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Sonderkündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder und Ersatzmitglieder

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 6 Sa 709/18 – Urteil vom 07.12.2018

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28.03.2018 – Az.: 54 Ca 15017/17 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen

II.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Der Kläger war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängern seit dem 1. September 1980, zuletzt als R & D Engeneer (3) gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt von 5.004,82 Euro beschäftigt. Der Kläger ist 54 Jahre alt, verheiratet und hat drei volljährige Kinder. Er ist Ersatzmitglied des Betriebsrats und nahm am 20. April 2017 an der 5. Betriebsratssitzung des teil.

Die Beklagte ist ein finnisches Unternehmen der Telekommunikationsbranche, zugehörig zur Metall- und Elektroindustrie mit Sitz in München. In Berlin unterhielt die Beklagte eine Betriebsstätte „Am W. 28“.

Mit Wirkung zum 1. Mai 2016 gliederte die Beklagte den Bereich Kundendienst / Customer aus und übertrug ihn auf die zuvor gegründete N. S. und Services GmbH. Dazu schloss sie mit dem Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich zur Betriebsspaltung und Überleitung der Beschäftigungsbedingungen zur N. S. and Services GmbH. Die Arbeitsverhältnisse der in diesen Organisationseinheiten Kundendienst / Custumer gingen im Wege des Betriebsübergangs auf die N. S. and Services GmbH über. Diese unterhält seit dem 1. August 2016 eine Betriebsstätte: Am S. 11.

Die Beklagte und weitere Unternehmen des N.-Konzerns verhandelten mit der Industriegewerkschaft Metall „anlässlich der gesellschaftsrechtlichen Ausgliederung des Bereichs S. and Services und der Bildung einer eigenständigen Leitungs- und Organisationsstruktur einschließlich der geplanten Anmietung eigener Betriebsräume für die N. S. und Services GmbH“ einen Strukturtarifvertrag N.. Danach wurden die in Hamburg, Berlin und Leipzig gelegenen Betriebsstätten der tarifschließenden Unternehmen zu einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit zum 1. Mai 2016 nach § 3 BetrVG zusammengefasst.

Mit E-Mail vom 2. Juni 2017 unterrichtete die Beklagte den Kläger darüber, dass sie die Geschäftstätigkeit des Betriebs in Berlin zum 1. Juni 2017 eingestellt habe und wies den Kläger an, die verbleibenden Tätigkeiten im Rahmen eines Homeoffice zu verrichten. Ab dem 7. Juni 2017 war die Betriebsstätte geschlossen und die verbliebenen Arbeitnehmer konnten die Betriebsstätte nicht mehr betreten.

Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 22. November 2017 zur betriebsbedingten Kündigung und zur hilfsweisen außerordentlichen Kündigung an. In dieser Anhörung gab sie die Personalnummer des Klägers falsch an sowie dessen Geburtsdatum. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung (Blatt 9 der Akte).

Mit Kündigungsschreiben vom 28. November 2017, zugegangen am 30. November 2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger ordentlich betriebsbedingt. Sie stellte den Kläger unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung frei.

Mit seiner am 5. Dezember 2017 erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung begehrt. Er hat dazu die Ansicht vertreten, die Betriebsratsanhörung sei fehlerhaft, weil dem Betriebsrat ein falsches Geburtsdatum sowie eine falsche Personalnummer mitgeteilt worden seien. Der Kläger genieße auch Sonderkündigungsschutz, weil er noch am 20. April 2017 als Ersatzmitglied an einer Sitzung des Betriebsrats teilgenommen hätte. Es lägen keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vor, denn es bestehe ein Gemeinschaftsbetrieb Nord-Ost. Die Betriebsstätte „Am W.“ sei lediglich eine von zwei Betriebsstätten in Berlin, ein Inhaberwechsel hätte tatsächlich nicht stattgefunden. Das abgebende Unternehmen, die Beklagte hätte die Verantwortung für den Betrieb nicht tatsächlich abgegeben, auch nicht für den Bereich Kundendienst / Custumer. Auch sei völlig unklar, zu welcher Abteilung oder Organisationseinheit der Kläger gehöre. Die Organisationseinheit sei lediglich mit Kennziffern bezeichnet.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 28. November 2017 nicht zum 30. Juni 2018 aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung wäre durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und wirksam. Die Arbeitsaufgaben des Klägers wären aufgrund der Betriebseinstellung weggefallen. Sie hätte den Betrieb zum 31. Mai 2017 geschlossen. Eine Beschäftigungsmöglichkeit auf anderen Arbeitsplätzen im Unternehmen wäre nicht vorhanden, eine Sozialauswahl wäre wegen der vollständigen Betriebsschließung entbehrlich gewesen. Ein Strukturtarifvertrag nach § 3 BetrVG hätte nur Einfluss auf die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen und würde nicht zur Annahme eines Gemeinschaftsbetriebs mehrerer Unternehmen im kündigungsrechtlichen Sinne führen. Die Beklagte hätte keinen Gemeinschaftsbetrieb mit der N. S. and Services GmbH gebildet. Die Beklagte bezweifelte zudem, dass der Kläger wirksam an der Betriebsratssitzung vom 20. 4. 2017 teilgenommen habe. Dies hätte zu keinem gesonderten Kündigungsschutz geführt.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien vor dem Arbeitsgericht wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Berlin hat am 28. März 2018 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 28. November 2017 nicht zum 30. Juni 2018 aufgelöst wurde. Die Beklagte habe die Sozialauswahl nicht genügend berücksichtigt, weil sie sie unzutreffend auf den Standort der Beklagten in Berlin beschränkt habe. Aufgrund des Strukturtarifertrages hätte die Beklagte mit der N. S. and Service GmbH und mit den Unternehmen in Hamburg und Leipzig einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet. Die arbeitsvertragliche Einsetzbarkeit des Klägers habe sich nicht auf Berlin beschränkt.

Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihr am 30. April 2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 30. Mai 2018 eingelegte Berufung der Beklagten, die sie innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 30. Juli 2018 begründet hat.

Die Beklagte hält die Kündigung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiterhin für sozial gerechtfertigt, weil sie ihren Betrieb in Berlin stillgelegt habe und eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht bestehe. Die unternehmerische Entscheidung zur Stilllegung sei in der ersten Jahreshälfte 2016 gefallen. Die endgültige Einstellung der Betriebstätigkeit sei bereits zum 31. Mai 2017 erfolgt. Es seien zu diesem Zeitpunkt noch etwa 20 Arbeitnehmer bei der Beklagten verblieben. Die geräumten Büroräume seien dann auch an diesem Tag an den Vermieter übergeben worden. Der Kläger habe bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nur noch Restarbeiten verrichtet, die ihm während der Verhandlungen über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses übertragen worden seien. De betriebsverfassungsrechtliche Organisationsstruktur nach dem Strukturtarifvertrag sei kündigungsrechtlich nicht von Belang. Die Beklagte bilde auch keinen Gemeinschaftsbetrieb mit der N. S. and Services GmbH. Beide Unternehmen hätten eigenständige Leitungen. Die Organisationseinheit des Klägers führe die Bezeichnung MN RN P+T RD Productiv Proj. A. (Blatt 179 der Akte). Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in anderen Unternehmen, insbesondere der S. and Service GmbH bestehe nicht. Eine Sozialauswahl sei entbehrlich. Auch am Standort in Hamburg habe die Beklagte keine Mitarbeiter mehr. Mit zwei verbliebenen Mitarbeitern am Standort in Leipzig sei der Kläger nicht vergleichbar. Zudem seien beide Mitarbeiter Ersatzmitglieder im Betriebsrat.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 28.3.2018, zugestellt am 30.4.2018, Az. 54 Ca 15017/17 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufung sei bereits unzulässig, weil der Name des Klägers in der Berufungsschrift falsch geschrieben sei.

Der Kläger genieße als stellvertretendes Betriebsratsmitglied Kündigungsschutz, da er am 20. April 2017 an der 5. Betriebsratssitzung des Gesamtbetriebsrats teilgenommen hätte. Er beruft sich auf den für ihn geltenden Kündigungsschutz des § 15 Absatz 5 KSchG und die damit einhergehende Weiterbeschäftigungspflicht der Beklagten im nach dem Betriebsverfassungsgesetz geschaffenen neuen Betrieb.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil damit, dass die Beklagte keine endgültige Stilllegungsentscheidung getroffen habe. Sie habe die Betriebstätigkeit in der Betriebsstätte „Am S.“ fortgesetzt. Sie habe lediglich eine Umfirmierung vorgenommen. Der Kläger bestreite mit Nichtwissen, dass seine Organisationseinheit tatsächlich nicht vom Betriebsübergang zur S. and Service GmbH betroffen sei. Auch sei die Bezeichnung der vom Kläger wahrgenommenen Stelle nicht nachvollziehbar. Bei der Betriebsratsanhörung sei seine Stelle als R&D Engeneer mit der Ziffer 3 bezeichnet worden. Bei der Beklagten würden Arbeitnehmer mit Berufserfahrung im Projektmanagement von Rolloutprojekten gesucht, genau diese Qualifizierung besitze der Kläger.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, 511 ZPO statthafte Berufung der Beklagten ist formgerecht und fristgemäß im Sinne von §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO eingelegt und begründet worden. Die Berufung ist zulässig. Die Berufung ist auch nicht deshalb bereits unzulässig, weil der Name des Klägers in der Berufungsschrift falsch geschrieben wurde. Zweck der Rechtsmittelschrift ist es, dem Rechtsmittelgericht, bei dem sie einzureichen ist, und dem Rechtsmittelgegner, dem sie zuzustellen ist, Klarheit über die Beteiligten des Rechtsmittelverfahrens zu verschaffen. Vorliegend war klar, wer Kläger und Berufungsbeklagter in dem Rechtsstreit war. Dies darf auch durch Auslegung ermittelt werden. Er muss mindestens bestimmbar bezeichnet werden (vgl. Zöller-Heßler, § 519 Rn. 31 m.w.N.)

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

Die Kammer kann an dieser Stelle offen lassen, ob sämtliche Erwägungen des Arbeitsgerichts richtig sind, die sich mit dem Gemeinschaftsbetrieb der Beklagten mit der N. S. and Service GmbH und den Unternehmen in Hamburg und Leipzig beschäftigen. Die Kammer bezweifelt, dass die Beklage zum Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung noch einen Gemeinschaftsbetrieb mit der N. S. and Service GmbH und den Unternehmen in Hamburg und Leipzig bildete und dass sich die Sozialauswahl deshalb auch auf die N. S. und Service GmbH hätte beziehen müssen. Denn die Kündigung ist nach § 15 Abs. 1 KSchG unwirksam.

1. Die Kündigung der Beklagten vom 28.11.2017 ist nicht deshalb rechtswirksam, weil der Kläger die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht eingehalten hätte. Denn die am 5.12.2017 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangene Feststellungsklage wahrt zweifelsohne die Klagefrist.

2. Die streitgegenständliche ordentliche Kündigung ist gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG unzulässig.

a) Die Voraussetzungen des besonderen Kündigungsschutzes für Mandatsträger im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG liegen vor, da der Kläger Ersatzmitglied des im Gemeinschaftsbetrieb gewählten Betriebsrates war und am 20. April 2017 an der 5. Betriebsratssitzung des Gesamtbetriebsrats teilgenommen hatte. Die Beklagte rügt, dass die Unterschrift des Klägers in der Teilnehmerliste bei der Sitzung des Gesamtbetriebsrats nicht eindeutig sei. Unter der vermeintlichen Unterschrift des Klägers könnte sich noch ein weiterer Name verbergen.

Die Beklagte hat nicht eindeutig bestritten, dass es sich um die Unterschrift des Klägers handelte. Es wäre für die Beklagte leicht gewesen, eine Unterschrift des Klägers vorzulegen und – jedenfalls mit Nichtwissen – zu bestreiten, dass es sich bei der Unterschrift des Klägers in der Teilnehmerliste der 5. Betriebsratssitzung am 20. April 2017 um seine Unterschrift handelte. Die Kammer ist nach der mündlichen Verhandlung davon überzeugt gewesen, dass der Kläger tatsächlich an dieser Sitzung als Ersatzmitglied teilgenommen hat.

Die Beklagte hat auch nicht den Vertretungsfall nach § 25 Abs. 1 BetrVG bestritten. Sie hat auch nicht vorgetragen, dass ein Vertretungsfall zum Schein herbeigeführt worden sei. Der Vertrag der Beklagten bezieht sich nur darauf, dass sie an der Sinnhaftigkeit einer Betriebsratssitzung in der Woche vor Ostern zweifelt, in der sich die ordentlichen Betriebsratsmitglieder im Urlaub befinden.

Der Kündigungsschutz dauert ein Jahr nach Beendigung der Amtszeit. Die Amtszeit des Klägers endete am 20. April 2017. Der Kläger hatte bis zum April 2018 nachwirkenden Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG.

b) Die ausnahmsweise in den Fällen des § 15 Abs. 5 und Abs. 4 KSchG eröffnete Möglichkeit der betriebsbedingten Kündigung eines Mandatsträgers ist nicht gegeben, da die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Nach § 15 Abs. 4 KSchG bedarf es nämlich einer Betriebsstilllegung; nach § 15 Abs. 5 KSchG muss die Stilllegung einer Betriebsabteilung mit der fehlenden Übernahmemöglichkeit des Mandatsträgers in eine andere Betriebsabteilung vorliegen.

aa) Eine Betriebsstillegung im Sinne des § 15 Abs. 4 KSchG liegt nicht vor. Die Vorschrift des § 15 Abs. 4 KSchG findet keine Anwendung. Denn der nach Strukturtarifvertrag gebildete Gemeinschaftsbetrieb wurde nicht insgesamt stillgelegt. Die Beklagte hat zum 1. Mai 2016 einen Strukturtarifvertrag N. nach § 3 BetrVG mit weiteren Unternehmen der N. Unternehmensgruppe und der Industriegewerkschaft Metall geschlossen. Danach wurden die in Hamburg, Berlin und Leipzig gelegenen Betriebsstätten der tarifschließenden Unternehmen zu einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit zusammengefasst.

Die Vereinbarung eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG führ zu einem unternehmenseinheitlichen Betriebsrat. Rechtsfolge ist, dass die aufgrund eines Tarifvertrages gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten als Betriebe im Sinne des Gesetzes gelten und auf die in ihnen gebildeten Arbeitnehmervertretungen die Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrates und die Rechtstellung seiner Mitglieder Anwendung finden.

Die Kammer folgt der Auffassung des LAG Rheinland Pflanz vom 25.1.2007 Az.: 4 Sa 797/06, Juris, wonach für die Mitglieder (und Ersatzmitglieder) des nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG gebildeten Betriebsrats die besonderen Kündigungsschutzbestimmungen des § 15 KSchG gelten, mit der Folge, dass der Gemeinschaftsbetrieb nicht endgültig stillgelegt wurde und § 15 Abs. 4 KSchG keine Anwendung findet.

Für die Laufzeit des kollektiven Strukturtarifvertrages wird im Wege der gesetzlichen Fiktion eine anders abgegrenzte organisatorische Einheit als Betrieb festgelegt, in dem die gesetzliche Mitbestimmungsordnung gilt, (vgl. Fitting, 23. Aufl. § 3 BetrVG Rn. 76 m.w.N.). In anderen arbeitsrechtlichen Bereichen, wie etwa im Kündigungsschutzrecht, bleibt dagegen der allgemeine Betriebsbegriff maßgeblich (vgl. ErfK-Eisemann § 3 BetrVG Rn. 12). Dies gilt für die Vorschriften zum Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes.

Anders verhält es sich für den Mandatsrechtsschutz der in diesem Strukturtarifvertrag gebildeten Betriebsratsmitglieder. Das ergibt sich aus der Vorschrift des § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG. In dieser Vorschrift wird ausdrücklich klargestellt, dass auf die nach Abs. 1 Nr. 1 bis 3 gebildeten Arbeitnehmervertretungen die Rechte und Pflichten des Betriebsrats und die Rechtsstellung seiner Mitglieder Anwendung finden. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, den Mandatsträgern den Schutz nach § 15 KSchG zu sichern, (vgl. Fitting, 23. Aufl. § 3 BetrVG Rn. 78 m.w.N.). Die Vorschrift des § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG macht deutlich, dass die nach Abs. 1 Nr. 1 bis 3 errichteten Arbeitnehmervertretungen alle Rechte und Pflichten eines Betriebsrats innehaben und deshalb nicht neben den gesetzlichen Betriebsrat treten, sondern diesen ersetzen.

Die durch den Gesetzgeber geschaffene zusätzliche Möglichkeit, einen Gemeinschaftsbetrieb im Wege des Strukturtarifvertrags zu schließen, kann nur dann Sinn ergeben, wenn dieser Betriebsrat dann auch in diesem Gemeinschaftsbetrieb den entsprechenden Schutz als Mandatsträger genießt, für den er auch zuständig ist. Wenn eine Produktionsgemeinschaft insgesamt aufgelöst wird, besteht kein Bedarf, den Betriebsrat besonders zu schützen. Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Das Substrat des Sonderkündigungsschutzes in § 15 KSchG ist es, das Amt des Betriebsrats vor Repressalien zu schützen. Dieser Schutzgedanke besteht aber weiterhin, weil die Produktionsgemeinschaft vorliegend gerade nicht insgesamt aufgelöst wurde.

bb) Dass eine Betriebsabteilung nach § 15 Abs. 5 KSchG stillgelegt wurde, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Dann müsste der Betrieb der Beklagten in Berlin mit der Betriebsstätte: „Am W.“ eine eigenständige Betriebsabteilung des Gemeinschaftsbetriebes gewesen sein. Vorliegend sind verschiedene Beschäftigte der Beklagten an verschiedenen Standorten und auch an Heimarbeitsplätzen mit ihren Arbeitsplätzen untergebracht. Ein Vortrag der Beklagten zum Vorliegen einer eigenständigen Betriebsabteilung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn fehlt.

cc) Die Kündigung ist auch unwirksam, wenn man davon ausginge, die Betriebsstätte der Beklagten in Berlin bilde eine eigenständige Betriebsabteilung. Es bestünde in diesem Fall für die Beklagte die Pflicht, den Kläger in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Die Kündigung ist nach § 1 Abs. 3 KSchG sozialwidrig, weil die Beklagte nicht die soziale Auswahl ausreichend berücksichtigt hat. Davon musste die Kammer ausgehen.

Hier hat die Beklagte lediglich vorgetragen, es seien mittlerweile keine Beschäftigten mehr in Hamburg vorhanden. Auch in Leipzig seien lediglich zwei weitere nicht vergleichbare Beschäftigte, die als Ersatzmitglieder des Betriebsrats nachwirkenden Kündigungsschutz genössen, genauso wie der Kläger.

Muss der Arbeitgeber entscheiden, ob er innerhalb desselben Betriebes einem nach § 15 KSchG geschützten oder einem Arbeitnehmer mit besonderem Kündigungsschutz nach § 15 KSchG kündigt, hat er eine soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG durchzuführen, (vgl. ErfK–Kiel, § 15 Rn. 45c).

Zu den Sozialdaten der übrigen Ersatzmitglieder des Betriebsrats und zu einer etwaigen Vergleichbarkeit hat die Beklagte nichts vorgetragen. Die Kammer musste deshalb von deren geringeren Schutzbedürftigkeit ausgehen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war wegen der Anwendbarkeit des besonderen Kündigungsschutzes für Mitglieder und Ersatzmitglieder eines nach § 3 BetrVG bestehenden Strukturtarifvertrages zuzulassen. Hier ist bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorhanden.

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