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Rechtliche Prüfung einer arbeitsschutzrechtlichen Gefährdungsbeurteilung

ArbG Hamburg – Az.: 17 BV 1/14 – Beschluss vom 03.07.2014

Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle zur Regelung der Gefährdungsbeurteilung im Betrieb Hamburg vom 11. Dezember 2013 rechtsunwirksam ist.

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Gefährdungsbeurteilung“.

Im Hamburger Betrieb der Arbeitgeberin war eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Umsetzung der Regelungen über die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 ArbSchG“ gebildet worden.

Am 11. Dezember 2013 entschied die Einigungsstelle über den Regelungsgegenstand durch Spruch. Darin heißt es (Anlage A 2 – Bl. 23 [24] d.A.):

„Spruch

3. Beurteilung der Arbeitsbedingungen

(3) Die zu untersuchenden Beschäftigtengruppen sind in der Anlage 1 aufgeführt. Sollten neue Beschäftigtengruppen entstehen, werden diese in die Aufzählung der Anlage 1 aufgenommen.

(8) Die einzelnen Verfahrensschritte von den vorbereitenden Arbeiten, der Auswahl der Arbeitsplätze, der Methoden der Beurteilung, der Skalierung bis zum Maßnahmenvorschlag sind entsprechend der Anlage 3 vereinbart.

…“

Die Anlage 1 zum Spruch regelt (Anlage A 2 – Bl. 23 [34] d.A.):

„Anlage 1

In der Geschäftsstelle werden folgende Beschäftigtengruppen untersucht:

  • Geschäftsstellenleiter
  • Servicegruppenleiter
  • Vertrauensmannbetreuer
  • Vertriebsgruppenleiter
  • Service-Sachbearbeiter
  • Terminierer
  • Vertriebssachbearbeiter
  • Vorsorgespezialist
  • Finanzierungsberater

In der Schadenaußenstelle werden folgende Beschäftigtengruppen untersucht:

  • Schadenaußenstellenleiter
  • Schadengruppenleiter
  • Betrugsspezialist Schadenaußenstelle
  • Eigener Sachverständiger
  • Schadensachbearbeiter
  • Prozesssachbearbeiter
  • Sachschadenaußenregulierer (SASKOR)

Im Kundenbetreuungscenter werden folgende Beschäftigtengruppen untersucht:

  • Bereichsleiter Kundenbetreuung
  • Gruppenleiter Kundenbetreuung
  • Sachbearbeiter Kundenbetreuung
  • Servicemitarbeiter“

Die Anlage 3 zum Spruch regelt (Anlage A 2 – Bl. 23 [88] d.A.):

„Anlage 3

2. Auswahl der zu beurteilenden Arbeitsplätze

rechtliche Prüfung einer arbeitsschutzrechtlichen Gefährdungsbeurteilung
Symbolfoto: Von Phovoir /Shutterstock.com

[1]Soweit die Tätigkeiten innerhalb der einzelnen Beschäftigtengruppen aufgrund ihrer Standardisierung vergleichbar und die Arbeitsbedingungen gleichartig im Sinne des § 5 Abs. 2 ArbSchG sind, werden je Beschäftigtengruppe ausgewählte Arbeitsplätze untersucht. Die Auswahl der zu untersuchenden Arbeitsplätze erfolgt in diesem Fall mit folgender Maßgabe:

[2]Aus jeder vergleichbaren Beschäftigtengruppe (Anlage 1) werden 10%, jedoch höchstens 6 Mitarbeiter ausgewählt. Diese werden von der örtlichen Leitung und dem örtlichen Betriebsrat gemeinsam benannt. Hierbei sind Kriterien wie das Alter, die Qualifikation/Dauer der Zugehörigkeit zur jeweiligen Beschäftigtengruppe (Routine), das Arbeitszeitmodell (Vollzeit/Teilzeit) und die Arbeitsumgebungsbedingungen hinreichend zu berücksichtigen. Soweit kein Einvernehmen herzustellen sein sollte, wird im Losverfahren entschieden. Bei wesentlichen Abweichungen innerhalb der Beschäftigtengruppe sind die abweichenden Arbeitsbedingungen insoweit einer eigenen Beurteilung zu unterziehen.

…“

Der Betriebsrat ist der Auffassung, der Einigungsstellenspruch sei aus Rechtsgründen rechtsunwirksam und nur solche Gründe mache er geltend.

Die Einigungsstelle habe es unterlassen festzulegen, welche Arbeitsplätze untersucht werden sollten und für jeden zu untersuchenden Arbeitsplatz konkret festzulegen, welche möglichen Gefährdungen auf welche methodische Weise beurteilt werden sollten. Insbesondere habe die Einigungsstelle keinerlei Arbeitsplätze festgelegt, die zu untersuchen seien, sondern dies den Betriebsparteien überlassen und im Zweifelsfall das Losverfahren vorgesehen (Anlage 3 Ziff. 2 Einigungsstellenspruch).

Mit dem am 10. Januar 2014 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen und zuletzt in der Sitzung vom 03. Juli 2014 (Bl. 141 [142] d.A.) geänderten Antrag beantragt der Betriebsrat

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle zur Regelung der Gefährdungsbeurteilung im Betrieb Hamburg vom 11. Dezember 2013 rechtsunwirksam ist.

Die Arbeitgeberin beantragt, den Antrag abzuweisen.

Die Arbeitgeberin entgegnet, der Spruch der Einigungsstelle sei wirksam, insbesondere habe die Einigungsstelle konkret, nämlich auf eine abstrakt-generelle Weise festgelegt, welche Arbeitsplätze zu untersuchen seien (Anlage 3 Ziff. 2 Einigungsstellenspruch). Dies habe sie nicht den Betriebsparteien überlassen.

Auf den Tatsachenvortrag der Beteiligten in ihren Schriftsätzen und Anlagen sowie in ihren protokollierten Erklärungen wird ergänzend Bezug genommen.

B.

Der zulässige Antrag des Betriebsrats ist begründet.

I.

Der Antrag ist im Beschlussverfahren sowie im Übrigen zulässig.

Das Beschlussverfahren ist die zulässige Verfahrensart (§ 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG). Es handelt sich um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Der Betriebsrat ist antragsbefugt (§ 81 ArbGG). Er macht eigene Rechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG geltend. Auch das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben (§ 256 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 ArbGG). Eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle hat feststellende und nicht rechtsgestaltende Wirkung. Deshalb ist die Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs zu beantragen, nicht seine Aufhebung (BAG, Beschluss vom 08. Juni 2004 – 1 ABR 4/03 –, AP Nr. 20 zu § 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle, B II 1 der Gründe, m.w.N.).

II.

Der Antrag ist begründet. Der Spruch der Einigungsstelle vom 11. Dezember 2013 zur Regelung der Gefährdungsbeurteilung im Hamburger Betrieb der Arbeitgeberin ist rechtsunwirksam, weil er eine eigene Entscheidung in den zu regelnden Angelegenheiten teilweise nicht selbst trifft, sondern die Entscheidungsbefugnis an die Betriebsparteien zurückgibt und hilfsweise einem Losverfahren überlässt.

1. Bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Abs. 1 ArbSchG hat der Arbeitgeber für jeden Beschäftigten zu überprüfen, ob und ggf. welche Gefährdungen mit seiner Arbeit verbunden sind. Durch diese Beurteilung ist zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbSchG ist diese Beurteilung je nach Art der Tätigkeiten vorzunehmen. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG genügt bei gleichartigen Bedingungen die Beurteilung der Arbeitsbedingungen eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit. Damit stellen sich bei einer Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich jedes Beschäftigten zumindest die Fragen, welche Tätigkeiten beurteilt werden sollen, worin die mögliche Gefahr bei der Arbeit besteht, woraus sie sich ergibt und mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer solchen Gefährdung festgestellt werden sollen. Daneben ist die (Rechts-)Frage zu klären, inwieweit die Arbeitsbedingungen mehrerer Beschäftigter gleichartig sind und deshalb die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreicht (BAG, Beschluss vom 08. Juni 2004 – 1 ABR 4/03 –, AP Nr. 20 zu § 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle, B III 4 b aa der Gründe).

2. Durch den angefochtenen Spruch der Einigungsstelle wurden diese Fragen nur unzureichend geregelt. Bereits die Frage, welche konkreten Arbeitsplätze einer Gefährdungsbeurteilung unterworfen werden sollen, regelt der Spruch nicht ausreichend genau.

a) Zwar führt der Einigungsstellenspruch in der Anlage 2a (Anlage A 2 – Bl. 23 [35-71] d.A.) auf 74 Seiten aus, welche Tätigkeiten im Betriebe der Arbeitgeberin überhaupt ausgeführt werden. Auch benennt der Spruch in der Anlage 1 (Anlage A 2 – Bl. 23 [34] d.A.) getrennt nach Geschäftsstelle, Schadenaußenstelle und Kundenbetreuungscenter insgesamt 20 Beschäftigtengruppen.

Er regelt aber nicht, was erforderlich wäre, welche konkreten Arbeitsplätze aus der jeweiligen Beschäftigtengruppe im Sinne von § 5 Abs. 2 ArbSchG gleichartige Arbeitsbedingungen aufweisen, sondern lässt diese Rechtsfrage offen. Darüber hinaus, aufbauend auf dieser ungeklärten Rechtsfrage, regelt der Spruch nicht abschließend, was auch erforderlich wäre, welche Arbeitsplätze, an denen gleichartige Arbeitsbedingungen herrschen sollen, im Einzelnen zu untersuchen sind, sondern trifft lediglich quantitative Regelungen (10% der Arbeitsplätze einer vergleichbaren Beschäftigtengruppe, höchstens sechs Arbeitsplätze), ohne die einzelnen Arbeitsplätze zu benennen. Vielmehr gibt der Einigungsstellenspruch diese Entscheidungsbefugnis unter Auflagen (Alter, Qualifikation/Dauer der Zugehörigkeit zur jeweiligen Beschäftigtengruppe, Arbeitszeitmodell und Arbeitsumgebungsbedingungen seien als [qualitative] Kriterien zu berücksichtigen) an die Betriebsparteien zurück und erfüllt damit seinen Regelungsauftrag nicht. Diese Entscheidung hätte die Einigungsstelle selbst treffen müssen.

b) Überdies sieht der Einigungsstellenspruch für den Fall, dass kein Einvernehmen über die Auswahl der konkret zu untersuchenden Arbeitsplätze zwischen den Betriebsparteien herzustellen sein sollte, das Losverfahren als Konfliktlösungsmechanismus vor (Anlage 3 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 4 Einigungsstellenspruch). Dies ist dem Betriebsverfassungsgesetz im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung fremd (§ 87 Abs. 2 BetrVG).

c) Die Unwirksamkeit der von der Einigungsstelle beschlossenen Verfahrensvorschriften über die Auswahl der zu untersuchenden Arbeitsplätze führt nach dem der Vorschrift des § 139 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken zur Unwirksamkeit des gesamten Einigungsstellenspruchs, weil der verbleibende Teil ohne die unwirksamen Bestimmungen keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält. Ohne die ausreichende Konkretisierung der zu untersuchenden Arbeitsplätze stellt der Einigungsstellenspruch keine sinnvolle Regelung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG dar (vgl. BAG, Beschluss vom 09. Juli 2013 – 1 ABR 19/12 –, NZA 2014, 99, zu B II 4 der Gründe, m.w.N. – für den Fall einer teilunwirksamen Dienstplanregelung).

III.

Diese Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei (§ 2 Abs. 2 GKG). Eine gesonderte Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten ist wegen der Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens nicht zu treffen (BAG, Beschluss vom 20. April 1999 – 1 ABR 13/98 –, AP Nr. 43 zu § 81 ArbGG 1979, stRspr).

 

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