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Schwerbehindertenvertretung – Beteiligung bei Arbeitnehmerkündigung

ArbG Stuttgart – Az.: 14 Ca 8233/17 – Urteil vom 19.09.2018

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30.11.2017 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen als Angestellte mit Tätigkeiten der Entgeltgruppe 13 TVöD-V/VKA weiter zu beschäftigen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

5. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 16.900,– Euro festgesetzt.

6. Die Berufung wird nicht -extra- zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Kündigung der Beklagten vom 30.11.2017 zum 30.06.2018.

Die Klägerin, der ein Grad der Behinderung von 70 zuerkannt ist, steht bei der Beklagten seit dem 01.09.1988 im Arbeitsverhältnis. Zuletzt war sie in Teilzeit im Bereich S. tätig. Die Eingruppierung der Klägerin erfolgte nach EG 13 TVöD-V/VKA; sie bezog ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 4.225.- Euro (s. Bl. 17 f. d. A.).

Nach ca. 2-monatiger Abwesenheit sollte die Klägerin am 10.07.2017 ihren Dienst wieder antreten.

Mit Schreiben vom 02.07.2017 an den Amtsleiter Hr. S. (Bl. 105 ff. d. A.), Hr. W. (Bl. 113 ff. d. A.) und Hr. K. (Bl. 149 f. d. A.) erhob sie diverse Vorwürfe. Diese wies die Beklagte mit Schreiben vom 27.07.2017 zurück (s. Bl. 151 f. d. A.). Am 22.08.2017 fand zum Thema ein Personalgespräch mit der Klägerin statt (wegen des Protokolls s. Bl. 247 f. d. A.). Die Klägerin reagierte mit Schreiben vom 30.08.2017 (Bl. 249 ff. d. A.).

Daraufhin beantragte die Beklagte am 26.09.2017 beim Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung der Klägerin (s. Bl. 272 d. A.).

Am 04.10.2017 (s. Bl. 253 ff. d. A.) beteiligte die Beklagte den Personalrat und am 05.10.2017, s. Bl. 257 ff. d. A., die Schwerbehindertenvertretung an der Kündigung der Klägerin.

Durch Bescheid vom 10.11.2017 erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung (s. Bl. 272 ff. d. A.). Der Widerspruch der Klägerin dagegen blieb erfolglos.

Das Personalrats-Beteiligungsverfahren endete mit Einigungsstellenbeschluss vom 29.11.2017 (s. Bl. 261 ff. d. A.).

Mit Schreiben vom 30.11.2017 (Bl. 19 ff. d. A.), zugegangen am 02.12.2017, kündigte die Beklagte der Klägerin zum 30.06.2018.

Dagegen reichte die Klägerin am 21.12.2017 (Kündigungsschutz-) Klage ein. Deren Zustellung an die Beklagte erfolgte am 03.01.2018.

Die Klägerin rügt die Wirksamkeit der Kündigung unter zahlreichen Gesichtspunkten. Unter anderem beanstandet sie den Kündigungsgrund und die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung. Zudem verlangt sie ihre Weiterbeschäftigung.

Die Klägerin beantragt:

1) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten vom 30.11.2017 nicht zum 30.06.2018 enden wird, sondern darüber hinaus fortbesteht.

2) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände enden wird, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

3) Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Verwaltungsangestellte zu beschäftigen und ihr Tätigkeiten der Entgeltgruppe E 13 TVöD-V (VKA) zuzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die Kündigung. Sie behauptet, über die Entscheidung des Arbeitgebers (zu kündigen) sei die Schwerbehindertenvertretung spätestens in Form der Entscheidung der Einigungsstelle auch informiert worden (s. S. 26, im letzten Absatz des Schriftsatzes vom 11.06.2018, Bl. 219 d. A.).

Wegen der näheren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle vom 09.02.2018 (Bl. 102 d. A.) und vom 19.09.2018 (Bl. 433 f. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat weitgehend Erfolg.

I.

Die Kündigungsschutzklage (= Klagantrag Ziffer 1) und die Weiterbeschäftigungsklage (= Klagantrag Ziffer 3) sind begründet, wohingegen die allgemeine Feststellungsklage (= Klagantrag Ziffer 2) unzulässig ist.

1) Die Kündigungsschutzklage (dem Zusatz „sondern …fortbesteht.“ kommt ersichtlich keine streitgegenständliche Bedeutung zu) ist zulässig und begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 30.11.2017 ist unwirksam und hat daher das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Es fehlt an der ordnungsgemäßen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung der Beklagten nach § 95 Abs. 2 S. 3 in Verbindung mit S. 1 SGB IX in der bis 31.12.2017 gültigen Fassung.

a) Danach ist die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, unwirksam (§ 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX a. F.). Nach S. 1 der Vorschrift hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassen zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen.

b) Danach fehlt es hier an Folgendem:

aa) Nach der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung fordert es die Unverzüglichkeit vom Arbeitgeber, die Schwerbehindertenvertretung ohne schuldhaftes Zögern (s. § 121 Abs. 1 BGB) anzuhören, sobald er seinen Kündigungswillen gebildet hat. Sie muss daher am Beginn der vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen stehen. Die Anhörung des Betriebsrats bzw. des Personalrats kann zwar zeitgleich erfolgen, darf derjenigen nach § 95 Abs. 2 SGB IX a. F. aber nicht vorgehen. Die Zustimmung des Integrationsamts darf allerdings erst danach beantragt werden (s. für alle: ErfK-Rolfs, § 178 SGB IX, Rdn. 9 sowie ArbG Hagen v. 06.03.2018, 5 Ca 1902/17, Juris, Rdn. 30 f., jeweils m.w.N.). Dem wird beigetreten.

Danach scheitert die Kündigung daran, dass die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung erst am 05.10.2017 und damit erst nach dem Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt vom 26.09.2017 beteiligt hat.

bb) Zudem hat der Arbeitgeber abweichend vom Betriebsverfassungsrecht der Schwerbehindertenvertretung nach Unterrichtung und Anhörung die getroffene Entscheidung gemäß § 95 Abs. 2 S. 1 2. HS. SGB IX a. F. unverzüglich mitzuteilen. Fehlt eine entsprechende unverzügliche Mitteilung, so muss bis zu einer höchstrichterlichen Klärung nach dem Gesetzeswortlaut davon ausgegangen werden, dass auch das Unterlassen dieser Mitteilung zur Unwirksamkeit der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen führt (s. Esser/Isenhardt in Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB IX, § 178 SGB IX, Rdn. 32 m.w.N.). Auch dem wird beigetreten.

Und auch daran scheitert die streitgegenständliche Kündigung. Der – oben wiedergegebene – Vortrag der Beklagten dazu ist unsubstantiiert bzw. unzureichend. Er lässt zunächst offen, ob die Beklagte selbst oder ein Dritter der Schwerbehindertenvertretung den Einigungsstellenbeschluss vom 29.11.2017 mitgeteilt hat. Dabei würde nach dem Gesetzeswortlaut die Mitteilung eines Dritten nicht genügen. Zudem ist nicht vorgetragen, wann und mit welchem Inhalt eine eventuelle Mitteilung der Beklagten erfolgt sein soll. Den Inhalt einer eventuellen Mitteilung durch die Beklagte vorzutragen, ist auch deshalb unverzichtbar, weil der Gesetzeswortlaut es verlangt, dass die vom Arbeitgeber getroffene Entscheidung, hier also seine Kündigungsentscheidung, mitzuteilen ist. Die Mitteilung des Einigungsstellenbeschlusses durch die Beklagte wäre daher nur dann ausreichend, wenn sich daraus ihr Kündigungsentschluss ergibt.

Der Punkt wurde im Kammertermin vom 19.09.2018 angesprochen, und zwar ohne dass weiterer Vortrag der Beklagten erfolgt wäre.

c) Schließlich wird bei der obigen Sichtweise davon ausgegangen, dass dem Erfordernis des „Anhörens“ gegenüber dem des „Unterrichtens“ in § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX a. F. keine selbständige Bedeutung zukommt. Sähe man das anders, fehlte es im Fall zudem am Anhören der Schwerbehindertenvertretung. Der Punkt kann hier aber auf sich beruhen.

2) Die allgemeine Feststellungsklage (= Klagantrag Ziffer 2) ist mangels Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO unzulässig. Nachdem die Parteien allein um die Kündigung der Beklagten vom 30.11.2017 streiten, bedeutet die zusätzliche Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien am 19.09.2018, dem Tag der letzten Verhandlung in der Instanz, fortbesteht (das wäre die Aussage einer Stattgabe auf Klagantrag Ziffer 2), keine Verbesserung der klägerischen Rechtsposition.

3) Demgegenüber ist die Klage auf tatsächliche Weiterbeschäftigung (= Klagantrag Ziffer 3) wiederum begründet. Nach dem erstinstanzlichen Obsiegen im Kündigungsschutzprozess steht der Klägerin auf alle Fälle der in Rechtsprechung und auch Literatur anerkannte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch zu.

II.

Bei der Kostenentscheidung ist von der Möglichkeit des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Gebrauch gemacht.

Der Urteilsstreitwert (§ 61 Abs. 1 ArbGG) ist auf 4 Bruttomonatsgehälter der Klägerin festgesetzt, wobei die beiden auf Bestandsschutz gerichteten Anträge mit einem Vierteljahresverdienst der Klägerin und die Weiterbeschäftigungsklage mit einem Bruttomonatsgehalt bewertet sind.

Gründe dafür, die Berufung extra oder auch gesondert zuzulassen, bestehen nicht.

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