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Nichtigkeit einer Betriebsratswahl

ArbG Hamburg, Az.: 13 BV 13/16, Beschluss vom 07.06.2017

Es wird festgestellt, dass die Betriebsratswahl im Betrieb der Beteiligten zu 9. in der Zeit vom 11. bis 27. April 2016 nichtig ist.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Nichtigkeit, hilfsweise die Anfechtung einer Betriebsratswahl.

Die Beteiligten zu 1. und 2. sowie 4. bis 7. (nachfolgend: Antragsteller) sind Arbeitnehmer der Beteiligten zu 9. (nachfolgend: Arbeitgeberin). Der Beteiligte zu 8.) ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat (nachfolgend: Betriebsrat). Der ehemals Beteiligte zu 3. hat seinen Antrag zurückgenommen.

Der für die streitgegenständliche Betriebsratswahl verantwortliche Wahlvorstand beabsichtigte, die anstehende Wahl als Präsenz- und Briefwahl und daneben als Online-Wahl durchzuführen. Zur rechtlichen Absicherung holten Wahlvorstand und Arbeitgeberin ein von Prof. Dr. H. A. W., im September 2015 erstelltes Gutachten (Der Rechtsrahmen für die Einführung von elektronischen „Briefwahlen“ bei der Wahl von Betriebsräten) ein, welches ausweislich des Deckblattes auf Bitte von M. H. / P. GmbH erstellt wurde. Auf den Inhalt des als Anlage AG 5, Bl. 168 bis 182 d.A., vorgelegten Gutachtens wird vollumfänglich Bezug genommen.

Der Wahlvorstand tagte in über 60 Sitzungen.

Die Kammer 25 des Arbeitsgerichtes Hamburg führte in dem Verfahren zum Aktenzeichen 25 BV 29/15, mit dem die dortigen Antragsteller begehrten, den amtierenden Wahlvorstand bei der Arbeitgeberin zu ersetzen, mit Beschluss vom 01. März 2016, in den Gründen auf Seite 8 aus:

„Bei Anwendung dieser Grundsätze ist zunächst festzuhalten, dass das Einholen von Sachverständigengutachten zu einer möglichen Online-Wahl und die Festlegung einer zusätzlichen Online-Wahl neben der Präsenz- und Briefwahl im Wahlausschreiben nach Auffassung der Kammer mit der Wahlordnung nicht vereinbar sein dürfte, welche in § 25 WO genaue Vorgaben zur Stimmabgabe außerhalb der Präsenzwahl vorgibt.“

Die in der Zeit vom 11. bis 27. April 2016 im Betrieb der Arbeitgeberin durchgeführte Betriebsratswahl fand neben der Präsenz- und Briefwahl auch in Form einer Online-Wahl als Alternative zur Briefwahl statt. Den Wahlberechtigten wurden die Zugangsdaten zur Teilnahme an dem Onlineverfahren per E-Mail zugesandt. Online konnte dann ein virtueller Stimmzettel ausgefüllt werden. Es wurden 740 gültige Stimmen durch Präsenz- und Briefwahl abgegeben. 628 Wahlberechtigte nahmen an der Onlinewahl teil. Bei Öffnung der „elektronischen Wahlurne“ wurde eine Folie an die Wand projiziert, welche eine Stimmenanzahl und Wahlergebnisse enthielt. Eine andere Auszählung der elektronisch abgegebenen Stimmen erfolgte nicht.

Nichtigkeit einer Betriebsratswahl
Symbolfoto: pressmaster/Bigstock

Für die Durchführung der Wahl bediente sich der Wahlvorstand der Software der Firma P., die durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert ist.

Die P. GmbH weist auf ihrer Website darauf hin, dass der Gesetzgeber die Online-Stimmabgabe für Betriebsratswahlen derzeit noch nicht vorsehe.

Die Antragsteller sind der Auffassung, die durchgeführte Betriebsratswahl sei aufgrund der durchgeführten Online-Wahl nichtig. Ein elektronisches Wahlverfahren verstoße gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit. Eine Manipulation könne durch einen Wähler nicht festgestellt bzw. nachgewiesen werden. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz sei nicht eingehalten worden, da die Zugangsdaten an betriebliche E-Mail-Adressen versandt worden seien, die von mehreren Personen gemeinsam genutzt würden. Hilfsweise für den Fall, dass die Wahl nicht schon aufgrund des durchgeführten Online-Verfahrens als nichtig angesehen werde, werde die Wahl aufgrund der Verletzung der genannten Wahlgrundsätze, fehlender Einsichtsmöglichkeiten, Nicht-Beteiligung des EDV-Ausschusses, Wahlbeeinflussung durch Vorankreuzen eines Wahlvorschlags in einer Präsentation, Wahlbeeinflussung durch prominente Platzierung des Dr. S. im Internet, unzulänglichen Umgangs mit Urnen, Unregelmäßigkeiten in der Stimmauszählung, Ungleichbehandlung von Online- und Präsenzwählern, Nicht-Nummerierung der Wählerliste, falscher Betriebsgröße aufgrund falscher Einordnung von leitenden Angestellten und Zeit- bzw. Werkvertragsarbeitnehmern u.a., und unzulässigen Anordnung der Briefwahl für Werk 3 angefochten. Für die Begründung der zur Anfechtung weiter vorgebrachten Gründe wird auf die Antragsschrift vom 12. Mai 2016 dort Seite 7 bis 22, Bl. 7 bis – 22 d.A. verwiesen.

Die Antragsteller beantragen,

1. es wird festgestellt, dass die Betriebsratswahl vom 11. – 27. April 2016 nichtig war.

2. Hilfsweise für den Fall, dass Antrag 1.) keinen Erfolg hat, wird beantragt:

Die Betriebsratswahl vom 11. – 27. April 2016 wird für unwirksam erklärt.

Betriebsrat und Arbeitgeber beantragen, den Antrag abzuweisen.

Der Betriebsrat entgegnet, die Online-Wahl sei als Alternative zur Briefwahl eingeführt worden, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Eine Auslegung der Bestimmungen der Wahlordnung gestatte die Erfassung einer Online-Wahl. Mit der Software würden die eine Briefwahl ausmachenden Vorgänge elektronisch exakt nachgebildet; das Verfahren sei mithin mit dem üblichen Wahlverfahren vergleichbar. Des gesonderten Schrittes der Stimmauszählung bedürfe es bei der Verwendung eines Software-Programmes nicht mehr. Die Sicherheit sei durch die Zertifizierung garantiert und das Verfahren daher gegen Manipulationen geschützt. Jedenfalls sei die Wahl nicht nichtig.

Ergänzend wird auf den Vortrag der Beteiligten in ihren Schriftsätzen nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Der zulässige Hauptantrag ist begründet.

Die durchgeführte Betriebsratswahl ist nichtig, da sie (auch) mittels einer Online-Wahl und damit eines nicht von der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 11. Dezember 2001 (nachfolgend: Wahlordnung) vorgesehenen Wahlverfahrens durchgeführt worden ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist eine Betriebsratswahl nur nichtig bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts, die so schwerwiegend sind, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Wegen der weitreichenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit von jedermann mit rechtlichem Interesse feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders gravierenden Wahlverstößen angenommen werden. Voraussetzung ist, dass der Mangel offenkundig und deshalb ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen ist. Die Betriebsratswahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“ (BAG Beschluss vom 21.09.2011 – 7 ABR 54/10 – juris).

1. Die Durchführung einer Online-Wahl verstößt in grober Weise gegen die Bestimmungen der Wahlordnung.

a) Die Wahlordnung sieht neben der klassischen Präsenzwahl nach den §§ 11 ff. auch die Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe im Rahmen einer Briefwahl gemäß den §§ 24 ff. vor. Eine elektronische Stimmabgabe per Online-Wahl ist nicht von der Wahlordnung vorgesehen. Auch die Bestimmungen zur Briefwahl können nicht dahin ausgelegt werden, dass ein Online-Wahlverfahren von ihnen erfasst wäre. Für die Auslegung von Gesetzen und Verordnungen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BAG 21.12.2016 – 5 AZR 374/16 – juris, m.w.N.). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (BAG a.a.O.). Der Wortlaut der von der Wahlordnung verwandten Begriffe, insbesondere „schriftliche Stimmabgabe“ (Überschrift vor § 24), „Wahlumschlag“ (§ 24 Abs. 1 Nr. 3, § 25 Nr. 1), „vorgedruckte Erklärung“ (§ 24 Abs. 1 Nr. 4), „größerer Freiumschlag“ mit „Anschrift“ und „Absender“ (§ 24 Abs. 1 Nr. 5), „Verschließen des Wahlumschlags“ (§ 25 Nr.1, Nr. 3) und „Öffnen des Umschlags“ (§ 26 Abs. 1), „Unterschrift“ (§ 25 Nr. 2), „Legen des Wahlumschlags in die Urne“ (§ 26 Abs. 1) und „Briefumschläge“ (§ 26 Abs.2), verdeutlicht, dass es sich um eine schriftliche Stimmabgabe im herkömmlichen Sinne, also eine Papierwahl, handelt. Der diesbezügliche Wortlaut der Wahlordnung ist eindeutig und abschließend. Auch Systematik, Sinn und Zweck und Entstehungsgeschichte der Normen begründen keine abweichende Beurteilung.

Für eine „extensive zeitgemäße“ Auslegung dahingehend, dass entgegen des eindeutigen Wortlautes auch Online-Wahlen von der Wahlordnung als zulässig erachtet werden, wie von dem beauftragten Gutachter vertreten, ist kein Raum.

Es gibt keine Gründe für eine erweiterte Auslegung des Normtextes, insbesondere fehlen Anhaltspunkte dafür, dass die Norm aufgrund Zeitablaufs unvollkommen wäre, ein von ihr beabsichtigtes Ziel zu erreichen. Seit dem Inkrafttreten der jetzt gültigen Wahlordnung im Jahre 2001 hat sich die Lebenswirklichkeit nicht derart geändert, dass die Normen durch Auslegung angepasst werden müssten. Bereits die gültige Wahlordnung berücksichtigt die Digitalisierung, indem die Wählerliste und das Wahlausschreiben ergänzend – oder unter bestimmten Voraussetzungen ausschließlich – elektronisch bekannt gemacht werden können (§ 2 Abs. 4 bzw. § 3 Abs.4 WO). Auch die Tatsache, dass andere Gesetze in anderen Lebensbereichen bereits elektronische Wahlen ermöglichen, spricht nur dafür, dass der Gesetzgeber durchaus zur Regelung in der Lage ist, wenn er dies im konkreten Fall als sinnvoll erachtet.

Das herkömmliche Verfahren der Briefwahl ermöglicht es allen Arbeitnehmern, die an der Wahl teilnehmen möchten und sich am Wahltag nicht im Betrieb befinden, zu wählen. Es bedarf der Online-Wahl daher nach wie vor nicht zur Ausübung des Wahlrechts, wie es von der Wahlordnung vorgesehen ist. Dass die herkömmliche Briefwahl eventuell von Arbeitgebern und einem Großteil der Belegschaft nicht mehr als zeitgemäß empfunden wird und eine Online-Wahl aufgrund der schnellen und unkomplizierten Wahlmöglichkeit die Wahlbeteiligung erhöht, sind nachvollziehbare Gründe, die für eine politische Umsetzung des Wunsches nach einer Online-Wahl und für eine Gesetzesanpassung sprechen könnten. Es gibt allerdings auch Gründe, die dagegen sprechen dürften, allen voran die schwierige Nachvollziehbarkeit einer elektronischen Wahl für Laien und damit ein Mangel an Transparenz. In jedem Fall kann eine Entscheidung darüber, ob Online-Wahlen auch bei Betriebsratswahlen zulässig sein sollen, nicht im Rahmen einer Auslegung bestehender Normen von einem Gericht entschieden werden. Vielmehr ist der Gesetzgeber gefordert zu entscheiden, ob auch im Rahmen von Betriebsratswahlen eine Möglichkeit zur elektronischen Wahl eröffnet werden soll, worauf auch Arbeitgeber- und Betriebsratsvertreter zutreffend in ihrem gemeinsamen Artikel hinweisen (Harms/von Steinau-Steinrück/Thüsing, Betriebsverfassung 4.0 – Onlinewahl ermöglichen!, BB 2016, 2677; zustimmend Fündling/Sorber, Arbeitswelt 4.0 – Benötigt das BetrVG ein Update in Sachen digitalisierte Arbeitsweise des Betriebsrates?, NZA 2017, 552).

b) Der Verstoß ist auch schwerwiegend. Bei der bewussten Anwendung eines Wahlverfahrens, das von der Wahlordnung nicht vorgesehen ist, liegt auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vor.

Die Tatsache, dass die Online-Abstimmung hier nur zusätzlich zu den herkömmlichen Wahlverfahren als Alternative zur Briefwahl angeboten worden ist, lässt den Verstoß nicht weniger gering erscheinen. Bei 628 gültigen Online-Stimmen gegenüber 740 Stimmen aus Präsenz- und Briefwahl spielte das nicht von der Wahlordnung vorgesehene Wahlverfahren in der streitgegenständlichen Betriebsratswahl keine bloß untergeordnete Rolle.

Auch das Bemühen um die elektronische Abbildung der Verfahrensvorgaben für eine Briefwahl ändert nichts daran, dass es sich eben nicht um das von der Wahlordnung vorgesehene Verfahren einer Briefwahl handelt, was den Verstoß im vorliegenden Fall ausmacht. Im Übrigen ist jedenfalls das Prinzip einer einheitlichen Urne, welches in § 26 Abs. 1 der Wahlordnung bestimmt, dass auch die Wahlumschläge der Briefwähler vor Beginn der Auszählung in die Wahlurne gelegt werden, nicht abgebildet worden. Damit war nach getrennter Auszählung erkennbar, wie die Online-Wähler zum einen und die Brief- und Präsenzwähler zum anderen abgestimmt haben. Dies lässt Rückschlüsse auf das Abstimmungsverhalten bestimmter Gruppen (zum Beispiel der jüngeren Mitarbeiter als potentiell eher online-affin) zu, was das Ein-Urnen-Prinzip gerade vermeiden will (siehe hierzu im Kontext von Online-Wahlen: Däubler/Kittner/Klebe/Wedde (Hrsg), BetrVG 15. Auflage 2016, § 2 WO 2001 Rn. 16- 18 und § 24 WO 2001 Rn. 3; außerdem Schneider/Wedde Informations- und Kommunikationstechnik bei der Betriebsratswahl, AuR 2007, 26 ff). Dies ist kein zusätzlicher Verstoß, der zu dem unzulässigen Wahlverfahren hinzutritt (und als solcher nicht im Rahmen der Nichtigkeitsprüfung addiert oder im Wege einer Gesamtwürdigung berücksichtigt werden dürfte vgl. BAG Beschluss vom 19.11.2003 – 7 ABR 24/03 – juris), sondern diese Problematik ist einer Online-Wahl jedenfalls in der durchgeführten Form immanent und begründet damit auch deren Unzulässigkeit nach der Wahlordnung.

Dadurch, dass das Online-Verfahren als solches kein zulässiges Wahlverfahren darstellt, ist es letztlich unerheblich, dass eine Zertifizierung des BSI vorliegt, welche die Sicherheit der Technik und damit eine geheime Wahl gewährleisten soll.

2. Der schwerwiegende Verstoß war auch offensichtlich.

Ob ein Verstoß offensichtlich ist, ist nicht vom Standpunkt eines Außenstehenden sondern desjenigen zu beurteilen, dem der Wahlvorgang selbst bekannt ist, weil er mit den Betriebsinterna vertraut ist (BAG 19.11.2003 a.a.O., Fitting BetrVG 28. Aufl. 2016, § 19 Rn. 4).

Dass die Wahlordnung das Wahlverfahren der Online-Wahl nicht vorsieht, ist für jedermann ohne weiteres erkennbar.

Zur Begründung dafür, dass dennoch eine solche elektronische Wahl durchgeführt wurde, beruft sich der Betriebsrat auf das Ergebnis des eingeholten Gutachtens, welches eine Online-Wahl des Betriebsrates für zulässig erachtet. Dieses Gutachten, welches eine zweifelhaft weitgehende Auslegung der Wahlordnungs-Vorschriften vornimmt, der aus oben unter II.1.a) ausgeführten Gründen nicht zu folgen ist, legt offen, dass es – soweit erkennbar als einzige Stimme in der Literatur – die absolute Mindermeinung vertritt und gute Gründe dafür sprechen, dass ein Gericht dem vertretenen Ergebnis nicht folgen würde. Das gesamte Gutachten liest sich insgesamt so, als ob ergebnisorientiert versucht wird, irgendeine rechtliche Begründung für die Zulässigkeit einer Online-Betriebratswahl zu konstruieren, um dies der Offensichtlichkeit des gravierenden Verstoßes gegen die Wahlordnung entgegenhalten zu können. Die bloße Existenz eines Privatgutachtens, auch wenn die vertretenen Thesen – wie hier – nicht gerade naheliegend sind, kann jedoch nicht als Begründung dafür dienen, dass ein Gesetzesverstoß nicht offensichtlich sei, da ansonsten jede Einzelmeinung eines Gutachters dem Einwand der Nichtigkeit vorbeugen könnte. Hinzu kommt, dass sogar das vorliegende Gutachten Mindestbedingungen für die Zulässigkeit einer Online-Wahl aufstellt, die vorliegend nicht beachtet wurden. So weist das Gutachten darauf hin, es stelle sich bei Online-Wahlen das Problem, dass dem Ein-Urnen-Prinzip nach § 26 Abs.1 der Wahlordnung nicht Rechnung getragen werde. Wörtlich formuliert das Gutachten auf Seite 20 Rn. 49: „Eine elektronische Stimmabgabe, die mit dem Prinzip der „Ein-Urnen-Prinzip“ inkompatibel wäre, würde daher die Grenzen der extensiven und zeitgemäßen Interpretation überschreiten. (…)“. Das Gutachten schlägt Vorgehensweisen vor, wie auch bei einer Onlinewahl diesem Prinzip Rechnung getragen werden könnte (beispielsweise mit einer gemeinsamen elektronischen Urne oder durch Ausdrucken der Online-Wahlstimmen und Einwerfen in die herkömmliche Urne mit oder ohne Briefumschläge(n)). Unabhängig von der Zulässigkeit der vorgeschlagenen Vorgehensweise ist daher festzuhalten, dass selbst der Gutachter, auf den sich der Betriebsrat bezieht, von der Zulässigkeit einer Online-Wahl nur unter bestimmten Voraussetzungen ausgeht. Diese von dem Gutachter formulierte Bedingung wurde aber bei der streitgegenständlichen Wahl bewusst missachtet, indem die „Auszählung“ der elektronischen Urne lediglich in einer gesonderten Präsentation des Wahlergebnisses der Online-Wahl bestand.

Dass das Gutachten selbst mit dem Verfahren befasste Dritte nicht überzeugt, wird daraus ersichtlich, dass sogar der für die Online-Betriebsratswahl ausgewählte Anbieter P., auf dessen Bitte das Gutachten des Prof. Dr. W. ausweislich des Titelblattes auch erstellt worden ist, damals und heute auf seinem Internetauftritt darauf hinweist, dass die Online-Wahl für Betriebsratswahlen von der Wahlordnung noch nicht vorgesehen sei.

Auch der vorzitierte Aufsatz von Arbeitgebervertreter und Prozessbevollmächtigten des Betriebsrates, der auf die Notwendigkeit einer Verordnungsnovelle hinweist, macht deutlich, dass die Notwendigkeit einer Gesetzesverankerung auch innerbetrieblich erkannt worden ist (Harms/von Steinau-Steinrück/Thüsing, Betriebsverfassung 4.0 – Onlinewahl ermöglichen!, a.a.O.).

Der Hinweis des Betriebsrates, dass es über 60 Wahlvorstandssitzungen gegeben habe und sich der Wahlvorstand die Sache nicht leicht gemacht habe, geht im Rahmen der Nichtigkeitsprüfung ins Leere. Die Anzahl der Sitzungen zeigt lediglich, dass das Verfahren lange gedauert hat, nicht aber dass der Verstoß der Wahl eines unzulässigen Wahlverfahrens nicht offensichtlich wäre.

Im individuellen Kontext dieser Betriebsratswahl ist zusätzlich zu beachten, dass Wahlvorstand und Arbeitgeberin noch vor der Durchführung der Wahl durch den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 01. März 2016 zum Aktenzeichen 25 BV 29/15 eine gerichtliche Einschätzung vorlag, die ebenfalls von der Unzulässigkeit einer Online-Wahl ausging.

Dass es Fälle gibt, in denen tatsächlich bereits elektronische Betriebsratswahlen durchgeführt wurden (zur Online-Wahl bei T-Systems CSM vgl. AuR 2003, 292), spricht nicht gegen die Offensichtlichkeit, da die Rechtslage – soweit ersichtlich – in den dortigen Fällen nicht gerichtlich überprüft worden ist.

Schlussendlich stellt sich die Durchführung der Online-Wahl im vorliegenden Fall als bewusste Missachtung der offensichtlichen Rechtslage dar, um ein politisches Ziel, nämlich die Durchsetzung und Einführung eines Online-Wahlverfahrens, voranzubringen.

III.

Eine Kostenentscheidung ergeht nicht. Für arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren werden gerichtliche Kosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben (§ 2 Abs. 2 GKG). Eine gesonderte Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten ist wegen der Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens nicht zu treffen (BAG, Beschluss vom 02. Oktober 2007 – 1 ABR 59/06 –, Rn. 11, juris).

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