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Schmerzensgeldanspruch wegen Mobbings – tarifliche Ausschlussfrist

ArbG Stuttgart, Az.: 30 Ca 7767/15, Urteil vom 05.07.2016

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Wert des Streitgegenstandes der Entscheidung wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung eines Schmerzensgeldes (Mobbingklage).

Schmerzensgeldanspruch wegen Mobbings - tarifliche Ausschlussfrist
Symbolfoto: Von Photographee.eu /Shutterstock.com

Der im November 1952 geborene Kläger war vom 01.06.2010 bis zum 31.05.2016 bei der beklagten Stadt (im Folgenden: Beklagte) beschäftigt. Der Kläger ist schwerbehindert. Er war zuletzt Mitglied des Personalrats. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der Arbeitsvertrag vom 18.05.2010 (Anl. K 1, Bl. 11 ff. d. Akten). § 2 des Arbeitsvertrages enthält eine Bezugnahmeklausel auf die für die Beklagte einschlägigen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (im Folgenden: TVöD) im Bereich der kommunalen Arbeitgeber (VKA). Die Bezugnahmeklausel hat folgenden Wortlaut:

„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und dem Besonderen Teil Verwaltung und dem diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifvertrag in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung einschließlich des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung der Übergangsrechts (§ 1 Abs. 2 TVÜ-VKA). Außerdem finden die im Bereich des Arbeitgebers jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.“

§ 37 TVöD enthält eine Ausschlussfrist. Die Tarifnorm lautet wie folgt:

„(1) Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von der/dem Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällige Leistungen aus.

(2) Absatz 1 gilt nicht für Ansprüche aus einem Sozialplan.“

Die Beklagte stellte den Kläger am 18.11.2014 zur Überprüfung von – streitigen – Verstößen gegen dienstliche Anweisungen und Hinweise auf ein unangemessenes Verhalten zunächst von der Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 29.12.2014 beendete die Beklagte die Freistellung und sprach dem Kläger eine Abmahnung aus (Anl. K 3, Bl. 15 – 21 d. Akten). Gegenstand der Abmahnung sind (1) Verstöße gegen die Dienstanweisung Parkscheinautomat, (2) Ignorieren der Anweisungen von Vorgesetzten und herablassende Äußerungen zu deren Anweisungen, (3) Beschwerden von Bürgern über das Verhalten des Klägers, (4) Aufbewahrung von Geld aus Parkscheinautomaten in einer Extra-Mappe, (5) Nichtbeachtung von Vorgaben am Arbeitsplatz und öffentliche Kritik und (6) persönliches Verhalten gegenüber Mitarbeiterinnen. Der Kläger verlangte in dem unter dem Aktenzeichen 29 Ca 1393/15 geführten Rechtsstreit die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. In dem Rechtsstreit begründete die Beklagte die abgemahnten Pflichtverletzungen trotz Auflage des Gerichts (Bl. 28 d. Akten im Verfahren 29 Ca 1393/15) nicht und stellte diese auch nicht unter Beweis. Die Parteien schlossen im Kammertermin am 30.09.2015 einen Vergleich, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beinhaltete. Der Vergleich hat folgenden Wortlaut (Anl. K 2, Bl. 13 f. d. Akten):

„1. Die Parteien stellen außer Streit, dass ihr Arbeitsverhältnis mit dem 31.05.2016 enden wird.

2. Wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes zahlt die Beklagte an den Kläger eine Sozialabfindung in Höhe von 20.000,– € brutto gemäß den §§ 9, 10 KSchG.

3. Die Beklagte stellt den Kläger ab 09.11.2015 unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Bezüge und Anrechnung etwaiger Resturlaubs- und sonstiger Freizeitansprüche unwiderruflich von der Arbeitsleistung frei.

Die Beklagte wird eine entsprechende Bescheinigung des behandelnden Arztes des Klägers, dass die Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt ist, akzeptieren.

4. Es bleibt dem Kläger vorbehalten, das Arbeitsverhältnis von sich aus vorzeitig zu beenden. Der Kläger hat diese vorzeitige Beendigung mit einer Ankündigungsfrist von einer Woche gegenüber der Beklagten mitzuteilen. Die von der Beklagten zu zahlende Abfindung erhöht sich sodann um die ersparten Beträge.

5. Die Beklagte erstellt dem Kläger zum 31.05.2016 ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis mit der Gesamtbeurteilungsnote „gut“. Dieses beinhaltet auch eine entsprechende Dankes-, Bedauernsformel und eine Abschlussformel mit guten Wünschen für die Zukunft.

6. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt.

7. Dieser Vergleich wird wirksam, wenn er nicht seitens der Beklagten widerrufen wird durch schriftliche Anzeige beim Arbeitsgericht Stuttgart bis zum 23.10.2015.“

Der Kläger erbrachte in den Jahren 2015 und 2016 zunächst wegen Arbeitsunfähigkeit und anschließend wegen der mit Ziff. 3 des Prozessvergleichs erfolgten Freistellung keine Arbeitsleistung mehr.

Der Kläger war als Vollzugsbediensteter bei der Beklagten beschäftigt. Zuständige Sachgebietsleiterin und damit unmittelbare Fachvorgesetzte des Klägers war zuletzt Frau Z.. Weiterer Vorgesetzter des Klägers war Herr B., dem als Amtsleiter ua. der Bereich „Öffentliche Ordnung“ unterstellt ist (im Folgenden: Amtsleiter B.). Personalamtsleiter ist Herr D. (im Folgenden: Personalamtsleiter D.). In der Abteilung des Klägers waren zuletzt Frau L., die auf Grund körperlicher Einschränkungen nur im Innendienst mit kleinen und einfachen Büroarbeiten beschäftigt werden kann, Frau Ba. zur Überwachung des ruhenden Verkehrs (sog. „Politesse“) und die Mitarbeiter W. und Baq. als geringfügig Beschäftigte tätig, die nach Absprache abends und an Wochenenden den Streifendienst wahrnehmen.

Der Kläger begehrt mit der Klage die Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen fortgesetzter Mobbinghandlungen. Die Klage beruht auf Sachverhalten in der Zeit von August 2013 bis Dezember 2014. Der Kläger hatte die Beklagte mit Schreiben vom 16.09.2015 unter Fristsetzung bis zum 30.09.2015 erfolglos zur Zahlung des begehrten Schmerzensgeldes aufgefordert (Anl. K 4, Bl. 22 ff. d. Akten).

Der Kläger trägt vor: Er habe im August 2013 aus gesundheitlichen Gründen eine dreiwöchige Kur antreten müssen. Diese Maßnahme sei auf Einschreiten des Amtsleiters B. und des Personalamtsleiters D. um zwei Wochen verschoben worden.

Er sei im Rahmen seiner Tätigkeit von Juni 2010 bis Oktober 2014 mit der Bearbeitung von sogenannten Sondergenehmigungen sowie verkehrsrechtlichen Anordnungen betraut gewesen. Ab März 2014 habe die – neu eingestellte – Sachgebietsleiterin Z. eine Gegenzeichnungspflicht für sämtliche von ihm ausgearbeiteten Genehmigungen und Anordnungen angeordnet. Diese Vorlagepflicht habe nur ihm gegenüber gegolten. Es gebe bei der Beklagten kein generelles „Vier-Augen-Prinzip“.

Im Mai 2014 habe sich der Amtsleiter B. als Vorgesetzter geweigert, die Anmeldung zu einer Schulung als Personalratsmitglied zu unterzeichnen. Bei einer weiteren Personalrätin sei dies ohne weiteres erfolgt. Die Unterzeichnung sei letztlich durch den Personalamtsleiter D. erfolgt.

Er habe im August 2014 zeitgleich mit einer Kollegin einen Urlaubsantrag beim Amtsleiter B. eingereicht. Während der Urlaubsantrag seiner Kollegin unverzüglich bearbeitet worden sei, sei sein Urlaubsantrag trotz mehrfacher Nachfrage über Wochen hinweg nicht bearbeitet worden.

Er sei im September 2014 von der Sachgebietsleiterin Z. angewiesen worden, Tages-und Wochenpläne zu erstellen. Er sei der einzige Mitarbeiter im Außendienst gewesen, der eine solche Weisung erhalten habe. Die Anordnung sei nach Rücksprache mit dem Amtsleiter B. erfolgt.

Im September 2014 habe der Amtsleiter B. angewiesen, dass er die von ihm während der Dienstzeit mit dem Dienstwagen zurückgelegten Kilometer nachweisen solle. Diese Nachweispflicht sei nur ihm auferlegt worden.

Im September 2014 hätte ein Beurteilungsgespräch zur Leistungsbeurteilung durchgeführt werden sollen. Trotz mehrfacher Nachfrage habe sich der Amtsleiter B. geweigert, mit ihm ein solches Gespräch zu führen. Eine Begründung für die Verweigerung des Beurteilungsgespräche sei nicht erfolgt.

Er sei im September 2014 durch den Amtsleiter B. zur Überprüfung des ruhenden Verkehrs während einer Einschulungsveranstaltung an der P. Schule eingesetzt worden. Bei dieser Maßnahme sei es – wie zu erwarten war – zu erheblichen Problemen gekommen. Er sei vor Ort mit wütenden Eltern konfrontiert gewesen, die sich darüber beschwerten, dass sie durch ihn wegen des verbotswidrigen Parkens aufgeschrieben worden seien. Im Anschluss habe der Amtsleiter B. von ihm verlangt, sich wegen der Beschwerden der aufgebrachten Eltern bzw. Bürgern gegenüber dem Gemeinderat zu rechtfertigen. Die Überprüfung während der Einführungsveranstaltung sei erstmals in 2014 durchgeführt worden.

Im Oktober 2014 habe der Amtsleiter B. die EDV-Abteilung der Beklagten angewiesen, das vom ihm während der Dienstzeit genutzte Owi-Erfassungsgerät auszulesen und auszuwerten. Eine vergleichbare Auswertung sei bei seinen Kollegen nicht angeordnet bzw. durchgeführt worden.

Die Beklagte habe mit der Abmahnung vom 29.12.2014 zahlreiche unzutreffende und im Wesentlichen unsubstantiierte Vorwürfe, unter anderem den Vorwurf, der Kläger habe eine Kollegin durch unangemessene verbale Äußerungen sexuell belästigt, erhoben. Die Beklagte habe die Vorwürfe weder außergerichtlich noch im Rahmen des von ihm eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens substantiiert begründen können. Die Abmahnung sei aus seiner Sicht erfolgt, um ihn zu schikanieren.

Der Amtsleiter B. habe mehrfach Einsprüchen von Bürgern gegen Bescheide des Klägers abgeholfen. Dies sei regelmäßig ohne Begründung erfolgte. Dadurch sei er in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht worden.

Er sei vom Amtsleiter B. angewiesen worden, außerhalb seiner Kernzeiten, nämlich zwischen 6:00 Uhr und 8:00 Uhr früh, Kontrollen des ruhenden Verkehrs im Bereich L. und S. durchzuführen. Andere Mitarbeiter seien nicht zu Kontrollen außerhalb der Kernarbeitszeit aufgefordert worden.

Er sei während seines Urlaubs bzw. während krankheitsbedingter Fehlzeiten systematisch und mehrfach täglich angerufen worden, um vermeintlich bestehende Nachfragen zu klären. Tatsächlich seien die Nachfragen inhaltlich belanglos gewesen. Er sei dadurch während seines Erholungsurlaubs bzw. der Genesung gestört worden. Dies sei auf Anweisung des Amtsleiters B. erfolgt.

Er sei mehrfach in das Büro des Amtsleiters B. bestellt worden, um angeblich Dringendes zu besprechen. Hierauf habe er wiederholt den Außendiensteinsatz abgebrochen. Als er eingetroffen sei, habe ihm der Amtsleiter B. mitgeteilt, es gebe angeblich nichts Dringendes mehr zu besprechen. Zudem habe er ihn teilweise längere Zeit warten lassen.

Der Kläger hat beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.000 Euro zuzüglich Zinsen hieraus iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.10.2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Anspruch aufgrund der tariflichen Ausschlussfrist verfallen sei. Im Übrigen trägt sie vor:

Der Amtsleiter B. habe den Kläger gebeten, die dreiwöchige Kur wegen eines Personalengpasses nicht schon am 06.08., sondern erst am 20.08.2013 anzutreten. Hiermit sei der Kläger einverstanden gewesen.

Es sei zwar richtig, dass der Kläger angewiesen worden sei, die von ihm ausgearbeiteten Genehmigungen der Sachgebietsleiterin vorzulegen. Soweit dies gegenüber anderen Mitarbeiter nicht erfolgt sei, folge dies aus der unterschiedlichen Aufgabenstellung der jeweiligen Mitarbeiter.

Der Amtsleiter B. sei nicht in die Genehmigung der Schulung aus Mai 2014 eingebunden gewesen. Die Genehmigung sei durch den Personalamtsleiter D. erfolgt.

Der Amtsleiter B. habe sich im August 2014 in Urlaub befunden. Die vom Kläger benannte Mitarbeiterin habe ihren Urlaubsantrag noch vor dem Urlaubsantritt des Amtsleiters eingereicht.

Die Anordnung, dass der Kläger Tages- und Wochenberichte zu erstellen habe, stehe in ihrem Belieben als Arbeitgeber. Sie sei zudem sachlich gerechtfertigt. Der Kläger sei in der Wahrnehmung seiner Aufgaben im Außendienst im Wesentlichen frei gewesen. Nachdem im Gemeinderat der Beklagten darüber diskutiert worden sei, dass der Kläger häufiger während seiner Arbeitszeiten in einer Nachbargemeinde im Café gesehen worden sei, habe sie – die Beklagte – anhand der Tages- und Wochenberichte einen Überblick über die Tätigkeit des Klägers gewinnen wollen.

Das Beurteilungsgespräch mit dem Kläger sei an dessen fehlender Bereitschaft, mit dem Amtsleiter B. ein konstruktives Gespräch zu führen, gescheitert.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und Sitzungsprotokolle verwiesen (§ 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO). Die Akte zu dem unter dem Aktenzeichen 29 Ca 1939/15 geführten Rechtsstreit wurde beigezogen. Das Gericht hat ohne Beweisaufnahme entschieden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 BGB, § 253 Abs. 2 BGB bzw. § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts (Mobbing) auf Zahlung eines Schmerzensgeldanspruches iHv. 10.000,00 Euro. Es bestehen bereits Zweifel, ob aus dem Vortrag des Klägers auf aufeinander aufbauenden und ineinander übergreifenden Anfeindungen bzw. Schikanen, die in ihrer Gesamtheit eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen, zu schließen ist (A). Ein etwaiger Schmerzensgeldanspruch wäre jedenfalls nach § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD verfallen (B).

A.

Es bestehen Zweifel, ob die vom Kläger benannten Handlungen in ihrer Gesamtheit als „Mobbing“ zu bewerten sind, die die Zahlung eines Schmerzensgeldes für die immateriellen Schäden des Klägers in der begehrten Höhe rechtfertigen.

I.

1. Der Begriff des Mobbings stellt für sich betrachtet keinen juristischen Tatbestand dar. Vielmehr handelt es sich um ein soziales Phänomen. Nach einer zwischenzeitlich weit verbreiteten Definition ist unter „Mobbing“ das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte zu verstehen. „Mobbing“ ist dann anzunehmen, wenn es sich um fortgesetzte, aufeinander aufbauende und ineinander übergreifende Verhaltensweisen handelt, die in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen. Die Erscheinungsform des „Mobbing“ ist vielfältig. Sie reichen von der sozialen Ausgrenzung bis hin zu groben Beleidigungen. Gemeinsam für alle Erscheinungsformen ist die systematische Vorgehensweise, durch die der Betroffene letztendlich zermürbt werden soll.

2. Die zentrale Fragestellung vor Gericht ist, wie sich „Mobbing“ darlegen und beweisen lässt. Denn offenkundig erfüllt nicht jeder Arbeitsplatzkonflikt die Voraussetzungen des „Mobbing“. Da Konflikte am Arbeitsplatz subjektiv unterschiedlich verarbeitet werden, liegt „Mobbing“ nicht stets vor, wenn ein Konflikt zu psychischen oder physischen Beeinträchtigungen führt. Sonst wäre jede persönliche Auseinandersetzung mit einem hohen Haftungsrisiko verbunden. Arbeiten Menschen zusammen, so sind Konflikte in einem gewissen Umfang unvermeidbar. Gleiches gilt für Konflikte zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Eine arbeitsrechtliche Sanktion stellt nicht stets „Mobbing“ dar, auch wenn sich der betroffene Mitarbeiter hierdurch verletzt fühlt. Selbst dann, wenn die arbeitsrechtliche Sanktion einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält, bedeutet dies noch nicht zwangsläufig „Mobbing“. Denn ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die Unwirksamkeit der jeweiligen Maßnahme erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können. Durfte der Arbeitgeber nach Abwägung der Gesamtumstände auf die Wirksamkeit seiner Maßnahme vertrauen, so handelt er nicht fahrlässig (vgl. BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 56 f. BAGE 122, 304 mwN). Der entscheidende Unterschied zwischen sozial adäquatem Verhalten und „Mobbing“ liegt somit darin, dass der Betroffene durch eine systematische Vorgehensweise schikaniert und angefeindet wird. Für den Betroffenen liegt in der forensischen Praxis die Schwierigkeit darin, diese Zielsetzung darzulegen und unter Beweis zu stellen (LAG Baden-Württemberg 28.06.2007 – 6 Sa 93/06 – Rn. 120 mwN, zitiert nach juris).

3. Der Arbeitgeber haftet dem betroffenen Arbeitnehmer gegenüber gemäß § 278 BGB für schuldhaft begangene Persönlichkeitsrechts- oder Gesundheitsverletzungen durch von ihm als Erfüllungsgehilfen eingesetzte andere Arbeitnehmer und Vorgesetzte. Ihn trifft die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, seine Arbeitnehmer vor sog. Mobbing und damit vor Verletzungen seines Persönlichkeitsrechts durch seine Kollegen oder auch Vorgesetzte zu schützen.

4. Die Beweislast für die Pflichtverletzung trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Gläubiger und damit der Arbeitnehmer. Dies gilt auch in sog. Mobbing-Fällen (BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 88, BAGE 122, 304).

II.

Davon ausgehend bestehen Zweifel, ob aus dem Sachvortrag des Klägers ein systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren durch den Amtsleiter B., ggf. unter Mitwirkung der Personalamtsleiters D. und der Sachgebietsleiterin Z., anzunehmen ist. Die Vorfälle tragen teils nicht den Vorwurf schikanösen Verhaltens, teils ist der Kläger für die erhobenen Vorwürfe beweisfällig geblieben. Im Einzelnen:

1. Der Kläger ist für die Behauptung, dass seine ab dem 06.08.2013 bewilligte Kur auf Betreiben des Amtsleiters B. und des Personalamtsleiters D. ohne sachlichen Grund für zwei Wochen verschoben worden sei, jedenfalls beweisfällig geblieben. Unabhängig davon liegen die Kur und die anschließenden Vorfälle mehr als ein halbes Jahr auseinander.

2. Zwar ist der Kläger wohl als einziger Mitarbeiter der Abteilung angewiesen worden, die von ihm erarbeiteten Genehmigungen zur Gegenzeichnung vorzulegen. Daraus kann allerdings noch kein schikanöses Verhalten geschlussfolgert werden. Denn im Verhältnis zu anderen Mitarbeitern der Abteilung sind die ausgeübten Aufgaben nicht vergleichbar. Ein schikanöses Verhalten wäre nur dann anzunehmen, wenn die anderen Mitarbeiter für ähnlich verantwortungsvolle Aufgaben keiner Gegenzeichnungspflicht unterlägen hätten. Dies hat der Kläger bereits nicht behauptet (siehe dazu aber nachfolgend unter Ziff. 10).

3. Wer den Schulungsantrag des Klägers im Mai 2014 unterschrieben hat, ist letztlich irrelevant. Folgte man dem Kläger, hätte der Personalamtsleiter D. ein Fehlverhalten des Amtsleiters korrigiert. Ein solcher Ablauf, nämlich die Lösung des Konflikts im Sinne und Interesse des Klägers, kann der Beklagten als Arbeitgeber nicht vorgehalten werden.

4. Bezüglich des im August 2014 gestellten Urlaubsantrags (Zeitraum: 29.09. bis 06.10.2014) ist unstreitig geblieben, das sich der Amtsleiter im August 2014 im Urlaub befand und die Mitarbeiterin Ba. ihren Urlaubsantrag (Zeitraum: 11.08. bis 26.08.2014) früher abgegeben hatte. Unabhängig davon wurde der Urlaub des Klägers bewilligt.

5. Zwischen den Parteien steht im Streit, ob die in der Abmahnung vom 29.12.2014 enthaltenen Vorwürfe zutreffen. Richtig ist aber, dass die Beklagte die Vorwürfe im Verfahren 29 Ca 1393/15 in keinster Weise zu begründen versucht hat. Unabhängig davon ist die Abmahnung vom Bürgermeister ausgesprochen worden.

6. Die Anordnung, zur Einschulungsveranstaltung Kontrollen vorzunehmen, ist zwar arbeitsvertraglich zulässig. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass der Kläger damit bewusst und gewollt einer unangenehmen Konfliktsituation ausgesetzt wurde.

7. Der Vorwurf, der Amtsleiter B. habe den Beschwerden gegen die von ihm erlassenen Bescheide abgeholfen, hat der Kläger nur pauschal, nicht erwiderungsfähig und für das Gericht nicht nachprüfbar vorgetragen. Es ist kein konkreter Bescheid des Klägers benannt, den der Amtsleiter – unter Umständen rechtswidrig – aufgehoben haben soll. Ebenso unsubstantiiert ist der Vorwurf des Klägers, dass er dadurch in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht worden sei.

8. Die telefonische Kontaktaufnahme während der Urlaubs- und Krankheitszeiten durch Mitarbeiter der Abteilung auf Weisung oder – wie es der Personalamtsleiter D. im Kammertermin am 05.07.2016 verstanden haben will – als Anregung der Vorgesetzten, ist ein nicht nachvollziehbares Verhalten. Ob allerdings 5 bis 6 Anrufe über einen Zeitraum von 1,5 Jahren als Mobbinghandlung taugen, ist zweifelhaft.

9. Etwas anderes gilt für den Vorwurf des Klägers, der Amtsleiter B. habe ihn mehrfach unter Abbruch des Außendiensteinsatzes ohne nachvollziehbaren Grund in sein Büro bestellt. Der Kläger hat die Tage im Einzelnen benannt. Hierzu hätte die Beklagte näher vortragen können und müssen (§ 138 Abs. 2 ZPO). Weisungen des Arbeitgebers müssen der Billigkeit entsprechen.

10. Die Kammer hat den wechselnden Vortrag der Beklagten nicht übersehen, der im Rahmen der Überzeugungsbildung des Gerichts zugunsten des Klägers gewertet werden könnte.

a) Eine Partei ist grundsätzlich nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Der Umstand, dass der Vortrag zu dem eigenen früheren Vortrag in Widerspruch steht, kann aber im Rahmen der Verhandlungswürdigung nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO Beachtung finden. Wechselnder Vortrag kann dabei als Anpassung an die jeweilige Beweislage verstanden werden und verliert dann an Überzeugungskraft (vgl. OLG Hamm 08.06. 2006 – 18 U 163/05 – Rn. 90, zitiert nach juris).

b) So hat die Beklagte im Schriftsatz vom 02.03.2016 (Seite 7, Bl. 49 d. Akten) zur Gegenzeichnungspflicht zunächst vorgetragen, dass diese nicht nur für den Kläger, sondern für alle anderen Mitarbeiter gelte. Im Schriftsatz vom 19.05.2016 (Seite 2, Bl. 96 d. Akten) wird die unterschiedliche Behandlung zugestanden und mit der unterschiedlichen Aufgabenstellung der Mitarbeiter begründet. Der wechselnde Vortrag könnte dafür sprechen, dass der Gegenzeichnungspflicht keine sachlichen Erwägungen zugrunde lagen. Das könnte auch für die Anordnung zur Erstellung von Tages- und Wochenberichten gelten. Hierzu hatte die Beklagte im Schriftsatz vom 02.03.2016 (Seite 8, Bl. 50 d. Akten) zunächst vorgetragen, dass auch andere Mitarbeiter diese Berichte zu erstellen hätten. Hiervon ist die Beklagte im Schriftsatz vom 19.05.2016 (Seite 3 f., Bl. 97 f. d. Akten) abgerückt. Sie hat zunächst vorgetragen, dass es „im Belieben der Beklagten“ stehe, Tages- und Wochenberichte einzufordern. Das trifft im Hinblick auf § 106 GewO nicht. Weisungen müssen billigem Ermessen entsprechen und sind hierauf gerichtlich überprüfbar. Weiter wurde die Anordnung im Vergleich zu anderen Mitarbeitern tätigkeitsbezogen gerechtfertigt.

B.

Letztlich kann es offen bleiben, ob dem Kläger dem Grunde nach ein Schmerzensgeldanspruch wegen fortgesetzter Mobbinghandlungen zusteht bzw. ob er hierfür überwiegend beweisfällig geblieben ist. Ein etwaiger Anspruch des Klägers ist aufgrund der tariflichen Ausschlussfrist (§ 37 Abs. 1 TVöD) verfallen.

I.

Der TVöD findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. § 2 des Arbeitsvertrages enthält einen umfassenden Verweis auf die für die Beklagten einschlägigen tariflichen Regelungen. Der Kläger ist nicht tarifgebunden. Der TVöD-AT und damit auch dessen § 37 finden nicht kraft normativer Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).

II.

Die Ausschlussfrist gem. § 37 TVöD umfasst – unabhängig von der Anspruchsgrundlage – den vom Kläger geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

1. Nach § 37 Abs. 1 TVöD verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällige Leistungen aus.

2. Soweit ersichtlich ist bisher nicht höchstrichterlich entschieden, ob § 37 Abs. 1 TVöD auch vorsätzliche Pflichtverletzungen und Verletzungen des Persönlichkeitsrechts, zB wegen Mobbings, erfasst. Die sachliche Reichweite einer tariflichen Ausschlussfrist ist durch Auslegung zu ermitteln (Schaub/Treber ArbR-HdB § 209 Rn. 12). In Anlehnung an die Entscheidung des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – ist § 37 Abs. 1 TVöD dahingehend auszulegen, dass auch Schadens- und Schmerzensgeldansprüche wegen vorsätzlicher Pflichtverletzungen (§ 280 BGB) und Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG) umfasst sind. Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm.

a) Nach der (Grundsatz-)Entscheidung des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16.05.2007 (- 8 AZR 709/06 – Rn. 40 ff. BAGE 122, 304) erfasst eine tarifliche Ausschlussfrist, die nach ihrem Wortlaut, von dem bei der Auslegung einer Tarifnorm vorrangig auszugehen ist (zu den Auslegungsgrundsätzen BAG 09.12.2015 – 10 AZR 488/14 – Rn. 12 mwN), „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ umfasst, auch Ansprüche aus vorsätzlich unerlaubter Handlung. Dem steht die seit 01.01.2002 geltende Vorschrift des § 202 Abs. 1 BGB nicht entgegen, der zufolge die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden kann. Zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis zählen wegen des einheitlichen Lebensvorgangs nicht nur vertragliche Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche, sondern auch solche aus unerlaubter Handlung. Eine solche Klausel verstößt auch nicht gegen § 276 Abs. 3 BGB, da die Haftung nicht im Voraus erlassen wird. Soweit sie auch die Haftung wegen Vorsatzes erfasst, ist sie jedenfalls dann nicht nach § 134, § 202 Abs. 1 BGB teilunwirksam, wenn die Haftung für fremdes vorsätzliches Handeln ausgeschlossen wird. Diesen Ausschluss lässt § 278 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Daher können derartige Ansprüche auch unter der Geltung des § 202 Abs. 1 BGB von einer Ausschlussfrist umfasst werden.

b) Danach erfasst § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD die hier streitgegenständlichen Ansprüche.

aa) Der Grundsatzentscheidung vom 16.05.2007 (- 8 AZR 709/06 -) folgend handelt es sich auch bei Ansprüchen auf Schadensersatz- und Schmerzensgeld wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts um „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ iSd. § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD. In der Entscheidung vom 16.05.2007 führte das Bundesarbeitsgericht aus, dass eine Verfallklausel, die sich nach ihrem Wortlaut auf „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ bezieht, sowohl Ansprüche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung als auch solche wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst. Soweit damit in Abkehr zur früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zu § 70 BAT BAG 25.04.1972 – 1 AZR 322/71 – Leitsatz 1 und unter III b aa der Entscheidungsgründe) nunmehr auch Schadensersatzansprüche aus der Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Ausschlussfrist in § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD unterstellt werden, erscheint dies zur Vermeidung einer unangemessenen Differenzierung von allgemeinen Schadensersatzansprüchen und solchen wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts sachgerecht (zweifelnd Schaub/Treber ArbR-HdB § 209 Rn. 16). Im Anwendungsbereich des TVöD kann nichts anderes gelten (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck, TVöD, Loseblatt, § 37 Rn. 57ff.; Sponer/Steinherr, TVöD, Loseblatt, § 37 Rn. 175; LAG Hamm 02.02.2012 – 17 Sa 1001/11 -; LAG Köln 02.03.2011 – 1 Ta 375/10 -).

bb) Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Entscheidung des BAG vom 16.05.2007 (aaO) eine tarifliche Ausschlussfrist zugrunde lag, die mit § 37 Abs. 1 TVöD inhaltlich weitgehend übereinstimmt. Auch diese erfasste nach dem Wortlaut – ebenso wie § 37 Abs. 1 TVöD – ohne weitergehende Differenzierung „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“. Diese Tarifnorm lautet wie folgt:

„Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Entstehen des Anspruchs geltend gemacht werden; Ist dies geschehen, so bleiben die gesetzlichen Verjährungsfristen unberührt.“

c) Der hier vertretenen Auffassung steht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur einschränkenden Auslegung einzelvertraglicher Ausschlussfristen nicht entgegen.

Danach sind einzelvertragliche Ausschlussfristen dahingehend auszulegen, dass sie nicht auch die Haftung wegen Vorsatzes bzw. vorsätzlichen Vertragsverstößen und vorsätzlich begangener unerlaubter Handlungen ausgeschlossen werden. Nach § 202 Abs. 1 BGB kann die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. § 202 Abs. 1 BGB erfasst nicht nur Vereinbarungen über die Verjährung, sondern auch über Ausschlussfristen. § 202 BGB stellt eine Verbotsnorm im Sinne von § 134 BGB dar. Eine im Arbeitsvertrag vereinbarte Ausschlussfrist ist nichtig, sofern sie auch vorsätzliche Vertragsverstöße und vorsätzlich begangene unerlaubte Handlungen erfassen sollte (vgl. BAG 25.05.2005 – 5 AZR 572/04 – BAGE 115, 19). Im Hinblick auf diese klare Gesetzeslage ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Vertragspartner mit solchen Vertragsklauseln keine Fälle anders als das Gesetz und unter Verstoß gegen die gesetzliche Verbotsnorm iSd. § 134 BGB regeln wollten. Anders verhält es sich bei tarifvertraglichen Ausschlussfristen, die auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfassen. Solchen Tarifklauseln steht § 202 Abs. 1 BGB (gerade) nicht entgegen, da das Gesetz die Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes nur „durch Rechtsgeschäft“ verbietet (BAG 18.08.2011 – 8 AZR 187/10 – Rn. 32 ff.; 20.06.2013 – 8 AZR 280/12 – Rn. 24).

3. Danach ist der Schmerzensgeldanspruch verfallen.

In Mobbing-Fällen beginnt die Ausschlussfrist wegen der systematischen, sich aus mehreren einzelnen Handlungen zusammensetzenden Verletzungshandlung regelmäßig erst mit der zeitlich letzten Mobbing-Handlung (BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 -). Die letzte vom Kläger behauptete „Mobbinghandlung“ stellt die – aus seiner Sicht – unberechtigte Abmahnung vom 29.12.2014 dar. Davon ausgehend wurde der Schmerzensgeldanspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht. Der Kläger hat den Anspruch erstmals mit Schreiben vom 16.09.2015 schriftlich geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt lag die letzten Mobbinghandlung bereits mehr als 8,5 Monate zurück. In 2015 war der Kläger zunächst wegen Krankheit und im Anschluss wegen der vereinbarten Freistellung nicht mehr bei der Beklagten tatsächlich beschäftigt.

IV.

Entgegen der Auffassung des Klägers steht dem Verfall nicht entgegen, dass der TVöD nicht kraft normativer Wirkung, sondern kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung findet.

1. Zunächst ist festzuhalten, dass § 202 Abs. 1 BGB nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung einer tariflichen Ausschlussfrist, die auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfasst und nach § 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 Abs. 4 TVG normative Wirkung entfaltet, nicht entgegensteht. Die Rechtsprechung wird im Kern wie folgt begründet:

a) § 202 Abs. 1 BGB spricht von einer Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes „durch Rechtsgeschäft“. Damit wird bereits nach dem Wortlaut der Norm auf einen Tatbestand abgestellt, der sich aus Willenserklärungen ergibt. Die amtliche Überschrift von § 202 BGB spricht zwar in Abweichung vom Wort „Rechtsgeschäft“ von „Vereinbarungen über die Verjährung“, jedoch folgt auch hieraus, dass sich § 202 BGB auf Verjährungsregelungen durch Parteivereinbarung bezieht und die Vertragsfreiheit der Parteien insoweit einschränkt. Auch die Gesetzesbegründung spricht von der Disposition der Parteien, von Parteivereinbarung bzw. dem Interesse beider Parteien (vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 109 f.). § 202 BGB bezieht sich damit losgelöst von den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets ausschließlich auf die Parteien des materiell-rechtlichen Anspruchs, um dessen Verjährung es geht.

b) Eine „Vereinbarung“ im Sinne von § 202 Abs. 1 BGB liegt allerdings nicht vor, wenn auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung oder kraft Allgemeinverbindlicherklärung zwingend Anwendung findet (§ 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 Abs. 4 TVG). Gilt für das Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung, so gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Die Rechtsnormen eines Tarifvertrags sind Gesetze im materiell-rechtlichen Sinne und erfüllen den Gesetzesbegriff des Art. 2 EGBGB (BAG 14. Juni 1994 – 9 AZR 284/93 – BAGE 77, 81). Für die Tarifgebundenen entspricht die Regelungswirkung daher derjenigen anderer Gesetze. Aufgrund dieser normativen Wirkung des Tarifvertrags, die gerade nicht Ausdruck der privatautonomen Gestaltung der Arbeitsvertragsparteien ist, handelt es sich bei den zwingend und unmittelbar geltenden Rechtsnormen eines Tarifvertrags nicht um ein „Rechtsgeschäft“ im Sinne von § 202 BGB, sondern um eine gesetzliche Regelung im Sinne von Art. 2 EGBGB.

2. Einzelvertragliche Ausschlussfristen, die auch die Haftung wegen Vorsatzes ausschließen, sind gem. § 134, § 202 Abs. 1 BGB unwirksam. Nicht geklärt ist allerdings, ob eine tarifliche Ausschlussfrist, die – wie hier – kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel auf den einschlägigen Tarifvertrag zur Anwendung kommt, an § 202 Abs. 1 BGB zu messen ist und im Bejahungsfall (teil-)nichtig ist. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsfrage – soweit ersichtlich – bisher offen gelassen. So hat der Achte Senat im Urteil vom 18.08.2011 (- 8 AZR 187/10 -) unter der Randnummer 37 ausgeführt:

„Ob eine individualvertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien und damit ein Rechtsgeschäft im Sinne von § 202 BGB jedoch dann vorliegt, wenn ein Tarifvertrag aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel insgesamt Anwendung findet oder wenn allein bezüglich der Ausschlussfristen ein Tarifvertrag Anwendung finden soll, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.“

Auch in der Entscheidung vom 20.06.2013 (- 8 AZR 280/12 -) wurde die Rechtsfrage unter Randnummer 24 wie folgt offen gelassen:

„Der Senat hat für tarifvertragliche Ausschlussfristen, die Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfassen, entschieden, dass solchen Tarifklauseln § 202 Abs. 1 BGB nicht entgegensteht, da das Gesetz die Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes nur „durch Rechtsgeschäft“ verbietet (…). Da die Arbeitsvertragsparteien hier nicht auf einen Tarifvertrag Bezug genommen haben, braucht nicht entschieden zu werden, ob ein Rechtsgeschäft iSv. § 202 BGB dann ausscheidet, wenn ein Tarifvertrag aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel insgesamt Anwendung findet.“

3. Nach richtiger Auffassung kann es für die Vereinbarkeit einer tariflichen Ausschlussfrist mit § 202 Abs. 1 BGB keinen Unterschied machen, ob diese kraft normativer Wirkung oder kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme zur Anwendung kommt. Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – im Sinne einer Gleichstellungsabrede umfassend auf den für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifvertrag verwiesen wird. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei einem Arbeitsvertrag um ein Rechtsgeschäft iSd. § 202 Abs. 1 BGB handelt. Durch den Arbeitsvertrag als Rechtsgeschäft wird nur die Anwendbarkeit des Tarifvertrages vereinbart. Unmittelbarer Inhalt des Arbeitsvertrags als Rechtsgeschäft ist nicht die tarifliche Ausschlussfrist selbst bzw. der Ausschluss der Haftung wegen Vorsatzes. Die Anwendbarkeit der tariflichen Ausschlussfrist folgt erst mittelbar aus dem Tarifvertrag. Die tarifvertragliche Ausschlussfrist bleibt eine von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Tarifnorm, die Bestandteil des Tarifvertrags als Gesamtwerk ist. Dieser unterliegt auch bei Anwendbarkeit auf ein Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme keiner gerichtlichen Kontrolle auf die Angemessenheit des Inhalts. Für ihn streitet weiterhin die Richtigkeitsgewähr. Es liegt allein in den Händen der Tarifvertragsparteien, eine Ausschlussfrist zu vereinbaren, zu ändern, zu ergänzen oder abzuschaffen. Die Haftung wegen Vorsatzes oder für unerlaubte Handlungen kann aus dem Geltungsbereich einer Ausschlussfrist ausgenommen werden. All dies macht deutlich, dass im Falle einer umfassenden Bezugnahme auf einen einschlägigen Tarifvertrag die dort enthaltene Ausschlussfrist nicht als ein Rechtsgeschäft der Parteien an § 202 Abs. 1 BGB gemessen werden kann. Die Vorschrift gilt nur für die von den Arbeitsvertragsparteien eigenständig geregelten Ausschlussfristen. Vorliegend kann zudem offen bleiben, ob die Anwendbarkeit des § 202 Abs. 1 BGB nur bei einer Gleichstellungsabrede ausgeschlossen ist. Dies ist bei § 2 des Arbeitsvertrages der Fall.

4. Das gilt hingegen nicht, wenn die Arbeitsvertragsparteien nicht auf das einschlägige Tarifwerk als Ganzes oder nur auf einzelne Tarifvorschriften Bezug nehmen. In diesen Fällen beruht die Geltung der tariflichen Ausschlussfrist auf dem Arbeitsvertrag der Parteien. Die Geltung der dergestalt in Bezug genommenen tariflichen Bestimmungen sind durch den Arbeitsvertrag als Rechtsgeschäft iSd. § 202 Abs. 1 BGB vereinbart. Folge einer solchen Teilverweisung („Rosinenpickerei“) ist die (Teil-)Nichtigkeit gem. § 134, § 202 Abs. 1 BGB der anzuwendenden Ausschlussfrist, wenn auch die Haftung wegen Vorsatzes umfasst ist.

5. Die hier vertretene Auffassung findet ihre Stütze in zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen. So sind Bezugnahmeklauseln nach Maßgabe der §§ 305 ff. BGB einer vollen Rechtskontrolle unterworfen. Der Tarifvertrag als Bezugnahmeobjekt ist allerdings gem. § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB aus der Überprüfung ausdrücklich ausgenommen. Vergleichbares gilt für die Bezugnahme auf verkürzte Kündigungsfristen nach einem Tarifvertrag (§ 623 Abs. 4 Satz 2 BGB), auf die einschlägigen tariflichen Urlaubsregelungen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG) oder auf die tariflichen Bestimmungen zur Höhe des fortzuzahlenden Entgelts im Krankheitsfall (§ 4 Abs. 4 Satz 2 BurlG). In keinem der vorgenannten Fälle werden die tariflichen Bestimmungen bei einer gesetzeskonformen Bezugnahme einer strengeren oder abweichenden Prüfung unterzogen als bei Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien.

6. Für die hier vertretene Auffassung sprechen der Sinn und Zweck tariflicher Ausschlussfristen und die damit verbundene Stärkung der Tarifbindung und Tarifautonomie.

Sinn und Zweck tariflicher Ausschlussfristen ist es, innerhalb eines festgelegten, überschaubaren Zeitraums endgültig Klarheit – „reinen Tisch“ – über den Bestand der Forderungen und Rechte zu schaffen und damit Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu garantieren. Dieser Zweck wird verfehlt, wenn die Nichtigkeitsfolgen des § 202 Abs. 1 BGB für tarifgebundene und tarifungebundene Arbeitnehmer (mit einer Gleichstellungsabrede) divergieren. Da Arbeitgeber nicht immer Kenntnis von der Tarifbindung der Arbeitnehmer haben, würde zunächst offen bleiben, wann welche Ansprüche aus welchem Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Ausschlussfrist endgültig erledigt sind. So kann kein Rechtsfrieden und keine Rechtssicherheit geschaffen werden. Selbst wenn dem Arbeitgeber die Gewerkschaftszugehörigkeit eines Arbeitnehmers bekannt ist, kann dieser – zB nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis – seine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft beenden oder erst begründen. Daraus kann nicht folgen, dass die laufende Ausschlussfrist für eine Vorsatztat nicht mit dem Austritt unwirksam wird. Damit bietet auch die Kenntnis von der Gewerkschaftszugehörigkeit keine Gewähr für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit. Die hier vertretene Auffassung erhält die dem Arbeitgeber mit der Tarifbindung verbundenen Vorteile. Sie ermöglicht im Hinblick auf § 202 Abs. 1 BGB eine Gleichstellung von tarifgebundenen und tarifungebundenen Arbeitnehmern hinsichtlich der anzuwendenden tariflichen Ausschlussfrist. Zugleich wird für Arbeitgeber ein Anreiz gesetzt, die Geltung tarifvertraglicher Regelungen auf einzelvertraglicher Ebene zu vereinbaren.

C.

Da der Kläger vollumfänglich unterlegen ist, trägt er die Kosten des Rechtsstreits (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Der Rechtsmittelstreitwert (§ 61 Abs. 1 ArbGG) wurde in Höhe der bezifferten Klageforderung festgesetzt (§ 3 ZPO).

Die Zulassung der Berufung beruht auf § 64 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. b ArbGG.

 

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