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Rechtsweg zu Arbeitsgerichten – ein ehemaliger – Entgeltfortzahlungsansprüche

Arbeitsgerichtsprozess wegen Entgeltfortzahlung und Schadensersatz: Streit um Zuständigkeit.

Ein ehemaliger Geschäftsführer und Verkaufsleiter verlangt von seinem ehemaligen Arbeitgeber Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Schadensersatz wegen Entzugs der Privatnutzungsmöglichkeit eines Dienstwagens sowie Urlaubsabgeltung für 17 Urlaubstage. Die Klage wurde mehrfach erweitert und die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ist umstritten. Der Kläger beruft sich auf den Verkaufsleitervertrag und sieht den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten als zulässig an. Die Beklagte argumentiert hingegen, dass der ehemalige Geschäftsführervertrag fortbestand und somit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten unzulässig sei. Das Arbeitsgericht Wuppertal erklärte den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig und verwies den Fall an das Landgericht Wuppertal. Gegen diesen Beschluss legte der Kläger Beschwerde ein, die vom Arbeitsgericht nicht abgeholfen wurde und somit nun beim Landesarbeitsgericht liegt. […]

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – Az.: 3 Ta 90/22 – Beschluss vom 19.07.2022

I.Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 11.02.2022 wird der Rechtswegbeschluss des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 25.01.2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21.03.2022 abgeändert und der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für zulässig erklärt.

II.Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.

III.Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.155,55 EUR festgesetzt.

IV.Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche für September und Oktober 2021, über einen Schadensersatzanspruch wegen Entzugs der Privatnutzungsmöglichkeit hinsichtlich eines Dienstwagens für den Zeitraum vom 22.10. bis 30.11.2021, über einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 17 Urlaubstage sowie in diesem Zusammenhang vorab insgesamt über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten.

Der am 20.04.1969 geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.06.2019 beschäftigt. Zunächst war er als Verkaufsleiter auf der Grundlage eines Anstellungsvertrages vom 22.05.2019 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses für die Beklagte tätig.

Unter dem 31.08.2020 unterzeichneten der Kläger einerseits und Frau C. als Vertreterin des Gesellschafters der Beklagten andererseits einen Geschäftsführervertrag, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf Blatt 56 ff. der Akte Bezug genommen und der auszugsweise wörtlich wie folgt wiedergegeben wird:

„I.

Aufgaben und Pflichten

Der Geschäftsführer übernimmt ab dem 01. September 2020 die Stellung als Geschäftsführer der Gesellschaft. […]

[…]

IV.

Dauer des Vertragsverhältnisses

Der Vertrag wird auf unbestimmte Dauer geschlossen.

Er kann von jedem Vertragsteil mit einer Frist von 6 (sechs) Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden, erstmalig zum 31. Dezember 2021.

Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grunde bleibt für die Gesellschaft und den Geschäftsführer unberührt.

Die Kündigung bedarf der Schriftform.

Nach einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung dieses Vertrages ist die Gesellschaft jederzeit berechtigt, den Geschäftsführer von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung für die Gesellschaft sofort freizustellen. Dies gilt unabhängig davon, welcher Vertragsbeteiligter die ausgesprochen hatte.

Die Bestellung zum Geschäftsführer kann durch Gesellschafterbeschluss jederzeit und ohne besondere Voraussetzungen widerrufen werden. Dadurch werden die Vergütungsansprüche des Geschäftsführers aus diesem Vertrag nicht berührt. Der Widerruf der Geschäftsführerbestellung gilt als Kündigung dieses Vertrages zum nächstmöglichen Termin.

[…]

V.

Bezüge

Der Geschäftsführer erhält als Vergütung für seine Tätigkeit ein festes Jahresgehalt in Höhe von 96.000,- EUR […], zahlbar in zwölf gleichen monatlichen Teilbeträgen von 8.000,- EUR […] jeweils am Monatsende.

[…]

Dem Geschäftsführer wird für seine Tätigkeit im Rahmen dieses Vertrages ein Firmenwagen zur Verfügung gestellt, der auch zu privaten Zwecken genutzt werden darf. Die Steuer auf den geldwerten Vorteil der privaten Nutzung trägt der Geschäftsführer.

VI.

Urlaub und Nebentätigkeit

[…]

Der Geschäftsführer erhält 25 Werktage Urlaub. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. […]

[…]

XI.

Schlussbestimmungen

[…]

Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dies gilt auch für eine Aufhebung des Erfordernisses der Schriftform.“

Demgemäß wurde der Kläger zum Geschäftsführer der Beklagten bestellt und als solcher tätig.

Mit Schreiben vom 05.07.2021 teilte ihm der Geschäftsführer der Gesellschafterin der Beklagten, Herr Q. W. von der W. Werkzeuge GmbH mit, dass der Kläger mit Gesellschafterbeschluss vom selben Tage mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abberufen sei. Weiter heißt es in dem Schreiben wörtlich:

„Wir setzen Sie ab sofort im Rahmen des nach wie vor bestehenden, da im Rahmen der Geschäftsführerbestellung nicht beendeten Anstellungsvertrags vom 22.05.2019 wieder als Verkaufsleiter ein, jedoch werden Sie weiterhin im Rahmen des Geschäftsführervertrages bezahlt.

Im Übrigen erklären wir die Kündigung des Anstellungsvertrages zum 31.12.2021.“

Dementsprechend ist der Kläger fortan wieder für die Beklagte als Verkaufsleiter tätig geworden. In der Zeit ab dem 04.08.2021 bis jedenfalls 26.10.2021 war der Kläger laut Bescheinigung der DAK vom 26.10.2021, wegen deren Inhalts im Übrigen auf Blatt 36 der Akte Bezug genommen wird, arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 22.10.2021 stand ihm der Firmenwagen nicht mehr zur Privatnutzung zur Verfügung.

Mit seiner am 01.10.2021 bei dem Arbeitsgericht Wuppertal eingegangenen und der Beklagten am 09.10.2021 zugestellten sowie nachfolgend mehrfach erweiterten Klage verlangt der Kläger von der Beklagten Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für September 2021 in Höhe von 8.000,- EUR brutto, für die Zeit vom 01. – 23.10.2021 in Höhe von 6.133,33 EUR brutto, Schadensersatz wegen der Vorenthaltung des Firmenwagen für den Zeitraum vom 22.10. – 30.11.2021 in Höhe von 1.056,40 EUR brutto und Urlaubsabgeltung für 17 nach seiner Behauptung noch offene Urlaubstage in Höhe von 6.276,92 EUR brutto.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass das Arbeitsgericht zuständig sei und sich hierzu zum einen auf die zwischenzeitliche Abberufung als Geschäftsführer und zum anderen auf das Schreiben der Gegenseite vom 05.07.2021 berufen. Die Ansprüche würden daher auf den Verkaufsleitervertrag vom 22.05.2019 gestützt. Sie bezögen sich nicht auf die Zeit der Tätigkeit als Geschäftsführer. Hinsichtlich der Urlaubsabgeltung berufe sich der Kläger zudem auf das Vorliegen eines sog. sic-non-Falles, bei dem bereits die bloße Behauptung, Arbeitnehmer zu sein, die Rechtswegzuständigkeit zu den Arbeitsgerichten begründe.

Der Kläger hat zuletzt die Anträge angekündigt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.000,- EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 01.10.2021 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.189,73 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 01.11.2021 zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.276,92 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 01.01.2022 zu zahlen.

Die Beklagte hat den Antrag angekündigt, die Klage abzuweisen.

Sie hat zudem Rechtswegrüge erhoben und die Ansicht vertreten, die Arbeitsgerichte seien nicht zuständig.

Mit Beschluss vom 25.01.2022, wegen dessen Begründung auf Blatt 74 ff. der Akte Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht Wuppertal den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Wuppertal verwiesen; der Beschluss wurde in einem Teilbereich der Gründe durch Beschluss vom 21.03.2022 (Blatt 96 der Akte) berichtigt.

Der Beschluss ist dem Kläger über seine Prozessbevollmächtigten am 03.02.2022 zugestellt worden. Mit am 11.02.2022 bei dem Arbeitsgericht Wuppertal eingegangener Beschwerdeschrift vom selben Tage hat er sofortige Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt.

Der Kläger ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe seine Zuständigkeit rechtsirrig verneint. Hinsichtlich des Urlaubsabgeltungsantrages liege ein sog. sic-non-Fall vor, denn allein in Betracht kommende Anspruchsgrundlage sei § 7 Abs. 4 BUrlG und diese Norm setze voraus, dass der Kläger Arbeitnehmer gewesen sei. Auch der geltend gemachte Schadensersatzanspruch begründe einen sic-non-Fall, ebenso der geltend gemachte Entgeltfortzahlungsanspruch. Im Übrigen sei das dem Geschäftsführervertrag vorausgehende Arbeitsverhältnis durch den Geschäftsführervertrag entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht aufgehoben worden. Zwischen den Parteien habe Einvernehmen darüber bestanden, dass der Vertrag vom 22.05.2019 durch den Abschluss des Geschäftsführervertrages nicht beendet worden sei. Hierzu verweist der Kläger auf die Erklärung der Beklagten vom 05.07.2021. Das darin liegende Angebot auf Fortsetzung des Anstellungsvertrages vom 22.05.2019 als Verkaufsleiter, jedoch mit der Vergütung gemäß Geschäftsführervertrag habe der Kläger angenommen. Infolgedessen habe der alte Anstellungsvertrag fortbestanden und sei jedenfalls durch die Erklärungen der Parteien wieder in Kraft gesetzt worden. Schließlich habe der Kläger durchgehend detailliertesten Anweisungen unterstanden.

Die Beklagte tritt der Beschwerde entgegen. Der Kläger verkenne schon, dass Gesellschafter der Beklagten – unstreitig – die W. Werkzeuge GmbH sei, welche durch ihre Geschäftsführer L.-Q. W. und B. C. vertreten werde. Diese beiden Personen hätten sich jedoch niemals in das Tagesgeschäft der Beklagten eingeschaltet. Soweit der Kläger eine Weisungsbindung mit Weisungen durch Herrn E. W. und Frau T. K. begründe, sei darauf hinzuweisen, dass Herr E. W. Mitgeschäftsführer der Beklagten sei und die E-Mail-Korrespondenz sich darauf beziehe, dass der Kläger in dessen Zuständigkeitsbereich eingegriffen habe. Frau K. wiederum habe sich vermittelnd einschalten müssen. Richtig sei der Hinweis auf das Schreiben vom 05.07.2021, jedoch ändere die dortige rechtsirrige Annahme des Fortbestehens des Arbeitsvertrages nichts daran, dass dieser nach richtiger rechtlicher Bewertung nicht mehr bestanden habe. Insoweit nimmt die Beklagte Bezug auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses des Arbeitsgerichts Wuppertal. Grundlage zwischen den Parteien sei der gekündigte, noch bestehende Geschäftsführervertrag gewesen und lediglich der Tätigkeitsbereich des Klägers habe sich am früheren Anstellungsvertrag orientieren sollen. Ein sic-non-Fall liege schließlich ebenfalls nicht vor.

Mit Beschluss vom 24.03.2022, wegen dessen Begründung auf Blatt 97 f. der Akte Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Die gemäß §§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, 48 Abs. 1, 78 Satz 1 ArbGG, 567 ff ZPO statthafte sofortige Beschwerde des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach der am 03.02.2022 erfolgten Zustellung des Beschlusses vom 25.01.2022 am 11.02.2022 bei dem Arbeitsgericht Wuppertal gemäß § 569 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO eingelegt worden.

2. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Rechtswegbeschluss ist daher abzuändern und die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts festzustellen. Denn dessen Zuständigkeit folgt hier aus §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a), 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Hinsichtlich der Streitgegenstände handelt es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen dem Kläger als Arbeitnehmer und der Beklagten als seiner Arbeitgeberin aus dem Arbeitsverhältnis. Dieses wurde – selbst wenn es wirksam durch den Geschäftsführervertrag vom 31.08.2020 aufgehoben worden sein sollte – jedenfalls ab 05.07.2021 einvernehmlich wieder in Kraft gesetzt und damit neu begründet. Die hier gegenständlichen Ansprüche sind solche aus diesem Arbeits- und nicht aus einem Geschäftsführeranstellungsverhältnis.

a.Zu Recht weist das Arbeitsgericht zunächst darauf hin, dass die Fiktionswirkung nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG mit der erfolgten und ihm bekanntgegebenen Abberufung des Klägers als Geschäftsführer geendet hat. Dies war hier bereits bei Klageerhebung der Fall, wäre aber selbst dann noch im Rechtswegverfahren zu berücksichtigen, wenn die Fiktionswirkung bei Rechtshängigkeit der Klage noch bestanden hätte und erst im laufenden Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsweg weggefallen wäre (BAG vom 08.09.2015 – 9 AZB 21/15, juris, Rz. 17; BAG vom 03.12.2014 – 10 AZB 98/14, juris, Rz. 21ff.; BAG vom 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, juris, Rz. 26 ff., 30). Zutreffend ist auch die Rechtsansicht des Arbeitsgerichts, dass der bloße Wegfall der gesetzlichen Fiktion nicht automatisch bereits dann zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichte führt, wenn die klagende Partei nur pauschal behauptet, in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt (gewesen) zu sein. Mit der Abberufung als Geschäftsführer entfällt nur die bisherige gesetzliche negative Fiktion. Nicht hingegen ändert sich der rechtliche Charakter des Anstellungsverhältnisses eines Organvertreters allein durch dessen Abberufung. Durch die Abberufung wird ein bisheriges Dienstverhältnis des Geschäftsführers nicht zum Arbeitsverhältnis (BAG vom 08.02.2022 – 9 AZB 40/21, juris, Rz. 18; BAG vom 21.01.2019 – 9 AZB 23/18, juris, Rz. 17; BAG vom 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, juris, Rz. 16). Mithin ist nach Abberufung grundsätzlich festzustellen, ob der Tätigkeit des Klägers materiell-rechtlich ein Arbeitsverhältnis oder ein freies Dienstverhältnis zugrunde gelegen hat. Dabei trägt der Kläger die Darlegungslast für die die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründenden Umstände, hier also für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, soweit nicht ein sog. sic-non-Fall vorliegt, bei dem allein bereits die Rechtsansicht der klagenden Partei, Arbeitnehmer (gewesen) zu sein, die Rechtswegzuständigkeit deshalb begründet, weil die Klage ausschließlich dann begründet sein kann, wenn ein Arbeitsverhältnis angenommen wird (vgl. BAG vom 08.02.2022 – 9 AZB 40/21, juris, Rz. 20).

b.Soweit es die Zahlungsanträge für September und Oktober auf Entgeltfortzahlung betrifft, liegt entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts bereits ein sog. sic-non-Fall vor, so dass allein mit der – insoweit doppelrelevanten – Rechtsansicht des Klägers, im Streitzeitraum in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden zu haben, bereits die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte begründet wird.

Voraussetzung des sog. sic-non-Falles ist, dass hinsichtlich des streitigen Anspruchs die Statusfrage doppelrelevant ist, weil der Klageantrag allein im Falle der Annahme eines Arbeitsverhältnisses begründet sein kann. In diesen Fällen ist die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit schon aufgrund der von der klagenden Partei vertretenen Rechtsansicht, es habe ein Arbeitsverhältnis bestanden, begründet (BAG vom 03.12.2014 – 10 AZB 98/14, juris, Rz. 17; BAG vom 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, juris, Rz. 21; BAG vom 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, juris, Rz. 21).

Eine solche Doppelrelevanz liegt bzgl. der Entgeltfortzahlungsansprüche für September und Oktober 2021 vor. Diese werden von dem Kläger infolge einer durchgehend für den Zeitraum vom 01.09. – 23.10.2021 behaupteten, nicht mehr als sechs Wochen auf derselben Krankheitsursache beruhenden Arbeitsunfähigkeit allein auf § 3 Abs. 1 EFZG als Anspruchsgrundlage gestützt. Der Geschäftsführervertrag enthält keine entsprechende Anspruchsgrundlage. § 3 Abs. 1 EFZG wiederum gilt ausschließlich für Arbeitnehmer im Sinne von § 1 Abs. 2 EFZG; Geschäftsführer und andere selbständig Dienstleistende werden von dieser Norm nicht erfasst (vgl. HWK/Vogelsang, 10. Auflage, § 1 EFZG Rn. 4, 8; ErfK/Reinhard, 22. Auflage, § 1 EFZG Rn. 2). Der von dem Kläger geltend gemachte Entgeltfortzahlungsanspruch kann mithin allein Erfolg haben, wenn der Kläger im Streitzeitraum Arbeitnehmer war. Die Arbeitnehmereigenschaft und damit das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist für diesen Anspruch doppelrelevant gleichermaßen für die Begründung des Rechtsweges und auch für die Begründetheit der Klage (vgl. zur Annahme eines sic-non-Falls bei Entgeltfortzahlungsansprüchen auch Powietzka, Freie Mitarbeiter und Geschäftsführer vor den Arbeitsgerichten (Teil I), BB 2022, 827, 830).

c.Auch darüber hinaus, also auch hinsichtlich des Schadensersatz- und des Urlaubsabgeltungsanspruchs ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten begründet.

aa) Das folgt jedoch nicht aus der Annahme einer Zusammenhangszuständigkeit im Hinblick auf die Entgeltfortzahlungsklage. Soweit die Rechtswegzuständigkeit für diese mit der Annahme eines sog. sic-non-Falls begründet wurde, kann dies keine Grundlage für eine Zusammenhangszuständigkeit nach § 2 Abs. 3 ArbGG sein. In Fällen, in denen die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte allein aus der Anwendung der sic-non-Rechtsprechung resultiert, findet § 2 Abs. 3 ArbGG keine Anwendung (BAG vom 04.09.2018 – 9 AZB 10/18, juris, Rz. 25; BAG vom 11.06.2003 – 5 AZB 43/02, juris, Rz. 24). Vielmehr muss für die neben einem Antrag, der als sic-non-Fall vor den Arbeitsgerichten zu verhandeln ist, gestellten weiteren Anträge jeweils gesondert die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 ArbGG festgestellt werden (BAG vom 04.09.2018 – 9 AZB 10/18, juris, Rz. 25).

bb) Entgegen der Rechtsansicht des Klägers begründet auch weder eine Schadensersatzklage wegen Entziehung der Privatnutzung eines Firmenwagens noch ein Urlaubsabgeltungsanspruch einen sog. sic-non-Fall. Denn der Schadensersatzanspruch ist ebenso im Geschäftsführeranstellungsverhältnis wie auch im Arbeitsverhältnis auf der Grundlage von § 280 BGB begründbar. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG kann auch im Geschäftsführeranstellungsverhältnis begründbar sein, weil das BUrlG insoweit richtlinienkonform auszulegen ist, was – im Unterschied bspw. zum EFZG, das kein europäisches Recht umsetzt – die Erstreckung auf Fremdgeschäftsführer ermöglicht (vgl. BAG vom 08.02.2022 – 9 AZB 40/21, juris, Rz. 20 m.w.N.).

cc) Der Rechtsweg ist auch für den Schadensersatz- und den Urlaubsabgeltungsanspruch jedoch – im Übrigen dann ebenso wie zu den Entgeltfortzahlungsansprüchen und mithin unabhängig von der insoweit gegebenen sic-non-Konstellation – dadurch eröffnet, dass der Kläger sich seit 05.07.2021 und damit in dem für alle geltend gemachten Ansprüche relevanten Zeitraum aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falls wieder in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten als Verkaufsleiter befunden hat. Diesbezüglich folgt die Beschwerdekammer im Ergebnis den Rügen des Beschwerdeführers und hält die abweichende Ansicht des Arbeitsgerichts und der Beklagten nicht für überzeugend.

Zutreffend zitiert das Arbeitsgericht zwar die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der auch die Beschwerdekammer folgt, dass der Abschluss eines schriftlichen Geschäftsführerdienstvertrages mit einem bislang als Arbeitnehmer beschäftigten Mitarbeiter eine tatsächliche Vermutung begründet, dass damit zugleich zumindest konkludent das zuvor begründete Arbeitsverhältnis aufgelöst worden ist und der neue Vertrag die ausschließliche Grundlage der rechtlichen Beziehungen der Parteien darstellt, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist (BAG vom 26.10.2012 – 10 AZB 60/12, juris, Rz. 18; BAG vom 03.02.2009 – 5 AZB 100/08, juris, Rz. 8; BAG vom 05.06.2008 – 2 AZR 754/06, juris, Rz. 22; BAG vom 14.06.2006 – 5 AZR 592/05, juris, Rz. 18). Das gesetzliche Schriftformerfordernis nach § 623 BGB steht nicht entgegen (BAG vom 03.02.2009 – 5 AZB 100/08, juris, Rz. 8) und auch der Umstand, dass – wie hier im vorliegenden Fall – der Geschäftsführervertrag auf Unternehmensseite wegen § 46 Nr. 5 GmbHG von dem gesetzlichen Vertreter des Gesellschafters und nicht von der Geschäftsführung der Beklagten – die aber nach § 35 GmbHG die Vertretungsmacht hinsichtlich der Aufhebung des Arbeitsvertrages hätte – unterzeichnet worden ist, steht der wirksamen Aufhebung des ursprünglichen Arbeitsvertrages vom 22.05.2019 nicht entgegen. Mit der zutreffenden Rechtsansicht des LAG Hamburg ist vielmehr in diesen Fällen von einer Annexvertretungskompetenz der Gesellschafterversammlung und ihrer Vertretung auszugehen (LAG Hamburg vom 19.11.2008 – 4 Ta 20/08, juris, Rz. 32 ff. m.w.N., auch insoweit bestätigt durch BAG vom 03.02.2009 – 5 AZB 100/08, juris; vgl. ferner hierzu Kliemt in: Schwab/Weth, ArbGG, 6. Auflage, § 5 Rn. 280a m.w.N.).

Letztlich kommt es hierauf nicht entscheidend an, denn nähme man an, entgegen der Rechtsansicht der Beschwerdekammer hätte das Arbeitsverhältnis gemäß Anstellungsvertrag vom 22.05.2019 ruhend fortbestanden, wäre es am 05.07.2021 mit der Abberufung des Klägers wieder aufgelebt und damit gleichermaßen rechtliche Grundlage der Beziehungen der Parteien seitdem gewesen.

Nach der Überzeugung der Beschwerdekammer und auf der Grundlage des unstreitig vorgetragenen Sachverhalts ist hier jedoch zum einen wie dargelegt die Aufhebung des Arbeitsvertrags mit dem Geschäftsführervertrag vom 31.08.2020 anzunehmen. Zum anderen haben die Parteien zur Überzeugung der Beschwerdekammer aber ab 05.07.2021 ihr Rechtsverhältnis einvernehmlich wieder auf die Grundlage des alten Arbeitsvertrages als Verkaufsleiter vom 22.05.2019 gestellt, mit der einzigen Abweichung, dass die Vergütung sich weiter nach dem Geschäftsführervertrag richten sollte.

Eine solche Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses im Anschluss an die Abberufung als Geschäftsführer ist rechtlich ohne Weiteres möglich und aufgrund der allgemeinen Vertragsfreiheit auch zulässig. Richtig ist, dass der Geschäftsführerdienstvertrag sich nicht automatisch mit der Abberufung aus der Organstellung (wieder) in einen Arbeitsvertrag umwandelt (BAG vom 08.02.2022 – 9 AZB 40/21, juris, Rz. 18; BAG vom 05.06.2008 – 2 AZR 754/06, juris, Rz. 23; BAG vom 14.06.2006 – 5 AZR 592/05, juris, Rz. 18). Treten jedoch weitere Umstände hinzu, aus denen sich ergibt, dass nach der Abberufung ein Arbeitsverhältnis begründet worden ist, kommt dieses als Grundlage der Vertragsbeziehungen und damit auch zur Begründung des Rechtsweges zur Arbeitsgerichtsbarkeit für die hierauf beruhenden Ansprüche in Betracht (vgl. BAG vom 05.06.2008 – 2 AZR 754/06, juris, Rz. 23 a.E.).

Neben der ausdrücklichen Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses im Anschluss an die Abberufung als Geschäftsführer ist auch die konkludente Begründung eines Arbeitsverhältnisses möglich (Kliemt in: Schwab/Weth, ArbGG, 6. Auflage, § 5 Rn. 286; Powietzka, Freie Mitarbeiter und Geschäftsführer vor den Arbeitsgerichten (Teil II), BB 2022, 949, 951). Eine solche ist beispielsweise anzunehmen, wenn der frühere Geschäftsführer nach Abberufung weisungsabhängig mit „Arbeitnehmertätigkeiten“ eingesetzt wird (Powietzka, Freie Mitarbeiter und Geschäftsführer vor den Arbeitsgerichten (Teil II), BB 2022, 949, 951). Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls (Kliemt in: Schwab/Weth, ArbGG, 6. Auflage, § 5 Rn. 286).

Diese Umstände ergeben hier aus Sicht der Beschwerdekammer hinreichend deutlich, dass die Parteien im Anschluss an die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer die Fortsetzung ihrer Vertragsbeziehung nicht auf der Grundlage des Geschäftsführervertrages, sondern auf der Grundlage des ursprünglichen und damit wieder in Kraft gesetzten Arbeitsvertrages vom 22.05.2019 als Verkaufsleiter wünschten, wobei lediglich das Entgelt unverändert nach dem Geschäftsführervertrag vom 31.08.2020 bemessen werden sollte. Dies ergibt sich aus der genau dahingehend zu verstehenden Erklärung des Gesellschaftervertreters Q. W. im Schreiben vom 05.07.2021. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass dieser Erklärung die Annahme zugrunde gelegen haben mag, dass der Arbeitsvertrag vom 22.05.2019 durch den Geschäftsführervertrag gar nicht aufgehoben wurde und deshalb nun vermeintlich wieder auflebte. Zum einen ist diese Rechtsansicht nicht abwegig, wenngleich die Beschwerdekammer – insoweit mit dem Arbeitsgericht – eine andere rechtliche Würdigung vornimmt. Zum anderen ist entscheidend, dass die Parteien unbestritten ihr Vertragsverhältnis jedenfalls im Anschluss genau so einvernehmlich fortgesetzt haben. Der Kläger wurde also einvernehmlich als Verkaufsleiter bis zu der gut einen Monat später eingetretenen Arbeitsunfähigkeit für die Beklagte tätig und er war jedenfalls in dieser Zeit auch unbestritten weisungsgebunden – eben wie ein Arbeitnehmer – für diese tätig. Damit hat sich unabhängig von der auch hier nicht unproblematischen Frage einer Vertretungsmacht des Herrn Q. W. als Gesellschaftervertreter hinsichtlich der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger die Beklagte bzw. deren Geschäftsführung – und diese mithin vertretungsberechtigt nach § 35 GmbHG – dessen Ankündigung durch die praktische Umsetzung ab 05.07.2021 zu eigen gemacht. Die einvernehmliche Beschäftigung gemäß der Ankündigung im Schreiben vom 05.07.2021 führte zur konkludenten Begründung eines entsprechenden Arbeitsverhältnisses als Verkaufsleiter mit der Vergütung gemäß Geschäftsführervertrag vom 31.08.2020 und dem Vertragsinhalt im Übrigen gemäß Anstellungsvertrag vom 22.05.2019.

Die doppelte Schriftformklausel aus XI. 2. Absatz des Geschäftsführervertrages vom 31.08.2020 steht der Annahme der konkludenten Begründung eines Arbeitsverhältnisses als Verkaufsleiter ab 05.07.2021 nicht entgegen. Ungeachtet des Umstandes, dass diese kaum einer AGB-Kontrolle standhalten dürfte, betrifft sie allein Änderungen und Ergänzungen des Geschäftsführervertrages. Die Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses fällt nicht hierunter und kann mithin auch formlos vorgenommen werden. Welche Absprachen die Parteien in diesem Zusammenhang möglicherweise auch zum Geschäftsführervertrag getroffen haben mögen und wie sich die Schriftformklausel hierzu verhält, bedarf hier keiner Klärung, denn dies ist für die Rechtswegentscheidung unerheblich.

Damit war der Kläger ab 05.07.2021 und somit im Streitzeitraum Arbeitnehmer, die Beklagte Arbeitgeberin und die hier verfolgten Ansprüche sind allesamt solche aus dem Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsgericht ist für die Entscheidung über diese Ansprüche zuständig gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a), 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Danach hat die in dem kontradiktorisch geführten Rechtwegbeschwerdeverfahren unterlegene Beklagte die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

IV.

Der Streitwert beträgt für das Beschwerdeverfahren nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer 1/3 des Hauptsachestreitwertes, beruhend auf den klägerseits gemachten Angaben. Der Hauptsachestreitwert beträgt für die Zahlungsanträge in Summe 21.466,65 EUR; daraus folgt die Wertfestsetzung in Höhe von 7.155,55 EUR für das Beschwerdeverfahren.

V.

Die Rechtsbeschwerde wird mangels dies nach § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG rechtfertigender Gründe nicht zugelassen.

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