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Sachgrundlose Befristung – Tarifauslegung – Quote

ArbG Frankfurt, Az.: 19 Ca 9365/13, Urteil vom 08.05.2014

– Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 14.09.2010/16.09.2010 zum 30.11.2013 beendet ist.

– Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

– Der Streitwert wird auf 16.250,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.

Sachgrundlose Befristung - Tarifauslegung - Quote
Symbolfoto: Von U.J. Alexander /Shutterstock.com

Die Beklagte ist ein bundeseigenes Unternehmen, welches in den Bereichen der internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung und internationaler Bildungsarbeit insbesondere für das Bundesministerium A tätig ist. Zumindest seit 2008 besteht mehr als 50 % ihrer Belegschaft aus befristet beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Die Klägerin war ab dem 08. November 2010 bei der Beklagten in Eschborn als Personalreferentin beschäftigt und wurde in dieser Funktion in der Organisationseinheit Personalentwicklung der Beklagten eingesetzt, und zwar in den Bereichen Kompetenz- und Führungskräfteentwicklung, bevor sie ab dem 01. Januar 2013 mutterschutzbedingt einem vollständigen Beschäftigungsverbot unterfiel und im Anschluss daran Elternzeit bis zum 30. November 2013 in Anspruch nahm. Grundlage der Zusammenarbeit der Parteien, aus der die Klägerin ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von durchschnittlich EUR 5.467,28 erzielte, welches zu Lasten der sog. Verwaltungsgemeinkosten der Beklagten (im Folgenden: die VGK) finanziert wurde, war ein am 14. September 2010 in Eschborn zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten – deren Sitz sich in Eschborn befand – und der Klägerin unterzeichneter Arbeitsvertrag (im Folgenden: der Arbeitsvertrag), der auszugsweise wie folgt lautet:

“ § 1

(1) Frau B wird für die Zeit vom 08.11.2010 bis 30.11.2013 beschäftigt.

(2) (…)

(3) (…)

(4) Das Arbeitsverhältnis endet durch Fristablauf, ohne dass es einer Kündigung bedarf.

(…)

§7

Auf das Arbeitsverhältnis sind die jeweils für den Betrieb oder Betriebsteil geltenden Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung im Rahmen ihres Geltungsbereichs anzuwenden.“

Wegen der Einzelheiten des Arbeitsvertrags wird auf Bl. 9ff. d.A. verwiesen.

Bei der Beklagten existiert unter anderem ein am 17./19. Dezember 2008 von ihrer Rechtsvorgängerin und der Gewerkschaft ver.di mit Wirkung zum 01. Januar 2009 unterzeichneter Manteltarifvertrag (im Folgenden: der MTV), der unter anderem folgende Regelungen enthält:

„I. Geltungsbereich

§ 1 Geltungsbereich

1. Dieser Tarifvertrag gilt für aufgrund eines am Sitz der Gesellschaft abgeschlossenen Arbeitsvertrages in Deutschland eingesetzte Mitarbeiter/-innen der Gesellschaft

(…)

II. Arbeitsvertrag, allgemeine Arbeitsbedingungen

§ 2 Befristung von Arbeitsverträgen

1. Arbeitsverträge, die überwiegend Tätigkeiten im Rahmen zeitlich begrenzter entwicklungspolitischer Maßnahmen zum Gegenstand haben, werden in der Regel befristet abgeschlossen. Solche befristeten Tätigkeiten finden auch im Inland, schwerpunktmäßig jedoch im Ausland statt, wo sie den Großteil der Einsätze ausmachen. Sonstige rechtlich zulässige Befristungsmöglichkeiten bleiben unberührt.

2. Die Gesellschaft kann gemäß § 14 Absatz 2 Satz 3 Teilzeit– und Befristungsgesetz Arbeitsverträge ohne das Vorliegen eines sachlichen Grunde auf die Dauer von bis zu vier Jahren kalendermäßig befristen; bis zu dieser Gesamtdauer von vier Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung von kalendermäßig befristeten Arbeitsverträgen zulässig.

3. Die Gesellschaft wird nicht mehr als 15% der Mitarbeiter/-innen, deren monatliche Vergütung ganz oder teilweise zu Lasten der Verwaltungsgemeinkosten finanziert wird, aufgrund der Regelung in Ziffer 2 befristet beschäftigen. Sonstige rechtlich zulässige Befristungsmöglichkeiten werden dadurch nicht berührt.

Protokollnotiz zu § 2 Ziffer 2 und 3

Die Parteien betrachten diese Regelungen vor dem Hintergrund des geltenden Gesetzesrechts zur Befristung von Arbeitsverträgen insgesamt als angemessenen Ausgleich. Sollten sich die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen künftig ändern, werden die Parteien unverzüglich in Tarifgespräche eintreten mit dem Ziel, gemeinsam die Angemessenheit der tariflichen Regelungen im Hinblick auf die gesetzliche Neuerung zu überprüfen und ggf. im Sinne einer weiterhin ausgewogenen und interessengerechten Lösung anzupassen.“

Die vorstehend zitierten Regelungen des MTV zum Thema der Befristung von Arbeitsverhältnissen finden sich unverändert bereits in dem im Jahre 2003 geschlossenen Vorgängermanteltarifvertrag, der im Zusammenhang mit einer Vereinheitlichung des Tarifsystems der Beklagten vereinbart worden war. In dem Protokoll über die seinerzeit zwischen den Tarifvertragsparteien geführten Verhandlungen (Bl. 101ff. d.A.) – in denen eine Rechtsfolge für den Fall der Überschreitung der Befristungsquote nicht diskutiert wurde – heißt es hierzu wie folgt:

„Im Hinblick auf § 2 Absatz 2 vertritt ver.di die Position, dass im Gegenzug zur sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen bis zu vier Jahren den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach Ablauf der vier Jahre ein Anspruch auf unbefristete Beschäftigung einzuräumen ist. Alternativ ist die in § 2 Absatz 3 vorgesehene Höchstquote von 15 % solcher Befristungen weiter zu reduzieren. In Der Protokollnotiz ist auf Wunsch von ver.di „Verhandlungen“ durch „Tarifgespräche“ zu ersetzen.

Die GTZ sieht sich nicht in der Lage, die in dem Entwurf enthaltene Regelung zu umzugestalten oder zu ergänzen. Als Alternative kommt für sie ausschließlich der Rückfall auf die gesetzlichen Bestimmungen (Teilzeit- und Befristungsgesetz) in Frage. Der redaktionellen Änderung der Protokollnotiz wird hingegen zugestimmt.

Im Ergebnis verständigen sich die Tarifvertragsparteien auf die Beibehaltung der im Entwurf vorgesehenen Regelung unter Vornahme der von ver.di gewünschten sprachlichen Änderung der Protokollnotiz.“

Die Klägerin weht sich mit ihrer am 23. Dezember 2013 vorab per Telefax beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenen Klage, die der Beklagten am 14. Januar 2014 zugestellt worden ist, gegen eine befristungsbedingte Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2013.

Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe bei Abschluss des Arbeitsvertrages, aber auch danach stets die in § 2 Ziffer 3 MTV vorgegebene Befristungsquote überschritten. Sie ist der Ansicht, dass dies zur Unwirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses führe.

Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 14.09.2010/16.09.2010 zum 30.11.2013 beendet ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, sie habe bei Abschluss des Arbeitsvertrages insgesamt 1.453 Mitarbeiter/-innen auf der Grundlage befristeter Arbeitsverträge auf Verwaltungsgemeinkosten beschäftigt. Von diesen seien lediglich 9,6 % wie die Klägerin sachgrundlos für einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren beschäftigt gewesen. Auch zwischen dem 08. November 2010 und dem 30. November 2013 sei die in § 2 Ziffer 3 MTV vorgegebene Quote zu keiner Zeit überschritten worden. Dies ergebe sich aus einem Standardbericht ihres Softwaresystems, welcher unter Berücksichtigung folgender Punkte erstellt worden sei: aktive Mitarbeiter/-innen im Geltungsbereich des MTV; zu 1 bis 100 % kostenstellenfinanziert; keine Person in Beurlaubung, Elternzeit, Freistellung aus Guthaben des Langzeitkontos; keine Auszubildenden, Praktikanten, Aushilfen.

Die Beklagte behauptet des Weiteren, zwischen den Tarifvertragsparteien sei eine Regelung zur Rechtsfolge bei einem Verstoß gegen die in § 2 Ziffer 3 MTV festgelegten Quote nicht gewollt gewesen. Sie vertritt die Ansicht, dass vor diesem Hintergrund eine Überschreitung der in § 2 Ziffer 3 MTV festgesetzten Quote jedenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag führen könne.Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien vom 23. Dezember 2013 (Bl. 5ff. d.A.), 20. Januar 2014 (Bl. 35 d.A.), 30. Januar 2013 (Bl. 45ff. d.A.), 04. März 2013 (Bl. 73ff. d.A.), 01. April 2014 (Bl. 91ff. d.A.), 25. April 2014 (Bl. 111ff. d.A.) sowie auf den Inhalt der Sitzungsprotokolle vom 03. Februar 2014 (Bl. 62 d.A.) und 08. Mai 2014 (Bl. 115 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht aufgrund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag zum 30. November 2013 beendet. Die Befristung gilt nicht als von Anfang an rechtswirksam. Vielmehr ist sie rechtsunwirksam.1. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 30. November 2013 gilt nicht gemäß § 17 S. 2 TzBfG i.V.m. § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Die Frist des § 17 S. 1 TzBfG gilt als gewahrt, auch wenn die Klageerhebung durch Zustellung der Klageschrift (§ 253 Abs. 1 ZPO) erst am 14. Januar 2014 erfolgt ist. Dies folgt aus § 167 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Rückwirkung der Zustellung im Sinne der Vorschrift sind erfüllt.a) Die Klageschrift ist fristgerecht beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangen. Die Frist lief gemäß § 187Abs. 2, § 188Abs. 2, § 193 BGB am Montag, den 23. Dezember 2013, ab. An diesem Tag hat die Klägerin ihre Klage vorab per Fax beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingereicht.b) Die Zustellung der Klageschrift ist „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO erfolgt. Hierbei darf nicht auf eine rein zeitliche Betrachtungsweise abgestellt werden. Vielmehr sollen, da die Zustellung von Amts wegen geschieht, die Parteien vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahrt werden, weil diese Verzögerungen von ihnen nicht beeinflusst werden können. Es gibt deshalb keine absolute zeitliche Grenze, nach deren Überschreitung eine Zustellung nicht mehr als „demnächst“ anzusehen ist. Dies gilt auch dann, wenn es zu mehrmonatigen Verzögerungen kommt. Denn Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, muss sich der Kläger grundsätzlich nicht zurechnen lassen (BGH, Urteil v. 12. Juli 2006 – IV ZR 23/05, NJW 2006, 3206 Rz. 17 m.w.N.). Allerdings sind einer Partei solche nicht nur geringfügigen Verzögerungen zuzurechnen, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter bei sachgerechter Prozessführung hätten vermeiden können (BGH, Urteil v. 12. Juli 2006 – IV ZR 23/05, NJW 2006, 3206 Rz. 18 m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Zustellung der Klageschrift „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO erfolgt. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Klägerin die Verzögerung der Zustellung hätte vermeiden können. Die Einreichung der Klageschrift am letzten Tag der Frist ist kein Fall der unsachgemäßen Prozessführung.2. Die vorliegend allein streitgegenständliche sachgrundlose Befristung des Arbeitsvertrages ist rechtsunwirksam. Die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG fixierte Höchstdauer von zwei Jahren ist überschritten. Die Voraussetzungen für eine nach § 14Abs. 2 S. 3, 4 TzBfG i.V.m. § 2 MTV zulässige sachgrundlose Befristung von bis zu vier Jahren liegen nicht vor. Die Beklagte hat die tarifvertraglich geregelte Höchstquote für solche sachgrundlosen Befristungen nicht eingehalten.

a) Die Einhaltung der in § 2 Ziffer 3 MTV geregelten Quote ist Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen, die – wie der Arbeitsvertrag der Klägerin – zu Lasten der VGK für einen Zeitraum von zwischen zwei und vier Jahren abgeschlossen werden. Dies ergibt sich aus der gebotenen objektiven Auslegung des § 2 Ziffer 2, 3 MTV.

aa) § 2 Ziffer 2, 3 MTV ist in Gänze objektiv auszulegen.

aaa) Welche Kriterien für die Auslegung von Vereinbarungen zwischen Tarifvertragsparteien angewandt werden, richtet sich nach dem Charakter der Vereinbarung. Haben die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag mit Rechtsnormen vereinbart, sind diese nach der objektiven Methode auszulegen. Handelt es sich um einen rein schuldrechtlichen Tarifvertrag oder um einen nichttariflichen sonstigen Vertrag, ist er nach der subjektiven Methode wie ein Vertrag auszulegen. Die gesetzlichen Kriterien hierfür finden sich in den §§ 133, 157 BGB. Ist umstritten, ob es sich um einen Tarifvertrag oder um eine sonstige nichttarifliche Vereinbarung handelt, ist der Inhalt und damit die Charakterisierung anhand des zu ermittelnden Willens der Parteien festzustellen. Die objektive Auslegung ist erst dann vorzunehmen, wenn feststeht, dass es sich um ein Normenwerk handelt. Insoweit unterliegt der schuldrechtliche Teil eines Tarifvertrags anderen Auslegungskriterien als der normative Teil, denn im schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrags werden lediglich Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien geregelt. Normative Wirkung entfaltet er nicht (BAG, Urteil v. 08.12.2011 – 6 AZR 291/10, AP TVG § 1 Nr. 58 Rz. 15 m.w.N.).

bbb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich, dass § 2 MTV in Gänze nach objektiven Kriterien auszulegen ist. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten und die Gewerkschaft ver.di wollten erkennbar eine tarifvertragliche Regelung schaffen.Bereits der Wortlaut der Protokollnotiz zu § 2 Ziffer 2 und 3 MTV spricht für den Parteiwillen, tarifvertragliche Normen zu schaffen. In dieser ist von Regelungen (und nicht etwa von Abreden) die Rede. Hinzu kommt, dass die Tarifvertragsparteien erkennbar einen Regelungszusammenhang gesehen haben, welcher für einen Willen zur einheitlichen Charakterisierung der Vereinbarungen spricht. So wird in der Protokollnotiz eindeutig darauf hingewiesen, dass die Ziffern 2 und 3 des § 2 MTV insgesamt einen angemessenen Ausgleich darstellen. Ziffer 2 des § 2 MTV ist aber eindeutig normativer Natur. Denn nur mit einer normativen Regelung der Tarifvertragsparteien kann eine Abweichung von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG bewirkt werden. Das ergibt sich aus § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG. Es war erkennbar das Ziel der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di, eine solche erweiterte Befristungsmöglichkeit zu schaffen, wie sich insbesondere aus ihrer gemeinsamen Protokollerklärung zu § 2 Ziffer 2 und 3 MTV ergibt.Hinzu kommt, dass dann, wenn tariffähige Parteien in einer Vereinbarung feststehende Rechtsbegriffe wie „Tarifvertrag“ verwenden, davon auszugehen ist, dass sie die Formulierung im Sinne des Gesetzes verstanden wissen wollten (BAG, Urteil v. 13. Oktober 2011 – 8 AZR 514/10, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 228 Rz. 18 m.w.N.). Vorliegend sind keine konkreten Umstände dafür ersichtlich sind, dass die Tarifvertragsparteien in dem ausdrücklich als (Mantel-)Tarifvertrag bezeichneten Vertragswerk einzelne Abreden verorten wollten, denen rein schuldrechtliche Wirkung zukommt.

bb) Anhand der objektiven Auslegung des § 2 Ziffer 2, 3 MTV ergibt sich, dass die Einhaltung der in § 2 Ziffer 3 MTV geregelten Quote Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen ist, die – wie der Arbeitsvertrag der Klägerin – zu Lasten der VGK für einen Zeitraum von zwischen zwei und vier Jahren abgeschlossen werden.

aaa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm ist mitzuberücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist stets abzustellen, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Es gibt nämlich weder einen allgemeinen Erfahrungssatz, in welcher Weise die Tarifvertragsparteien jeweils den mit einer Tarifnorm verfolgten Sinn und Zweck zum Ausdruck bringen, noch gebietet die juristische Methodenlehre hier eine bestimmte Reihenfolge der Auslegungskriterien. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und gesetzeskonformen Regelung führt (BAG, Urteil v. 13. Oktober 2011 – 8 AZR 514/10, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 228 Rz. 26 m.w.N.).

bbb) Unter Berücksichtigung dieser Auslegungsgrundsätze ergibt sich, dass die Einhaltung der in § 2 Ziffer 3 MTV geregelten Quote Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen ist, die für einen Zeitraum von zwischen zwei und vier Jahren zu Lasten der VGK abgeschlossen werden.

(1) Auch wenn der Tarifwortlaut des § 2 Ziffer 3 Satz 1 MTV nicht ausdrücklich klarstellt, dass die in § 2 Ziffer 2 MTV geregelte Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen für einen Zeitraum von zwischen zwei und vier Jahren nur unter dem Vorbehalt der Wahrung der in der Vorschrift festgelegten Quote besteht, ergibt sich diese Rechtsfolge aus der Systematik der Norm. Zum einen ist die in § 2 Ziffer 3 Satz 2 MTV gewählte Formulierung, nach der sonstige rechtlich zulässige Befristungsmöglichkeiten unberührt bleiben, ein deutliches Anzeichen dafür, dass die in Ziffer 3 Satz 1 aufgestellten Voraussetzungen für die rechtliche Zulässigkeit einer von § 14 TzBfG abweichenden Befristungsmöglichkeit entscheidend sind. Zum anderen spricht auch die Stellung des Satzes 2 innerhalb der Tarifnorm dafür, dass Ziffer 2 und Ziffer 3 Satz 1 des § 2 MTV einen einheitlichen Tatbestand für eine von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG abweichende Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen darstellen. Wäre die Einhaltung der in Ziffer 3 Satz 1 festgesetzten Quote für die Zulässigkeit der sachgrundlosen Befristung ohne Bedeutung, so hätte sich deren Satz 2 unter Ziffer 2 statt unter Ziffer 3 der Vorschrift befinden müssen.

(2) Auch der Inhalt der Protokollerklärung spricht für dieses Auslegungsergebnis, da in dieser die Regelungen der Ziffern 2 und 3 in einem Verknüpfungsverhältnis dargestellt werden, nach dem sie insgesamt als angemessene Lösung präsentiert werden. Eine Trennung des Regelungsgehalts ist hiermit nicht zu vereinbaren. Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang im Übrigen, dass die Tarifvertragsparteien bei der Verhandlung der inhaltsgleichen Vorgängernorm im Jahre 2003 die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die unter Ziffer 3 S. 1 der Tarifnorm festgelegten Quote nicht diskutiert haben – was unstreitig geblieben ist. Daraus allein lässt sich nicht schließen, dass keine der beiden Tarifvertragsparteien eine normative Rechtsfolge an den Verstoß gegen diese Quote knüpfen wollte. Soweit die Beklagte des Weiteren behauptet, eine Regelung zur Rechtsfolge bei einem Quotenverstoß habe nicht getroffen werden sollen, ist dies unbeachtlich. Dieser Vortrag zum Vorliegen innerer Tatsachen ist pauschal und nicht nachvollziehbar. Auch das Protokoll über die Tarifverhandlungen im Jahre 2003 liefert hierzu keine konkreten Anhaltspunkte. Aus diesem Dokument ist nicht erkennbar, dass ein Quotenverstoß sanktionslos bleiben sollte. Die Vernehmung der von der Beklagten angebotenen Zeugin ist vor diesem Hintergrund wegen des Verbots des Ausforschungsbeweises unzulässig.

(3) Hinzu kommt, dass die Einführung der unter Ziffer 3 S. 1 des § 2 MTV festgelegten Quote nur dann zu einer vernünftigen, praktisch brauchbaren Regelung führt, wenn deren Einhaltung Teil der Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine vom TzBfG abweichende sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen ist. Eine bloße Durchführungspflicht gegenüber der Gewerkschaft ver.di würde dazu führen, dass diese lediglich das Unterlassen befristeter Einstellungen geltend machen könnte, nicht aber die aus typisierter Gewerkschaftssicht angestrebte unbefristete Einstellung von Bewerbern.Die Durchsetzung eines solchen Unterlassungsanspruchs würde zudem die Kenntnis der Gewerkschaft von den tatsächlichen Verhältnissen im Unternehmen der Beklagten voraussetzen. Zu einer Unterrichtung der Gewerkschaft über die maßgeblichen Zahlen enthält der MTV aber gerade keinerlei Regelungen. Eine solche wäre aber typischerweise zu erwarten, wäre es Sinn und Zweck der Regelung, der Gewerkschaft diesen Unterlassungsanspruch einzuräumen.

b) Die Beklagte hat die Quote des § 2 Ziffer 3 MTV nicht eingehalten. Sie ist insoweit der ihr obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen.

aa) Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für das Eingreifen tariflicher Vorschriften nach § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG sowie für die Wirksamkeit einer Vereinbarung nach § 14 Abs. 2 S. 4 (APS-Backhaus, 4. Aufl. 2012, § 14 TzBfG Rz. 413). Denn die Ausnahme von der Ausnahme – nach der die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nur beim Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässig ist – in der Form der sachgrundlosen Befristung begünstigt den Arbeitgeber (KR-Lipke, 10. Aufl. 2013, § 14 TzBfG Rz. 574).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Beklagte ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Ihr Vortrag, nach dem sie die Quote des § 2 Ziffer 3 MTV bei Abschluss des Arbeitsvertrages und auch danach stets eingehalten habe, was sich aus einem Standardbericht des bei ihr verwendeten Softwaresystems ergebe, welcher anhand bestimmter Kriterien (aktive Mitarbeiter/-innen im Geltungsbereich des MTV; zu 1 bis 100 % kostenstellenfinanziert; keine Person in Beurlaubung, Elternzeit, Freistellung aus Guthaben des Langzeitkontos; keine Auszubildenden, Praktikanten, Aushilfen) erstellt worden sei, ist unbeachtlich. Auf seiner Grundlage ist es dem Gericht nicht möglich, die tatsächliche Einhaltung der Quote zu überprüfen. Es mangelt an konkreten, im Einzelnen nachvollziehbaren Angaben zum Zustandekommen der Auswertung. Eines diesen Umstand hervorhebenden gerichtlichen Hinweises nach § 139 Abs. 2 ZPO bedurfte es nicht. Die Klägerin hat schriftsätzlich ausdrücklich die mangelnde Substantiierung des Vortrags der Beklagten gerügt.Mangels Substantiierung des Vortrags der Beklagten zur Einhaltung der Quote des § 2 Ziffer 3 MTV scheidet auch eine Vernehmung des von ihr angebotenen Zeugen aus. Seine Befragung zu den konkreten Grundlagen der Auswertung verstieße gegen das zivilprozessuale Verbot des Ausforschungsbeweises.

II. Die Nebenentscheidungen beruhen auf folgenden Erwägungen:1. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Dies folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG. Die Beklagte ist im vorliegenden Rechtsstreit vollumfänglich unterlegen.2. Der Streitwert gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG ist auf EUR 16.250,- festzusetzen. Dies entspricht dem Wert des Klageantrags, über den die Kammer entschieden hat.3. Einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung bedarf es nicht. Die Statthaftigkeit der Berufung ergibt sich bereits aus § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG. Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen über den 30. November 2013 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht.

 

 

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