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Nichtvorlage der AU-Bescheinigung bei der Krankenkasse rechtfertigt Abmahnung des Arbeitnehmers

ArbG Erfurt, Az.: 6 Ca 376/17, Urteil vom 29.06.2017

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Kläger.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.400,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Nichtvorlage der AU-Bescheinigung bei der Krankenkasse rechtfertigt Abmahnung des Arbeitnehmers
Symbolfoto: karn684/ Bigstock

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer Abmahnung und der Verpflichtung der Beklagten, diese aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Der Kläger ist seit dem … bei der Beklagten als Arbeitnehmer/Monteur am Standort … mit einem monatlichen Bruttogehalt von … € beschäftigt. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 12.01.2017 die streitgegenständliche Abmahnung ausgesprochen.

Diese lautet u.a.: „… Im Rahmen des mit Ihnen geführten Kündigungsschutzprozesses hat ihr Anwalt eine Liste der … Krankenkasse vorgelegt, die nur einen Bruchteil ihrer Arbeitsunfähigkeiten der Jahre 2010 – 2016 umfasst.

Hierdurch liegen der …K zahlreiche Diagnosen nicht vor; es ist sehr wahrscheinlich, dass deshalb Gebr. … auch für die Zeiträume Entgeltfortzahlung geleistet hat, obwohl eigentlich wegen Folgeerkrankungen Krankengeld zu zahlen gewesen wäre.

Wir behalten uns daher die Rückforderung fälschlich gezahlter Lohnfortzahlung vor.

Zu Ihren Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis heraus gehört es auch, der zuständigen Krankenkasse das vorgesehene Exemplar der AU-Bescheinigung zur Verfügung zu stellen. Dies haben Sie seit dem Jahr 2010 in mindestens 15 Fällen unterlassen.

Konkret mahnen wir deshalb exemplarisch für folgende 3 Fälle ab:

Abmahnung wegen nicht vorgelegter AU-Bescheinigung bei Ihrer Krankenkasse

Sie haben es unterlassen, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeiträume 19.12.2014 bis 23.12.2014, 09.02.2015 bis 13.02.2015 sowie 26.05.2016 bis 08.06.2016 an die für Sie zuständige Krankenkasse zuzustellen.

Dies stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten dar, hier gegen eine vertragliche Nebenpflicht. …“ (vgl. Abmahnungsschreiben vom 12.01.2017; Bl. 4 d. A.).

Unbestritten sind für die drei oben im Abmahnungsschreiben genannten Zeiträume der Krankenkasse keine AU-Bescheinigungen zugegangen.

In der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2017 hat der Beklagtenvertreter nochmals darauf hingewiesen, dass es sich insgesamt nach der Recherche der Beklagten um 15 Vorfälle dieser Art handelt.

Der Kläger kann sich die fehlenden AU-Bescheinigungen bei der Krankenkasse nicht erklären. Sein Prozessbevollmächtigter ist in der Güteverhandlung in Abwesenheit des Klägers noch davon ausgegangen, dass dem Kläger derjenige Abschnitt der AU-Bescheinigungen, der im Ergebnis der Krankenkasse übermittelt werden muss, nicht vom Arzt ausgehändigt wurde und dementsprechend dieser die Bescheinigung der Krankenkasse zukommen lassen musste. Der Kläger hat diese fehlerhafte Annahme jedoch sowohl schriftlich als auch in der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2017 revidiert und darauf hingewiesen, dass die AU- Bescheinigungen jeweils durch ihn oder eine Mitarbeiterin in vorgefertigten Briefumschlägen (mit dem Vermerk: Empfänger zahlt das Porto) abgeschickt worden seien. Der angebotene Zeugenbeweis durch die Mitarbeiterin wurde durch den Klägerbevollmächtigten für die I. Instanz jedoch nicht weiter aufrechterhalten.

Der Kläger vertritt im Ergebnis die Rechtsauffassung dass er, selbst wenn die AU- Bescheinigungen nicht übermittelt worden seien, keine Arbeitspflichtverletzung begangen habe. Die Übermittlung der AU-Bescheinigungen an die Krankenkasse stellen nach Auffassung des Klägers keine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis dar. Ein diesbezüglich fehlerhaftes Verhalten eines Arbeitnehmers könne dementsprechend nicht mit einer Abmahnung sanktioniert werden.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Schreiben vom 12.01.2017 ausgesprochene Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Rechtsauffassung – so wie sie es bereits in der Abmahnung formuliert hat – dass der Kläger eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis durch die Nichtübermittlung der AU-Bescheinigungen für die drei genannten Zeiträume begangen hat. Ohne die Vorlage der AU-Bescheinigung bei der Krankenkasse könne weder der Arbeitgeber noch die Krankenkasse erkennen bzw. überprüfen lassen, ob noch eine Entgeltfortzahlungspflicht greift oder schon ein Krankengeldanspruch besteht. Auch werde durch die Nichtvorlage eine Begleitung des erkrankten Mitarbeiters durch den medizinischen Dienst vereitelt. Mit der gezielten Nichtvorlage von AU-Bescheinigungen habe der Kläger billigend in Kauf genommen, dass der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung leistet, obwohl u.U. bereits ein Krankengeldanspruch besteht.

Im Übrigen wird verwiesen auf die gegenseitigen Schriftsätze der Parteien und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig aber nicht begründet und daher abzuweisen.

Der Kläger hat durch die Nichtvorlage bzw. Nicht-Übermittlung der AU-Bescheinigungen an die Krankenkasse für die im Abmahnungsschreiben genannten Zeiträume arbeitsvertragliche Pflichten (Nebenpflicht) verletzt. Dementsprechend konnten diese durch die Abmahnung vom 12.01.2017 durch die Beklagte auch sanktioniert werden.

Zwar sind im Entgeltfortzahlungsgesetz lediglich im Hinblick auf die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an den Arbeitgeber, insbesondere in § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz, Pflichten der Arbeitnehmer normiert.

In Bezug auf die Übermittlung der AU-Bescheinigungen an die Krankenkasse regelt § 5 Abs. 1 S. 5 Entgeltfortzahlungsgesetz Folgendes: „Ist der Arbeitnehmer Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse, muss die ärztliche Bescheinigung einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten, dass der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt wird.“

Die Verpflichtung der Übersendungen kann dergestalt geregelt sein, dass im Einzelfall der behandelnde Arzt selbst diese Aufgabe übernimmt. In den meisten Fällen werden dem Arbeitnehmer sowohl der Teil der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der dem Arbeitgeber aber auch der Teil der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die der Krankenkasse übersandt werden muss, ausgehändigt. Dementsprechend unterliegt der Arbeitnehmerin den zweiten Fällen der Verpflichtung, ordnungsgemäß die AU-Bescheinigung der Krankenkasse zukommen zu lassen.

Dies stellt nach Auffassung des Gerichtes auch eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis dar. Nebenpflichten ergeben sich im Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers immer dann, wenn durch ein „Handeln oder Unterlassen“ des Arbeitnehmers die Sphäre des Arbeitgebers unmittelbar oder mittelbar betroffen ist.

Davon ist vorliegend auszugehen. Ausschließlich der Teil der AU-Bescheinigung, der für die Krankenkasse bestimmt ist, enthält die ärztlichen Angaben über die festgestellte Erkrankung des Arbeitnehmers. Nur anhand dessen kann die Krankenkasse prüfen, ob es sich hierbei um eine Ersterkrankung oder eine Folgeerkrankung handelt. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Sphäre des Arbeitgebers aus. Stellt die Krankenkasse eine Folgeerkrankung fest, so wird dem Kläger lediglich Krankengeld gezahlt und die Entgeltfortzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers tritt nicht ein. Damit sind die Vermögensverhältnisse des Arbeitgebers unmittelbar betroffen.

Des Weiteren unterliegt die Krankenkasse der Verpflichtung gemäß § 275 SGB V anhand der übermittelten AU-Bescheinigungen weitere Vorgehensweisen zu prüfen. Gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 3 SGB V ist die Krankenkasse verpflichtet, zur Sicherung des Behandlungserfolgs, insbesondere zur Einleitung von Maßnahmen der Leistungsträger für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, oder zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eine gutachtliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen. Dabei stehen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit dann im Raum, wenn der Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig ist oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.

Auch dies hat unmittelbare Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis und betrifft insoweit ebenfalls die Sphäre des Arbeitgebers. Die Einschaltung des medizinischen Dienstes ist in vielerlei Hinsicht auch für den Arbeitgeber von Bedeutung. Hier insbesondere im genannten Bereich der Überprüfung der Ursachen der Arbeitsunfähigkeit bei den genannten Auffälligkeiten. Auch dies hat die vermögensrechtliche Konsequenz für den Arbeitgeber, ob eine Entgeltfortzahlungsverpflichtung besteht oder ob weitere Maßnahmen der Rehabilitation u. ä. eingeleitet werden müssen.

Diese Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis ist vom Kläger vorliegend auch verletzt worden. Er selbst kann sich nicht erklären, warum und weshalb die AU-Bescheinigungen nicht bei der Krankenkasse eingegangen sind. Für die ordnungsgemäße Übermittlung an die Krankenkasse wurde zwar eine Zeugin benannt, auf deren Vernehmung aber in erster Instanz seitens des Klägers verzichtet wurde. Dementsprechend ist er im Ergebnis beweisfällig dafür geblieben, dass er per vorgefertigter Briefumschläge die Übermittlung der AU-Bescheinigungen ordnungsgemäß in Gang gesetzt hat. Das Gericht hat deshalb von einer fehlenden Übermittlung dieser Bescheinigungen an die Krankenkasse auszugehen.

Die streitgegenständliche Abmahnung ist im Übrigen auch in formeller Hinsicht rechtswirksam. Sie enthält die genaue Angabe der Abmahnungsgründe, der Hinweis auf den Verstoß unter Benennung des genauen Sachverhaltes. Des Weiteren auch der Hinweis, sich zukünftig ordnungsgemäß im Arbeitsrechtsverhältnis zu verhalten und für den Fall, dass dies nicht so wäre, die Ankündigung von weitreichenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Als unterlegene Partei des Rechtsstreites hat der Kläger gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO die Kosten zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen und wurde mit einem Bruttogehalt in Ansatz gebracht.

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