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Ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Strafanzeige gegen Arbeitgeber

ArbG Düsseldorf – Az.: 4 Ca 3895/07 – Urteil vom 06.10.2011

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 17.03.2005 (Anlage K3) aufgelöst ist.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die weitere ordentliche Kündigung vom 17.03.2005 (Anlage K4) aufgelöst ist.

3. Der Klageantrag zu 3. wird abgewiesen.

4. Streitwert: 42.000 EUR

5. Die Kosten des Verfahrens werden zu 1/16 dem Kläger und zu 15/16 der Beklagten auferlegt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Kündigungen.

Die Beklagte ist ein Luftverkehrsunternehmen, ebenso ihre Rechtsvorgängerin, die M., die auf die Beklagte zum 01.04.2011 verschmolz. Bei der M. bestand auf tarifvertraglicher Grundlage gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG die Personalvertretung Cockpit. Die M. beschäftigte mehr als 10 Arbeitnehmer.

Der zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger steht seit dem 01.01.1989 bei der Beklagten bzw. der Rechtsvorgängerin in einem Arbeitsverhältnis, zuletzt beschäftigt als Flugkapitän. Im Frühjahr 2005 erzielte der Kläger ein Bruttomonatsentgelt von 14.000 EUR.

Der Kläger und die M. führten seit Herbst 2003 diverse Verfahren über den Bestand des Arbeitsverhältnisses, nunmehr fortgeführt durch die Beklagte. Am 21.10.2003, am 23.10.2003, am 03.11.2003 sowie am 20.12.2004 sprach die M. vier außerordentliche Kündigungen aus, welche rechtskräftig für unwirksam erklärt worden sind, ebenso zwei unter dem 24.06.2004 ausgesprochene ordentliche Kündigungen. Unter dem 17.01.2005 erklärte die M. eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung sowie eine weitere ordentliche Kündigung. Die zuletzt genannten Kündigungen sind Gegenstand des Verfahrens 4 Ca 456/05, nunmehr 4 Ca 5736/11. Die außerordentliche Kündigung vom 17.01.2005 wurde rechtskräftig für unwirksam erklärt. Die zwei ordentlichen Kündigungen erklärte die erkennende Kammer für unwirksam mit Urteil vom 06.10.2011, welches nicht rechtskräftig ist. Unter dem 02.03.2005 sprach die M. eine weitere außerordentliche Kündigung wegen Abrechnungsbetrugs und unter dem 17.03.2005 eine auf die Kündigung vom 02.03.2005 bezogene ordentliche Kündigung aus. Überdies erklärte sie unter dem 17.03.2005 eine weitere außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung wegen Abrechnungsbetruges und unter dem 14.04.2005 eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung wegen einer vom Kläger erstatteten Strafanzeige. Diesen Kündigungen folgten weitere Kündigungen nach.

Gegenstand dieses Verfahrens sind die Kündigungen vom 02.03.2005, vom 17.03.2005 und vom 14.04.2005. Nachdem die außerordentlichen Kündigungen mit Teilurteil vom 17.10.2007 (inzwischen) rechtskräftig für unwirksam erklärt worden sind, sind Gegenstand der vorliegenden Entscheidung die hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen.

1. Entscheidungsgegenständliche Kündigung vom 17.03.2005

Mit Schreiben vom 17.03.2005 (Anlage K3, Bl. 26 d. Akte), dem Kläger zugegangenen am 18. oder 21.03.2005, kündigte die M. das zwischen ihr und dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis hilfsweise ordentlich zum 31.03.2006. Dem vorausgegangen war die Anhörung der Personalvertretung mit Schreiben vom 10.03.2005 (Bl. 235 ff. d. Akte), zu der sie sich mit Schreiben vom 15.03.2005 (Bl. 29 f. d. Akte) erklärte.

Im Frühjahr 2003 war der Kläger der Station G. zugeordnet. Sollte sein Flugeinsatz nicht in G., sondern an einem anderem Ort, z.B. E. oder N., beginnen, so organisierte die M. die Anreise, das sog. „Proceeding“. Hierfür wurden in der Regel Tickets anderer Fluggesellschaften ausgegeben, sog. „Crew-Tickets“. Die Piloten konnten diese Reisewege alternativ auch mit anderen Verkehrsmitteln zurücklegen und dafür eine Kostenerstattung bis zur Höhe des ersparten Ticketpreises verlangen. Ob die Erstattung voraussetzt, dass der im Dienstplan vorgesehene Reiseweg absolviert wurde und überdies begrenzt ist auf die tatsächlich dem Piloten entstandenen Kosten, ist zwischen den Parteien streitig.

Für die Geltendmachung von Reisekosten gab es bei der M. ein Reisekostenabrechnungsformular. Die Crewreisestelle, u.a. die Mitarbeiterinnen S. und T., stellte den Preis des nicht genutzten Crew-Tickets fest, auf dessen Basis der Pilot dann die Abrechnung erstellte und bei der Abteilung Flugbetrieb einreichte, wo sie u.a. von dem Mitarbeiter H. oder der Mitarbeiterin L. geprüft und an die Gehaltsbuchhaltung zur in der Regel unbaren Ausschüttung weitergeleitet wurde.

Der Kläger hatte am 13.12.2002 einen Einsatz, bei dem er zunächst von G. nach N. proceeden musste, um dort einen mehrtätigen Umlauf zu beginnen, der in E. endete, von wo aus wieder ein Proceeding nach G. stattfinden sollte. Für das Proceeding nach N. konnte der Kläger ein Crew-Ticket im Wert von 135,14 EUR nutzen. Wie der Kläger nach N. gelangte, ist zwischen den Parteien streitig. Zu dem für den 13.12.2002 vorgesehenen Proceeding existiert eine „Abrechnung Flugauftrag“ vom 15.12.2002 (Bl. 673 d. Akte), auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Das Formular ist nicht vom Kläger unterschrieben und enthält keine Angaben in seiner Handschrift. In der Rubrik „Auslagen“ ist angegeben:

„An u. Abreise Flughafen, Ticket nicht genutzt  eigener PKW abgerechnet. einfache Fahrt 365,2 km.“

Der Mitarbeiter H. prüfte die Abrechnung am 24.01.2003 und rechnete einen Betrag von 120,00 EUR zu Gunsten des Klägers ab.

Mit am 01.04.2005 der M. zugestellter Klageerweiterung wehrt sich der Kläger gegen diese Kündigung. Er behauptet, dass die Abrechnung vom 15.12.2002 nicht von ihm oder aus seinem Umfeld stamme. Aus der Abrechnung lasse sich nicht auf eine Schädigungsabsicht des Klägers schließen, da die Abrechnung nicht von ihm unterschrieben sei, diverse Handschriften aufweise und Tipp-Ex-Spuren enthalte. Überdies bestreitet er die Ordnungsmäßigkeit der Personalvertretungsanhörung und rügt, dass die M. entgegen der Rahmenbetriebsvereinbarung Nr. 01 Bord, 05 Boden über elektronische Datenvereinbarung (Bl. 1113 ff. d. Akte) erlangte Kenntnisse zur Begründung der Kündigung genutzt habe.

Die Beklagte stützt die Kündigung auf einen vermeintlichen Abrechnungsbetrug des Klägers gegenüber der M.. Sie behauptet, der Kläger sei nicht mit dem PKW von G. nach N. gefahren. Vielmehr habe der Kläger ein im August 2002 bei der Crewreisestelle erhaltenes Standby-Ticket genutzt und sei mit der Lufthansa von Berlin nach N. geflogen, wodurch ihm Kosten in Höhe von 51,83 EUR entstanden seien. Der Kläger habe gewusst, dass ihm deshalb kein Kostenerstattungsanspruch zugestehe, dennoch habe er die Abrechnung vom 15.12.2002 von seiner damaligen Freundin erstellen lassen und mit der Absicht der Schädigung der M. in der zweiten Kalenderwoche 2003 bei der Abteilung Flugbetrieb eingereicht.

2. Entscheidungsgegenständliche Kündigung vom 17.03.2005

Mit Schreiben vom 17.03.2005 (Anlage K4, Bl. 27 d. Akte), dem Kläger zugegangenen am 18. oder 21.03.2005, kündigte die M. das zwischen ihr und dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis vorsorglich – Bezug nehmend auf die außerordentliche Kündigung vom 02.03.2005 – ordentlich zum 31.03.2006. Dem vorausgegangen war die Anhörung der Personalvertretung mit Schreiben vom 25.02.2005 (Bl. 233 f. d. Akte).

Laut Dienstplan hatte der Kläger am 06.03.2003 von G. nach E. zu proceeden und dort zu übernachten, um am Morgen des 07.03.2003 von E. nach Antalya zu fliegen. Nach erfolgter Rückkehr nach E. am Nachmittag war ein Proceeding nach G. vorgesehen. Wie der Kläger am 06.03.2003 nach E. gelangte, ist streitig. Er verbrachte die Nacht zum 07.03.2003 im M. E.. Zu den zwei vorgesehenen Proceedings existieren zwei nicht vom Kläger unterschriebene Abrechnungen (Bl. 665 f. d. Akte), auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Auf der Abrechnung zum 06.03.2003 befindet sich in der Rubrik „Auslagen“ die Angabe

„G. – nach E. Flug gespart nicht genutzt

LH 66

mit dem PKW 277,80 km Hin u. Rück: 555,60 km“

Die Abrechnung zum 07.03.2002 enthält die Angabe

„Frankfurt – E. Ticket nicht genutzt LH 93

mit dem PKW an und abgefahren“

Die Formulare wurden am 16.05.2003 von der Mitarbeiterin L. der Abteilung Flugbetrieb geprüft, die jeweils zu Gunsten des Klägers 140,28 EUR abrechnete.

Mit am 01.04.2005 der M. zugestellter Klageerweiterung wehrt sich der Kläger auch gegen diese Kündigung. Es sei abgesprochen gewesen, dass der Kläger den Aufwand einer Fahrt von E. nach Potsdam und zurück habe abrechnen dürfen. Die von der Beklagten vorgelegten Abrechnungen zum 06. und 07.03.2003, bei denen es sich nur um Fax-Ausdrucke handele, seien nicht von ihm. Er habe seine Abrechnungen für diese Tage unterschrieben, kuvertiert und durch seine Freundin Ende April 2003 an die M. schicken lassen. Er bestreitet die Ordnungsgemäßheit der Personalvertretungsanhörung und ist der Ansicht, dass der Kündigungsgrund präkludiert sei. Mit den Abrechnungen zum 06. und 07.03.2003 habe die M. bereits eine der Kündigungen vom 24.06.2004 zu begründen versucht, die rechtskräftig für unwirksam erklärt ist.

Die Beklagte stützt die Kündigung auf einen vermeintlichen Abrechnungsbetrug des Klägers. Der Kläger habe mit den Abrechnungen erklärt, sowohl am 06.03 als auch am 07.03.2005 jeweils zwischen G. und E. hin und her gefahren zu sein, mithin an beiden Tagen 555,60 km zurück gelegt zu haben, obwohl er die Nacht in dem Hotel in E. verbrachte. Die Abrechnungen seien vom Kläger am 12.05.2003 in der Abteilung Flugbetrieb persönlich abgegeben wurden. Von dort seien die Abrechnungen auf Bitten des Klägers an die Crewreisestelle gefaxt worden. Dort sei auf den empfangenen Faxausdrucken die Eintragungen zu den ungenutzten Crew-Tickets vorgenommen und die Faxausdrucke an die Abteilung Flugbetrieb zurück gegeben, wo sie weiter verarbeitet worden seien. Die Beklagte ist der Ansicht, dass dieser Kündigungsvorwurf nicht präkludiert sei. Grund der Kündigung vom 24.06.2004 sei kein Betrug gewesen, sondern der Vorwurf, der Kläger habe einen einheitlichen Flugauftrag in zwei Abrechnungen gespalten und ein einfaches Proceeding doppelt abgerechnet. Dass der Kläger betrogen habe, sei der M. im Juni 2004 gar nicht bewusst gewesen. Demgegenüber sei der Grund der Kündigung vom 17.03.2005, dass der Kläger in den Abrechnungen einen falschen Sachverhalt angegeben und PKW-Fahrten trotz Hotelübernachtung abgerechnet habe; dies sei Betrug.

3. Entscheidungsgegenständliche Kündigung vom 14.04.2005

Mit Schreiben vom 14.04.2005 (Anlage K7, Bl. 42 d. Akte), dem Kläger zugegangenen am 15. oder 26.04.2005, kündigte die M. das zwischen ihr und dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis hilfsweise ordentlich zum 30.06.2006. Dem vorausgegangen war die Anhörung der Personalvertretung mit Schreiben vom 11.04.2005 (Bl. 916 ff. d. Akte), auf die sie mit Schreiben vom 12.04.2005 (Bl. 43 d. Akte) Bedenken gegen die Kündigung äußerte. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schreiben Bezug genommen.

Unter dem 22.09.2003 wandte sich der Kläger schriftlich an den damaligen Geschäftsführer der M., Dr. N., und schilderte, dass ein Flugzeug der M. bewusst im Tiefflug über den Flughafen Berlin-Tegel sowie das Olympiastadion geflogen worden sei (Bl. 1167 f. d. Akte). Beantwortet wurde diese Eingabe am 29.09.2003 durch den Leiter Personal und Recht der M., Dr. J. (Bl. 1170 d. Akte). Am 04.07.2004 schrieb der Kläger die damalige Mehrheitsgesellschafterin der M., die S., an und wies erneut auf den Tiefflug aus dem Jahr 2003 hin (Bl. 1157 ff. d. Akte). Die S. leitete das Schreiben an die M. weiter. Diese antwortete durch Dr. J. am 08.07.2004, dass im Hinblick auf das laufende Arbeitsgerichtsverfahren keine Stellungnahme abgegeben werde (Bl. 1161 d. Akte).

Der Kläger erstattete am 12.12.2004 sowie mit ergänzendem Schreiben vom 24.12.2004 Strafanzeige gegen Dr. J.. Wegen des Inhalts im Einzelnen wird auf die Schreiben Bezug genommen (Bl. 678 ff. d. Akte). Der Kläger beschuldigt Dr. J. u.a. der falschen Verdächtigung, des Prozess- und des „Sozialbetruges“ sowie der Anstiftung dazu, der Urkundenfälschung und der Anstiftung dazu, der Anstiftung des Mitarbeiters E. zur Falschaussage, der Körperverletzung, der Förderung schwerer Straftaten mit Flugzeugen bzw. der Vereitelung ihrer Strafverfolgung sowie der vorsätzlichen Lufttransportgefährdung. Im Schreiben vom 24.12.2004 heißt es auszugsweise wie folgt:

„Am 02. September 1999 flog ich von Punta Cana (Karibik) nach G., während der Atlantik Überquerung [f]iel mein Erster Offizier ins Koma, ich musste Notlanden. Daraufhin fertigte ich einen Unfall Bericht gemäß § 5 Luft BO und schickte diesen unmittelbar per Co-Mail [an] die Firma. […]

Statt diesen Unfallbericht wie gesetzlich vorgeschrieben an das Luftfahrtbundesamt weiterzuleiten, gab offensichtlich Herr Dr. J., Anweisung meinen Bericht zu vernichten, einen gefälschten Bericht zu erstellen, worin die tatsächlichen Gegebenheiten und Ursachen verschwiegen wurden. Ferner […] wurde auch dieser ‚abgeschwächte‘ Bericht nicht an das Luftfahrtbundesamt weitergeleitet.

Ebenso wurden mindestens was meine Person betrifft, fünf weitere Notfall Berichte in den [Folgejahren] auf Anweisung des Herrn Dr. J. ‚frisiert‘ […]“

Das daraufhin gegen Dr. J. eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Ein durchgeführtes Klageerzwingungsverfahren war erfolglos.

Mit am 02.05.2005 der M. zugestellter Klageerweiterung wehrt sich der Kläger gegen die wegen der Strafanzeige ausgesprochene Kündigung. Einen Kündigungsgrund stelle die Strafanzeige nicht dar. Er habe in der Strafanzeige weder wissentlich noch leichtfertig falsche Angaben gemacht. Zumindest habe es sich dem Kläger zum Zeitpunkt der Strafanzeige so dargestellt, dass die Vorwürfe zuträfen. Jedenfalls falle die Interessenabwägung zu seinen Gunsten aus. Die M. habe sich intensiv bemüht, ihn loszuwerden, obwohl er bis zum Verfassen der provozierten Strafanzeige keinen Grund zur Beanstandung geboten habe. Für ihn habe es so ausgesehen, als ob Dr. J. einen persönlichen Feldzug gegen ihn führen würde. Dies sei bei der Bewertung ebenso zu berücksichtigen wie die – unstreitige – Tatsache, dass Dr. J. bereits seit 2006 nicht mehr bei der M. bzw. der Beklagten beschäftigt ist. Zudem bestreitet er die Ordnungsgemäßheit der Personalvertretungsanhörung. Die M. habe nicht ausreichend mitgeteilt, dass sie auch hilfsweise eine fristgerechte Kündigung beabsichtige und ob diese Kündigung personen-, verhaltens- oder betriebsbedingt erfolgen solle. Zudem sei die Anhörung unvollständig, die Anlagen der Strafanzeigen seien nicht beigefügt und die maßgebliche Kündigungsfrist nicht mitgeteilt worden. Auch habe die M. die einwöchige Stellungnahmefrist nicht abgewartet, obwohl sich die Personalvertretung bei ordentlichen Kündigungen eine weitere Stellungnahme stets offen halte.

Die Beklagte meint, der Kläger habe mit der Erstattung der Strafanzeige seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwer verletzt. Die darin enthaltenen Angaben seien wissentlich falsch gewesen und ehrenrührig. Die Anzeige sei zweckentfremdet und bloß zur Schädigung des Dr. J. erstattet worden. Dies werde auch daran deutlich, dass sich der Kläger nicht vorab um innerbetriebliche Aufklärung bemüht und überdies bis zu fünf Jahre zurückliegende etwaige Vorfälle anzeige. Die Situation des Klägers bei Erstattung der Anzeige rechtfertige sein Verhalten nicht.

Zunächst hat der Kläger (im Hinblick auf die vorgreifliche ordentliche Kündigung vom 24.06.2004) nur Kündigungsschutzantrag bezogen auf die außerordentliche Kündigungen vom 02.03., 17.03. und 14.04.2005 gestellt und mit Teilurteil vom 17.10.2007 (Bl. 308 ff. d. Akte) obsiegt.

Nun beantragt der Kläger,

1.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 17.03.2005 (Anlage K3) aufgelöst ist,

2.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die weitere ordentliche Kündigung vom 17.03.2005 (Anlage K4) aufgelöst ist,

3.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die weitere hilfsweise ordentliche Kündigung vom 14.01.2005 (Anlage K7) aufgelöst ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Akten des Verfahrens 11 Ca 1098/10 (LAG E., Az. 6 Sa 1231/10) sind beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Ergebnis der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Kündigungsschutzklage hat nur zum Teil Erfolg. Die zulässigen Klageanträge zu 1. und 2. sind begründet, der zulässige Klageantrag zu 3. ist unbegründet.

A.

Der Klageantrag zu 1. ist begründet. Die mit der außerordentlichen Kündigung vom 17.03.2005 hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung (Anlage K3) hat das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht aufgelöst.

I.

Die Kündigung gilt nicht nach §§ 7, 4 S. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) als wirksam. Die Kündigungsschutzklage wurde fristgerecht erhoben.

II.

Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam gemäß § 1 Abs. 2 KSchG.

1. Auf das zwischen dem Kläger und der M. bestehende Arbeitsverhältnis fand das KSchG gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2-4 KSchG Anwendung. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestand das Arbeitsverhältnis länger als 6 Monate; die M. beschäftigte regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

2. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegen stehen, bedingt ist. Die Kammer kann nicht erkennen, dass für die Kündigung ein Kündigungsgrund vorlag, insbesondere nicht in dem Verhalten des Klägers.

a) Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht – i.d.R. schuldhaft – erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit anderer Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint (st. Rspr. des BAG, etwa v. 23.06.2009 – 2 AZR 283/09, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung m.w.N.).

Voraussetzung der verhaltensbedingten Kündigung ist insbesondere grds. eine vorherige Abmahnung wegen einer vergleichbaren Pflichtverletzung. Dies folgt zum einen aus dem das Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei jeder Kündigung, die wegen eines steuerbaren Verhaltens des Arbeitnehmers ausgesprochen wurde, ist zu prüfen, ob nicht eine Wiederherstellung des Vertrauens auf die ordnungsgemäße Vertragserfüllung durch die Abmahnung erwartet werden konnte; ggf. wäre eine Abmahnung das angezeigte, da ausreichende mildere Mittel gewesen. Das Abmahnerfordernis ist zum anderen Ausfluss des Prognoseprinzips. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch für die Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Die Abmahnung dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer gleichartig seine vertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (BAG v. 23.06.2009 a.a.O.; HWK/Quecke, 4. Aufl. 2010, § 1 KSchG Rn. 186).

b) Zwar stellt ein vorsätzlicher Abrechnungsbetrug eine erhebliche Verletzung einer Vertragspflicht und damit einen verhaltensbedingten Grund zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Die Kammer kann aber nicht feststellen, dass ein vorsätzlicher Abrechnungsbetrug vorliegt, insbesondere, dass der Kläger mit der erforderlichen Absicht der Täuschung und Schädigung der M. handelte. Die Beklagte ist hinsichtlich des Kündigungsgrundes darlegungs- und beweisbelastet (§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG). Dies gilt auch für relevante innere Tatsachen, für deren Darlegung die Beklagte auf objektive Indizien angewiesen ist, die den Schluss auf die innere Tatsache zulassen.

Die Beklagte hat es nicht vermocht, hinreichende Indizien für die Täuschungs- und Schädigungsabsicht des Klägers darzulegen. Zum einen kommt auch nach dem Vortrag der Beklagten immer noch eine Nachlässigkeit des Klägers in Betracht. Nach ihrem Vortrag hat der Kläger das Abrechnungsformular nicht selbst ausgefüllt, sondern durch seine Freundin ausfüllen lassen. Die Unwahrheit der Angaben auf dem Formular unterstellt, mag damit ein Indiz für eine Schädigungsabsicht der Freundin des Klägers vorliegen. Von besonderer Bedeutung ist für die Kammer dabei, dass der Kläger die Abrechnung nicht selbst unterschrieben hat. Einen sicheren Schluss auf die Absicht des Klägers würde erst seine Unterschrift auf dem Abrechnungsformular erlauben, mit der der Kläger selbst die Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernimmt. Der Kläger hat die Abrechnungen jedoch nicht unterschrieben und sich die vermeintlichen Erklärungen seiner Freundin nicht zu eigen gemacht. Handschriftlichen Angaben des Klägers finden sich auf dem Formular unstreitig nicht.

Zum anderen lässt auch das vorgelegte Abrechnungsformular selbst keinen zwingenden Schluss auf eine Täuschung und so auf eine Schädigungsabsicht des Klägers zu, da es unstreitig durch Tipp-Ex abgedeckte Bereiche enthält. Lesbar in der Rubrik „Auslagen“ ist nur die Angabe, dass für die An- und Abreise zum Flughafen das Ticket nicht genutzt wurde und der eigene PKW abgerechnet würde. Dass der Kläger tatsächlich seinen PKW genutzt hat, ist jedenfalls nicht ausdrücklich erklärt. Es ist von keiner Partei vorgetragen, welche Angaben mit Tipp-Ex – womöglich unbedacht – abgedeckt wurden. Hypothetisch mag sich aus dem abgedeckten Bereich ergeben haben, wie und mit welchen tatsächlichen Kosten der Kläger das Proceeding nach N. durchführte. Dann läge aber keine Schädigungsabsicht vor. Dies macht jedenfalls deutlich, dass das vorgelegte Formular als Beleg für die Schädigungsabsicht des Klägers ungeeignet ist.

c) Damit verbleibt der Vorwurf fahrlässig falscher Abrechnungen von Spesen. Jedenfalls in Anbetracht der langen und zuvor erfolgreichen Betriebszugehörigkeit hätte der Ausspruch einer Abmahnung genügt, um das etwaig gestörte Vertrauen auf die ordnungsgemäße Vertragserfüllung durch den Kläger wiederherzustellen.

B.

Der Klageantrag zu 2. ist ebenfalls begründet. Die eigenständige ordentliche Kündigung vom 17.03.2005 (Anlage K4) hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Die Kammer kann nicht erkennen, dass ein Kündigungsgrund gemäß § 1 Abs. 2 KSchG vorliegt. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass die Beklagte mit dem einzig vorgebrachten Kündigungsgrund präkludiert ist.

I.

Ist in einem Kündigungsrechtsstreit entschieden, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, so kann der Arbeitgeber eine erneute Kündigung nicht auf Kündigungsgründe stützen, die er schon zur Begründung der ersten Kündigung vorgebracht hat und die in dem ersten Kündigungsschutzprozess materiell geprüft worden sind mit dem Ergebnis, dass sie die Kündigung nicht rechtfertigen können. Der zweiten, rechtzeitig erhobenen Klage ist ohne Weiteres stattzugeben. Das Urteil in dem ersten Prozess ist in der Weise präjudiziell für das zweite Verfahren, dass eine erneute materielle – möglicherweise von dem Ergebnis des ersten Prozesses abweichende – Nachprüfung des zur Stützung der ersten Kündigung verbrauchten Kündigungsgrundes in dem zweiten Verfahren nicht erfolgen darf (BAG v. 08.11.2007 – 2 AZR 528/06, zitiert nach juris, m.w.N.).

II.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Beklagte mit dem behaupteten Kündigungsgrund, der Kläger habe durch Vorlage der Abrechnungen zum 06. und 07.03.2003 mit den enthaltenen, vermeintlich falschen Angaben zu den Fahrten einen Abrechnungsbetrug zu Lasten der M. begangen, präkludiert.

1. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten stützte bereits die ordentliche Kündigung vom 24.06.2004, die Gegenstand des Verfahrens 11 Ca 1098/10 war, auf diesen Grund.

Unstreitig lagen der Kündigung vom 24.06.2004 dieselben Abrechnungen zugrunde. Zwar ist der Beklagten noch zuzugeben, dass das Wort „Betrug“ in den Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten der M. in dem Verfahren 11 Ca 1098/10 nicht ausdrücklich zur Begründung der Kündigung benutzt wird. Nach Ansicht der erkennenden Kammer wollte die M. aber dennoch genau diesen Vorwurf erheben. Betrug ist die absichtliche Verursachung eines Schadens, ausgelöst durch irrtumsbedingte Vermögensverfügung, verursacht durch Täuschung. Im Verfahren 11 Ca 1098/10 wurde dem Kläger vorgeworfen, er habe die Proceedings am 06. und 07.03.2003 für eine Dienstreise „doppelt abgerechnet“ (Schriftsatz der Beklagtenseite vom 26.04.2010, S. 19, Bl. 219 jener Akte) und in den Abrechnungen „behauptet […], jeweils mit dem Pkw von G. nach E. und zurück gefahren zu sein“ (S. 21, Bl. 221 jener Akte). Offenbar hat die M. den Angaben auf den Abrechnungen nicht geglaubt. Der Grund der Kündigung ist damit nicht bloß die vertragswidrig getrennte, sondern die bewusst doppelte Abrechnung eines einheitlichen Flugauftrages. Eine doppelte Abrechnung ist aber nicht anders zu verstehen, als dass die doppelten Kosten in Rechnung gestellt werden, nicht die tatsächlichen. Entsprechend gingen das Arbeitsgericht (Bl. 586, 589 jener Akte) und das Landesarbeitsgericht (Bl. 778 jener Akte) in ihren Entscheidungen vom Vorwurf des Abrechnungsbetrugs aus und prüften diesen.

Nichts anderes gilt, wenn die Beklagte vorträgt, dass erst nach dem Ausspruch der Kündigung vom 24.06.2004 ermittelt worden sei, dass der Kläger die Nacht zum 07.03.2003 in einem Düsseldorfer Hotel zubrachte. Zum einen ändert dies nichts am erhobenen Vorwurf, sondern nur an der Beweislage. Zum anderen hatte die M. die Hotelübernachtung bereits im damaligen Verfahren eingebracht und erklärt, dass dies den Abrechnungen „eine neuerliche Dimension“ gebe (o.a. Schriftsatz, S. 29, Bl. 229 jener Akte). Unabhängig von der Frage, ob die frühere Kündigung auch auf diese Erkenntnis gestützt werden durfte, hat es die M. im Prozess doch jedenfalls versucht, da sonst die Mitteilung dieser Tatsache überflüssig wäre.

2. Mit Urteil des Landesarbeitsgerichts E. vom 28.01.2011 (6 Sa 1231/10) ist rechtskräftig entschieden, dass der Kündigungsgrund Abrechnungsbetrug durch die Abrechnungen zum 06. und 07.03.2003 eine ordentliche Kündigung nicht rechtfertigen kann. Damit war es der M. – und der Beklagten als ihrer Rechtsnachfolgerin entsprechend § 325 Abs. 1 ZPO – verwehrt, eine weitere Kündigung auf diesen Grund zu stützen.

C.

Der Klageantrag zu 3. ist unbegründet. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 14.04.2005 (Anlage K7) hat das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten zum 30.06.2006 aufgelöst.

I.

Die Kündigung vom 14.04.2005 gilt nicht nach §§ 4, 7 KSchG als wirksam.

II.

Die M. war berechtigt, das Arbeitsverhältnis jedenfalls ordentlich zu beenden. Die verhaltensbedingte Kündigung ist nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Wegen des Prüfungsmaßstabes wird auf A.II.2.a der Gründe verwiesen.

 

Randnummer69

1. Mit dem Stellen der Strafanzeige mit Schreiben vom 12. und 24.12.2004 hat der Kläger seine vertragliche Rücksichtnahmepflicht erheblich verletzt und so einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund geschaffen.

a) Im Grundsatz hat ein Arbeitnehmer das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Recht, gegen seinen Arbeitgeber oder dessen Repräsentanten Strafanzeige zu erstellen. Die staatliche Gemeinschaft ist auf Anzeigen oft angewiesen, um eine funktionsfähige Strafrechtspflege gewährleisten zu können. Es besteht ein öffentliches Interesse an Informationen über Mängel, insbesondere in für das Allgemeinwohl bedeutenden Unternehmen (vgl. EGMR v. 21.07.2011 – 28274/08, Os. 2, zitiert nach juris). Damit sind Strafanzeigen sogar erwünscht, wenn nicht unerhebliche Missstände bestehen, denen auf andere Weise nicht abgeholfen werden kann. Der anzeigende Arbeitnehmer nimmt eine von der Rechtsordnung gebilligte und geförderte Möglichkeit der Rechtsverfolgung wahr. Es wäre mit dem Rechtsstaatsprinzip in der Regel unvereinbar, wenn eine Anzeige zu zivilrechtlichen Nachteilen für den Arbeitnehmer führen würde (BVerfG v. 02.07.2001 – 1 BvR 2049/01, NZA 2001, 888; BAG v. 04.07.1991 – 2 AZR 80/91, zitiert nach juris). Das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse des Arbeitgebers, nur mit Arbeitnehmern zusammen zu arbeiten, die die Ziele des Unternehmens fördern und es vor Schäden bewahren, muss hinter dem Anzeigerecht deshalb im Grundsatz zurück stehen. Der Rücksichtnahmepflicht werden durch das Anzeigerecht Grenzen gezogen.

Dennoch ist es anerkannt, dass eine Strafanzeige zu einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen kann. Der Arbeitnehmer kann sich jedenfalls dann nicht mehr auf verfassungsrechtlichen Schutz und das Interesse der Gemeinschaft an der Anzeige berufen, wenn die Anzeige wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben enthält (BVerfG a.a.O.) oder wenn sie sich als unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seines Repräsentanten darstellt. Dabei können als Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion des anzeigenden Arbeitnehmers ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die anzuzeigenden Missstände, die fehlende Berechtigung der Anzeige und die Motivation des Anzeigenden sprechen (BAG v. 03.07.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427; LAG Rheinland-Pfalz v. 02.04.2009 – 10 Sa 691/08, zitiert nach juris; APS/Dörner/Kiel, 3. Aufl. 2007, § 626 BGB Rn. 191). Rückschlüsse auf die Motivation des Anzeigenden bieten ein zeitlicher langer Abstand zwischen angezeigter Tat und Anzeige (vgl. LAG Köln v. 07.01.2000 – 4 Sa 1273/99, zitiert nach juris) oder eine zu missbilligende Form der Anzeige (vgl. Gach/Rützel, BB 1997, 1959, 1960; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 198). An in diesem Sinne unverhältnismäßigen oder sogar falschen Anzeigen hat die staatliche Gemeinschaft kein Interesse, wie sich auch aus der Strafbarkeit der falschen Verdächtigung in § 164 StGB ergibt.

b) Der Kläger hat mit den Schreiben vom 12. und 24.12.2004 die Grenzen des Anzeigerechts überschritten und damit eine erhebliche Pflichtverletzung begangen.

aa) Zu Gunsten des Klägers wird sein Vortrag als wahr unterstellt, dass er nicht wissentlich Unwahrheiten angezeigt hat. Jedoch enthalten die Schreiben diverse leichtfertig falsche Angaben. Obwohl die Beklagte sämtliche Vorwürfe bestritten hat, hat der Kläger für diverse der erhobenen Vorwürfe keinen irgendwie plausiblen Anhaltspunkt vorgetragen, aufgrund dessen er zu den Vorwürfen berechtigt gewesen wäre. Dann aber muss die Kammer davon ausgehen, dass diese Angaben jedenfalls leichtfertig falsch waren.

(1) Leichtfertig falsch ist der Vorwurf, Dr. J. habe im September 1999 offensichtlich die Anweisung gegeben, einen vom Kläger gefertigten Unfallbericht zu verfälschen, nicht weiter zu leiten und auch in der Folge Unfallberichte zu „frisieren“. Der Kläger trägt keine Tatsache vor, warum er auch nur entfernt davon ausgehen durfte, dass dieses zutrifft. So behauptet der Kläger zur Begründung der Vorwürfe, dass Dr. J. im Bereich Flugbetrieb weisungsbefugt gewesen wäre (der Vortrag, der die Weisungsbefugnis Dr. J. im Flugbetrieb belegen soll, betrifft indes nur spätere Zeiträume als 1999). Weiter führt der Kläger an, dass Dr. J. mit ihm (in 2001) wegen des Vorfalls in Mombasa ein Gespräch geführt hätte, dass Dr. J. (erst später) Mitglied der Geschäftsleitung war und (in 2004) an den Verhandlungen mit der Personalvertretung Gesamt wegen der Zustände in Punta Cana beteiligt gewesen war. All dies ist für die Behauptung irrelevant, Dr. J. habe im Jahr 1999 Unfallberichte verfälschen lassen und nicht weitergeleitet.

Näheren Bezug zu diesem Vorwurf hat allenfalls der Vortrag, dass Dr. J. in 1999 verantwortlicher Leiter im sog. „Movement“ gewesen sei, welches zuständig für alles wäre, was den Zwischenbereich zwischen Technik, Besatzung und Passagieren beträfe, sodass dort alle Informationen über den Unfall 1999 zusammen gelaufen wären. Das „Movement“ sei „nicht zuletzt jedenfalls mit dafür zuständig“ gewesen, erhaltene Informationen an die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung weiterzuleiten, sodass der Kläger davon habe ausgehen dürfen, dass Dr. J. in verantwortlicher Weise mit dem Vorfall und dem Bericht des Klägers befasst gewesen sei (Bl. 1094 d. Akte). Diese Beschreibung des „Movement“ enthält keinen konkreten Anhaltspunkt, dass Dr. J. angewiesen habe, Berichte des Klägers zu verfälschen und nicht weiterzuleiten. Es ist nicht zu erkennen, warum der Kläger vom Gegenteil „ausgehen durfte“. Unterstellt, Dr. J. hatte überhaupt eine Möglichkeit zu den in diesem Zusammenhang vorgeworfenen Delikten, so folgt daraus nicht ohne Weiteres ein nachvollziehbarer Verdacht, er habe die Delikte auch begangen.

Die Kammer lässt auch die Behauptung unberücksichtigt, eine schriftliche Anfrage bei der Unfalluntersuchungsstelle des Luftfahrtbundesamtes habe ergeben, dass keiner der vom Kläger gefertigten Unfallberichte jemals an das Luftfahrtbundesamt weitergegeben wurde (Bl. 767 d. Akte). Der Vortrag lässt offen, ob der Kläger die Anfrage schon vor Erstatten der Anzeige gestellt hatte und deshalb bei der Anzeige von einem Nichtweiterleiten der Berichte hätte ausgehen können. Zudem gilt auch hier, dass sich aus dem Vortrag nicht ergibt, dass gerade Dr. J. für das etwaige Zurückhalten der Berichte verantwortlich wäre. Abgesehen davon ist die unsubstantiiert behauptete Recherche durch nichts belegt, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, das vermeintliche Schreiben an die Behörde als Anlage vorzulegen.

Der umfassendere Vorwurf, dass Dr. J. schwere Straftaten mit Flugzeugen gefördert bzw. deren Ahndung vereitelt habe, ist ebenfalls leichtfertig falsch. Der Kläger legt kein strafrechtlich relevantes Verhalten des Dr. J. im Zusammenhang mit den weiteren Vorfällen in Punta Cana bis 2004 oder mit dem etwaigen „Kunsttiefflug“ in Berlin 2003 dar. Mit dem Tiefflug hatte Dr. J. – soweit aus dem Vortrag des Klägers ersichtlich – nur insoweit zu tun, als er dem Kläger auf dessen Eingaben an den Geschäftsführer und die S. in praxisüblicher Manier mitteilte, dass der Vorgang der M. bereits vorher bekannt gewesen und dessen Untersuchung eingeleitet sei bzw. die arbeitsgerichtlichen Verfahren abgewartet würden. Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass Dr. J. Berichte verfälscht oder die Ahndung des Vorfalls unterdrückt hat. Inwieweit Dr. J. Straftaten mit Flugzeugen sogar gefördert hat, ist vom Kläger überhaupt nicht vorgetragen.

(2) Leichtfertig ist offenbar auch der Vorwurf erhoben, Dr. J. habe den Mitarbeiter der M., E., zur Falschaussage angestiftet. Zwar mag der Kläger der Ansicht gewesen sein, dass der Zeuge falsch ausgesagt hat. Tatsachen jedoch, aufgrund derer der Kläger auch nur vage vermuten durfte, dass Dr. J. den Mitarbeiter zur Falschaussage bewegt habe, sind nicht vorgetragen.

Weiter ist nicht ersichtlich, warum der Kläger Dr. J. habe bezichtigen dürfen, „Anstiftung zum Sozialbetrug“ begangen zu haben. Es ist vom Kläger überhaupt nicht dargelegt, ob und inwieweit Dr. J. gegenüber den Sozialversicherungsträgern angegeben hat, dass der Firmensitz der M. in den neuen Bundesländern sei, sodass geringere Abgaben als vorgeschrieben abgeführt worden seien. Aus dem Schreiben vom 07.01.2003 (Bl. 860 d. Akte), auf das der Kläger in der Anzeige Bezug nimmt, ergeben sich dafür keine Anhaltspunkte.

Dasselbe gilt für den Vorwurf, Dr. J. habe Einfluss auf die Krankenkasse wie auch auf die Berufsgenossenschaft genommen und dort verbreiten lassen, der Kläger sei ein Betrüger und Simulant, in der Absicht, dass er von dort keine Leistungen erhalte (Bl. 681 d. Akte).

(3) Für die Kammer steht damit fest, dass die Schreiben vom 12. und 24.12.2004 diverse leichtfertig falsche Tatsachen enthalten. Insoweit entsprach die Strafanzeige nicht der gebilligten und erwünschten Rechtsverfolgung, sondern verstieß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht.

bb) Der Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht ist erheblich. Zum einen sind die eben erörterten Vorwürfe nicht nur leichtfertig falsch, sondern auch besonders gravierend, vor allem soweit der Kläger behauptet, Dr. J. habe Berichte verfälscht und nicht weitergeleitet. Diese Vorwürfe stellen eine große Belastung für Dr. J. persönlich dar, aber sie strahlen auch auf die M. insgesamt aus. Die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, wenn bei einer Fluggesellschaft Sicherheitsmängel bestehen und Berichtspflichten verletzt werden. Der Ruf einer Fluggesellschaft hängt nicht zuletzt von ihrem Sicherheitsstandard ab. Umso mehr ist es aber rufschädigend, wenn solche Vorwürfe leichtfertig und überdies unberechtigt erhoben werden. Die Staatsanwaltschaft stellte das infolge der Anzeige eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen fehlenden hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO ein; ein Klageerzwingungsverfahren führte ebenfalls nicht zur Anklageerhebung. Zwar ist der Kammer bewusst, dass eine Strafanzeige nicht nur dann gegen die Rücksichtnahmepflicht verstößt, wenn sie zu einer Verurteilung führt (vgl. BAG v. 07.12.2006 – 2 AZR 400/05, NZA 2007, 502). Jedoch ist der erfolglose Fortgang des Verfahrens durch zwei Instanzen ein Indiz für die fehlende Berechtigung der Anzeige.

Zum anderen veranlassen die Strafanzeige und der Vortrag des Klägers die nunmehr erkennende Kammer zu dem Schluss, dass der Kläger nicht nur die erlaubte Rechtsverfolgung wahrnehmen wollte, sondern jedenfalls auch in der Absicht handelte, Dr. J. zu schädigen. Dafür spricht erstens die Leichtfertigkeit und die fehlende Berechtigung der erörterten Vorwürfe.

Dafür spricht zweitens der zeitliche Ablauf. Wäre es dem Kläger in erster Linie darum gegangen, die Bevölkerung zu schützen, wie es im Kammertermin ausführte, so ist nicht erklärlich, warum er damit bis Dezember 2004 wartete. Ein Kernpunkt seines Vorwurfes wegen der „Straftaten mit Flugzeugen“ ist der vermeintliche Umgang Dr. J. mit dem Unfallbericht des Klägers zu dem Vorfall in Punta Cana; dieses Geschehen lag zur Zeit der Anzeige 4 ½ Jahre zurück. Wäre der Schutz der Bevölkerung vorrangiges Ziel des Klägers, hätte er den Vorfall sofort anzeigen können, ohne dass es erst der „Erinnerung“ durch die Mitteilung der Personalvertretung Gesamt über die aktuelle Situation in Punta Cana (Bl. 887 d. Akte) bedurft hätte. Entsprechendes gilt für die jeweiligen Antwortschreiben von Dr. J. auf die klägerischen Eingaben, welche den Kläger 15 bzw. 5 Monate vor der Anzeige erreichten. Das Abwarten und die zeitliche Nähe der Strafanzeige zu den sich abzeichnenden, durch Dr. J. initiierten Folgekündigungen legt eine Schädigungsabsicht nahe.

Für die Schädigungsabsicht spricht drittens die gesamte Form der Strafanzeige. Der Kläger unterstellt „hohe kriminelle Energie“ und ein zu Straftaten verleitendes „Karrierestreben“. Zudem vermutet er „Verdunklungsgefahr“ (mithin einen Grund für Untersuchungshaft, § 112 Abs. 2 StPO), abermals ohne konkrete Anhaltspunkte dafür zu nennen. Bei der Anzeige handelt es sich daher weniger um eine Information der Behörden über strafrechtlich relevantes Verhalten als um einen „Rundumgegenschlag“ gegen den Leiter Personal und Recht. Der Kläger nahm an, dass sich Dr. J. in einem gegen ihn gerichteten persönlichen Feldzug befände. Es hat den Anschein, als wolle der Kläger darauf mit der Strafanzeige kontern. Mit der jedenfalls zum Teil leichtfertigen, offenbar unberechtigten und schon daher auch beleidigenden Anzeige hat der Kläger jedoch den zulässigen Bereich der Rechtsverfolgung verlassen.

cc) Es kann für die Entscheidung dahin stehen, ob der Kläger einen billigenswerten Anlass zu den weiteren, in der Strafanzeige enthaltenen Anschuldigungen hatte, insbesondere hinsichtlich derjenigen Delikte, die im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Verfahren begangen sein sollen und sich unmittelbar gegen den Kläger richteten. Waren die weiteren Angaben ebenfalls leichtfertig falsch, so erhöhte dies die Intensität der Pflichtverletzung. Waren sie es nicht, ändert dies nichts daran, dass der Kläger insbesondere wegen der leichtfertig falsch erhobenen Vorwürfe der „Straftaten mit Flugzeugen“ eine erhebliche Pflichtverletzung begangen hat. Auch eine womöglich in Teilen zutreffende Strafanzeige gibt keine Erlaubnis, im Übrigen falsche Vorwürfe zu erheben.

c) Die erhebliche Pflichtverletzung bildet einen zur verhaltensbedingten Kündigung berechtigenden Kündigungsgrund, auch in Anbetracht der vom Kläger behaupteten posttraumatischen Belastungsstörung, an der er zur Zeit der Anzeigeerstattung gelitten haben mag. Dass er sein Verhalten nicht mehr habe steuern können, hat der Kläger nicht vorgetragen.

2. Die M. war nicht gehalten, wegen der Strafanzeige nur eine Abmahnung auszusprechen. Zwar setzt die Wirksamkeit der verhaltensbedingten Kündigung in der Regel eine vorherige Abmahnung wegen eines gleichartigen Pflichtverstoßes voraus. Jedoch bedarf es der Abmahnung auch nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach der Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich und für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist (BAG v. 09.06.2011 – 2 AZR 381/10, NZA 2011, 1027 m.w.N.; s. zu Strafanzeigen LAG Rheinland-Pfalz v. 24.10.2007 – 7 Sa 451/07, zitiert nach juris). In solchen Fällen stellt die Abmahnung kein geeignetes, damit in Betracht zu ziehendes milderes Mittel dar, um das Vertrauen in die zukünftige vertragsgemäße Leistung des Arbeitnehmers wieder herzustellen. Die M. musste nicht anstelle der Kündigung eine Abmahnung aussprechen. Der Kläger hat Strafanzeige mit leichtfertig falschen, erheblichen Vorwürfen gegen einen Repräsentanten der M. erstattet, die auch auf die M. selbst ausstrahlten. Eine Hinnahme dieses Verhaltens durch die M. konnte der Kläger nicht erwarten.

3. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die ordentliche Kündigung vom 14.04.2005 ist in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen.

Das Fortsetzungsinteresse des Klägers ergibt sich zunächst aus der Unterhaltsverpflichtung gegenüber den zwei Kindern sowie aus dem 15jährigen und – mangels anderslautender gerichtlicher Entscheidungen – beanstandungsfreien Beschäftigungsverhältnis. Überdies ist im besonderen Maße die Ausnahmesituation des Klägers bei Erstatten der Anzeige zu berücksichtigen. Bereits in der Entscheidung vom 17.10.2007 wies die Kammer darauf hin, dass die Anzeige Ausdruck einer psychischen Beeinträchtigung des zuvor seit Oktober 2003 erkrankten Klägers durch den fortdauernden Konflikt mit der M. ist. Der Konflikt hatte sich im Winter 2004 offenbar auf den damaligen Leiter Personal und Recht personalisiert. Bei Verfassen des Schreibens am 12.12.2004 hatte der Kläger einen langen Kündigungsrechtstreit gerade hinter sich gebracht, ein weiteres Verfahren war anhängig. In den nächsten Tagen wurde die Personalvertretung zu zwei weiteren Kündigungen angehört, unter dem 20.12.2004 wurde eine weitere außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Es ist nachvollziehbar, dass es sich für den Kläger, der vor Ausspruch der ersten Kündigung eine gesellschaftlich geachtete und hochbezahlte Position bekleidet hatte, so dargestellt hat, dass die Beklagte ihn ruinieren wolle. Insoweit stellt sich die Strafanzeige, wie erörtert, als „Gegenschlag“ dar.

Gleichwohl überwiegt das Beendigungsinteresse der M.. Der Kläger hat eine erhebliche Pflichtverletzung begangen, die als wichtiger Grund „an sich“ auch eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt hätte. Wenn es auch nachvollziehbar ist, dass sich der Kläger gegen die in den arbeitsgerichtlichen Verfahren – aus seiner Sicht – seitens der M. zu seinen Lasten begangenen Straftaten zur Wehr setzen möchte, so erklären sich damit nicht die weiteren, „überschießenden“ Vorwürfe. Insbesondere soweit der Kläger „Straftaten mit Flugzeugen“ anzeigt, berührt er einen für seinen Arbeitgeber sehr sensiblen, mit großer Außenwirkung verbundenen Bereich. Daher ist es ebenso nachvollziehbar, dass die M. derartige, leichtfertig falsche Vorwürfe nicht ohne individualrechtliche Konsequenzen auf sich beruhen lassen kann. Da nach Ansicht der Kammer eine Abmahnung ungeeignet gewesen wäre, kam nur eine Kündigung in Betracht. Dies gebietet auch die Fürsorgepflicht der M. gegenüber den Mitarbeitern, auch wenn es sich um Repräsentanten aus der Geschäftsleitung handelt. Die M. war gehalten, ihre Mitarbeiter vor leichtfertig falschen Strafanzeigen (einschließlich der Behauptung vermeintlicher Untersuchungshaftgründe) und den aus einer Strafanzeige unweigerlich resultieren Belastungen durch Ermittlungsverfahren zu schützen. Dass der angezeigte Dr. J. heute nicht mehr bei der M. oder der Beklagten beschäftigt ist, ist irrelevant.

Überdies teilt die Kammer die in der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom 12.06.2008 geäußerte Einschätzung nicht, dass die M. nach der Eingabe des Klägers bei der S. das Gespräch mit dem Kläger hätte suchen müssen. Die von dem Kläger der S. mitgeteilten Vorwürfe waren (jedenfalls durch die frühere Eingabe an den Geschäftsführer der M.) ohnehin bereits bekannt gewesen und Gegenstand von Korrespondenz.

Der M. war es unter Berücksichtigung der Ausnahmesituation des Klägers zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der einjährigen Kündigungsfrist fortzusetzen. Darüber hinaus überwiegt das Beendigungsinteresse.

III.

Die Kündigung ist nicht wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung der Personalvertretung Cockpit nach § 75 Abs. 2 TV Personalvertretung unwirksam. Die Rügen des Klägers greifen nicht durch.

1. Die Anhörung ist nicht deshalb unwirksam, weil die M. nicht deutlich gemacht habe, dass sie beabsichtige, neben der außerordentlichen Kündigung hilfsweise auch eine ordentliche Kündigung auszusprechen. Dass die M. dies beabsichtigte, ergibt sich hinreichend aus dem Betreff zu Beginn der Anhörung – mithin an exponierter Stelle und auffällig gesetzt -, aus dem ersten und dritten Absatz des Anhörungstextes und aus der Tatsache, dass am Ende der Anhörung um Zustimmung zu den beantragten Kündigungen gebeten wird.

2. Die Anhörung ist nicht deshalb unwirksam, weil die für den Kläger maßgebliche Kündigungsfrist von einem Jahr zum Quartal nicht ausdrücklich angegeben ist. Im Grundsatz bedarf es der Angabe der Kündigungsfrist in der Anhörung. Ausreichend – jedenfalls für die Ordnungsgemäßheit der Anhörung – ist indes, dass der Arbeitgeber seine subjektiven Vorstellungen von der Kündigungsfrist mitteilt (BAG v. 29.01.1986 – 7 AZR 257/84, NZA 1987, 32; HWK/Ricken, 4. Aufl. 2010, § 102 BetrVG Rn. 27). Die Anhörung nennt zumindest mittelbar die maßgebliche Kündigungsfrist. In Abs. 3 der Anhörung wird mitgeteilt, dass zum nächstmöglichen Termin gekündigt werden solle, nach Berechnung der M. „also zum 30.06.2006“. Zusammen mit dem Datum der Anhörung, dem 11.04.2005, ergibt sich daraus die Kündigungsfrist, zumindest die nach der Vorstellung der M. maßgebliche.

Ungeachtet dessen muss die Kündigungsfrist nicht angegeben werden, wenn die Arbeitnehmervertretung die Frist ohnehin kennt (BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521). Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Personalvertretung die Frist kennen würde; dies ist angesichts der vorangegangenen diversen Anhörungen vor anderen Kündigungen durchaus plausibel. Der Kläger ist dem nicht mehr entgegen getreten.

3. Die Anhörung ist nicht deshalb unwirksam, weil nicht ausdrücklich angegeben ist, ob eine verhaltens-, personen- oder betriebsbedingte Kündigung beabsichtigt ist. Entgegen der Ansicht des Klägers bedarf es dieser ausdrücklichen Angabe nicht. Zwar ist der Ansicht zuzugeben, dass sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess nicht ohne Weiteres auf Kündigungsgründe stützen darf, die nicht zuvor Gegenstand der Anhörung waren (BAG v. 11.04.1985 – 2 AZR 239/84, NZA 1986, 674). Demgemäß kann der Arbeitgeber im Prozess nicht z.B. von einer verhaltens- zur personenbedingten Kündigung wechseln. Indes kann dies durch einen einfachen Abgleich der Kündigungsbegründung im Prozess mit der Anhörung erreicht werden. Zusätzlich stets die ausdrückliche Angabe in der Anhörung zu fordern, um welche Art Kündigungsgrund es sich handelt, erscheint demgegenüber als unnötige Förmelei, zumal dies in aller Regel offensichtlich ist. Einem juristisch weniger versierten Arbeitgeber würde so ein unnötiger Stolperstein errichtet.

4. In der Anhörung ist der Grund der beabsichtigten Kündigung hinreichend angegeben. Der Arbeitgeber muss nicht alle, sondern die Gründe mitteilen, die für den Kündigungsentschluss maßgeblich sind. An die Mitteilungspflicht im Anhörungsverfahren sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungen im Prozess. Es gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Die Arbeitnehmervertretung ist dann ordnungsgemäß angehört worden, wenn ihr der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat. Der für die Kündigung maßgebende Sachverhalt darf nicht pauschal mitgeteilt, sondern muss so genau und umfassend beschrieben werden, dass die Vertretung ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich ein Bild zu machen (vgl. BAG v. 22.04.2010 – 2 AZR 991/08, NZA-RR 2010, 583; APS/Koch, 3. Aufl. 2007, § 102 BetrVG Rn. 90 m.w.N.; Richardi/Thüsing, BetrVG, 10. Aufl. 2006, § 102 Rn. 56 f.). Die Anhörung genügt den Anforderungen. Sie teilt konkret das dem Kläger allein vorgeworfene Fehlverhalten mit, nämlich das Stellen einer Strafanzeige mit vermeintlich falschen Behauptungen, von denen mehrere aufgegriffen und substantiiert bestritten werden. Die Anhörung verhält sich auch zur negativen Prognose, indem mitgeteilt wird, dass nach Ansicht der M. eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ausgeschlossen sei. Eine umfassende Abwägung, wie sie offenbar der Kläger erwartet, muss im Anhörungsverfahren nicht stattfinden. Abgesehen davon, weiß die Personalvertretung um die beiden Kinder und wegen der vorangegangenen Anhörungen um die Situation des diversen Kündigungen ausgesetzten Klägers, mithin um einen maßgeblichen Aspekt, der zu seinen Gunsten in der Abwägung zu berücksichtigen ist. In Abs. 1 der streitgegenständlichen Anhörung wird auf frühere Anhörungen ausdrücklich Bezug genommen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Anhörung auch die Anlagen zur Strafanzeige hätten beigefügt werden müssen. Da nicht vorgetragen ist, dass die M. überhaupt über die Anlagen verfügte, kann ihr ein etwaiges Fehlen im Rahmen der Anhörung jedenfalls nicht vorgeworfen werden. Überdies stützte die M. die Kündigung nicht auf die Anlagen zur Strafanzeige.

5. Nachdem die Personalvertretung zur Anhörung vom 11.04.2005 mit Schreiben vom 12.04.2005 (Bl. 43 d. Akte) Stellung genommen hatte, war das Anhörungsverfahren beendet, sodass die Beklagte unter dem 14.04.2005 die Kündigung erklären konnte. Kann der Arbeitgeber aus der Mitteilung der Arbeitnehmervertretung entnehmen, sie wünsche keine weitere Erörterung des Falles, ihre Stellungnahme solle also abschließend sein, dann ist das Anhörungsverfahren beendet und der Arbeitgeber kann die Kündigung wirksam aussprechen. Vom Arbeitgeber in einem solchen Fall noch ein Abwarten bis zum Ablauf der Frist des § 75 Abs. 2 S. 1 TV Personalvertretung zu verlangen, wäre ein überflüssiger Formalismus (s. BAG v. 24.06.2004 – 2 AZR 461/03, NZA 2004, 1330; Richardi/Thüsing a.a.O., Rn. 98). Die M. durfte davon ausgehen, dass die Stellungnahme vom 12.04.2005 abschließend sein sollte. Zum einen wird dies in dem Schreiben selbst angedeutet, wenn die Geschäftsführerin der Personalvertretung mitteilt, dass man die Gelegenheit gehabt habe, über die Anhörung zu befinden. Die Personalvertretung hat nicht über die Anhörung „beraten“, sondern über diese „befunden“; dies legt nahe, dass eine abschließende Entscheidung gefällt wurde, die nunmehr mitgeteilt wird. Zum anderen folgt die Kammer dem pauschalen Vortrag des Klägers nicht, dass sich die Personalvertretung die Möglichkeit einer weiteren Stellungnahme stets offenhalte. Dieser Vortrag ist durch nichts belegt und wurde, nachdem er von der Beklagten bestritten wurde, im letzten Schriftsatz auch nicht weiter verfolgt.

D.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG und berücksichtigt neben der vorliegenden Entscheidung, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten wegen der außerordentlichen Kündigungen im Teilurteil vom 17.10.2007 voll unterlag.

Der Streitwert ist nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Für den Klageantrag zu 2. (alleinstehende ordentliche Kündigung, Anlage K4) waren drei Gehälter anzusetzen. Die weiteren hilfsweise ordentlichen Kündigungen waren nicht weiter zu berücksichtigen, nachdem im Teilurteil ein Wert für die außerordentlichen Kündigung angesetzt worden war.

Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, da kein Zulassungstatbestand im Sinne des § 64 Abs. 3 ArbGG vorliegt.

 

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