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Praktikum – Vergütungsanspruch

ArbG Berlin, Az.: 1 Ca 12048/11, Urteil vom 24.11.2011

I.

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 643,04 EUR (sechshundertdreiundvierzig, 04/100) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.08.2011 zu zahlen.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Nach einem Kostenstreitwert von 978,24 EUR hat von den Kosten des Rechtsstreits der Kläger 34 Prozent und die Beklagte 66 Prozent zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 669,99 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Vergütung; als Vorfrage streiten die Parteien darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Praktikum - Vergütungsanspruch
Symbolfoto: Mangostar/Bigstock

Der am … 1961 geborene Kläger erbrachte im Zeitraum vom 14.06. bis zum 07.07.2011 im Umfang von 65,75 Stunden für die Beklagte in einem ihrer Baumärkte Tätigkeiten insbesondere im Bereich des Außenlagers. Die Parteien hatten zuvor unter dem 09.06.2011 unter Beteiligung einer als Bildungsträger bezeichneten FAA Bildungsgesellschaft mbH N… einen „Kooperationsvertrag über ein betriebliches Training im Rahmen eines Trainingscenters nach §§ 48 ff. Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III)“ abgeschlossen. Wegen der Einzelheiten dieses Vertrages wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 7 und 8 d.A.) Bezug genommen. Der in diesem Vertrag erwähnte zu erstellende individuelle Schulungsplan existiert für den Kläger nicht. Der Kläger war in die Dienstpläne der Beklagten im fraglichen Zeitraum nicht eingeteilt. Er erhielt zu Beginn seiner Tätigkeit eine 5 – 10-minütige Unterrichtung zur Arbeitssicherheit und war dem zuständigen Teamleiter Logistik Herrn N… zugeteilt. Wegen der vom Kläger im Einzelnen verrichteten Tätigkeiten, deren Zeitanteilen sowie der Anteile der Tätigkeiten, die er ohne Anleitung verrichtete, wird auf die diesbezügliche Aufstellung im Schriftsatz vom 29.09.2011, Seiten 2 und 3 (Bl. 20 und 21 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger ist der Auffassung, er habe Tätigkeiten, wie sie Gegenstand eines regulären Arbeitsverhältnisses seien, überwiegend im Interesse der Beklagten und mit Inhalten, die regelmäßig nur gegen Vergütung erbracht würden, verrichtet. Auch der Umstand einer fehlenden Schulung und der ganz überwiegend ohne Anleitung oder Einweisung verrichteten Tätigkeiten spreche für ein reguläres Arbeitsverhältnis. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die in dem zu Grunde liegenden Vertrag zitierten Vorschriften aus dem SGB III zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits nicht mehr in Kraft waren.

Der Kläger ist der Ansicht, die ihm gem. § 612 Abs. 2 BGB zustehende Vergütung belaufe sich nach dem Entgelttarifvertrag für den Einzelhandel Berlin auf die Lohngruppe 2 Ost, also 10,19 EUR brutto die Stunde.

Er beantragt zuletzt unter Rücknahme eines weitergehenden Zahlungsanspruchs, die Beugte zu verurteilen, an ihn 669,99 EUR brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 %- Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (19.08.2011) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, im Hinblick auf die außer Kraft getretenen zitierten Paragraphen in dem Kooperationsvertrag sei die durchgeführte Maßnahme als Praktikum zu werten. Gegenstand sei die Erprobung und Heranführung an den ersten Arbeitsmarkt gewesen. Dem stehe nicht entgegen, dass wegen der vom Kläger verrichteten einfachen Arbeiten Herr N… nicht die ganze Zeit „neben dem Kläger“ habe stehen müssen. Die Beklagte behauptet, der Kläger sei nicht als Ersatz für fehlende Mitarbeiter eingesetzt worden, da der Bereich Logistik im fraglichen Zeitraum gut besetzt gewesen sei, was sie näher ausführt. Für den Fall, dass der Entgelttarifvertrag für den Einzelhandel Berlin heranzuziehen sei, müssten auch die dortigen Ausschlussfristen Anwendung finden, so dass ein etwaiger Vergütungsanspruch jedenfalls verfallen sei. Schließlich sei der Höhe nach nicht ersichtlich, warum ggf. die Lohngruppe 2 statt der Lohngruppe 1 einschlägig sein solle.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die in den Sitzungsniederschriften protokollieren Erklärungen der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist ganz überwiegend begründet.

I.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Vergütungsanspruch für die von ihm gearbeiteten 65,75 Stunden gem. § 612 BGB.

Bei dem den vom Kläger verrichteten Tätigkeiten zu Grunde liegenden Vertragsverhältnis handelte es sich nach Auffassung der Kammer um ein Arbeitsverhältnis.

Die Kammer vermochte zunächst nicht der Argumentation der Beklagten zu folgen, wonach es sich wegen Fehlens der zitierten Rechtsvorschriften also um ein Praktikumsverhältnis gehandelt haben müsse. So ist bereits der Charakter und Zweck eines Praktikums nicht mit dem in dem Kooperationsvertrag niedergelegten Zweck ohne weiteres gleichzusetzen: Während es nach dem Kooperationsvertrag gerade um die (Wieder-)Heranführung an den ersten Arbeitsmarkt unter Beteiligung eines Bildungsträgers geht, stellt ein Praktikum häufig die erste Vermittlung praktischer Kenntnisse für Berufsanfänger, häufig mit dem Ziel der anschließenden Begründung eines Arbeitsverhältnisses dar.

Für die Abgrenzung zwischen einem Arbeits- und anderen Vertragsverhältnissen, wie etwa einer freien Mitarbeit oder einem Praktikum, kommt es nicht auf die schriftlich niedergelegten oder sonst getroffenen Vereinbarungen, sondern darauf an, wie das Vertrags Verhältnis durchgeführt, also tatsächlich „gelebt“ wurde.

Danach spricht vorliegend mehr für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. So kommt zunächst die von den Parteien und dem eingeschalteten Bildungsträger zitierte Rechtsgrundlage der §§ 48 ff. SGB III zur Charakterisierung der Tätigkeiten als betriebliche Trainingsmaßnahme bereits deshalb nicht in Betracht, weil diese Vorschrift zum 01.01.2009 und damit zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kooperationsvertrages bereits rd. 2 ½ Jahre aufgehoben war. Weiter ist entgegen der Regelung in diesem Vertrag ein individueller Schulungsplan für den Kläger nicht erstellt worden; auch gab es keine gesonderte theoretische Unterweisung durch den Kooperationsbetrieb, sieht man von der 5 -10-minütigen Sicherheitsunterweisung zu Beginn der Tätigkeitsaufnahme ab.

Ob und ggf. wie die weiter in diesem Vertrag vorgesehene Eignungsfeststellung durchgeführt worden ist, ist weiter nicht ersichtlich.

Der Umstand, dass nach den Behauptungen der Beklagten der Kläger nicht als Ersatz für fehlende Mitarbeiter eingesetzt worden sein soll, vermag am Charakter der durchgeführten Tätigkeiten als Arbeitsverhältnis nichts zu ändern, ebenso wenig der Umstand, dass er nicht regulär in den Dienstplänen verplant war. Denn allein die Tatsache, dass der Kläger offenbar nicht auf einer „Planstelle“ der Beklagten zum Einsatz kam, macht die von ihm erbrachten Leistungen für die Beklagte nicht überflüssig. Vielmehr konnten dadurch die zu erbringenden Tätigkeiten schneller bzw. besser verrichtet werden, die regulär im Einsatz befindlichen Mitarbeiter wurden jedenfalls entlastet.

Berücksichtigt man weiter, dass nach den unbestritten gebliebenen Aufstellungen des Klägers lediglich 70 Minuten von insgesamt 65,75 Stunden unter Anleitung oder teilweiser Anleitung erfolgt sind, so war prägend für die rd. 3-wöchige Beschäftigung die selbstständige Verrichtung von Arbeit, die keiner Anleitung bedurfte und eine solche auch nicht erfuhr.

2.

Die übliche Vergütung beläuft sich für den Kläger lediglich auf die Lohngruppe 1 Ost nach dem Entgelttarifvertrag für den Einzelhandel Berlin. Denn nach der eigenen Argumentation des Klägers hat er ganz überwiegend Tätigkeiten verrichtet, die ohne Einweisung unmittelbar erbracht werden konnten. Damit verdrängt die diese Definition enthaltende Einführungsformulierung in der Lohngruppe 1 den in der Lohngruppe 2 lediglich als Regelbeispiel aufgeführten Begriff des Lagerarbeiters, andernfalls der Vortrag des Klägers widersprüchlich wäre. Damit beläuft sich der Anspruch für 65,75 Stunden auf 9,78 EUR brutto die Stunde, also 643,04 EUR brutto.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

3.

Der Anspruch ist auch nicht nach den tarifvertraglichen Ausschlussfristen verfallen.

Denn nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26.09.1990 (5 AZR 112/90), die sich die Kammer zu Eigen macht, gehören zu der üblichen Vergütung i.S.v. § 612 Abs. 2 BGB, wenn diese sich nach einer tariflichen Vergütung richtet, nicht die dort vorhandenen tariflichen Ausschlussklauseln.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 92 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Danach hat der Kläger einerseits hinsichtlich des zurückgenommenen weitergehenden Betrages i.H.v. 308,25 EUR, zum anderen im Hinblick auf sein teilweises Unterliegen hinsichtlich der Differenz der Vergütungsgruppen L 1 und L 2 für weitere 26,95 EUR, die Beklagte in Hinblick auf den zugesprochenen Betrag wegen ihres Unterliegens insoweit anteilig die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III.

Der gem. § 61 Abs. 1 ArbGG stets im Urteil festzusetzende Wert des Streitgegenstandes beläuft sich gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 3 Halbsatz 1, § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO auf die verbleibende Hauptforderung.

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