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Ruhensvereinbarung Arbeitsverhältnis – Zahlung weiterer Urlaubsabgeltung – Minusstundenabzug

ArbG Dortmund – Az.: 10 Ca 1108/21 – Urteil vom 11.06.2021

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.785,96 EUR brutto zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 37 % und die Beklagte zu 63 %.

4. Der Streitwert wird auf 23.830,16 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten im hiesigen, vom Verfahren 2 Ca 202/20 zur gesonderten Beratung und Entscheidung abgetrennten Verfahren über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung weiterer Urlaubsabgeltung (nebst zusätzlicher Urlaubsvergütung) sowie über einen „Minusstundenabzug“.

Der am 07.11.“0000″ geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 10.05.2010 als CNC-Dreher zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von 3.284,00 EUR nebst Leistungszulage in Höhe von 390,14 EUR brutto und weiterer Zuschläge tätig. Der durchschnittliche Tagesverdienst des Klägers lag – zwischen den Parteien unstreitig – bei 178,76 EUR brutto. Zudem lag der Tagessatz für ein zusätzliches Urlaubsgeld – ebenfalls zwischen den Parteien unstreitig – bei 89,38 EUR brutto.

Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fanden die tarifrechtlichen Bestimmungen der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen Anwendung.

Der insoweit anwendbare Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2018 (im Folgenden: MTV) sieht unter § 36.4 vor:

„Im Ein- und Austrittsjahr haben Beschäftigte gegen den alten und neuen Arbeitgeber Anspruch auf so viele Zwölftel des ihnen zustehenden Urlaubs, als sie Monate bei ihnen gearbeitet haben (Beschäftigungsmonate). Ein angefangener Monat wird voll gerechnet, wenn die Beschäftigung mindestens zehn Kalendertage bestanden hat. Für eine Beschäftigung bis zu zwei Wochen besteht kein Urlaubsanspruch. […]

Wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April beendet wird, ist der volle Jahresurlaub zu gewähren. Dies gilt nicht im Eintrittsjahr.“

Weiter heißt es unter § 37.7 MTV:

„Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulässig.“

Im Übrigen regelt § 38.1 die Urlaubsgrundvergütung wie folgt:

„Den Beschäftigten wird während des Urlaubs das regelmäßige Arbeitsentgelt weitergezahlt (berechnet nach § 40).“

Hinsichtlich einer zusätzlichen Urlaubsvergütung heißt es unter § 38.2:

„Sie erhalten darüber hinaus eine zusätzliche Urlaubsvergütung, die bei 30 Urlaubstagen gemäß § 36.1 je Urlaubstag 2,4 % des monatlichen regelmäßigen Arbeitsentgelts ausmacht. […]

Berechnungsgrundlage der zusätzlichen Urlaubsvergütung sind die festen Entgeltbestandteile des laufenden Monats zuzüglich des Monatsdurchschnitts der gemäß § 40 zu berücksichtigenden variablen Entgeltbestandteile der letzten sechs abgerechneten Monate.“

Im Übrigen regelt der MTV unter § 49.2 folgende Ausschlussfristen:

„Beschäftigte haben das Recht, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb folgender Fristen geltend zu machen:

a) Ansprüche auf Zuschläge für Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Abrechnung,

b) alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit.“

Der Kläger war seit dem 17.08.2017 arbeitsunfähig erkrankt. Er erhielt ab dem 28.09.2017 bis einschließlich 13.02.2019 Krankengeld. Der Krankengeldbezug endete insoweit am 13.02.2019.

Mit Schreiben vom 08.04.2019 (Bl. 66 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dieser die übersandten Vereinbarungen zu einem ruhenden Arbeitsverhältnis ohne Unterschrift zurückgesandt habe und wies darauf hin, dass durch die Beantragung des Arbeitslosengeldes das bestehende Arbeitsverhältnis ruhe und das damit verbundene Beschäftigungsverhältnis zunächst beendet sei. Außerdem würden während des ruhenden Arbeitsverhältnisses ebenfalls die vertraglichen Hauptleistungspflichten ruhen, sodass während dieser Zeit keine Urlaubsansprüche entstünden.

Weiterhin wies die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 21.01.2020 (Bl. 158 d.A.) darauf hin, dass ihm für das Urlaubsjahr 2018 30 Urlaubstage zustehen würden, hinsichtlich derer eine Urlaubsnahme bis zum 31.03.2020 möglich sei. Hierbei forderte die Beklagte den Kläger auf, im Falle seiner Rückkehr an den Arbeitsplatz, die aus dem Jahr 2018 übertragenen Urlaubsansprüche bis zum 31.03.2020 zu nehmen, anderenfalls würden diese mit dem 31.03.2020 verfallen.

Mit weiterem Schreiben vom 06.01.2020 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine ordentliche Kündigung zum 30.04.2020 aus.

Im Rahmen des hinsichtlich der Kündigung vom 06.01.2020 vor dem Arbeitsgericht Dortmund unter dem Az. 2 Ca 202/20 geführten Kündigungsschutzverfahrens schlossen die Parteien sodann folgenden Vergleich:

„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung der Beklagten vom 06.01.2020 fristgemäß mit Ablauf des 30.04.2020 sein Ende finden wird.

2. Beide Parteien verpflichten sich, das Arbeitsverhältnis bis zum vorgenannten Beendigungsdatum ordnungsgemäß fortzusetzen und abzuwickeln. Die Auszahlung der abgerechneten Beträge erfolgt unter Berücksichtigung etwaig Rechter Dritter.

3. Die Beklagte zahlt an den Kläger bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung entsprechend §§ 9,10 KSchG in Höhe von 5.000,00 EUR brutto. Der Abfindungsanspruch ist bereits jetzt entstanden und vererblich und wird mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Zahlung fällig. Die Auszahlung erfolgt unter Berücksichtigung etwaig Rechter Dritter.

4. Die Beklagte erteilt dem Kläger ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis. Der Kläger ist berechtigt, hierzu einen Textvorschlag zu unterbreiten, von welchem die Beklagte nur aus wichtigem Grund abweichen darf.

5. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.“

Mit Abrechnung für 04/2020 (Bl. 45 d.A.) zahlte die Beklagte an den Kläger eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.340,72 EUR brutto für 5 Tage für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 28.02.2019. Zudem enthielt die Entgeltabrechnung einen Abzug „Zeitkonto Auszahlung“ in Höhe von 1.038,26 EUR brutto.

Mit seinem im Gütetermin zum Verfahren 2 Ca 202/20 am 12.03.2020 erklärten Klageerweiterungsantrag, welcher vom Verfahren 2 Ca 202/20 abgetrennt und im hiesigen Verfahren fortgeführt wurde, verlangt der Kläger nunmehr die Abgeltung weiterer Urlaubsvergütung nebst „zusätzlicher Urlaubsvergütung“ für den Zeitraum 2018 bis zum 30.04.2020 sowie die (Rück-)zahlung eines von der Beklagten einbehaltenen Abzugs für Minusstunden.

Der Kläger ist der Ansicht, ein Arbeitnehmer erwirke auch dann einen Urlaubsanspruch, wenn das Arbeitsverhältnis ruht.

Der Kläger hat ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger brutto EUR 17.144,04 nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.05.2020 zu zahlen.

Mit Schriftsatz vom 29.07.2020 beantragte der Kläger sodann unter Klagerücknahme im Übrigen, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 16.775,94 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.05.2020 zu zahlen.

Nunmehr beantragt der Kläger, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 22.791,90 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.05.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger sei seit dem 14.02.2019 beschäftigungslos im Sinne von § 138 I Nr. 1 SGB III. Damit sei zwischen den Parteien stillschweigend das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden, sodass auch keine Urlaubsansprüche des Klägers entstehen könnten.

Weiterhin meint die Beklagte, die Urlaubsansprüche des Klägers für den Zeitraum 01.01.2018 bis 31.12.2018 seien verfallen.

Im Übrigen sei der im Rahmen der Schlussabrechnung vorgenommene Abzug in Höhe von 1.038.26 EUR brutto ein berechtigter Minusstundenabzug. Insoweit behauptet die Beklagte, der Kläger habe am 26.05.2016 zuletzt 10,5 Minusstunden auf seinem Zeitkonto gehabt und danach weiter kontinuierlich Minusstunden aufgebaut. Dem Kläger sei in diesem Zusammenhang in jeder Nachtschichtwoche, welche der Kläger im Zeitraum von Mai 2014 bis Januar 2017 regelmäßig geleistet habe, eine Minusstunde angefallen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.

I.

1. Die Klage ist zulässig.

a) Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 I Nr. 3 lit. a ArbGG gegeben. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Dortmund ergibt sich aus § 46 II ArbGG, §§ 12, 17 ZPO.

b) Die Klage ist insbesondere im zuletzt zur Entscheidung gestellten Umfang zulässig. Soweit der Kläger seinen ursprünglich in der Klageschrift und zuletzt im Schriftsatz vom 29.07.2020 angekündigten Antrag teilweise modifiziert hat, handelt es sich um eine Beschränkung der Klage im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO.

Es kann dahinstehen, ob in der Beschränkung der Klage nach § 264 Nr. 2 ZPO zugleich eine teilweise Klagerücknahme liegt, in die die Beklagte nach § 269 I ZPO einwilligen muss. Das ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die Beklagte hat die Einwilligung nach § 269 I ZPO jedenfalls konkludent erteilt, indem sie sich sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung auf den Vortrag des Klägers im Rahmen seines Schriftsatzes vom 11.05.2021 eingelassen hat, mit dem dieser erklärt hat, dass der Berechnung eine andere Vergütung zugrunde zu legen ist. Dem Vortrag der Beklagten ist insoweit zu entnehmen, dass auch sie nur noch die verminderte Zahlungsklage hinsichtlich der Urlaubsabgeltung nebst Urlaubsgeld für den Zeitraum 01.01.2019 bis 30.04.2020 als Gegenstand des Verfahrens angesehen hat. Dies insbesondere deshalb, da die Beklagte nach den Erörterungen der Kammer im Rahmen der Antragsstellung keine Einwände erhoben hat. Darin liegt eine konkludente Einwilligung der Beklagten in eine etwaige teilweise Klagerücknahme (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 15.7.2020 – 10 AZR 507/18, NZA 2020, 1650, beck-online, m.w.N.)

2. Die Klage ist nur teilweise begründet.

a) Dem Kläger steht ein Zahlungsanspruch nur in Höhe von15.785,96 EUR brutto zu.

aa) Dem Kläger steht für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 30.04.2020 der geltend gemachte Abgeltungsanspruch für 55 Urlaubstage in Höhe von 14.747,70 EUR brutto zu, § 7 IV BUrlG iVm. Ziffer 2 des Vergleichs vom 12.03.2020 iVm. §§ 36.4, 37.7, 38.1, 38.2, 40 MTV.

(1) Es kann hierbei dahinstehen, ob das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit dem Ende des Krankengeldbezuges durch den Kläger am 13.02.2019 ruht.

(a) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich die erkennende Kammer anschließt, hindert die mit einer Ruhensvereinbarung bewirkte Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis das Entstehen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nicht. Der Urlaubsanspruch nach den §§ 1, 3 I BUrlG setzt allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus. Er steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat. Weder enthält § 1 BUrlG, nach dem jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub hat, eine Ausnahmeregelung für den Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses, noch nimmt § 2 S. 1 BUrlG Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis kraft Abrede der Arbeitsvertragsparteien oder aufgrund tariflicher Anordnung ruht, vom Geltungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes aus (BAG, Urt. v. 22.1.2019 – 9 AZR 10/17, NZA 2019, 832 Rn. 28, beck-online, m.w.N.)

Bei der Berechnung des Umfangs des Urlaubsanspruchs ist insoweit den Vorgaben des Unionsrechts Rechnung zu tragen (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 22.1.2019 – 9 AZR 10/17, NZA 2019, 832 Rn. 29-32, beck-online, m.w.N.). § 3 I BUrlG ist richtlinienkonform dahin gehend auszulegen, dass Arbeitnehmer, die mit dem Arbeitgeber das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbaren, weil sie wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit während des Bezugszeitraums ihrer Arbeitspflicht nicht nachkommen können, Arbeitnehmern gleichzustellen sind, die während dieses Zeitraums tatsächlich arbeiten.

Der Gerichtshof hat mit der Entscheidung vom 13.12.2018 (EuGH, ECLI:EU:C:2018:1018 = NZA 2019, 47 – Hein) unter Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung erkannt, dass der Zweck des in Art. 7 der RL 2003/88/EG jedem Arbeitnehmer gewährleisteten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Er hat weiter festgestellt, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auf der Prämisse beruht, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenzzeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Der Anspruch ist daher grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen. Ein Arbeitnehmer kann danach einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gem. Art. 7 I der RL 2003/88/EG nur für die Zeiträume erwerben, in denen er tatsächlich gearbeitet hat.

Daraus folgt jedoch nicht, dass es unionsrechtlich geboten ist, den Jahresurlaub zu kürzen, wenn das Ruhen des Arbeitsverhältnisses darauf zurückzuführen ist, dass ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen seine Verpflichtung zur Arbeitsleistung nicht erfüllen kann. Das Unionsrecht steht im Gegenteil in dieser Situation einer Kürzung des Urlaubsanspruchs entgegen. Der Gerichtshof hat erkannt, dass ein Mitgliedstaat den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Art. 7 der RL 2003/88/EG nicht von der Voraussetzung einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig machen kann, wenn ein Arbeitnehmer wegen Krankheit nicht in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen. In Bezug auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub sind Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit ferngeblieben sind, mit Arbeitnehmern gleichgestellt, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben. Die Situation von Arbeitnehmern, die aufgrund ihres Gesundheitszustands arbeitsunfähig sind und deshalb die Arbeitsleistung nicht erbringen können, unterscheidet sich nach Feststellung des Gerichtshofs grundlegend von der von Arbeitnehmern, die unter keinen durch eine Erkrankung hervorgerufenen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen leiden und allein willentlich die Aufhebung ihrer Arbeitspflicht herbeigeführt haben.

(b) Mangels eigener Regelung zum tariflichen Mehrurlaub gelten die vorgenannten Grundsätze auch für diesen.

(c) In Anwendung dieser Grundsätze stand dem Kläger für das Jahr 2019 ein Resturlaubsanspruch in Höhe von 25 Tagen (30 Tage abzüglich unstreitig abgegoltener 5 Tage) zu.

Für das Jahr 2020 stand dem Kläger ein Resturlaubsanspruch in Höhe von 30 Tagen zu. Etwas anderes ergibt sich nach den Feststellungen der erkennenden Kammer auch nicht aus der Regelung unter § 36.4 des MTV, die vorsieht, dass für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 01.04. beendet wird, der volle Jahresurlaub zu gewähren ist. Eine Kürzung des Urlaubsanspruchs des Klägers kommt insoweit nicht in Betracht. Die Parteien haben sich unstreitig im Rahmen eines Vergleichs darauf geeinigt, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund arbeitgeberseitiger, fristgemäßer Kündigung mit Ablauf des 30.04.2020 erfolgt.

(2) Der sich hieraus ergebende Resturlaubsanspruch von 55 Tagen ist mit insgesamt 14.747,70 EUR brutto abzugelten.

(a) Zwischen den Parteien ist insoweit unstreitig, dass dem Kläger ein Tagessatz in Höhe von 178,76 EUR brutto zusteht. Auf 55 Urlaubstage entfällt demnach ein Abgeltungsbetrag in Höhe von 9.831,80 EUR brutto.

(b) Hinzu kommt ein in § 38.2 des MTV akzessorisch ausgestalteter, d. h. mit Fälligkeit der Urlaubsvergütung ebenfalls fällig werdender, Urlaubsgeldanspruch in Höhe von 4.915,90 EUR brutto bezogen auf 55 Urlaubstage (55 x unstreitiger Tagessatz für die „zusätzliche Urlaubsvergütung“ in Höhe von 89,38 EUR brutto).

Das zusätzliche Urlaubsgeld ist geschuldet, sofern ein Anspruch auf Urlaubsvergütung besteht. Dafür spricht schon die Bezeichnung der Leistung als eine mit der Urlaubsvergütung zu zahlende „zusätzliche Urlaubsvergütung“. Demgegenüber ist die Ausgestaltung als eines von der individuellen Dauer des Urlaubs unabhängigen Betrags in der Höhe von 2,4 % des monatlichen regelmäßigen Arbeitsentgeltes je Urlaubstag für die Auslegung wenig ergiebig. Zwar könnte eine die Betriebstreue belohnende Sonderleistung vereinbart worden sein. Dem steht jedoch entgegen, dass die Tarifvertragsparteien die Gewährung der zusätzlichen Urlaubsvergütung „je Urlaubstag“ geregelt haben. Eine weitere einschränkende Voraussetzung mit Ausnahme des Bestehens von Urlaubstagen liegt hingegen nicht vor. (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 21.10.1997 – 9 AZR 255/96, NZA 1998, 666, beck-online)

bb) Dem Kläger steht für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2018 kein weiterer Zahlungsanspruch für weitere 30 Urlaubstage in Höhe von 8.044,20 EUR brutto zu, § 7 IV BUrlG iVm. Ziffer 2 des Vergleichs vom 12.03.2020 iVm. §§ 36.4, 37.7, 38.1, 38.2, 40 MTV.

Der dem Kläger zustehende Urlaub ist gemäß § 7 III 3 BUrlG und § 49.2 MTV verfallen.

(a) Der gesetzliche Urlaubsanspruch des Klägers ist 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, mithin am 31.03.2020 verfallen. Es kann insoweit dahinstehen, ob die Beklagte ihren Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachgekommen ist. Denn auch für den Fall, dass die Beklagte ihre Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hätte, wäre der gesetzliche Urlaubsanspruch des Klägers am 31.03.2020 verfallen.

(aa) Hat der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt und war es dem Arbeitnehmer bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres allein aufgrund durchgehend bestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, den Urlaub zu nehmen, ist § 7 III BUrlG nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. hierzu BAG, Beschl. v. 7.7.2020 – 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541, beck-online, m.w.N.), welcher sich die erkennende Kammer anschließt, richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Dies betrifft den Urlaub für Urlaubsjahre, in denen der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig krank war und deshalb – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt hat – überhaupt keinen Urlaub nehmen konnte. In diesem Fall ist von besonderen Umständen auszugehen, die den Verfall des Urlaubsanspruchs rechtfertigen.

Die Befristung des Urlaubsanspruchs ist bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 III BUrlG nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es – was erst im Nachhinein feststellbar ist – objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren.

Zwar ist dem Arbeitgeber regelmäßig die Berufung auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs versagt, wenn er seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat, denn ein verständiger Arbeitnehmer hätte bei gebotener Aufforderung und Unterrichtung seinen Urlaub typischerweise rechtzeitig vor dem Verfall beantragt.

Anders verhält es sich, wenn auch bei Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten deren Zweck nicht hätte erreicht werden können, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Unter diesen Umständen ist es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, welcher sich die erkennende Kammer anschließt, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen. War der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig oder trat die bis zu diesem Zeitpunkt fortbestehende Arbeitsunfähigkeit im Verlauf des Urlaubsjahres ein, ohne dass dem Arbeitnehmer vor deren Beginn (weiterer) Urlaub hätte gewährt werden können, sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal. Der Urlaubsanspruch ist auf eine bezahlte Befreiung von der Arbeitspflicht gerichtet. Kann der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung krankheitsbedingt nicht erbringen, wird ihm die Arbeitsleistung unmöglich. Er wird nach § 275 I BGB von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung ist deshalb rechtlich unmöglich.

(bb) Nach den vorstehenden Grundsätzen ist auch der gesetzliche Urlaubsanspruch des Klägers für das Jahr 2018 mit Ablauf des 31.03.2020 verfallen. Dem Kläger war es allein aufgrund seiner andauernden Erkrankung unmöglich, dem ihm zustehenden Urlaub zu nehmen. Einer etwaigen Aufforderung oder eines etwaigen Hinweises der Beklagten zur der Möglichkeit des Verfalls von Urlaubsansprüchen bedurfte es hingegen mangels Einflussnahmemöglichkeit der Beklagten und des Klägers nicht.

(b) Der vom Kläger geltend gemachte Abgeltungsanspruch hinsichtlich des tariflichen Mehrurlaubs ist ebenfalls verfallen, § 49.2 MTV.

Der Abgeltungsanspruch kann als reiner Geldanspruch einer tariflichen Ausschlussfrist unterliegen. Der Anspruch des Klägers auf Abgeltung des ihm zustehenden tariflichen Mehrurlaubs entstand mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.04.2020 und wurde gleichzeitig fällig. Durch die erstmalige Geltendmachung mit Schreiben vom 11.05.2021 hat der Kläger die Dreimonatsfrist des § 49.2 MTV nicht gewahrt. (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 22.1.2019 – 9 AZR 10/17, NZA 2019, 832, beck-online, m.w.N.)

(c) Da ein zusätzliches Urlaubsgeld nur dann geschuldet ist, wenn ein Anspruch auf Urlaubsvergütung besteht, besteht ebenfalls kein weiterer Anspruch des Klägers hinsichtlich der Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2018.

b) Dem Kläger steht ein Anspruch auf (Rest-)zahlung der vollen Monatsvergütung in Höhe von 1.038,26 EUR brutto gemäß § 611 I BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag zu.

Die Beklagte hat nicht hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt, dass sie zum Abzug von 41,25 Minusstunden berechtigt war. Insbesondere konnte die erkennende Kammer mangels hinreichender Darlegung und fehlendem Beweisantritt keinen Beweis zu der Frage erheben, an welchen Tagen der Kläger in der Vergangenheit wie viele Minusstunden aufgebaut hat.

c) Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

Die Abgeltungsansprüche des Klägers waren mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.04.2020 fällig. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der vollen Monatsvergütung war gemäß § 39.7 am letzten Banktag des Kalendermonats, mithin ebenfalls am 30.04.2020 fällig. Die Beklagte befand sich daher jedenfalls im geltend gemachten Zeitraum ab dem 05.05.2020 in Verzug.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 II ArbGG, § 92 ZPO, § 264 Nr. 2 ZPO, § 269 III 2 ZPO unter Berücksichtigung des gegenseitigen Unterliegens und Obsiegens. Der fiktive Kostenstreitwert setzt sich zusammen aus dem Nennbetrag der Zahlungsklage sowie dem zuvor gemäß § 264 Nr. 2 ZPO beschränkten bzw. zurückgenommenen Teil der Zahlungsklage.

III.

Der gemäß § 61 ArbGG im Urteil festzusetzende Wert des Streitgegenstandes gründet sich auf § 46 II ArbGG, §§ 3 ff. ZPO.

Unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Streitwertkatalogs hat die Kammer für die Zahlungsklage den Nennbetrag zugrunde gelegt.

 

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