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Rückzahlung des Honorars für einen freien Mitarbeiter

Abgrenzung Arbeitnehmer/freier Mitarbeiter

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 1 Sa 115/19 – Urteil vom 21.01.2020

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 11.04.2019 – 1 Ca 1659 c/18 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Rückzahlungsansprüche der Klägerin wegen einer vermeintlich fehlerhaften Behandlung des sie verbindenden Vertragsverhältnisses als selbständiger Dienstvertrag.

Der Beklagte ist examinierter Altenpfleger und hat eine Weiterbildung zur Ausübung als Pflegedienstleitung absolviert. Ausweislich eines Bescheids der Rentenversicherung vom 21.07.2017 ist er von der Rentenversicherungspflicht befreit (Anlage B 3, Bl. 49 d.A.). Die Klägerin betreibt in H… ein Pflegeheim. In diesem war der Beklagte auf Grundlage eines von ihm gestellten Dienstleistungsvertrags (DLV) u.a. im Jahr 2015 tätig. Dieser Dienstvertrag, der beiden Parteien nicht mehr vorliegt, sah eine Beschäftigung des Beklagten als selbständiger freier Mitarbeiter vor.

Der tatsächliche Einsatz des Beklagten erfolgte in der Weise, dass die Klägerin anfragte, ob er bereit sei, bestimmte Schichten zu übernehmen. Der Beklagte konnte sich dann frei entscheiden, ob er eine Schicht übernehmen oder ablehnen wollte. Sofern er zusagte, wurde er in den internen Schichtplan der Klägerin eingetragen. Bei der Arbeit trug er eigene Dienstkleidung, die sich farblich von der von Arbeitnehmern der Klägerin unterschied, sowie ein Namensschild mit dem Zusatz „freier Mitarbeiter“. Die angestellten Arbeitnehmer trugen ein Namensschild mit dem Logo der Klägerin. Teilweise brachte der Beklagte auch eigene Handschuhe oder Pflegeutensilien, wie etwa Hautcreme, mit.

Außer für die Klägerin war der Beklagte im Jahr 2015 auch für weitere Pflegeeinrichtungen selbständig tätig.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin die Rückzahlung überzahlter Vergütung für den Zeitraum vom 05.01. – bis 21.07.2015 geltend. Wegen der Berechnung ihrer Forderung für die jeweiligen Tage und Stunden wird auf die Aufstellung auf den Seiten 8 bis 13 der Klage (Bl.10 – 15 d.A.) verwiesen.

Sie vertritt die Auffassung, zwischen den Parteien habe im in Rede stehenden Zeitraum entgegen der Einschätzung beider Parteien in der Vergangenheit ein Arbeitsverhältnis bestanden. Dies habe eine sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfung ergeben. Die Bezeichnung des Rechtsverhältnisses als „freiberuflich“ sei unbeachtlich. Nach der Rechtsprechung des BAG schulde ihr der Beklagte die Differenz zwischen der ihm gewährten Vergütung und der Vergütung, die er als Arbeitnehmer verdient hätte.

Sie hat behauptet: Dem Beklagten seien bei Dienstantritt die zu versorgenden Bewohner von der Schichtleitung nach dem Bezugspflegeplan zugewiesen worden, der für den jeweiligen Wohnbereich aufgestellt gewesen sei. Die durchzuführenden Tätigkeiten hätten sich aus dem computergestützten Pflegeplanungssystem ergeben, das die Wohnbereichsleitung dort für jeden Bewohner hinterlegt habe. Bei ungewöhnlichen Situationen in der Pflege habe sich der Beklagte nach ihrem Qualitätshandbuch richten müssen. Sie habe auch die zu verabreichenden Medikamente beschafft. Berichte über seine Tätigkeiten habe der Beklagte in die computergestützte Pflegedokumentation eintragen müssen und sich dabei des PCs im Dienstzimmer des Wohnbereichs bedient. Das Mitbringen von „Pfennig-Artikeln“ durch den Beklagten falle demgegenüber nicht ins Gewicht.

Der Beklagte habe regelmäßig mündliche und – in Form der im PC hinterlegten Pflegeplanungen – schriftliche Arbeitsanweisungen erhalten. Im Übrigen ergebe sich die Eingliederung des Beklagten in eine fremdbestimmte, nämlich von der Pflegedienstleitung bestimmte Organisation, nach der Rechtsprechung des BSG bereits aus der Regelung in § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI.

Der Beklagte habe sich ihr gegenüber als freier Mitarbeiter angedient. Sie hätte lieber angestellte Arbeitnehmer beschäftigt. Die seien aber nicht im erforderlichen Umfang zu bekommen gewesen. Der Befreiungsbescheid der Rentenversicherung beziehe sich nicht auf den hier in Rede stehenden Zeitraum.

Im Jahr 2015 habe die betriebsübliche Vergütung für eine examinierte Pflegefachkraft zwischen € 12,70 und € 15,00 betragen, nach dem TVöD, Teil Pflege € 16,32 (Entgeltgruppe 8). Den letztgenannten Betrag lege sie, um nicht zu viel zu verlangen, ihrer Berechnung zugrunde.

Der Beklagte hat erwidert: Er sei nicht als Arbeitnehmer, sondern freiberuflich für die Klägerin tätig gewesen. Die Klägerin habe diese Form der Beschäftigung ausdrücklich gewünscht. Sie habe zum damaligen Zeitpunkt fast ausschließlich freie Mitarbeiter in der Pflege beschäftigt.

Er hat behauptet: Ihm seien zu keinem Zeitpunkt Weisungen erteilt oder sonstige Vorgaben durch die Klägerin gemacht worden. Selbstverständlich sei er an die medizinischen und ärztlichen Standards gebunden gewesen, im Rahmen dieser Standards sei er bei der Ausübung seiner Tätigkeit völlig frei gewesen. Zum Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft trage die Klägerin auch nicht substantiiert vor. Sie benenne keine einzige konkrete Weisung an ihn. Bei der Klägerin gebe es auch keine unterschiedlichen Vergütungssysteme für freie Mitarbeiter und Arbeitnehmer, was einer Rückforderung entgegenstehe. Einem etwaigen Anspruch stehe auch die Kenntnis der Klägerin von seiner Arbeitnehmereigenschaft während des bestehenden Vertragsverhältnisses entgegen. Ferner stehe dem Anspruch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen, da die Klägerin ihn – unstreitig – nicht vom Statusverfahren der Rentenversicherung informiert und ihn daran beteiligt habe.

Eine angestellte Pflegefachkraft verdiene auch nicht nur den von der Klägerin herangezogenen Stundensatz, sondern monatlich ohne Zuschläge ca. € 4.500,-. Im Übrigen weise er die Qualifikation als Pflegedienstleiter auf und sei damit nicht mit einer normalen Pflegefachkraft zu vergleichen.

Hilfsweise hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 04.09.2019 die Aufrechnung mit Urlaubsabgeltungsansprüchen für die Jahre 2014 und 2015 erklärt. Diese seien nach der Rechtsprechung des BAG noch nicht verfallen, da er nie aufgefordert worden sei, seinen Urlaub zu nehmen. Bei 30 Urlaubstagen und einer 5-Tage-Woche sowie dem von der Klägerin zugrunde gelegten Stundenlohn von € 16,50 ergebe sich eine Gegenforderung in Höhe von € 7.920,–.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte sei nicht als Arbeitnehmer, sondern freiberuflich für die Klägerin tätig gewesen, sodass kein Rückzahlungsanspruch bestehe. Die konkrete Vertragsdurchführung spreche für ein freies Mitarbeiterverhältnis. Der Beklagte habe selbst entscheiden können, ob er bestimmte Schichten übernehmen wolle oder nicht und damit das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit selbst getragen. Unerheblich sei, ob ihm bestimmte zu pflegende Personen zugewiesen worden seien und ob er Tätigkeiten nach dem geltenden Schichtplan zu erbringen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das am 14.05.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05.06.2019 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung bis zum 30.07.2019 am 30.07.2019 begründet.

Sie trägt vor: Das Arbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung die Darlegungslast verkannt. Nach der Rechtsprechung des BSG erfolge die Tätigkeit von Pflegefachkräften in Seniorenpflegeeinrichtungen in der Regel in der Form eines Arbeitsverhältnisses; für die Annahme selbständiger Tätigkeit müssten gewichtige Anhaltspunkte vorliegen. Diese Grundsätze seien auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren anwendbar, sodass die Darlegungslast für das Vorliegen selbständiger Arbeit beim Beklagten liege. Die Abläufe bei der Auftragserteilung an den Beklagten unterschieden sich nicht von denen bei ihren Arbeitnehmern. Auch bei diesen frage sie bei unbesetzten oder durch Krankheit frei gewordenen Schichten nach, ob diese die Schichten übernehmen könnten, wenn diese frei hätten oder sich im Urlaub befänden. Bei Ablehnung werde jemand anderes gefragt. Das Arbeitsgericht habe auch nicht gewürdigt, dass der Beklagte stets in den vorgegebenen Schichtzeiten gearbeitet habe. Dieses habe für jede vom Beklagten übernommene Schicht gegolten. Nach Vereinbarung einer Schicht sei der Beklagte auch zur persönlichen Arbeitsleistung verpflichtet gewesen und hätte bei Unpässlichkeit die Klägerin informieren müssen. Das sei allerdings nicht vorgekommen. Der Beklagte habe entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts auch nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit getragen.

Dem Beklagten seien täglich von der Pflege- oder Wohnbereichsleitung anhand des Bezugspflegeplans die von ihm konkret zu pflegenden Bewohner zugewiesen worden. In jedem Wohnbereich seien mehrere Pflegekräfte gleichzeitig tätig. Die Zuweisung der Bewohner an die Pflegekräfte erfolge nach einem System, das dafür sorge, dass derselbe Bewohner möglichst häufig von derselben Pflegekraft versorgt werde. Die Vorgaben der Pflege ergäben sich aus der Pflegeplanung, in der die konkreten pflegerischen Aufgaben verzeichnet seien. Gleiches gelte für die zu verabreichenden Medikamente.

Urlaubsabgeltungsansprüche des Beklagten seien verfallen. Im Übrigen stehe dem Beklagten allenfalls ein Urlaubsanspruch von 24 Werktagen zu. Auch die Höhe seines Anspruchs berechne der Beklagte fehlerhaft.

Wegen der Höhe des Rückforderungsanspruchs nehme sie Bezug auf ihre erstinstanzlichen Ausführungen.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 11. April 2019 zum Az. 1 Ca 1659 c/18 den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin € 18.060,04 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurück zu weisen.

Er erwidert: Es bestehe schon deswegen kein Rückforderungsanspruch der Klägerin, weil die Veränderung des rechtlichen Status eines Mitarbeiters vom Selbständigen zum Arbeitnehmer nicht zur Unwirksamkeit der getroffenen Vergütungsvereinbarung führe. Durch einen Rückzahlungsanspruch würden die Wertungen des Arbeitnehmerschutzrechts und insbesondere des Sozialversicherungsrechts (§ 28 g SGB IV) unterlaufen.

Die Klägerin trage auch die Darlegungslast für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin sei ihrer Darlegungsverpflichtung nicht nachgekommen und habe keine einzige konkrete Weisung vorgetragen, ihr Vortrag erschöpfe sich in pauschalen Behauptungen. Er bestreite, dass ihm jegliche Möglichkeiten zur Gestaltung der Arbeitszeit gefehlt hätten. Vielmehr habe er sich frei entscheiden können, welche Schichten er übernehme. Auch habe er das Unternehmerrisiko getragen, da es ihm freigestanden habe, ob er eine Schicht zusage oder nicht und damit über sein Einkommen habe selbst disponieren können. Den Vortrag der Klägerin hinsichtlich der Zuweisung der zu pflegenden Personen habe das Arbeitsgericht zu recht als unerheblich bewertet. Wegen der begrenzten Zahl der Bewohner sei es der Klägerin gar nicht möglich gewesen, eine größere Auswahl der zu pflegenden Personen anzubieten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Sie ist unbegründet. Dabei kann offenbleiben, ob die Beurteilung des Arbeitsgerichts, zwischen den Parteien habe ein freies Dienstverhältnis bestanden, zutrifft. Der Rückzahlungsforderung der Klägerin steht jedenfalls der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen.

I. Rechtsgrundlage des Herausgabeanspruchs der Klägerin ist § 812 Abs. 1 S. 1, Alt. 1 BGB.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber nach dieser Vorschrift die Rückzahlung überzahlter Honorare verlangen, wenn der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters rückwirkend festgestellt wird. Mit einer solchen Feststellung steht zugleich fest, dass der Dienstverpflichtete als Arbeitnehmer zu vergüten war und ein Rechtsgrund für die Honorarzahlungen nicht bestand, soweit die im Arbeitsverhältnis geschuldete Vergütung niedriger ist als das für das freie Dienstverhältnis vereinbarte Honorar. War anstelle eines Honorars für die Tätigkeit im Arbeitsverhältnis eine niedrigere Vergütung zu zahlen, umfasst der Bereicherungsanspruch des Arbeitgebers nicht sämtliche Honorarzahlungen, sondern nur die Differenz zwischen den beiden Vergütungen (BAG, Urteil vom 26.06.2019 – 5 AZR 178/18 – Juris, Rn. 15). Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Rückzahlungsbegehren der Klägerin auch nicht der Umstand entgegen, dass es bei der Klägerin keine unterschiedlichen Vergütungssysteme für Arbeitnehmer und freie Mitarbeiter gibt (BAG, a.a.O., Rn. 26). Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt die Darlegungslast für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses beim Arbeitgeber (BAG, a.a.O., Rn. 15).

2. Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob zwischen ihnen in der Zeit vom 05.01. bis 21.07.2015 ein Arbeitsverhältnis bestand, kann jedoch offenbleiben und braucht im vorliegenden Verfahren nicht geklärt zu werden. Der Anspruch der Klägerin besteht bereits aus anderen Gründen nicht.

II. Die Klage ist nämlich bereits deswegen unbegründet, weil ihr der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegensteht.

1. Der in § 242 BGB normierte und den gesamten Rechtsverkehr beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet jedermann, in Ausübung seiner Rechte und Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. Nach diesem Grundsatz ist ein Verhalten dann als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn durch das Verhalten der einen Seite für die andere Seite ein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand des Bisherigen entstanden ist (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 16.01.2020 – 5 Sa 150/19; BAG vom 14.09.2005 – 4 AZR 184/04 – Juris, Rn. 18).

Für Rückzahlungsbegehren wegen der Rückabwicklung eines vermeintlich freien Mitarbeiterverhältnisses hat das Bundesarbeitsgericht hierauf bezogen folgende Rechtsgrundsätze aufgestellt: Durch die Vereinbarung und Behandlung des Rechtsverhältnisses als freie Mitarbeit wird beim Mitarbeiter ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen. Erweist sich die Zusammenarbeit tatsächlich als Arbeitsverhältnis, ist dieses Vertrauen des Arbeitnehmers grundsätzlich schützenswert. Der Arbeitgeber handelt rechtsmissbräuchlich, wenn er versucht, dem Mitarbeiter die erhaltenen Vorteile wieder zu entziehen. Anders liegt es, wenn der Mitarbeiter selbst eine Klage erhebt und für einen bestimmten Zeitraum die Einordnung des Rechtsverhältnisses als Arbeitsverhältnis geltend macht. Damit gibt er zu erkennen, dass er das Rechtsverhältnis nicht nach den Regeln der freien Mitarbeit, sondern nach Arbeitsrecht behandelt wissen will. Wenn der Arbeitgeber entsprechend diesem Anliegen verfährt und das Rechtsverhältnis auch vergütungsrechtlich als Arbeitsverhältnis behandelt, kann der Arbeitnehmer insoweit keinen Vertrauensschutz geltend machen (BAG, Urteil vom 08.11.2006 – 5 AZR 706/05 – Juris, Rn. 37). Gleiches gilt, wenn der vermeintlich freie Mitarbeiter ein sozialversicherungsrechtliches Statusfeststellungsverfahren nach § 7 a Abs. 1, S. 1 SGB IV eingeleitet hat (BAG vom 26.06.2019 – 5 AZR 178/18 – Rn. 22). In den Fällen, in denen der Beschäftigte jedoch für sich selbst nicht eine eigene Arbeitnehmereigenschaft in Anspruch nimmt, bleibt es beim vom BAG aufgestellten Grundsatz (vergl. den ausdrücklichen Verweis des BAG in der Entscheidung vom 26.06.2019 auf die Rn. 37 der Entscheidung vom 08.11.2006 – 5 AZR 706/05). Dieser Linie der Rechtsprechung ist auch die Literatur gefolgt (Erf.Komm.-Preis, 19. Auflage, § 611, Rn. 102 a.E.; Schaub-Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 17. Auflage, § 74, Rn. 2).

2. Nach diesen Grundsätzen ist dem Beklagten Vertrauensschutz zu gewähren.

a) Die Parteien haben ausdrücklich ein Rechtsverhältnis vereinbart, nach dessen Inhalt der Beklagte als selbstständiger freier Mitarbeiter für die Klägerin tätig sein sollte. Das Rechtsverhältnis ist auch durchgehend von beiden Seiten als freie Mitarbeit durchgeführt worden. Der Beklagte wurde für die Klägerin tätig, ohne dass diese etwa zur Urlaubsgewährung oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet war. Daneben unterlag der Beklagte auch nicht den Beschränkungen des Arbeitszeitgesetzes und konnte seine Dienstleistungen der Klägerin zeitlich unbegrenzt anbieten. Sein – im Vergleich zu einem Arbeitnehmer – deutlich höheres Honorar kompensierte neben der fehlenden Einbeziehung in die gesetzliche Sozialversicherung etwa auch das Fehlen des Kündigungsschutzes und aller weiteren zu Gunsten der Arbeitnehmer bestehenden gesetzlichen Schutzvorschriften.

b) Zu keinem Zeitpunkt hat der Beklagte gegenüber der Klägerin, den Sozialversicherungsträgern oder sonstigen Personen oder Behörden geltend gemacht, er sei tatsächlich als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer bei der Klägerin tätig gewesen.

c) Sonstige Umstände, die der Gewährung von Vertrauensschutz für den Beklagten entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es unerheblich, auf wessen Initiative und Wunsch die Vereinbarung der Tätigkeit als freies Mitarbeiterverhältnis zustande gekommen ist. Der Vertrauensschutz für den Beklagten erwächst aus der tatsächlichen Durchführung des Rechtsverhältnisses und besteht unabhängig von der wechselseitigen Motivlage beim Vertragsschluss. Vor diesem Hintergrund ist es auch unerheblich, ob der Beklagte der Klägerin seine Tätigkeit als freier Mitarbeiter „aufgedrängt“ hatte, wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dies in der Berufungsverhandlung formuliert hat. Die Klägerin kannte sämtliche Umstände der beabsichtigten Beschäftigung. Dass sie daraus nicht die zutreffenden rechtlichen Schlussfolgerungen gezogen hat, steht der Schutzwürdigkeit des durch den Vertragsschluss gesetzten Vertrauens in die Gültigkeit der Abrede nicht entgegen (ebenso LAG Schleswig-Holstein, a.a.O).

Für die Gewährung von Vertrauensschutz spricht vielmehr zusätzlich, dass die Klägerin den Beklagten von dem sozialversicherungsrechtlichen Prüfungsverfahren durch die DRV in keiner Weise informiert hat. Damit hat sie dem Beklagten die Möglichkeit genommen, auf Seiten der Klägerin für seine Anerkennung als freier Mitarbeiter zu argumentieren. Die Klägerin hat demgegenüber das Ergebnis der Prüfung der DRV ohne Einlegung von Rechtsbehelfen zur Kenntnis genommen und versucht nun, sich bei den Betroffenen – neben dem Beklagten sind noch drei weitere Verfahren der Klägerin mit Rückzahlungsforderungen gegen ehemalige vermeintliche freie Mitarbeiter beim Landesarbeitsgericht anhängig – schadlos zu halten.

d) Der Klägerin war schließlich auch kein Schriftsatznachlass zur Frage des Vertrauensschutzes zu gewähren. Der Hinweis des Gerichts auf diesen Aspekt des Falls ist der Klägern 11 Tage vor dem Berufungstermin zugegangen und damit so rechtzeitig, dass die Klägerin ohne weiteres noch Entscheidungserhebliches hätte vortragen können. Darüber hinaus hat die Klägerin ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung ergänzt, ohne dass dabei Entscheidungserhebliches vorgetragen wurde. Die maßgeblichen Tatsachen für die Entscheidung, insbesondere nämlich der Umstand, dass der Beklagte selbst stets von einer Beschäftigung als freier Mitarbeiter ausgegangen war und ist, stehen fest.

III. Mangels Hauptanspruch stehen der Klägerin die geltend gemachten Zinsen nicht zu.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar. Die Entscheidung der Kammer folgt der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

 

 

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