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Sexuelle Belästigung – Auflösungsantrag gegen Zahlung einer Abfindung

Landesarbeitsgericht Köln, Az.: 6 Sa 952/17

Urteil vom 02.03.2018

1. Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 21.02.2017 – 5 Ca 705/16 d – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 26.02.2016, einer weiteren arbeitgeberseitigen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, um Weiterbeschäftigung, Differenzlohnansprüche und Annahmeverzugsansprüche.

Sexuelle Belästigung - Auflösungsantrag gegen Zahlung einer Abfindung
Symbolfoto: Iofoto/Bigstock

Der Kläger ist 38 Jahre alt, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 15.06.2012 bei der Beklagten als Projektleiter für die Bereiche Personalmanagement und Kundenservice beschäftigt. Zuletzt erzielte er hier ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 4.200,00 EUR zzgl. eines geldwerten Vorteils durch Überlassung eines Dienstwagens in Höhe von 696,01 EUR. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen, das sich mit Industrieservice, Montage von Ausrüstungen für Tunnelbau, Stahlbau und Rohrleitungsbau, Fördertechnik und Kraftwerksbau sowie Personalservice befasst. Sie beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist nicht gewählt.

Mit Schreiben vom 26.02.2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2016. Diese Kündigung ist dem Kläger am 29.02.2016 zugegangen. Acht Tage später, am 07.03.2016, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis sodann fristlos und hilfsweise ordentlich, mit der Begründung, der Kläger habe die Kollegin G und die Mitarbeiterin U sexuell belästigt.

Mit der seit dem 01.03.2016 anhängigen Klage hat sich der Kläger gegen die ordentliche Kündigung gewandt und diese Klage rechtzeitig gegen die fristlose Kündigung erweitert. Außerdem hat er Differenzvergütung für den Monat März 2016 und Entgelt aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs für die Zeit vom 08.03.2016 bis zum 31.12.2016 gefordert.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe sich keiner sexuellen Belästigung schuldig gemacht. Er gehe davon aus, dass seine freundschaftliche und humorvolle Art missinterpretiert worden sei. Richtig sei, dass er der Zeugin G gesagt habe, sie möge sich von ihrem Lebensgefährten trennen, wenn sie in der Beziehung keinen Sinn mehr sehe. Auch sei richtig, dass er der Zeugin G gegenüber geäußert habe, Stiefel finde er an ihr attraktiver als flache Schuhe. Möglicherweise sei auch eine Bemerkung darüber gefallen, das Parfum der Zeugin rieche gut. Er habe sich der Zeugin G aber nie auf eine nur kurze Distanz genährt. Nie habe er davon gesprochen, er wolle die Zeugin G „vernaschen“. Auch die Zeugin U habe er nicht belästigt. Am 11.11.2015 habe er ihr lediglich eine WhatsApp einer ehemaligen Mitarbeiterin gezeigt. Diese Nachricht habe keinen pornografischen Inhalt gehabt. Anfang des Jahres 2017 habe er infolge einer Antibiotikatherapie an einer schmerzhaften Pilzinfektion seines Glieds gelitten. Dies habe Probleme beim Gehen verursacht. Auf Nachfrage habe er dies der Zeugin U auch mitgeteilt. Das Angebot einer optischen Begutachtung habe nie zur Diskussion gestanden.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 07.03.2016, zugegangen an demselben Tag, zum 07.03.2016 beendet worden ist;

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 26.02.2016, zugegangen am 29.02.2016, nicht zum 31.03.2016 aufgelöst worden ist;

3. festzustellen dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 07.03.2016 aufgelöst worden ist;

4. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Angestellten im Bereich Personalmanagement/Kundenservice weiter zu beschäftigen;

5. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 180,92 EUR brutto sowie 561,30 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. April 2016 zu zahlen;

6. für den Fall des Obsiegens mit den Kündigungsschutzanträgen die Beklagte zu verurteilen, an ihn

a) 3.220,00 EUR brutto nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.04.2016 zu zahlen;

b) 1.391,40 EUR brutto nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2016 zu zahlen;

c) 1.375,36 EUR brutto nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2016 zu zahlen;

d) 1.366,90 EUR brutto nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2016 zu zahlen;

e) 1.342,26 EUR brutto nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.08.2016 zu zahlen;

f) 1.326,90 EUR brutto nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.09.2016 zu zahlen;

g) 1.337,15 EUR brutto nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2016 zu zahlen;

h) 1.270,74 EUR brutto nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.11.2016 zu zahlen;

i) 6.386,35 EUR brutto nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2016 zu zahlen;

j) 1.396,01 EUR brutto nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2017 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Kläger habe die beiden Kolleginnen G und U mehrfach sexuell belästigt. Die beiden Zeuginnen hätten sich dem Geschäftsführer offenbart, nachdem dem Kläger gegenüber die ordentliche Kündigung ausgesprochen worden sei. Vorher sei von den Vorkommnissen nichts bekannt gewesen. Nach Kenntnis der von den beiden Zeuginnen beschriebenen Tatsachen, sei es ihr nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur einen Tag fortbestehen zu lassen. Eine Abmahnung sei nach ihrer Auffassung überflüssig, denn jedermann wisse, dass diese Art sexueller Belästigung von keinem Arbeitgeber geduldet werden könne und dass mit einem solchen Verhalten unmittelbar der Bestand des Arbeitsverhältnisses in Frage gestellt werde.

Unter anderem gehe es um die folgenden Vorkommnisse: Seit dem Jahre 2015 habe der Kläger der Zeugin U anzüglich Witze und Bilder auf seinem Mobiltelefon gezeigt, obwohl die Zeugin zum Ausdruck gebracht habe, dass ihr das unangenehm sei. Im Jahre 2015 habe der Kläger der Zeugin mit dem Bemerken, das sei doch etwas für sie, ein Video mit kopulierenden Affen gezeigt. Ebenfalls im Jahre 2015 habe der Kläger von einer Pilzinfektion im Intimbereich berichtet und der Zeugin U angeboten, diese in Augenschein zu nehmen. Wenn die Zeugin G im Zimmer der Frau U gewesen sei, sei er dazu gekommen und habe so getan als rieche er an der Zeugin G . Er habe sich hinter die Zeugin gestellt, mit der Hüfte kreisende Bewegungen ausgeführt und in anzüglicher Manier mit der Zunge die Lippen befeuchtet. Das sei auch noch im Jahre 2016 geschehen, also kurz vor Ausspruch der Kündigung. Als die Bewerbungsmappe einer Bewerberin eingegangen sei, habe er sich das Bild der Bewerberin angeschaut und den Zeuginnen gegenüber zum Ausdruck gebracht, er käme gar nicht mehr zum Arbeiten, wenn diese Bewerberin tatsächlich in den Betrieb komme; da habe er viele sexuelle Fantasien; er wolle sie gerne „vernaschen“. In Anwesenheit der Zeugin G habe er sich im Jahre 2015 in den Schritt gefasst und er habe sie aufgefordert, auf seinen Schoß zu kommen. Im Jahre 2016 habe er versucht an der Zeugin zu riechen und habe dann zu ihr gesagt, sie habe ja wieder ihr Parfum aufgelegt, da wolle er sie am liebsten direkt vernaschen. Im Jahre 2016, also kurz vor Zugang der Kündigung, habe er seinen Pullover hochgeschoben, er habe seine Brustwarzen massiert oder jedenfalls so getan, als täte er es, habe seine Lippen mit der Zunge befeuchtet und mitgeteilt, es sei nun der Zeitpunkt gekommen, an dem man intim werden könne. Er habe gegenüber einer Zeugin auch gesagt, er brauche jetzt eine Umarmung „und das ganze nackt.“

Wegen des Weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 21.02.2017 Bezug genommen. Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme, deren Gegenstand die Vernehmung der Zeuginnen G und U war, die Klage abgewiesen. Auf das Protokoll der Beweisaufnahme (Bl. 174 ff d.A.) wird Bezug genommen. Die beiden glaubwürdigen Zeuginnen hätte glaubhaft die zur Begründung der fristlosen Kündigung von der Beklagten vorgetragen Tatsachen bestätigt, nämlich die lang andauernde und intensive sexuelle Belästigung der beiden Zeuginnen am Arbeitsplatz. Eine Abmahnung sei in diesem Falle überflüssig gewesen und Tatsachen, die gegen die Verhältnismäßigkeit der fristlosen Kündigung sprechen könnten, seien nicht ersichtlich. Auch sei die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten. Das Arbeitsverhältnis sei somit durch die fristlose Kündigung beendet worden. Entgeltansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges kämen nach alledem nicht in Betracht und die Klage sei daher in vollem Umfang abzuweisen gewesen. Gegen das Urteil vom 21.02.2017, dass dem Kläger am 26.07.2017 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 16.08.2017 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.10.2017 – am 20.10.2017 begründet.

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, das Urteil könne keinen Bestand haben, weil die Zwei-Wochenfrist nicht eingehalten worden sei, weil sexuelle Übergriffe nicht stattgefunden hätten, weil vorab eine Abmahnung habe ausgesprochen werden müssen und weil die Kündigung insgesamt unverhältnismäßig sei. Die Darlegung der Beklagten, der Geschäftsführer habe von den Zeuginnen erst nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung von den Tatsachen erfahren, die ihn veranlasst hätten, die fristlose Kündigung auszusprechen, sei absolut unglaubwürdig. Es wirke sehr konstruiert, dass ausgerechnet nach dem Tag, an dem die Beklagte wegen der gescheiterten Vergleichsgespräche davon habe ausgehen müssen, dass sie mit der ordentlichen Kündigung nicht durchkomme, die neuen Tatsachen auftauchten.

Die Zeuginnen hätten die Unwahrheit bekundet. Eine sexuelle Belästigung habe nicht stattgefunden. Der von den Zeuginnen beschriebene Vorfall vom 02.02.2016 habe überhaupt nicht stattfinden können, denn die von der Beklagten dargestellte Örtlichkeit entspreche nicht der Realität. Nahe beieinanderstehende Stühle existierten nicht. An jenem Tag sei er nach seiner Erinnerung auch gar nicht vor Ort sondern in Oberhausen bei einer Baustellenbesichtigung gewesen. Am 03.02.2016 habe es keinen Einzelkontakt zwischen ihm und einer der Zeuginnen gegeben. Eine Abmahnung sei nicht entbehrlich gewesen. Selbst wenn die Bekundungen der Zeuginnen als richtig unterstellt werden könnten, so sei es nach seinem Dafürhalten immer noch notwendig, durch eine Abmahnung die Kündigungsrelevanz zum Ausdruck zu bringen, denn die Zeuginnen hätten sich – entgegen ihren Bekundungen in der Beweisaufnahme – zu keinem Zeitpunkt dahin geäußert, sie hätten etwas gegen sein Verhalten gehabt. Die fristlose Kündigung sei jedenfalls unverhältnismäßig, denn bereits im Zeitpunkt des Zugangs der fristlosen Kündigung sei die ordentliche Kündigung bereits ausgesprochen gewesen und er sei unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt gewesen. Daher sei gar nicht mehr damit zu rechnen gewesen, dass er wieder im Betrieb erscheine. Der Arbeitgeberin und allen Beteiligten sei es daher zumutbar gewesen, die Frist der ordentlichen Kündigung abzuwarten. Hinzukomme, dass er leitender Angestellter gewesen sei. Aus der Sicht der Beklagten sei es also ohne weiteres möglich gewesen, das Arbeitsverhältnis rechtssicher zu beenden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 21.02.2017 – 5 Ca 705/16 d – abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Die Berufung hat in der Sache aber keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen.

Das Arbeitsverhältnis endete durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 07.03.2016. Die dauerhafte und intensive sexuelle Belästigung der Zeuginnen G und U durch den Kläger wurde durch die vom Arbeitsgericht durchgeführte Beweisaufnahme bewiesen (1.); es sind keine Tatsachen ersichtlich, die eine Wiederholung der Beweisaufnahme rechtfertigen würden (2.); die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB wurde mit dem Ausspruch der Kündigung am 07.03.2016 von der Beklagten gewahrt (3.); zurecht gelangte das Arbeitsgericht bei der Interessenabwägung gemäß § 626 Abs. 1 BGB zu einem Ergebnis zum Nachteil des Klägers (4.a.); Eine Abmahnung kam als milderes Mittel nicht in Betracht (4.b.), weder die unwiderruflich Freistellung noch die Möglichkeit einer rechtssicheren Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Auflösungsantrag gegenüber dem Kläger als leitendem Angestellten, führt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu einer Unwirksamkeit der Kündigung (4.c.); da das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung beendet worden ist, ist die Klage auch im Übrigen unbegründet, insbesondere kommen Entgeltansprüche für die Zeit nach dem 07.03.2016 nicht in Betracht (5.).

1. Die dauerhafte und intensive sexuelle Belästigung der Zeuginnen G und U durch den Kläger wurde durch die vom Arbeitsgericht durchgeführte Beweisaufnahme bewiesen. Aus den Bekundungen der Zeuginnen ergeben sich widerspruchsfrei die Tatsachen, die die Beklagte zur Begründung der fristlosen Kündigung vorgetragen hatte. Der Kläger hat über mehrere Jahre hinweg anzüglich Witze erzählt und den Zeuginnen trotz deren Protestes anzügliche Bilder auf dem Mobiltelefon gezeigt;

ein Video auf dem Mobiltelefon mit kopulierenden Affen vorgeführt und kommentiert, das sei etwas für sie, die Zeugin; angeboten, die Pilzinfektion in seinem Intimbereich der Zeugin zu zeigen; angeboten, ihn „zu nehmen“, er biete ihr seinen „Astralkörper“ an; an der Zeugin gerochen und den Wunsch geäußert, sie „zu vernaschen“; kreisende Hüftbewegungen hinter der Zeugin ausgeführt in Anwesenheit der anderen Zeugin; von sexuellen Fantasien geredet und geäußert, er wolle die Zeuginnen oder Dritte „vernaschen“; sich in den Schritt gefasst und die Zeugin aufgefordert, sich auf den Schoß zu setzen; den Pullover hochgeschoben, angedeutet, die eigene Brustwarze zu massieren und festgestellt, es sei nun der Zeitpunkt für Intimitäten gekommen; Umarmungen eingefordert „und das ganze nackt.“

2. Die erkennende Kammer geht von der Richtigkeit und Wahrheit der vorgenannten Tatsachen aus und es sind somit keine Anhaltspunkte ersichtlich, die eine Wiederholung der Beweisaufnahme rechtfertigen würden (vgl. hierzu LAG Köln 06.02.2012 – 2 Sa 532/11 –). Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, ist das Berufungsgericht grundsätzlich nicht mehr voll umfänglich zweite Tatsacheninstanz. Vielmehr ist hinsichtlich der erstinstanzlich, auch aufgrund einer Beweiserhebung getroffenen Feststellungen die Überprüfung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich darauf beschränkt, ob konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts ist nur insoweit überprüfbar, als mit der Berufung schlüssig konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt werden, die Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellung begründen, die also solche Zweifel an den erhobenen Beweisen aufdrängen, dass sie eine erneute Beweisaufnahme gebieten (LAG SH, Urt. v. 05.10.2011 – 6 Sa 224/11 -). Durch das Merkmal „Zweifel aufgrund konkreter Anhaltspunkte“ in § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO soll erreicht werden, dass sich der innere Vorgang des Zweifels auf äußere Tatsachen stützen lässt, die bei objektiver Bewertung geeignet sind, die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Urteilsfeststellungen in Zweifel zu ziehen. Dabei dürfen im Interesse an einer materiell richtigen Entscheidung die Anforderungen an die Annahme des begründeten Zweifels nicht überspannt werden. Es genügt, dass das Berufungsgericht aufgrund aussagekräftiger Tatsachen in einer rational nachvollziehbaren Weise zu „vernünftigen“ Zweifeln gelangt. Diese müssen so gewichtig sein, dass sie nicht ausgeschlossen und ohne weiteres von der Hand gewiesen werden können.

Tatsachen im vorgenannten Sinn werden in der Berufungsbegründung des Klägers nicht angeführt. Insbesondere hat der Kläger – auch auf ausdrückliche Nachfrage im Kammertermin – keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich eine Vermutung ergeben könnte, warum die beiden Zeuginnen zu seinen Lasten mit einer uneidlichen Falschaussage eine Straftat begehen wollten oder sollten. Die erkennende Kammer hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der Bekundungen der beiden Zeuginnen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Klägers zu den Vorkommnissen am 02.02.2016: Ob Stühle nahe beieinanderstanden oder nicht und ob der Kläger irgendwann am fraglichen Tag in einer anderen Stadt war oder nicht, ist für den Kernvorwurf nicht relevant. Eine „technische Unmöglichkeit“ des ihm vorgeworfenen Verhaltens, wie er sie geltend macht, hat die Kammer daraus nicht erkennen können. Es gab daher keinen Grund, die Beweisaufnahme zu wiederholen.

3. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB wurde mit dem Ausspruch der Kündigung am 07.03.2016 von der Beklagten gewahrt, denn die Beklagte hat von den Zeuginnen den Sachverhalt, aufgrund dessen sie die fristlose Kündigung ausgesprochen hat, nicht mehr als zwei Wochen vor Zugang der Kündigung erfahren. Dem diesbezüglichen Bestreiten des Klägers fehlt es an konkretem Vortrag. Nach den Maßstäben des § 138 Abs. 1, 2 ZPO genügt es nicht zu behaupten, es sei doch völlig unglaubwürdig, dass sich eine Frau erst dann dem Geschäftsführer offenbare, wenn der vermeintliche Täter aufgrund einer ordentlichen Kündigung sicher das Unternehmen verlasse. Nach der Überzeugung der erkennenden Kammer ist das Gegenteil der Fall: Die Bekundungen der Zeugin, als die ordentliche Kündigung ausgesprochen worden sei, habe sie verhindern wollen, dass der Kläger wiederkomme und erst dann habe sie sich getraut, sich an den Geschäftsführer zu wenden, entspricht dem klassischen Verhaltensmuster eines Opfers einer sexuellen Belästigung. Bei sexueller Belästigung geht es um Machtausübung. Diese Machtausübung ist es, die beim Opfer Angst und Schuldgefühle verursacht. Erst wenn der Machtausübende nicht mehr vor Ort ist und keine Macht mehr ausübt, ist für viele Opfer der Zeitpunkt gekommen, Angst und Schuldgefühle zu überwinden und sich zu offenbaren. Die Bekundung der Zeugin zum Zeitpunkt der Offenbarung ist somit alles andere als unglaubwürdig.

4. Zurecht gelangte das Arbeitsgericht bei der Interessenabwägung gemäß § 626 Abs. 1 BGB zu einem Ergebnis zum Nachteil des Klägers. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG v. 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 -; BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 –). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Kläger die Zeuginnen massiv und über Jahre hinweg sexuell belästigt. Weder sind überwiegende Interessen des Klägers ersichtlich (a.), noch kommt eine Abmahnung als milderes Mittel in Betracht (b.), noch kann der Kläger die unwiderrufliche Freistellung oder die Möglichkeit eine Auflösungsantrages für seine Interessen heranziehen (c.).

a. Überwiegende Interessen des Klägers sind nicht ersichtlich. Der Kläger ist mit 38 Lebensjahren verhältnismäßig jung und mit seinen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung war er keine vier Jahre bei der Beklagten beschäftigt. Ein besonderer sozialer Besitzstand durch eine lange konfliktfreie Betriebszugehörigkeit fällt also nicht ins Gewicht. Zu Gunsten des Klägers sprechen lediglich seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Frau und gegenüber seinem (einzigen) Kind. Diese Faktoren treten aber zurück im Angesicht der durch die Beweisaufnahme bewiesenen massiven Pflichtverletzungen, die nicht nur Störungen der Betriebsorganisation betreffen, nicht nur die schlichte Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht, sondern die psychische Integrität zweier Kolleginnen.

b. Einer Abmahnung bedurfte es im vorliegenden Falle nicht. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt so schwer, dass eine Hinnahme durch die Arbeitgeberin offensichtlich – auch für den Kläger erkennbar – ausgeschlossen war. Es handelte sich vorliegend nicht um einen einmaligen „Ausrutscher“, ein Fehlverhalten „bei Gelegenheit“ oder um die Folge eines ungesteuerten Handlungsimpulses, sondern es handelte sich um einen mehraktigen sexuellen Übergriff auf eine Kollegin und eine hierarchisch nachgeordnete Mitarbeiterin. Es geht um eine über Monate hinweg praktizierte sexuelle Belästigung einer Mitarbeiterin durch einen Vorgesetzten. Das ist nicht nur eine extrem schwerwiegende Vertragspflichtverletzung, sondern auch eine geschlechtsspezifische rechtswidrige Macht- und Gewaltausübung. Der Kläger konnte nicht annehmen, dass sein offensichtlich schweres Fehlverhalten den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht unmittelbar gefährde. Auf die Steuerbarkeit seines Handelns kommt es nicht an. Durch das von ihm an den Tag gelegte Verhalten war die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht wieder herstellbar.

c. Weder die unwiderruflich Freistellung noch die Möglichkeit einer rechtssicheren Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Auflösungsantrag gegenüber dem Kläger als leitendem Angestellten, führt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu einer Unwirksamkeit der Kündigung.

Die Ausführungen des Klägers, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei der Beklagten zumutbar gewesen, weil sich die Parteien durch die ordentliche Kündigung und die unwiderrufliche Freistellung bereits endgültig getrennt hätten, überzeugen nicht (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 05.04.2001 – 2 AZR 217/00 –). Die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu einem wesentlich später liegenden Zeitpunkt stellt auch bei einer Freistellung des Arbeitnehmers gerade keine endgültige Trennung dar. Die Pflicht des Arbeitgebers zur Gehaltszahlung, die bei einer berechtigten fristlosen Kündigung wegfiele, ist bei der Prüfung des wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB ebenso zu berücksichtigen wie die nach wie vor bestehenden Nebenpflichten des Arbeitnehmers und die etwa bestehende Gefahr, dass der Arbeitnehmer trotz der Freistellung unter Berufung auf das nach wie vor bestehende Arbeitsverhältnis weitere Pflichtverletzungen begehen könnte (BAG a.a.O.). Selbst wenn man im Falle der Freistellung von einem regelmäßigen Überwiegen der Arbeitnehmerinteressen ausgehen wollte (ErfK/Müller-Glöge/Niemann § 626 BGB Rn. 38), liegen hier jedenfalls besondere, oben bereits dargestellte Arbeitgeberinteressen vor, die eine Abweichung vom Regelfall rechtfertigen.

Gleiches gilt für die zwischen den Parteien streitige Möglichkeit für die Beklagte, sich mit einem Auflösungsantrag vom Kläger zu trennen. Selbst wenn der Kläger tatsächlich ein leitender Angestellter wäre und somit ein Auflösungsantrag ohne Begründung möglich sein könnte, ist es der Arbeitgeberin angesichts der Schwere des Vertrauensverstoßes nicht zumutbar, neben einer weiteren Regelvergütung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist und neben der Einhaltung sämtlicher vertraglicher Nebenpflichten bis zu diesem Zeitpunkt auch noch eine Abfindung gemäß § 10 KSchG an einen Arbeitnehmer zu zahlen, der sich seinerseits gerade nicht an die besagten vertraglichen Nebenpflichten gehalten hat.

6. Da das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung beendet worden ist, ist die Klage auch im Übrigen unbegründet, insbesondere kommen Entgeltansprüche für die Zeit nach dem 07.03.2016 nicht in Betracht.

Die Kündigungsschutzanträge zur ursprünglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 26.02.2016 und zur hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 07.03.2016 waren abzuweisen, denn wegen der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung konnte kein bestehendes Arbeitsverhältnis mehr festgestellt werden. Aus dem gleichen Grund kam auch ein Weiterbeschäftigungsanspruch nicht in Betracht. Zu den Zahlungsansprüchen wird im Übrigen auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen Bezug genommen. Ausdrückliche Angriffe gegen die Entscheidung mit Blick auf diese weiteren Anträge ergeben sich nicht aus der Berufungsbegründung.

III. Nach allem bleibt es somit bei der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat der Kläger gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

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