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Rechtmäßigkeit von Streikmaßnahmen

ArbG Darmstadt, Az.: 7 Ga 7/15, Urteil vom 11.11.2015

1. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung werden zurückgewiesen.

2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 4.000.000,– Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Unterlassung von Streikmaßnahmen.

Die Verfügungsklägerin ist die Obergesellschaft des A-Konzerns und beschäftigt gemeinsam mit ihren Tochterunternehmen insgesamt ca. 110.000 Mitarbeiter, davon etwa 19.000 Mitarbeiter als Kabinenpersonal. Die Verfügungsbeklagte ist eine Gewerkschaft, die im Bereich der A-Unternehmen das Kabinenpersonal repräsentiert.

Bei der Verfügungsklägerin existiert ein (auch) mit dem Verfügungsbeklagten abgeschlossener und bislang ungekündigter Manteltarifvertrag Nr. 2 vom 31. Juli 2013 (im Folgenden: MTV), wegen dessen Inhalts auf Bl. 354 bis 418 d.A. Bezug genommen wird. Die Tarifverträge zur Übergangsversorgung vom 1. Juli 2003 und zur Altersversorgung vom 1. Januar 2002 kündigte die Verfügungsklägerin mit Wirkung zum 31. Dezember 2013. Wegen dieser Regelwerke wird auf Bl. 419 bis 454 d.A. verwiesen.

Aufgrund der Kündigung kam es am 21. Juli 2015 zu einer Vereinbarung „Agenda Kabine“ (Bl. 457 bis 482 d.A.), die zu einem Schlichtungsverfahren von März 2015 bis Juni 2015 führte. Darin wurden u.a. die Themen des Mindestalters für Versorgungsansprüche und der Umstellung der Versorgung von einer festen betragsmäßigen Zusage auf ein beitragsbezogenes System erörtert. Dieses Verfahren endete mit der Schlichtungsempfehlung vom 20. Juni 2015, welche schließlich zu Regelungsvorschlägen beider Seiten vom 13. und 19. Oktober 2015 (Bl. 484 ff. d.A.) führte. Nachdem kein Einvernehmen erzielt werden konnte, drohte der Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 2. November 2015 (Bl. 504 f d.A.) Streikmaßnahmen an. Auf das Angebotsschreiben der Verfügungsklägerin vom 4. November 2015 rief der Verfügungsbeklagte zu Streiks am 6. November 2015 und sukzessive am 7., 9., und 10. November und schließlich bis zum 13. November 2015 auf. Wegen des Streikaufrufs vom 9. November 2015 wird auf Bl. 556 bis 557 d.A. und wegen des Streikaufrufs vom 10. November 2015 wird auf die Anlage zum Protokoll Bezug genommen.

Am 9. November 2015 übermittelte die Verfügungsklägerin der Gegenseite um 18.27 Uhr ein weiteres Angebot, welches der Verfügungsbeklagte umgehend ablehnte.

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, dass sie einen Unterlassungsanspruch habe, weil der Streik rechtswidrig sei. Sie meint, die Streikforderung sei unbestimmt und beruft sich dabei auf die ihrer Meinung nach ungeklärten Punkte. Insoweit wird insbesondere auf Bl. 331 bis 335 d.A. Bezug genommen. Mangels Bestimmtheit habe sie keine Möglichkeit, den Streik durch eine Annahme der Tarifforderungen zu beenden. Ferner sei die Friedenspflicht verletzt. Der Verfügungsbeklagte fordere eine Übergangsversorgung bei dauernder Flugdienstuntauglichkeit, obwohl § 20 MTV eine umfassende und als abschließend anzusehende Regelung in Form der Gewährung einer Fortzahlung des Grundentgelts für die Zeit zwischen Feststellung der Untauglichkeit und dem Ablauf der Kündigungsfrist vorsehe. Damit sei kein Raum für einen Arbeitskampf mit diesem Ziel.

Rechtmäßigkeit von Streikmaßnahmen
Symbolfoto: Creatista/Bigstock

Die Verfügungsklägerin beantragt

1.

der Verfügungsbeklagten wird es untersagt,

1.1

ihre Mitglieder und alle Kabinenbeschäftigten der Verfügungsklägerin am Standort Frankfurt (FRA) zu Streiks am Dienstag, 10. November 2015, 4.30 bis 23.00 Uhr, bei der Verfügungsklägerin betreffend Flüge auf der gesamten Langstreckenflotte aufzurufen und / oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen;

1.2

ihre Mitglieder und alle Kabinenbeschäftigten der Verfügungsklägerin am Standort München (MUC) zu Streiks am Dienstag, 10. November 2015, 5.00 bis 24.00 Uhr, bei der Verfügungsklägerin betreffend Flüge auf der gesamten Langstreckenflotte aufzurufen und / oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen;

1.3

ihre Mitglieder und alle Kabinenbeschäftigten der Verfügungsklägerin an den Standorten Frankfurt (FRA) und München (MUC) zu Streiks von Mittwoch, 11. November 2015, 4.00 bis Freitag, 13. November 2015, 24.00 Uhr, bei der Verfügungsklägerin betreffend Flüge auf der gesamten Flotte (Kurz- und Langstreckenmuster) aufzurufen und / oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen;

2.

der Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Unterlassungsverpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Vorsitzenden, G.H., angedroht.

Der Verfügungsbeklagte beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass der Streik rechtmäßig sei. Die Streikforderung sei schon wegen des Verlaufs der 16-monatigen Verhandlungen und der bereits gemeinsam getroffenen Festlegungen (z.B. das Papier „Gemeinsames Verständnis zum Thema Versorgung im Rahmen der Agenda Kabine“ vom 16. September 2014) für den Arbeitgeber klar verständlich. Die Friedenspflicht sei schon deswegen nicht verletzt, weil § 20 MTV keineswegs eine umfassende Regelung der Flugdienstuntauglichkeit enthalte. Dies ergebe sich bereits aus § 17 des gekündigten Tarifvertrages zur Übergangsversorgung, der Versorgungsleistungen im Falle der Untauglichkeit regele.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die Antragsschrift und die Schutzschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Anträge sind unbegründet.

1.

Es fehlt bereits an einem Verfügungsanspruch der Verfügungsklägerin.

An den Erlass einer einstweiligen Verfügung, die auf die Untersagung eines Streiks gerichtet ist, sind bestimmte Anforderungen zu stellen. Ein Antrag auf Unterlassung einer Streikmaßnahme erfordert im einstweiligen Verfügungsverfahren einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt, wie sich mittelbar aus § 62 Abs. 2 ArbGG ergibt, auch im Bereich des Arbeitskampfs in Betracht (allg. Ansicht, vgl. Hess. LAG 9. August 2011 – 9 SaGa 1147/11 – Rn. 29, Juris; LAG Berlin-Brandenburg 14. August 2012 – 22 SaGa 1131/12 – zu 2.2.1 der Gründe, BeckRS 2012, 72275; LAG Baden-Württemberg 31. März 2009 – 2 SaGa 1/09 – Rn. 49, NZA 2009, 631).

Für den heranzuziehenden Prüfungsmaßstab ist zu beachten, dass eine Unterlassungsverfügung, die auf den Abbruch eines laufenden oder unmittelbar bevorstehenden Streiks gerichtet ist, einer Befriedigungsverfügung gleichkommt. Sie nimmt die Hauptsache regelmäßig vorweg. Deshalb ist an den Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung ein strenger Maßstab anzulegen. Die einstweilige Verfügung ist umso eher zu erlassen, je offensichtlicher die Rechtswidrigkeit der Maßnahme ist (vgl. Prütting in Schwab/Weth ArbGG 3. Aufl. § 62 Rn. 171).

Mit Blick auf die besondere Bedeutung des Streikrechts (Art. 9 Abs. 3 GG) sowie die mit einem Arbeitskampfgeschehen oftmals schwierigen und komplexen Fragestellungen wird nach zum Teil vertretener Auffassung verlangt, die Streikmaßnahme müsse offensichtlich rechtswidrig sein (vgl. Hess. LAG 2. Mai 2003 – 9 SaGa 637/03 – Rn. 31, Juris; LAG Sachsen 2. November 2007 – 7 SaGa 19/07 – Rn. 93, NZA 2008, 59; wohl auch ErfK/Dieterich/Linsenmaier 14. Aufl. Art. 9 GG Rn. 228), während die Gegenmeinung es ausreichen lässt, dass die Streikmaßnahme (lediglich) rechtswidrig sei (vgl. GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 62 Rn. 113; GK-ArbGG/Vossen Stand: April 2012 § 62 Rn. 81; Korinth Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren 2. Aufl. S. 361). Es kann hier offen bleiben, welcher Maßstab zugrunde zu legen ist. Denn auch bei dem Anlegen des strengeren Prüfungsmaßstabs für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass schwierige, höchstrichterlich nicht entschiedene Rechtsfragen ggf. in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen (vgl. LAG Köln 14. Juni 1996 – 4 Sa 177/96 – AP Nr. 149 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ErfK/Dieterich/Linsenmaier 14. Aufl. Art. 9 GG Rn. 228; Bertzbach in Däubler Arbeitskampfrecht 3. Aufl. § 24 Rn. 21; Otto Arbeitskampf und Schlichtungsrecht S. 420; GK-ArbGG/Vossen Stand: April 2012 § 62 Rn. 81a).

Eine Streikmaßnahme kann im einstweiligen Verfügungsverfahren nur dann untersagt werden, wenn sie rechtswidrig ist und dies glaubhaft gemacht ist (Hess. LAG 9. August 2011 – 9 SaGa 1147/11 – Rn. 29, Juris; Hess. LAG Urteil vom 17. Sept. 2008 – 9 SaGa 1442/08 – BB 2008, 2296; Hess. LAG Urteil vom 22. Juli 2004 – 9 SaGa 593/04 – AP Nr. 168 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Die beantragte Untersagungsverfügung muss zum Schutz des Rechtes am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§ 823 Abs. 1 BGB) und zur Abwendung drohender wesentlicher Nachteile geboten und erforderlich sein. Besteht ein Verfügungsanspruch, hat zur Prüfung, ob eine auf Unterlassung eines Arbeitskampfes gerichtete einstweilige Verfügung im Sinne des § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, eine Interessenabwägung stattzufinden, in die sämtliche in Betracht kommenden materiell-rechtlichen und vollstreckungsrechtlichen Erwägungen sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen für beide Parteien einzubeziehen sind (vgl. Hess. LAG 9. August 2011 – 9 SaGa 1147/11 – Rn. 29, Juris; LAG Baden-Württemberg 31. März 2009 – 2 SaGa 1/09 – Rn. 49, NZA 2009, 631; LAG Köln 14. Juni 1996 – 4 Sa 177/96 – AP Nr. 149 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Dabei spielt auch eine Rolle, welchen Umfang die gestellten Anträge haben. Anträge, die den Arbeitskampf insgesamt untersagen wollen, greifen stark in den Kernbereich aus Art. 9 Abs. 3 GG der Gewerkschaft ein. Weniger stark wird eingegriffen, wenn lediglich die Rechtswidrigkeit einzelner Kampfhandlungen im Rahmen der einstweiligen Verfügung geltend gemacht wird (LAG Baden-Württemberg 31. März 2009 – 2 SaGa 1/09 – Rn. 49, NZA 2009, 631). Die Anforderungen an Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund sind insgesamt mit besonderer Umsicht zu handhaben, um eine Gefährdung der Koalitionsbetätigungsgarantie aus Art. 9 Abs. 3 GG soweit als möglich auszuschließen (vgl. ErfK/Dieterich/Linsenmaier 14. Aufl. Art. 9 GG Rn. 228; Schaub/Treber 15. Aufl. § 195 Rn. 58).

Der Anspruch auf Unterlassung einer Streikmaßnahme folgt grundsätzlich aus den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 14 GG. Das Recht des Betriebsinhabers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist nach § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB deliktisch geschützt (vgl. BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – Rn. 21, NJW 2010, 631). Es ist auf die ungestörte Betätigung und Entfaltung des von dem Betriebsinhaber geführten Betriebs gerichtet und umfasst alles, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des Betriebs als bestehender Einheit ausmacht. Es handelt sich bei dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb um einen „offenen Tatbestand“, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessenssphäre ergeben (vgl. BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – Rn. 23, NJW 2010, 631). Bei einem Streik ist in der Regel auch die Koalitionsbetätigungsfreiheit des Streikgegners tangiert, der sich seinerseits auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen kann (vgl. BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06 – Rn. 15, NZA 2007, 1055).

Nicht rechtswidrig sind Eingriffe in den Gewerbebetrieb, wenn sie als Arbeitskampfmaßnahmen zulässig sind (vgl. BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – Rn. 23, NJW 2010, 631). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts schützt das Doppelgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG zum einen den Einzelnen in seiner Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten oder sie zu verlassen. Geschützt ist zum anderen auch die Koalition selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen (BVerfG 6. Februar 2007 – 1 BvR 978/05 – zu II 2 a der Gründe, NZA 2007, 394; BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06 – Rn. 11 NZA 2007, 1055). Der Schutz erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen und umfasst insbesondere die Tarifautonomie. Die Wahl der Mittel, mit denen die Koalitionen die Regelung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge zu erreichen versuchen und die sie hierzu für geeignet halten, gibt Art. 9 Abs. 3 GG nicht vor, sondern überlässt sie grundsätzlich den Koalitionen selbst. Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, werden jedenfalls insoweit von der Koalitionsfreiheit erfasst, als sie erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen (BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06 – Rn. 11, NZA 2007, 1055). Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht etwa von vornherein auf den Bereich des Unerlässlichen beschränkt (vgl. BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – Rn. 33, NJW 2010, 631). Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet grundsätzlich auch das von einer Gewerkschaft getragene Kampfmittel des Streiks.

Das Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG ist ebenfalls nicht uneingeschränkt gewährt. Es kann insbesondere durch andere verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter eingeschränkt werden. Im jeden Fall bedarf es eines verhältnismäßigen Ausgleichs (sog. praktische Konkordanz) beider geschützten Interessen (vgl. BVerfG 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – zu C I 1 a der Gründe, BVerfGE 84, 212). Zentraler Maßstab für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit eines Streiks ist mithin der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06 – Rn. 22, NZA 2007, 1055). Eine weitere Grenze eines rechtmäßigen Streiks ist ferner die Wahrung der Friedenspflicht.

Nach diesen Grundsätzen ist der Streik nicht als rechtswidrig anzusehen. Im Einzelnen:

1.1

Der Verfügungsbeklagte hat keine unbestimmte Streikforderung aufgestellt.

Jedes Kampfziel enthält bei lebensnaher Betrachtung einen Verhandlungsspielraum. Es muss zwar so klar formuliert sein, dass die Gegenseite sinnvoll reagieren kann. Jedoch ist nicht erforderlich, dass mit einem bloßen „Ja“ ein Tarifabschluss zustande käme. Die Funktion des Arbeitskampfs besteht nur darin, die eigentlichen Tarifverhandlungen anzuschieben (ErfK Art. 9 GG, Rz. 117).

Tarifforderung, Streikbeschluss und Streikaufruf sind hier so hinreichend bestimmt, dass die Verfügungsklägerin den Streik durch Nachgeben vermeiden konnte. Nach den Streikaufrufen sind Gegenstand der Tarifforderungen insbesondere Versorgungsleistungen für die Übergangszeit zwischen dem vorzeitigen freiwilligen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und dem Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze auf einem bestimmten und konkret bezeichneten Versorgungsniveau. Das freiwillige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis unter Gewährung dieser Versorgungsleistungen soll auch vor dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters möglich sein. Konkretes Mindestalter oder Wartefristen zur Erlangung des Versorgungsanspruchs sollen genauso wenig Anlass oder Ziel der Arbeitskampfmaßnahmen sein wie die Frage, in welcher Art und Weise das Arbeitsverhältnis beendet wird. Damit knüpft die Streikforderung an die im MTV zur Beendigung getroffenen Regelungen an, ohne die Voraussetzungen der Beendigung regeln zu wollen. Dies ist für die Verfügungsklägerin – insbesondere nach dem Verlauf der Verhandlungen – klar erkennbar.

1.2

Der Verfügungsbeklagte verstößt mit dem Streik nicht gegen die so genannte relative Friedenspflicht.

Ein Tarifvertrag ist in seinem schuldrechtlichen Teil zugleich ein Vertrag zugunsten Dritter und schützt die Mitglieder der Tarifvertragsparteien davor, hinsichtlich der tariflich geregelten Materie mit Arbeitskampfmaßnahmen überzogen zu werden. Die Friedenspflicht muss nicht gesondert vereinbart werden. Sie ist vielmehr dem Tarifvertrag als einer Friedensordnung immanent (BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06 – Rn. 18, NZA 2007, 1055). Der Beschränkung des Streikrechts durch die Friedenspflicht steht die Europäische Sozialcharta (ESC BGBl. 1964 II S. 1262) nicht entgegen (BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06 – Rn. 18, NZA 2007, 1055). Sofern von den Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist, wirkt die Friedenspflicht allerdings nicht absolut, sondern relativ. Sie bezieht sich nur auf die tarifvertraglich geregelten Gegenstände (BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06 – Rn. 18, NZA 2007, 1055). Sie verbietet es den Tarifvertragsparteien lediglich, einen bestehenden Tarifvertrag inhaltlich dadurch in Frage zu stellen, dass sie Änderungen oder Verbesserungen der vertraglich geregelten Gegenstände mit Mitteln des Arbeitskampfrechts durchzusetzen versuchen (BAG Urteil vom 27. Juni 1989 – 1 AZR 404/88 – zu II 2 a der Gründe, EzA Nr. 94 zu Art 9 GG Arbeitskampf; Hess. LAG 9. August 2011 – 9 SaGa 1147/11 – Rn. 30, Juris; LAG Berlin-Brandenburg 14. August 2012 – 22 SaGa 1131/12 – zu 2.2.2.2 der Gründe, BeckRS 2012, 72275).

Die sachliche Reichweite der Friedenspflicht ist durch Auslegung der tariflichen Regelungen zu ermitteln (vgl. BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – zu B I 2 a der Gründe, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Haben die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Sachmaterie erkennbar umfassend geregelt, ist davon auszugehen, dass sie diesen Bereich der Friedenspflicht unterwerfen und für die Laufzeit des Tarifvertrags die kampfweise Durchsetzung weiterer Regelungen unterbinden wollen, die in einem sachlichen inneren Zusammenhang mit dem befriedeten Bereich stehen (vgl. BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – zu B I 2 a der Gründe, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Haben die Tarifvertragsparteien hingegen lediglich eine Rahmenregelung getroffen, die nach ihrem Willen keine abschließende Ausgestaltung der Materie sein soll, so bleiben Arbeitskampfmaßnahmen, die über die geregelten Gegenstände hinaus gehen, zulässig (vgl. BAG 25. Januar 2006 – 4 AZR 552/04 – AP Nr. 6 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; Reinfelder in Däubler Arbeitskampfrecht 3. Aufl. § 15 Rn. 16; Löwisch/Rieble TVG 3. Aufl. § 1 Rn. 1052; Reim/Ahrendt in Däubler TVG 3. Aufl. § 1 Rn. 1112; Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 07. November 2014 – 9 SaGa 1496/14 –, Rn. 237, juris).

Vorliegend enthält der MTV in §§ 19 bis 22 Beendigungsregelungen und in § 23 Versorgungsregelungen für den Fall des Todes und der Invalidität. § 24 stellt lediglich eine Rahmenregelung für die Übergangs- und Altersversorgung dar, was durch die Verweisung auf die Regelungen der Tarifverträge Betriebsrente und Altersversorgung deutlich wird. Zwar trifft es zu, dass auch § 20 in den Absätzen 1c, 2 und 3 einen versorgenden Charakter aufweist, indem dort insbesondere für den Fall der dauernden Flugdienstuntauglichkeit ein Anspruch auf Zahlung der Grundvergütung geregelt wird. Dies ist jedoch keine abschließende Ausgestaltung im Hinblick auf die Frage der Versorgung in dem Sinne, dass die Tarifvertragsparteien die kampfweise Durchsetzung weiterer Regelungen unterbinden wollten. Gerade wenn die Tarifvertragsparteien es selbst als sachgerecht ansehen, bestimmte Reglungen in verschiedenen Tarifverträgen zu regeln, erscheint es fern liegend, bei der Frage der Friedenspflicht eine solche Nähe der Regelungsmaterien anzunehmen, dass ein notwendiger inhaltlicher Sachzusammenhang bestünde (so auch Reinfelder in Däubler Arbeitskampfrecht 3. Aufl. § 15 Rn. 20). Hätten die Tarifvertragsparteien einen solchen sachlichen Zusammenhang angenommen, hätte es nahe gelegen, dass sie die Regelungen in nur einem Tarifvertrag zusammengefasst hätten (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 07. November 2014 – 9 SaGa 1496/14 –, Rn. 241, juris). Sie haben aber systematisch zwischen den klassischen Themen eines Manteltarifvertrages und den Themen der Versorgung unterschieden. Schon das spricht gegen einen Ausschluss eines Arbeitskampfes um weitere Versorgungsregelungen.

1.3

Der Streik ist nicht unverhältnismäßig.

Arbeitskämpfe müssen nach unserem freiheitlichen Tarifvertragssystem möglich sein, um Interessenkonflikte über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im äußersten Fall austragen und ausgleichen zu können (BAG Großer Senat Beschluss vom 21. April 1971 – GS 1/68 -EzA Art 9 GG Nr. 6 = Juris). Anhaltspunkte dafür, dass die nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Hessisches LAG 20. Oktober 2014 – 9 Ta 573/14, juris) an die Verhältnismäßigkeit zu stellenden Anforderungen verletzt sind, liegen nicht vor.

2.

Die Verfügungsklägerin hat als Unterlegene die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 91 ZPO. Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß § 3 ZPO mit der möglichen Schadenssumme von geschätzt 1 Million Euro pro Tag zu beziffern.

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