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Recht auf Arbeitsverweigerung in Zeiten Corona-Pandemie

ArbG Kiel – Az.: 6 Ca 1912 c/20 – Urteil vom 11.03.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf EUR 12.550,00 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund außerordentlicher hilfsweise ordentlicher Kündigung seitens der Beklagten vom 7. Dezember 2020, sowie hilfsweise für den Fall des Obsiegens über die Weiterbeschäftigung des Klägers und die Zahlung von Annahmeverzugsvergütung für die Monate Januar und Februar 2021. Die Erteilung eines Zeugnisses ist Gegenstand eines Anerkenntnisteilurteils. Der ursprünglich angekündigte hilfsweise Auflösungsantrag wurde ausdrücklich nicht gestellt.

Der am … 1984 geborene, ledige Kläger ist … Staatsangehöriger und bei der Beklagten seit 3. Dezember 2016 als Web-Entwickler in Vollzeit für ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt EUR 4.100,00 monatlich beschäftigt.

Die Beklagte ist Spezialisten in der Entwicklung von flexiblen webbasierten Applikationen und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der Kläger war bei der Beklagten der einzige Mitarbeiter mit dem Aufgabenbereich der Betreuung der Produktivsysteme.

Der Kläger hat dem Geschäftsführer der Beklagten im Zuge der Corona-Pandemie im März 2020 mitgeteilt, dass er Risikopatient sei. Der Kläger hat sodann wie die überwiegende Anzahl der Mitarbeiter der Beklagten seine Tätigkeit im Homeoffice fortgeführt.

Am 6. November 2020 bot der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger eine veränderte Position sowie die Neueinstellung von zwei Mitarbeitern für den bisher vom Kläger behandelten Bereich an. Dem Kläger wurde eine Gehaltserhöhung auf Euro 4.300,00 brutto angeboten.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 17. November 2020 einen fünfwöchigen Erholungsurlaub, damit er seine Familie in B. besuchen könne.

Die Beklagte genehmigte den Erholungsurlaub und wies den Kläger darüber hinaus an, die zwei für die bisherige Tätigkeit des Klägers neu eingestellten Mitarbeiter in den ersten beiden Dezemberwochen bis zu seinem Urlaubsbeginn vor Ort im Betrieb einzuarbeiten.

Tatsächlich arbeitete der Kläger die beiden neuen Mitarbeiter am 1. und am 4. Dezember im Betrieb ein. Unstreitig fand jedenfalls am 4. Dezember 2020 die Einarbeitung in einem 40 m² großen Besprechungsraum statt unter Einhaltung der üblichen Abstandsregeln. Um 13:00 Uhr beendete der Kläger die Einarbeitung eigenmächtig.

Im Zeitpunkt der Einarbeitung befanden sich zwei Projektmanager in der unteren Etage des Bürogebäudes. In der oberen Etage arbeiteten der Geschäftsführer der Beklagten in einem eigenen Büro sowie die beiden einzuarbeiten neuen Mitarbeiter und der Kläger in dem vorgenannten Besprechungsraum. Ob dies bereits am 1. Dezember 2020 der Fall gewesen ist, ist zwischen den Parteien strittig.

Gegen Mittag hat der Kläger gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten erklärt, dass er jetzt seine Einarbeitungstätigkeit beenden würde, da diese abgeschlossen sei. Nach Rücksprache des Geschäftsführers mit den beiden einzuarbeitenden Mitarbeitern, die diesem erläutert haben, dass die Einarbeitung bei weitem noch nicht abgeschlossen sei, hat der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger angewiesen, die Einarbeitung vor Ort in den Betriebsräumlichkeiten bis zum Urlaubsbeginn fortzusetzen. Dies hat der Kläger explizit gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten verweigert und das Betriebsgebäude ca. 13:00 Uhr verlassen und zugleich mitgeteilt, dass er auch in den folgenden Tagen bis zum Beginn des Urlaubs nicht mehr in den Betrieb kommen werde.

Am Montag, den 7. Dezember 2020, erschien der Kläger nicht in dem Betriebsgebäude. Daraufhin hat der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger elektronisch angeschrieben und ihn aufgefordert, wieder in den Betriebsräumlichkeiten der Beklagten die Einarbeitungstätigkeiten fortzusetzen. Der Kläger teilte dem Geschäftsführer daraufhin mit, dass er die Mitarbeiter bereits am 1. und 4. Dezember 2020 persönlich in der Firma trainiert habe, und er aus diesem Grund nicht mehr in die Firma kommen müsse, da seine Arbeit erledigt sei. Er teilte ferner mit, dass er wegen Corona nicht persönlich zur Arbeit gehen wolle, da seine Urlaubsreise in sein Heimatland B. bereits geplant sei, und er nicht das Risiko eingehen wollen, sich in der Firma noch zu infizieren. Daraufhin fragte der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger digital an, ob dies seine endgültige Entscheidung zu. Der Kläger bejahte dies.

Kurz darauf löschte die Beklagte alle Zugänge des Klägers zum Kommunikationssystem des Unternehmens.

Noch am gleichen Tag übergab die Beklagte dem Kläger eine schriftliche außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Hinsichtlich der ordentlichen Kündigung heißt es in dem Kündigungsschreiben:

„Hilfsweise kündige ich das Arbeitsverhältnis, letztmalig erneut durch den Arbeitsvertrag vom 01.01.2020, ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Gemäß § 2 Ihres Arbeitsvertrags beträgt die Kündigungsfrist zwei Monate zum Ablauf des Monats Dezember auf Basis Ihres Beschäftigungsverhältnisses seit dem 03.10.2016. Nach meiner Berechnung endet das Arbeitsverhältnis in diesem Fall zum 28.02.2021.“

Im Nachgang der Kündigung reiste der Kläger wie geplant nach B. und war ab dem 16. Februar 2021 wieder in Deutschland.

Unter dem 28. Dezember 2020, per ERV am gleichen Tag eingegangen, erhob der Kläger gegen die ausgestellte Kündigung Kündigungsschutzklage. Die per ERV eingereichte Datei mit der Kündigungsschutzklage ist in Bezug auf den nicht grau hinterlegten Textteil durchsuchbar, nicht hingegen hinsichtlich des grau hinterlegten Teils, der die Kontaktdaten der Klägervertreterin sowie die Bankverbindung und Steuernummer enthält. Der durchsuchbare Teil enthält die Adresse der Klägervertreterin sowohl im oberen Teil des Schriftsatzes als auch im Aktivrubrum.

Der Kläger ist der Auffassung, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung beendet worden sei. Er habe berechtigterweise seiner Arbeitsleistung lediglich aus dem Homeoffice angeboten. Der Kläger sei als Risikopatient – für sein Asthma legt der Kläger ein Gutachten eines … Arztes vom 03. Februar 2021 vor – nicht verpflichtet, seine Arbeitsleistung im Betrieb zu erbringen. Dies habe die Beklagte gewusst. Durch das Angebot, dass der Kläger seine Tätigkeit zukünftig im Homeoffice ausübe, sei sie nicht mehr berechtigt gewesen, den Kläger davon abweichend im Büro zu beschäftigen. Er habe die beiden neuen Mitarbeiter eingearbeitet, wobei am ersten Einarbeitungstag weder ein großer Raum zur Verfügung gestanden hätte, noch die Abstände eingehalten worden seien. Die Einarbeitungszeit sei beendet gewesen. Die neuen Mitarbeiter hätten den Kläger jederzeit digital ansprechen können, was allerdings nicht passiert sei. Die Beklagte sei mit der Arbeitsleistung des Klägers zufrieden gewesen, was das Angebot zur Vergütungserhöhung belege. Dem Kläger sei keine Abmahnung erteilt worden. Da er zu Recht seine Arbeitsleistung im Betrieb zurückgehalten habe, seien sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung unbegründet. Deshalb stehe ihm ein Weiterbeschäftigungsanspruch zu sowie Annahmeverzugsvergütung für die Monate Januar und Februar 2021 in Höhe von jeweils EUR 4.100,00 brutto.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 7. Dezember 2020 noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom gleichen Tag beendet wird;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen;

3. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit der Kündigungsschutzklage bezogen auf die fristlose Kündigung, den Kläger bis zum 28. Februar 2020 in voller Höhe von EUR 8.200,00 brutto bezüglich des Januar- und Februargehaltes zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Kündigung vom 7. Dezember 2020 das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Frist beendet habe, weil sie aus wichtigem Grunde zulässigerweise erfolgt sei. Es werde bereits bestritten, dass der Kläger tatsächlich aufgrund seiner Asthmaerkrankung in Bezug auf die Gefahr einer schweren Erkrankung ein Corona-Risikopatient sei. In jedem Falle habe die Beklagte den Kläger berechtigterweise angewiesen, die beiden Mitarbeiter in Präsenz im Betrieb vor Ort einzuarbeiten. Die urlaubsbedingte lange Abwesenheit des Klägers habe eine entsprechende Einarbeitung erfordert. Diese sei an den beiden Tagen unter Einhaltung aller Arbeitsschutzregeln erfolgt, aber nicht abgeschlossen gewesen. Insofern habe die Beklagte sowohl am 4. als auch am 7. Dezember 2020 den Kläger wiederholt aufgefordert, seine Einarbeitung im Betrieb fortzusetzen. Nachdem der Kläger dies mehrfach ausdrücklich sowohl am 4. als auch am 7. Dezember 2020 abgelehnt habe und auch die Frage des Geschäftsführers, ob dies sein letztes Wort sei, bejaht habe, sei die Beklagte berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung fristlos zu kündigen. Die Interessen auf sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses seitens der Beklagten überwögen die Fortsetzungsinteressen des Klägers. Hilfsweise sei jedenfalls die ordentliche Kündigung als verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt. Die Kündigungsfrist betrage laut Arbeitsvertrag nach Maßgabe der gesetzlichen Regelung einen Monat zum Monatsende. Insofern ende das Arbeitsverhältnis zum 31. Januar 2021 im Falle einer ordentlichen Kündigung. Der im Kündigungsschreiben genannte Zeitpunkt beruhe auf einem Irrtum der Beklagten.

Im Übrigen wird hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze, Unterlagen und Protokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

A. Die zulässige Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis ist wirksam durch die außerordentliche Kündigung seitens der Beklagten vom 7. Dezember 2020 beendet worden.

I. Es kann offenbleiben, ob die Klage bereits deshalb unbegründet ist, weil die Rechtsunwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung gemäß § 7 KSchG nicht rechtzeitig geltend gemacht worden ist. Eine Kündigungsschutzklage muss gemäß § 4 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung bei Gericht eingehen. Hier ist die Kündigungsschutzklage zwar am 28. Dezember 2020 innerhalb von drei Wochen ab Zugang der hier streitgegenständlichen Kündigung am 7. Dezember 2020 bei Gericht über den elektronischen Rechtsverkehr eingegangen.

1. Gem. § 46c Abs. 2 S. 1 ArbGG muss ein elektronisches Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Eignung wird konkretisiert durch die auf Grundlage von § 46c Abs. 2 S. 2 ArbGG ergangene Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronische-Rechtsverkehr-Verordnung-ERVV vom 24. November 2017 (BGB L. I S. 3803) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der ERVV vom 9. Februar 2018 (BGB l. I S. 200), im Folgenden: „ERVV“. Gem. § 2 ERVV ist das elektronische Dokument u.a., soweit technisch möglich, in durchsuchbarer Form zu übermitteln.

2. Die im PDF-A Format eingegangene Datei der Klagschrift ist jedoch auf der ersten Seite am rechten grau unterlegten Rand mit den Kanzleidaten nicht durchsuchbar. Es kann hier offenbleiben, ob eine Datei mit nicht durchsuchbarem Briefkopf § 2 Abs. 1 S. 1 ERVV entspricht.

a) Das Gericht hält § 46c Abs. 2 S. 1 ArbGG bzw. § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht lediglich für eine Ordnungsvorschrift. Ein Verstoß führt zur Unwirksamkeit des Eingangs (wie hier: BAG 12. März 2020 – 6 AZM 1/20 – Rn. 2 ff., juris; BAG 3. Juni 2020 – 3 ARZ 37/19 – 28 f., juris; LAG Hessen 7. September 2020 -18 SA 485/20 – 31 ff., juris; Arbeitsgericht Lübeck 9. Juni 2020 – 3 Ca 2203/19 – 22 ff., juris).

aa) Hierfür spricht bereits der Wortlaut von § 46c Abs. 2 Satz1 ArbGG: Das Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein.

bb) Soweit das Landgericht Mannheim (4. September 2020 – 1 S 29/20 – Rn. 22 ff., juris) dies mit Blick auf die Garantie des effektiven Rechtsschutzes auf den Fall einschränkt, wenn das eingereichte elektronische Dokument für das jeweilige Gericht tatsächlich nicht zur Bearbeitung geeignet ist, folgt dem das Gericht nicht. Es gilt gerade kein individueller für jedes Gericht unterschiedlicher Maßstab.

(1) Dies ergibt sich bereits aus § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG. Es sind nicht die individuellen Gegebenheiten vor Ort, die die Bearbeitbarkeit bestimmen, sondern die Bundesregierung, die trotz regional völlig unterschiedlicher EDV-Konzepte und Digitalisierungsstände einheitlich durch Rechtsverordnung die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen bestimmt. Hinzu kommt, dass § 2 ERVV in Abs. 1 Satz 1 überhaupt keinen Spielraum lässt („ist, soweit technisch möglich, in durchsuchbarer Form zu übermitteln“).

(2) Gegen einen individualisierten Maßstab spricht das in § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG konkretisierte Gebot der Rechtsklarheit. Die ERVV gilt insbesondere bereits zum jetzigen Zeitpunkt, obwohl die Gerichte aktuell bundesgesetzlich bislang noch keine Verpflichtung zur digitalen Akte trifft. Wird die Akte bei Gericht in Papierform geführt, so hätten sich die ERVV und § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG/§ 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO allein auf die Ausdruckbarkeit beschränken können. Der weitergehende Regelungsinhalt macht deutlich, dass § 2 ERVV durch § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG/§ 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO legitimiert und intendiert einen allgemeingültigen Standard für die Qualität der einzureichenden Schriftsatzdatei begründet.

(3) Soweit mit dem Justizgewährungsanspruch argumentiert wird, begründet dieser nicht den Ausschluss formeller Anforderungen an die Qualität eines Schriftsatzes.

(a) Das Unterschriftserfordernis unter analoge Schriftsätze ist ebenfalls eine zulässige und verfassungskonforme formelle Voraussetzung.

(b) Das Erfordernis der Durchsuchbarkeit eines Schriftsatzes oder auch die Einbettung der Schriften in einem nicht gescannten Schriftsatz stellt nach nunmehr zweijähriger Erfahrung mit der elektronischen Akte und dem elektronischen Rechtsverkehr lediglich eine anfängliche Herausforderung für die Einreichenden dar. Mittlerweile sind weit mehr als 95 % aller eingehenden Schriftsätze formal ordnungsgemäß. In fast allen Fällen wird nach entsprechendem Hinweis ein etwaiger Formfehler unverzüglich korrigiert. Der Einwand von Natter in juris PK – ERV Band 2, § 46c Rn. 57, dass die Gerichte – insbesondere bei nur begrenzter Digitalisierung der Akte – die formelle Überprüfung des eingehenden Schriftsatzes nur mit unverhältnismäßigem Aufwand vornehmen können, ist zwar sehr gut nachvollziehbar, aber aus Sicht des Gerichts kein hinreichendes Argument, die Vorgaben des § 2 ERVV nicht anzuwenden. Dies mag ein gewichtiges Argument, und so versteht das Gericht die Auffassung von Natter, für die zukünftige Änderung der ERVV sein bzw. für die fortschreitende Digitalisierung der Gerichte.

(c) Im Übrigen können die Formfehler über § 46c Abs. 6 ArbGG/§130a Abs. 6 ZPO noch folgenlos auf – gebotenen – Hinweis des Gerichts korrigiert werden.

b) Gleichwohl ist in jedem Fall bei allen formellen Voraussetzungen – wie hier die komplette Durchsuchbarkeit – bei der Auslegung auf Gesetz basierender Vorschriften stets eine Abwägung zwischen den formellen Voraussetzungen einerseits, die einen für alle geltenden Standard und damit Rechtssicherheit begründen, und der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes und eines fairen Verfahrens nach Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG andererseits vorzunehmen. Der Gesetzgeber darf zwar Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen aufstellen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken. Solche Einschränkungen müssen aber mit den Belangen einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den Rechtsuchenden nicht unverhältnismäßig belasten. (BVerfG 22. Oktober 2004 – 1 BvR 894/04 – unter II.2.a) der Gründe, juris; vgl. auch: BVerfG 2. Dezember 1987 – 1 BvR 1291/85 – unter C I der Gründe, juris, LG Mannheim 4. September 2020 – 1 S 29/20 – Rn. 29, juris, Arbeitsgericht Lübeck 9. Juni 2020 – 3 Ca 2203/19 – 29, juris).

aa) § 2 ERVV unterscheidet in Bezug auf die Durchsuchbarkeit nicht zwischen wichtigen und weniger wichtigen Teilen des Schriftsatzes. Aus dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit wäre es vorzuziehen, wenn der gesamte Schriftsatz einschließlich des Briefkopfes durchsuchbar sein müsste. Die Zulässigkeit der Schriftsatzeinreichung würde dann nicht von Wertungen des Gerichts abhängig sein. Für die Parteien und für Gerichte in verschiedenen Instanzen wäre objektiv klar, ob der Schriftsatz durchsuchbar ist oder nicht.

bb) Hiergegen spricht, dass der Briefkopf jedenfalls dann, wenn die Kanzleiadresse im Aktivrubrum in durchsuchbarer Form vorhanden ist, rechtlich völlig überflüssig ist. Die Angabe der Kontoverbindung oder der Sprechzeiten ist für die Zulässigkeit einer Klageerhebung erkennbar ohne Belang. Dies gilt, anders als bei der Frage der Bearbeitbarkeit, für alle Gerichte unabhängig vom Digitalisierungsgrad.

cc) Im Übrigen dürfte es ohnehin immer einen Restanteil von Wertungen geben, da die Briefbögen oft den Namenszug der Kanzlei in lesbarer, aber grafisch-künstlerischer Weise umgestalteter Form enthalten. Diese Anteile sind ohnehin nicht durchsuchbar, da sie digital als Bild dargestellt werden.

dd) Insofern spricht aus Gründen des Übermaßverbots viel dafür, den nicht durchsuchbaren Briefkopf in Gänze als Grafik ohne zu lesenden bzw. zu durchsuchenden Inhalt zu behandeln. Dies hätte allerdings jedenfalls für bestimmende Schriftsätze zur Folge, dass im zu lesenden Teil des Schriftsatzes das volle eigene Rubrum in Bezug auf den Prozessvertreter erforderlich wäre, was vorliegend der Fall war.

II. Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet, weil die Kündigung der Beklagten vom 7. Dezember 2020 aus wichtigem Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB erfolgt ist. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist hier ersichtlich eingehalten, die endgültige Verweigerung des Klägers, seine Arbeit im Büro der Beklagten auszuüben, erfolgte am 7. Dezember 2020. Am gleichen Tag ist ihm die Kündigung zugegangen.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (st. Rspr. BAG vgl. zuletzt 27. Juni 2019 – 2 AZR 28/19 – Rn. 16, juris).

2. Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, ist „an sich“ geeignet, selbst eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Das gilt nicht nur für die Weigerung, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, sondern auch für die Verletzung von Nebenpflichten. Ein Arbeitnehmer weigert sich beharrlich, seinen vertraglichen Pflichten nachzukommen, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht erfüllen will. Welche Pflichten ihn treffen, bestimmt sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Pflicht in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als falsch erweist (BAG 28. Juni 2018 – 2 AZR 436/17 – Rn. 16, juris).

3. Der Kläger hat sich beharrlich (b)) geweigert, seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, die Tätigkeit im Betrieb der Beklagten vor Ort zu erbringen, zu erfüllen. Die Beklagte war berechtigt, den Kläger anzuweisen, seine Tätigkeit vor Ort zu erbringen (a)).

a) Die Weisung der Beklagten, der Kläger möge seine Arbeitsleistung in den zwei Wochen vor dem Antritt seines fünfwöchigen Urlaubs im Betrieb vor Ort erbringen, ist sowohl durch den Arbeitsvertrag (aa)) als auch durch das arbeitsvertragliche Weisungsrecht (bb)) gedeckt.

aa) Der Arbeitsvertrag der Parteien ist nicht etwa auf eine Tätigkeit im Homeoffice konkretisiert mit der Folge, dass eine Arbeitgeberweisung, vor Ort im Betrieb tätig zu werden, ausgeschlossen wäre.

(1) Aus dem Arbeitsvertrag selber ergibt sich keine Festlegung auf eine Tätigkeit im Homeoffice. Gemäß § 1 des Arbeitsvertrages ist der Kläger als Web-Entwickler in K. eingestellt. Unter § 1 Unterpunkt 1.2 behält sich die Beklagte vor, den Kläger in einem anderen Betrieb oder an einem anderen Ort zu beschäftigen. Dies weist auf das allgemeine Weisungsrecht gemäß § 106 GewO auch bezüglich des Ortes der Arbeitsleistung hin. Eine Einschränkung ist nicht ersichtlich.

(2) Die Klägerseite trägt selbst nicht vor, dass sich der Arbeitsvertrag auf eine Tätigkeit ausschließlich im Homeoffice konkretisiert haben soll. Es wird lediglich vorgetragen, dass seit März 2020 die Mitarbeiter, so auch der Kläger, im Homeoffice arbeiten durften. Corona-bedingte Einschränkungen der zulässigen Arbeitsorte stellen lediglich eine Eingrenzung des Weisungsrechts gemäß § 106 GewO dar. Eine dauerhafte Konkretisierung des Arbeitsortes auf Arbeitsvertragsebene geht damit nicht einher. Dies ergibt sich schon daraus, dass andernfalls trotz Änderungen im Pandemiegeschehen eine einmal erfolgte Konkretisierung auf einen bestimmten Arbeitsort dauerhaft Bestand hätte.

bb) Die Weisung der Beklagten an den Kläger, zur Einarbeitung von zwei Mitarbeitern die Arbeitsleistung für zwei Wochen vor Urlaubsantritt im Betrieb vor Ort zu erbringen, ist wirksam. Das gemäß Arbeitsvertrag und gemäß § 106 S. 1 GewO bestehende Weisungsrecht der Beklagten hinsichtlich des Arbeitsortes entspricht billigem Ermessen gemäß § 315 BGB. Die Weisung ist nicht etwa schon deshalb unbillig, weil die Beklagte etwa damit ihre Pflichten gemäß § 618 Abs. 1 BGB iVm. den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen nicht genügt hätte mit der Konsequenz, dass dem Kläger gemäß § 275 BGB ein Zurückbehaltungsrecht zustünde ((1)). Anhaltspunkte, dass der Kläger arbeitsvertraglich nicht verpflichtet werden könnte, neue Mitarbeiter einzuarbeiten, sind nicht ersichtlich ((2)). Die Umstände vor Ort im Betrieb entsprachen den arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben ((3)). Die Weisung der Beklagten berücksichtigt die Interessen sowohl des Klägers als auch der Beklagten in hinreichendem Maße ((4)).

(1) Die Beklagte ist nicht gemäß § 618 Abs. 1 BGB gehalten, den Kläger ausschließlich im Homeoffice zu beschäftigen. § 618 Abs. 1 BGB begründet die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Örtlichkeit der Arbeitsleistung so zu gestalten, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, wie die Natur der Dienstleistung dies gestattet.

(a) Dieser Grundsatz wird ausgestaltet durch § 4 ArbSchG, wonach die Arbeit so zu gestalten ist, dass eine Gefährdung für das Leben sowie für die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst geringgehalten wird. Dabei sind der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen.

(b) Dies wird näher konkretisiert durch den Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 16. April 2020 sowie durch die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel vom 20. August 2020. Die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 27. Januar 2021 galt im Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung noch nicht. Gemäß II. 6. des Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 16. April 2020 sind Büroarbeiten lediglich nach Möglichkeit im Homeoffice auszuführen und zwar insbesondere dann, wenn die Büroräume von mehreren Personen mit zu geringen Schutzabständen genutzt werden müssten. Gemäß 4.2.4 der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel vom 20. August 2020 wird Homeoffice lediglich als Form der mobilen Arbeit mit der Möglichkeit, die Zahl der gleichzeitig im Betrieb anwesenden Beschäftigten zu reduzieren und die Einhaltung von Abstandsregeln zu unterstützen, dargestellt. Hieraus lässt sich insgesamt kein Zwang zum Homeoffice ableiten, schon gar nicht für Tätigkeiten, die ausschließlich vor Ort durchgeführt werden müssen.

(c) Das Maß des Klägers für einen besonders schweren Verlauf einer Corona-Erkrankung schließt die Beschäftigung vor Ort nicht generell aus.

(aa) Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer nicht allein mit mehr oder weniger hoher Gefährdung Risikopatient wäre, sondern wenn der Arbeitnehmer aufgrund Vorerkrankung ein attestiertes derartig hohes Risiko für einen schweren Corona-Erkrankungs-Verlauf hätte, dass jegliche Beschäftigung im Büro mit anderen Mitarbeitern unverantwortlich wäre.

(bb) Allein die Behauptung des Klägers, er sei aufgrund einer wie auch immer gearteten Asthmaerkrankung Risikopatient und der Umstand, dass der Geschäftsführer der Beklagten dies im März 2020 unbesehen übernommen hat, führt nicht zu einer wie zuvor skizzierten Ausnahmesituation.

(cc) Auch die im Nachhinein gefertigte Stellungnahme des behandelnden … Arztes schließt eine Beschäftigung im Betrieb schon dem Wortlaut nicht absolut aus. Ganz abgesehen davon, dass diese nicht zurückwirkt.

(2) Der Arbeitsvertrag der Parteien schließt eine Weisung dahingehend, dass der Kläger neue Mitarbeiter in seinem Aufgabenbereich einarbeitet nicht aus. Laut Arbeitsvertrag ist der Kläger als Web-Entwickler eingestellt. Die Einarbeitung neuer Mitarbeiter als Web-Entwickler im Arbeitsbereich des Klägers ist eine Annex-Tätigkeit, die in einer arbeitsteiligen Arbeitsorganisation zwingend erforderlich ist.

(3) Die Umstände vor Ort im Betrieb schließen die Beschäftigung des Klägers ebenfalls nicht aus. Der betriebliche Arbeitsplatz war jedenfalls ab dem 4. Dezember 2020 unstreitig im Hinblick auf Abstände, das Tragen von Mund-Nasenbedeckungen und Lüftung nicht zu beanstanden. Insbesondere liegt auch vom Kläger weder um den 4. und 7. Dezember 2020 noch in den Schriftsätzen im Kündigungsschutzverfahren ein weiterer konkreter Einwand gegen die Arbeitsbedingungen vor. Die Büroräume der Beklagten waren insgesamt fast menschenleer. Neben den einzuarbeitenden Mitarbeitern und dem Kläger in einem großen Konferenzraum war auf der gleichen Etage in einem eigenen Büro lediglich der Geschäftsführer tätig. Zwei weitere Mitarbeiter arbeiteten in einer anderen Etage vor Ort. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte ihre Mitarbeiter nicht hinreichend über die betrieblichen Hygieneregeln in Zeiten der Corona-Pandemie informiert und angewiesen hat, sind nicht ersichtlich.

(4) Die Weisung der Beklagten an den Kläger, vor Ort zu arbeiten, entspricht auch unter Berücksichtigung aller Interessen billigem Ermessen im Sinne von § 315 BGB.

(a) Zu Gunsten des Klägers ist dessen Gesundheitsstatus zu berücksichtigen mit einem zumindest leicht erhöhten Infektionsrisiko und das generell erhöhte Risiko, sich statt zuhause zu bleiben im Betrieb mit dem Sars-CoV-2-Virus zu infizieren.

(b) Zu Gunsten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit vor Ort nur auf einen begrenzten Zeitraum beschränkt sein sollte, nämlich auf den zweiwöchigen Zeitraum für die Einarbeitung von zwei Mitarbeitern.

(c) Die Einarbeitung von Mitarbeitern darf ein Arbeitgeber in Präsenz organisieren.

(aa) Neu eingestellte Mitarbeiter werden sowohl hinsichtlich der zu leistenden Arbeit als auch hinsichtlich den Gepflogenheiten sinnvollerweise im Betrieb eingearbeitet. Es kann nicht verlangt werden, dass dies zwingend rein digital erfolgt. Es handelt sich hier um Menschen mit entsprechenden Ängsten und Unsicherheiten in völlig neuer Arbeitsumgebung und nicht etwa um Maschinen. Ein Arbeitgeber kann im Sinne dieser Mitarbeiter verlangen, dass diese von Angesicht zu Angesicht in ihrem neuen Tätigkeitsbereich eingeführt werden.

(bb) In diesem Zusammenhang bestimmt auch der Arbeitgeber, wann eine Einarbeitung beendet ist. Dies gilt umso mehr, wenn die Einzuarbeitenden selbst sich noch nicht hinreichend eingearbeitet fühlen.

(cc) Der Umstand, dass eine Kommunikation selbstverständlich gerade im IT-Business auch digital erfolgen kann, ersetzt auch in diesem Bereich in der neuralgischen Phase des Einarbeitens keine persönliche, direkte Kommunikation. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als dass der Kläger unstreitig eine neuralgische Stelle im Unternehmen innehatte und in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten ein Alleinstellungsmerkmal aufwies.

(dd) Die Beklagte hat dem Kläger einen fünfwöchigen Urlaub genehmigt und war insofern erkennbar darauf angewiesen, dass die beiden neuen Mitarbeiter in Bezug auf die Tätigkeit vom Kläger als einzigen Kompetenzträger wirklich gut eingearbeitet werden. Dabei erscheint eine Einarbeitungszeit von zwei Wochen ohnehin als eher kurz.

(ee) Angesichts der Arbeitsbedingungen vor Ort mit einem großen Raum, der ausreichende Abstand ermöglicht und dem Tragen von Mund-Nasenbedeckung ist die Einarbeitung verantwortbar.

(ff) In keinem Fall hat die Beklagte allerdings bei der Ermessensausübung das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser auch tatsächlich während seines Urlaubs nach B. reisen kann, indem er sich vorab quasi in häusliche Quarantäne begibt. Die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung ist keine Vorbereitung für einen geglückten Urlaub.

cc) Dem Kläger steht auch kein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 275 Abs. 3 BGB zu.

(1) Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung. Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist, weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt. Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden. Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst – nicht eines seiner nahen Angehörigen – ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss (BAG 22. Oktober 2015 – 2 AZR 569/14 – Rn. 26, juris)

(2) Zum einen ist der vorgenannte Abwägungsvorgang bereits im Rahmen des billigen Ermessens gemäß § 315 BGB auf Arbeitgeberseite berücksichtigt worden.

(3) Selbst, wenn man unterstellte, dass § 275 Abs. 3 BGB ein weitergehendes Verweigerungsrecht auch gegen eine ermessensfehlerfreie Weisung enthielte, liegt dieses hier offenkundig nicht vor.

(a) Wie bereits ausgeführt, reicht es nicht aus, dass der Kläger ein Risikopatient ist. Das Maß des erhöhten Risikos an Corona zu erkranken ist völlig unklar.

(b) Der Kläger beruft sich bei seiner Leistungsverweigerung nicht auch gar nicht darauf, dass es ihm generell unzumutbar sei, im Betrieb vor Ort zu arbeiten, sondern auf die mögliche Gefährdung seines Urlaubsplans – Reise nach B. – durch die Tätigkeit vor Ort. Dieses seiner Leistung entgegenstehende Hindernis ist in jedem Fall deutlich weniger gewichtig als das Leistungsinteresse der Beklagten. Dies gilt umso mehr, als dass der über fünf Wochen andauernde Urlaub eine qualifizierte und erfolgreiche Einarbeitung der neuen, den Kläger im Urlaub vertretenden Mitarbeiter, in ganz besonderem Maße voraussetzt.

b) Die Arbeitsverweigerung des Klägers war auch beharrlich.

aa) Danach setzt die beharrliche Arbeitsverweigerung in der Person des Arbeitnehmers Nachhaltigkeit im Willen voraus; der Arbeitnehmer muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass er eine Weisung des Arbeitgebers nicht befolgt, vielmehr muss eine intensive Weigerung vorliegen. Das Moment der Beharrlichkeit kann allerdings auch schon darin zu sehen sein, dass der Arbeitnehmer in einem einmaligen Fall eine Anweisung nicht befolgt; das muss dann aber zB durch eine vorhergehende erfolglose Abmahnung verdeutlicht werden (BAG 2001 – 2 AZR 580/99 – unter II.2.a) der Gründe, juris).

bb) Die Weigerung des Klägers ist hier beharrlich, weil sie trotz zwischenzeitlicher Überlegungszeit mehrfach erfolgt ist und vom Kläger als letztes Wort verstanden wird. Bereits am 4. Dezember 2020 hatte der Geschäftsführer Beklagten dem Kläger für diesen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass dieser die Einarbeitung vor Ort fortsetzen muss. Eine Tätigkeit im Homeoffice war ausdrücklich keine Alternative für den Geschäftsführer. Gleichwohl hat der Kläger am 7. Dezember 2020 seine Tätigkeit nicht vor Ort angeboten. Daraufhin hat der Geschäftsführer den Kläger nochmals angewiesen, seine Tätigkeit vor Ort aufzunehmen. Dies hat der Kläger wiederum abgelehnt. Erst danach hat der Geschäftsführer den Kläger gefragt, ob dies sein letztes Wort sei. Dies hat der Kläger bejaht. Damit hat der Kläger objektiv zum Ausdruck gebracht, dass er bis zum Urlaubsantritt seine Arbeit auf keinen Fall mehr im Betrieb anbieten werde. Der Geschäftsführer durfte den Kläger hier beim Wort nehmen.

cc) Der Kläger befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

(1) Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein. Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (BAG 22. Oktober 2015 – 2 AZR 569/14 – Rn. 42 – 43, juris).

(2) Es ist nicht zu erkennen, dass sich der Kläger vorher sorgfältig mit der Sach- und Rechtslage auseinandergesetzt hat oder dass ein deutlich unternormales Prozessrisiko bestanden hätte.

4. Die Interessenabwägung im Einzelfall führt dazu, dass die Interessen der Beklagten auf sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Klägers auf auch nur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist überwiegen.

a) Zu Gunsten des Klägers sind seine gesundheitliche Situation, die besondere Pandemiesituation und seine mehr als vierjährige Beschäftigung bei der Beklagten zu berücksichtigen. Zweifellos ist die Beklagte mit der Arbeitsleistung des Klägers als solcher zufrieden, wie sich auch aus dem Angebot der Beklagten auf Erhöhung der Vergütung ergibt.

b) Nicht zu Gunsten des Klägers spricht, dass hier zuvor keine einschlägige Abmahnung ausgesprochen worden ist.

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 340 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 – Rn. 22, juris).

bb) Hier ist bereits von vornherein ersichtlich, dass der Kläger sein Verhalten auch nach Erteilung einer Abmahnung nicht ändern würde. Die Beklagte hat den Kläger mehrfach in einer Situation, in der es auf jeden Tag der Einarbeitung vor dem urlaubsantritt ankam, eindringlich auf seine Verpflichtung, die Arbeitsleistung vor Ort zu erbringen, hingewiesen und ihn zur Arbeit aufgefordert. Der Kläger hat mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er dem nicht Folge leisten werde. Dabei handelt es sich auch nicht um eine dem konkreten Augenblick geschuldete Überreaktion. Er hat bereits vor dem 4. Dezember 2020 seine Arbeitsleistung entgegen der ausdrücklichen Anweisung des Geschäftsführers der Beklagten nicht durchgängig vor Ort erbracht und seine Tätigkeit am 4. Dezember eigenmächtig eingestellt. Auf die Anweisung des Geschäftsführers hat er noch an diesem Tag die Arbeitsleistung vor Ort verweigert. Auch nach dem Wochenende, an dem der Kläger hinreichend Zeit hatte, seine Sicht zu überdenken, ist der Kläger bei der Arbeitsverweigerung verblieben. Und schließlich ist der Kläger auch dann noch dabeigeblieben, als der Geschäftsführer ihn konkret befragt hat, ob dies sein letztes Wort sei. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger nach dieser Abfolge durch eine entsprechende Abmahnung noch umgestimmt worden wäre.

cc) Hinzu kommt, dass die Arbeitsverweigerung des Klägers eine ausgesprochen schwerwiegende Arbeitsvertragsverletzung darstellt. Sie erfolgte aus rein eigensüchtigen Gründen, um seinen Urlaub in B. nicht zu gefährden. Einerseits gewährt die Beklagte dem Kläger Urlaub für einen ausgesprochen langen Zeitraum von fünf Wochen. Andererseits interessiert sich der Kläger im Gegenzug nicht dafür, dass er in dieser langen Zeit auch angemessen vertreten werden kann.

c) Entscheidend zu Lasten des Klägers und zu Gunsten der Beklagten auf eine sofortige Beendigung spricht die schon zuvor erwähnte Schwere des Vertragsverstoßes.

aa) Der Kläger begründet seine Arbeitsverweigerung nicht einmal mit seinem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf, sondern mit der Gefährdung seiner Urlaubsreise.

bb) Im Übrigen ist es wenig glaubhaft, von einem besonderen Erkrankungsrisiko auszugehen und dann das Risiko einer Reise nach B. einzugehen. Unabhängig von den damaligen Inzidenzwerten bestand jedenfalls zum Zeitpunkt des Urlaubsantritts eine Reisewarnung. B. ist seit dem 15. Juni 2020 als Risikogebiet klassifiziert (RKI Information zur Ausweisung internationaler Risikogebiete durch das Auswärtige Amt, BMG und BMI Stand 12. März 2021). Der Kläger kann nicht einerseits aufgrund seiner besonderen Gefährdung verlangen, dass er seine Arbeit ausschließlich im Homeoffice zu erbringen habe, um andererseits die Gefährdung durch eine Reise in ein Risikogebiet, sei es auch aus familiären Gründen, im Privaten ohne weiteres einzugehen.

cc) Hinzu kommt, dass dem Kläger aufgrund seiner besonderen Position unmittelbar klar sein musste, wie wichtig der Beklagten die akkurate Einarbeitung der neuen Kollegen war. Der Kläger hat hier mit bemerkenswerter Deutlichkeit seine eigenen Urlaubsinteressen über die Interessen der Beklagten auf einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf gestellt.

dd) Dies wiegt so schwer, dass das objektive Vertrauen der Beklagten in den Kläger derartig erschüttert ist, dass dieser eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten war.

III. Da der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage in Bezug auf die außerordentliche Kündigung unterlegen ist, war über seine Kündigungsschutzklage in Bezug auf die ordentliche Kündigung nicht mehr zu entscheiden. Der Antrag ist zum einen als hilfsweiser Antrag für den Fall des Obsiegens mit der Kündigungsschutzklage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung zu werten, dessen prozessuale Bedingung nicht eingetreten ist. Zum anderen ist die zulässige Bedingung der ordentlichen Kündigung, nämlich die Unwirksamkeit der gleichzeitig ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung, nicht eingetreten, sodass schon der Gegenstand für die weitere Kündigungsschutzklage entfallen ist.

IV. Die weiteren ausdrücklich hilfsweise gestellten Anträge auf Weiterbeschäftigung und auf Zahlung von Vergütung für die Monate Januar und Februar 2021 fallen mangels Bedingungseintritts ebenfalls nicht zur Entscheidung an.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO in Bezug auf den hier entschiedenen Streitgegenstand. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtstreits zu tragen. In Bezug auf den durch Anerkenntnis-Teilurteil entschiedenen Streitgegenstand gilt § 92 Abs. 2 ZPO. Der Streitgegenstand „Zeugnis“ ist im Verhältnis zum Gesamtwert der Streitgegenstände unbedeutend und führt im Übrigen zu keinem Gebührensprung.

C. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf dem Rechtsgedanken von § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG. Es werden drei Bruttomonatsgehälter à EUR 4.100,00 in Ansatz gebracht sowie bzgl. des Anerkenntnis-Teilurteil zusätzlich der Streitgegenstand „Erteilung eines Zeugnisses“ berücksichtigt. Hier wird pauschal ein Wert von EUR 250,00 in Ansatz gebracht, da lediglich ein Zeugnis ohne inhaltliche Festlegung beantragt und ausgeurteilt wurde.

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