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Nichtigkeit einer Änderungsvereinbarung wegen arglistiger Täuschung

Streit um Wirksamkeit einer Änderungsvereinbarung im Arbeitsvertrag

In einem aufsehenerregenden Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz verhandelt wurde, standen sich eine Arbeitgeberin und ihre Mitarbeiterin gegenüber. Sie stritten über die Rechtmäßigkeit einer Vertragsänderung. Die Klägerin war seit 2015 als Verkaufsberaterin tätig und übernahm nebenbei Aufgaben der dezentralen Werbung. Als diese Aufgaben zentralisiert wurden, änderten sich ihre Aufgaben, was in einer Vertragsänderung festgehalten wurde. Die Klägerin wehrte sich gegen diese Änderung, was zu einem komplexen juristischen Disput führte.

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Wechsel in der Position und Gehaltsstruktur

Mit der Umstellung der Werbung änderte sich nicht nur die Tätigkeit der Klägerin, sondern auch ihre Vergütung. Die Klägerin wurde nunmehr als Kundenberaterin im Verkauf tätig, und ihre Gehaltsstruktur wurde an die neue Position angepasst. Die neue Struktur beinhaltete ein Tarifentgelt und eine freiwillige übertarifliche Zulage. Wichtig dabei war, dass die übertarifliche Zulage bei einer Erhöhung des Tariflohns oder einer Höhergruppierung auf das Tarifentgelt anrechenbar war.

Arglistige Täuschung: Der Kern des Disputs

Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Frage, ob die Änderungsvereinbarung aufgrund einer arglistigen Täuschung nichtig sein könnte. Die Klägerin behauptete, dass sie durch den Wechsel ihrer Position und der damit verbundenen Gehaltsänderung finanziell benachteiligt wurde. Dieser Aspekt war besonders brisant, da die neuen Vergütungsbestandteile laut Vertragsklausel als freiwillige Leistung des Unternehmens gesehen wurden und somit bei tariflichen Änderungen angerechnet werden konnten.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz

Die Klägerin berief sich gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern, jedoch wurde ihre Berufung vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen. Somit wurde die Wirksamkeit der Änderungsvereinbarung bestätigt. Dieses Urteil ist ein wichtiger Präzedenzfall für ähnliche Streitigkeiten, bei denen es um die Wirksamkeit von Vertragsänderungen im Arbeitsrecht geht.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 1 Sa 103/21 – Urteil vom 20.08.2021

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 17.02.2021, Az.: 6 Ca 433/20 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Änderungsvertrages.

Die Klägerin ist seit dem 14.01.2015 als Beraterin im Verkauf zu einer Bruttomonatsarbeitsvergütung in Höhe von zuletzt 3.060,00 EUR beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag mit Datum vom 14.01.2015 (Bl. 4 ff. d. A.). Nach Maßgabe des genannten Vertrages war die Klägerin als Fachberaterin tätig und bezog eine Vergütung nach Tarifgruppe G3/III des Tarifvertrages für den rheinland-pfälzischen Einzelhandel.

Neben der beratenden Verkaufstätigkeit nahm die Klägerin Aufgaben der dezentralen Werbung wahr. Ende 2019 wurde die Entscheidung getroffen, keine dezentrale Werbung mehr vorzunehmen, sondern nur noch zentralisiert von Ingolstadt aus. Die der Klägerin bis dahin im Zuge der dezentralen Werbung obliegenden Aufgaben entfielen.

Unter dem 21. September 2020 kam es zur Unterzeichnung einer Änderungsvereinbarung (Bl. 8 f. d. A.). Danach wurde die Klägerin ab dem 01.10.2020 als Kundenberaterin im Bereich Verkauf tätig. Ziffer 2. der Änderungsvereinbarung sieht u. a. folgendes vor:

„2.  Eingruppierung; Vergütung

Aufgrund der neuen Tätigkeit verändert sich die Vergütung des Arbeitnehmers und wird ab dem 01.10.2020 wie folgt geregelt:

a. Der Arbeitnehmer wird der seiner Tätigkeit entsprechenden Tarifgruppe GII/6.BJ des Tarifvertrages zugeordnet.

b. Der Arbeitnehmer erhält ein monatliches Bruttogehalt. Dieses ist jeweils am letzten Tag eines Monats fällig und setzt sich ab dem 01.10.2020 wie folgt zusammen:

Tarifentgelt 2.704,00 €

Freiwillige übertarifliche Zulage 356,00 €

Monatliches Bruttogehalt 3.060,00 €

e. Die unter Ziffer 2 b dieser Vereinbarung vereinbarte freiwillige übertarifliche Zulage ist ganz oder teilweise bei Tariflohnerhöhungen, bei Aufrücken in ein anderes Berufs- oder Tätigkeitsjahr oder bei Höhergruppierung auf das Tarifentgelt anrechenbar.

f. Soweit Vergütungsbestandteile tarifliche Ansprüche übersteigen und nicht eine unmittelbare Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung darstellen, stellen diese eine freiwillige Leistung der Gesellschaft dar. Auch die wiederholte freiwillige Zahlung ohne Vorbehalt begründet in diesem Fall keinen Rechtsanspruch auf eine Gewährung in Zukunft.

g. Kündigt der Arbeitnehmer das Vertragsverhältnis – ohne Verschulden der Gesellschaft – oder kündigt die Gesellschaft das Vertragsverhältnis aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers, so behält sich die Gesellschaft vor, den Arbeitnehmer von freiwilligen Leistungen im Kalenderjahr ganz oder teilweise auszuschließen. …“

Vor Unterzeichnung der Änderungsvereinbarung war die Klägerin seit dem 03.09.2020 arbeitsunfähig erkrankt. Am Tag der Unterzeichnung der Änderungsvereinbarung nahm die Klägerin ihre Arbeit wieder auf. Nach einem im Zusammenhang mit Unterzeichnung der Änderungsvereinbarung um die Mittagszeit geführten Gesprächs, dessen Inhalt und Dauer zwischen den Parteien streitig ist, wurde die Klägerin vom Geschäftsführer der Beklagten aufgefordert, nach Hause zu gehen, um sich auszukurieren. Die Klägerin war sodann ärztlich attestiert bis zum 26.09.2020 arbeitsunfähig.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.09.2020 ließ die Klägerin die Anfechtung, den Widerruf sowie den Rücktritt von der am 21.09.2020 getroffenen Vereinbarung erklären (Bl. 10 ff. d. A.).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 17.02.2021 (Bl. 71 ff. d. A.). Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage mit dem Antrag, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Änderungsvereinbarung vom 21.09.2020 nicht abgeändert wurde, abgewiesen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht – zusammengefasst – ausgeführt:

Ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht bestehe nicht. Insbesondere ergebe sich dies nicht aus § 355 i. V. m. § 312g Abs. 1, § 312 BGB.

Auch ein Anfechtungsgrund unter dem Gesichtspunkt arglistiger Täuschung bestehe nicht. Die Klägerin habe die tatsächlichen Voraussetzungen einer Arglistanfechtung nicht dargelegt. Wenn die Klägerin behauptet, der Marktleiter habe ihr gesagt, „eigentlich würde sich nichts ändern“, “ das Gehalt bleibe gleich“, sei dies dahingehend zu verstehen, dass zwar mit der Änderungsvereinbarung Änderungen verbunden seien, diese jedoch nicht sofort durchgreifen würden. Die Äußerung, dass das Gehalt gleichbleibe, sei daher nicht falsch gewesen, da das effektive Gehalt in gleicher Höhe fortbestehe und sich nur anders mit der Folge einer allmählichen Aufzehrung der übertariflichen Zulage durch Tariflohnerhöhungen zusammensetze. Soweit die Klägerin behaupte, ihr sei nur die letzte Seite des Änderungsvertrages vorgelegt worden und sie habe sich deshalb keine Kenntnis von der Vereinbarung verschaffen können, müsse sie das sich daraus ergebende Risiko ähnlich wie bei der Leistung einer Blanko-Unterschrift tragen.

Der Änderungsvertrag sei auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Gebot des fairen Verhandelns unwirksam. Die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin habe weder eine Verhandlungssituation dargestellt, aufgrund derer eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wurde, die eine freie und überlegte Entscheidung erheblich erschwert oder sogar unmöglich gemacht habe. Sie habe auch nicht vorgetragen, dass eine unfaire Verhandlungssituation dadurch herbeigeführt wurde, dass objektiv erkennbare körperliche oder psychische Schwächen ausgenutzt worden seien. Auch eine Überrumpelung habe nicht vorgelegen. Ein Arbeitnehmer müsse an seinem Arbeitsplatz immer damit rechnen, dass es gegebenenfalls zu Unterredungen mit Vorgesetzten kommt.

Das genannte Urteil ist der Klägerin am 08.03.2021 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 06.04.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 21.04.2021, bei Gericht eingegangen am 23.04.2021, begründet.

Mit ihrer Berufungsbegründung, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 107 ff. d. A.), macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:

Die Tatsache, dass sie bereits 14 Tage vor dem 21.09.2020 infolge einer Bronchitis und hohem Fieber arbeitsunfähig erkrankt war, am Tag der Arbeitsaufnahme ebenfalls noch Fieber gehabt habe und in der Folge erneut arbeitsunfähig gewesen sei, sowie unter Berücksichtigung dessen, dass auch der Geschäftsführer der Beklagten sie im Anschluss an das Gespräch vom 20.09.2020 nach Hause geschickt habe, belege, dass die Klägerin im Rahmen des Gespräches nicht aufnahmefähig gewesen sei und die Folgen einer Unterschriftsleistung nicht habe erkennen können. Ferner belege dies, dass auch der Geschäftsführer der Beklagten den schlechten Gesundheitszustand der Klägerin erkannt habe. Wenn die Beklagte geltend mache, ihr Geschäftsführer habe die Klägerin im Interesse der Vermeidung einer Ansteckung weiterer Arbeitskolleginnen nach Hause geschickt, sei dies vordergründig falsch. Denn dann wäre es naheliegend gewesen, die Klägerin bereits am Vormittag des 21.09.2020 nach Hause zu schicken. Vielmehr sei einfach der Zeitpunkt der bestehenden Erkrankung und damit einhergehend die fehlende Aufnahmefähigkeit genutzt worden, um die letzte Seite des Vertrages vorzulegen und mit dem Hinweis darauf, dass sich nichts ändern würde, unterschreiben zu lassen. Der Vorgang der Vorlage des Vertrages und der Unterschriftsleistung habe auch nur ca. fünf bis zehn Minuten gedauert. Am Nachmittag habe sie mit hohem Fieber das Bett gehütet.

Die Änderungsvereinbarung sei nach dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam.

Ziffer 2. g. der Änderungsvereinbarung stelle eine nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksame Klausel dar. Diese Unwirksamkeit erfasse auch den Vertrag insgesamt.

Unzutreffend habe das Arbeitsgericht auch angenommen, dass die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht erfüllt seien. Wenn in Verbindung mit der Vorlage eines Vertrages in einem erkennbar schlechten Gesundheitszustand des Mitarbeiters mitgeteilt werde, es würde sich eigentlich nichts ändern, werde hierdurch gegen die Verpflichtung, Umstände, welche für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind, ungefragt zu offenbaren, verstoßen. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes sei es der Klägerin auch nicht möglich gewesen, Nachfragen zu stellen. Der vom Arbeitsgericht gezogene Vergleich zur Leistung einer Blanko-Unterschrift gehe fehl, da gerade keine Blanko-Unterschrift, sondern die Unterschrift unter einen vorbereiteten Vertrag geleistet worden sei.

Das Arbeitsgericht habe auch die Grundsätze des Gebots fairen Verhandelns verkannt. Angesichts der Tatsache, dass sie vor und nach Unterschriftsleistung arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, handele es sich um ein überraschendes Gespräch. Außerdem sei ihre erkennbar körperliche Schwächung ausgenutzt worden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 17.02.2021 – 6 Ca 433/20 – abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Änderungsvereinbarung vom 21. September 2020 nicht abgeändert wurde.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 31.05.2021 (Bl. 145 ff. d. A.) als in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zutreffend.

Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Die Berufungskammer hat die Parteien zu Inhalt und Ablauf des Gesprächs vom 21.09.2020 persönlich angehört. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20.08.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist an sich statthaft nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO.

II.

Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Änderungsvereinbarung vom 21.09.2020 rechtswirksam ist. Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt keine hiervon abweichende Beurteilung.

1.

Zutreffend ist das Arbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, dass ein Widerrufsrecht der Klägerin gem. § 355 i.V. m. § 312 g Abs. 1, § 312 b BGB nicht besteht. Abgesehen davon, dass der Änderungsvertrag nicht in der Wohnung der Klägerin geschlossen wurde, ist der Anwendungsbereich für diese Vorschriften gemäß § 312 Abs. 1 BGB nicht eröffnet (BAG 07.02.2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 12 ff., juris).

2.

Soweit die Berufung geltend macht, die Änderungsvereinbarung verstoße mit der Regelung in Ziffer 2.g. gegen das Klauselverbot nach § 308 Nr. 4 BGB und diese Unwirksamkeit erfasse auch den Vertrag insgesamt, kann dahinstehen, ob die von der Klägerin in Bezug genommene Vertragsklausel tatsächlich einer Überprüfung nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen standhält oder nicht. Selbst wenn zu Gunsten der Klägerin eine Rechtsunwirksamkeit der Vertragsklausel unterstellt wird, steht der Annahme einer Gesamtunwirksamkeit der Änderungsvereinbarung § 306 Abs. 1 BGB entgegen. Danach bleibt ein Vertrag im Übrigen wirksam, selbst wenn Allgemeine Geschäftsbedingungen ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind. Eine Ausnahme gilt nach Abs. 3 nur dann, wenn das Festhalten an ihm auch unter Berücksichtigung der nach Abs. 2 vorgesehenen Änderung eine unzumutbare Härte für eine Vertragspartei darstellen würde. Anhaltspunkte hierfür bestehen nicht.

3.

Die Änderungsvereinbarung ist auch nicht nach § 142 Abs. 1 als von Anfang an nichtig anzusehen. Die Voraussetzungen des hier einzig in Betracht kommenden Anfechtungsgrundes einer arglistigen Täuschung im Sinne von § 123 Abs. 1 BGB lassen sich auch unter Berücksichtigung der Anhörung der Parteien nicht feststellen.

a)

Eine arglistige Täuschung im Sinne von § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war. Das subjektive Merkmal „Arglist“ liegt vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim Erklärungsgegner entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit – auch grobe Fahrlässigkeit – genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Anfechtende (vgl. statt vieler: BAG 11.07.2012 – 2 AZR 42/11 -Rn. 22, juris).

b)

Bei dem der Unterzeichnung der Änderungsvereinbarung vorausgegangenem Gespräch, aus dessen Inhalt sich nach Auffassung der Klägerin eine arglistige Täuschung über den Inhalt der Änderungsvereinbarung ergeben soll, handelt es sich um ein sog. Vier-Augen-Gespräch der Parteien. Keiner der Parteien steht ein Zeuge für den Inhalt des Gesprächs zur Verfügung. Die Berufungskammer hat daher die Klägerin nach § 141 ZPO persönlich angehört. Da andererseits aber auch der Beklagten kein Zeuge für Inhalt und Ablauf des Gesprächs zur Verfügung stand, war es nach dem Grundsatz der Waffengleichheit geboten, nach § 141 ZPO auch den gesprächsbeteiligten Geschäftsführer der Beklagten anzuhören (zum Grundsatz der Waffengleichheit vgl. etwa BAG 06.12.2001 – 2 AZR 396/2000, Rn. 32, juris).

In Würdigung der Anhörung der Parteien steht für die Berufungskammer nicht fest, dass der Geschäftsführer der Beklagten bei der Klägerin die Vorstellung hervorgerufen habe, ihre Vergütung und die Zusammensetzung derselben bleibe ohne Eintritt jeglicher weiterer Konsequenzen völlig unverändert oder aber es trotz bestehender Aufklärungspflicht unterlassen habe, darauf hinzuweisen, dass eine Anrechnung zukünftiger Tariflohnerhöhungen auf die übertarifliche Zulage stattfindet.

Die Schilderung der Klägerin anlässlich ihrer Anhörung ist hinsichtlich des Gesprächsverlaufs wenig detailreich. So hat die Klägerin nicht ausgeführt, in welchem Argumentationszusammenhang der Geschäftsführer der Beklagten ihr am Monitor die bisherige Gehaltsabrechnung gezeigt hat und aufgrund welcher Umstände sie sich zu einer mehrmaligen Nachfrage veranlasst sah. Der Schilderung der Klägerin mangelt es auch an Plausibilität: Der Klägerin war offensichtlich bewusst, dass Arbeitsbedingungen vertraglich geändert werden sollten und der Änderungsvertrag auch Regelungen zur Vergütung enthält. Sie hat bekundet, mehrmals hinsichtlich ihres Nettogehalts nachgefragt zu haben. Sie hat damit der von ihr geschilderten Auskunft des Geschäftsführers der Beklagten, dass sich nichts ändere (nach ihrem schriftsätzlichen Sachvortrag: sich eigentlich nichts ändere) damit nicht von vorneherein Glauben geschenkt. Es ist aber nicht plausibel, dass durch die bloße Wiederholung dieser „dürren“ Aussage ohne jegliche weitere argumentative Erläuterung die Klägerin dann mit der Folge der Unterschrift von der Richtigkeit überzeugt gewesen sein will.

Dem gegenüber kann die Schilderung des Gesprächs durch den Geschäftsführer der Beklagten anlässlich seiner Anhörung ein weitaus größeres Maß an Plausibilität für sich in Anspruch nehmen. Der Geschäftsführer hat den Inhalt des Gesprächs detailreich und nachvollziehbar geschildert. Dass bei Zweifeln der Klägerin hinsichtlich der fortan geltenden Vergütung versucht wird, durch Argumente und nicht durch bloße ergebnishafte Aussage, es werde sich nichts ändern, einen Vertragspartner von der Notwendigkeit des Vertragsabschlusses zu überzeugen, ist nachvollziehbar.

4.

Auch unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns ergibt sich keine Unwirksamkeit der Änderungsvereinbarung.

Bei Vertragsverhandlungen kann eine Seite gegen ihre Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Liegt ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns im Sinne einer Nebenpflichtverletzung gemäß § 241 Abs. 2 BGB vor, führt der daraus resultierende Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers unmittelbar zu einem Entfall der Rechtswirkungen des Vertrages und damit zu einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen. Erforderlich ist aber ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns (BAG 07.02.2019 – 6 AZR 75/18 -, Rn. 34 ff, juris).

Die Darlegungs- und Beweislast für einen solchen schuldhaften Verstoß trägt nach allgemeinen Grundsätzen dabei die Partei, die sich auf die Unwirksamkeit einer vertraglichen Vereinbarung beruft, vorliegend also die Klägerin.

Das Arbeitsgericht ist zutreffend von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat ebenso zutreffend erkannt, dass die Voraussetzungen eines schuldhaften Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns vorliegend nicht dargelegt sind.

Eine Verhandlungssituation kann dann als unfair zu bewerten sein, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Denkbar ist auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche. Ebenfalls kann die Nutzung eines Überraschungsmoments die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners im Sinne einer Überrumpelung beeinträchtigen. Erforderlich ist eine Würdigung der Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Abgrenzung von einer bloßen Vertragsreue (BAG 07.02.2019, aaO, Rn. 34; zur Überrumpelung bereits BAG 15.03.2005 – 9 AZR 502/03 -, Rn.46, JURIS).

Anhaltspunkte für die Schaffung oder Ausnutzung einer psychischen Drucksituation bestehen nicht. Ebenso liegt keine Überrumpelung der Klägerin vor. Das Gespräch fand weder zu einer ungewöhnlichen Zeit, noch an einem ungewöhnlichen Ort statt, sondern vielmehr während der Arbeitszeit im Betrieb. Das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Arbeitnehmer während der Arbeitszeit im Betrieb damit rechnen muss, vom Arbeitgeber auch im Interesse der Herbeiführung abweichender arbeitsvertraglicher Bedingungen angesprochen zu werden. So ist etwa anerkannt (BAG 07.02.2019, aaO, Rn. 34), dass eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit noch nicht gegeben ist, nur weil der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit, noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt oder vorher nicht angekündigt hat, dass es zur Unterbreitung einer Aufhebungsvereinbarung kommen soll.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen Schwäche liegt kein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns vor. Für den Geschäftsführer der Beklagten war zwar erkennbar, dass die Klägerin ungeachtet ihrer vorangegangenen längeren Arbeitsunfähigkeit, noch an deutlichen Symptomen einer Erkältungserkrankung litt. Er musste aber nicht davon ausgehen, dass infolge dieses körperlichen Zustandes die Klägerin hinsichtlich ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt oder zumindest in ihrer „Widerstandskraft“ hinsichtlich der Ablehnung ungünstiger Vertragsbedingungen soweit geschwächt gewesen sein soll, dass sich die Durchführung von Vertragsänderungsgesprächen als unfaires Verhandeln darstellt. Zu berücksichtigen ist insoweit – wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – dass die Klägerin aus freien Stücken am besagten Tag ihre Arbeit aufgenommen und durchgeführt hat. Dass die Klägerin – wie sie behauptet – für andere Arbeitnehmer erkennbar dies nur unter gesundheitlichen Schwierigkeiten getan haben soll, konnte und musste dem Geschäftsführer der Beklagten nicht bekannt sein. Nach eigenem Sachvortrag der Klägerin – insoweit auch in Übereinstimmung mit den Äußerungen des Geschäftsführers im Rahmen der Parteianhörung -, traf dieser erst mittags im Betrieb ein und konnte somit von den Umständen des Arbeitseinsatzes der Klägerin am Vormittag keine Kenntnis haben. Ein schuldhaftes Ausnutzen einer körperlichen Schwächung liegt damit nicht vor. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass der Geschäftsführer sie nach dem Gespräch und der Vertragsunterzeichnung nachhause geschickt hat, folgt auch hieraus keine Ausnutzung einer körperlichen Schwäche. Nicht jede Erkrankung führt zu einer Schwächung der Entscheidungsfreiheit oder der Fähigkeit, ein Vertragsangebot abzulehnen. Die Klägerin hat selbst nicht behauptet, auf ihren schlechten gesundheitlichen Zustand hingewiesen und gleichwohl zu dem Gespräch gedrängt worden zu sein. Auch irgendeine Form der Bedrängung, der sie aufgrund der körperlichen Schwächung keinen ausreichenden Widerstand habe leisten können, hat die Klägerin nicht behauptet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Ein Revisionszulassungsgrund i.S.d. § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.

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