. Der weitaus größere Teil der Klage scheitert an der fehlenden Beweislast für die Hauptschäden. Dieses Missverhältnis führt häufig zu einer drastisch negativen Kostenentscheidung, bei der Kläger oft 94 Prozent der gesamten Prozesskosten selbst tragen müssen.

Bewerten Sie realistisch mit Ihrem Anwalt, welche Vorwürfe unter das Deliktsrecht fallen, um das Prozesskostenrisiko für den unbeweisbaren Kausalitätsbereich zu minimieren.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar für Fachbegriffe aus dem Arbeitsrecht: Der Schriftzug 'Glossar' vor dem Foto einer belebten Baustelle

Glossar


Juristische Fachbegriffe kurz erklärt

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist ein Bundesgesetz, das den Schutz vor Diskriminierung aus Gründen wie ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Alter oder Behinderung regelt. Juristen nennen dieses Gesetz oft vereinfacht das „Antidiskriminierungsgesetz“, da es bezweckt, Benachteiligungen im Berufsleben und Alltag zu verhindern und Betroffenen Entschädigungsansprüche zu ermöglichen.

Beispiel: Die Klägerin versuchte ihren Anspruch auf hohes Schmerzensgeld zunächst auf das AGG zu stützen, da sie eine Schlechterbehandlung im Zusammenhang mit ihrer anerkannten Schwerbehinderung geltend machte.

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Ausschlussfristen

Ausschlussfristen sind extrem kurze, vom Gesetz vorgeschriebene Zeitfenster, innerhalb derer man einen Rechtsanspruch schriftlich geltend machen oder diesen gerichtlich einklagen muss. Das Gesetz will durch diese strengen Fristen Rechtssicherheit schaffen, da ein Anspruch, der nicht fristgerecht vorgebracht wird, automatisch erlischt und selbst bei Rechtswidrigkeit nicht mehr durchgesetzt werden kann.

Beispiel: Da die Mitarbeiterin einen konkreten diskriminierenden Vorfall aus dem Jahr 2016 erst Jahre später im Prozess nachreichte, wies das Gericht den AGG-Anspruch wegen der nicht eingehaltenen Ausschlussfristen ab.

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Beweislast

Die Beweislast bestimmt im Zivilprozess, welche Partei die Tatsachen beweisen muss, die zu ihren Gunsten sprechen und ihren geltend gemachten Anspruch erst begründen. Wer vor Gericht Schmerzensgeld oder Schadensersatz fordert, muss die Grundlage dieses Anspruchs nachweisen, denn hier gilt der juristische Leitsatz: Wer behauptet, muss beweisen.

Beispiel: Die Klägerin trug im Mobbing-Fall die Beweislast dafür, dass die Handlungen der Vorgesetzten tatsächlich ursächlich ihre schweren psychischen Gesundheitsschäden ausgelöst hatten.

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Deliktsrecht

Das Deliktsrecht umfasst alle Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), die eine zivilrechtliche Haftung für Schädigungen oder Verletzungen fremder Rechte festlegen, welche nicht aus einem Vertragsverhältnis resultieren. Es dient der Verpflichtung zum Schadensersatz für sogenannte unerlaubte Handlungen, die das Leben, die Gesundheit oder das Persönlichkeitsrecht einer Person betreffen.

Beispiel: Obwohl das Gericht vertragliche Ansprüche verneinte, bejahte es den Anspruch auf ein geringes Schmerzensgeld aus dem Deliktsrecht, weil einzelne Vorfälle klar eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellten.

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Kausalität

Kausalität beschreibt den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Pflichtverletzung des Arbeitgebers (zum Beispiel der Schikane) und einem daraus resultierenden Schaden (zum Beispiel einer diagnostizierten psychischen Erkrankung). Ohne diesen juristisch zwingenden Ursprung gibt es keine Haftung für den Schaden; die bloße zeitliche Abfolge von Schikane und Krankmeldung reicht für den Kausalitätsnachweis nicht aus.

Beispiel: Der Hauptanspruch der Mitarbeiterin auf Entschädigung für die langwierigen Klinikaufenthalte scheiterte, weil der lückenlose Kausalitätsnachweis zu den Gesundheitsschäden fehlte.

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Persönlichkeitsrecht, Allgemeines

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt als Ausfluss der Grundrechte die innere Würde und die freie Entfaltung des Einzelnen, insbesondere dessen Ehre und den Bereich der Privatsphäre. Dieses grundgesetzlich geschützte Recht ist ein zentraler Schutzschild gegen unzulässige Eingriffe in das Ehrgefühl, gegen Demütigungen oder gezielte öffentliche Bloßstellungen.

Beispiel: Eine personalisierte „Schichtinformation“, die die Vorgesetzte für alle Kollegen sichtbar im Beratungsraum ausgelegt hatte, stellte nach Auffassung des Gerichts eine klare Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar.

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Das vorliegende Urteil


Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 3 Sa 219/19 – Urteil vom 10.06.2020


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