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Stellenbesetzung – Benachteiligung wegen des Geschlechts

ArbG Göttingen, Az.: 4 Ga 3/11 Ö, Urteil vom 23.11.2011

1. Der Antrag wird abgewiesen.

2. Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Verfügungsrechtsstreits.

3. Der Urteilsstreitwert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht besonders zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wege einstweiliger Verfügung über die vorläufige Unterlassung der Besetzung einer Stelle im öffentlichen Dienst.

Der am 30.08.1952 geborene Kläger ist seit 1980 als Diplom-Sozialpädagoge im Allgemeinen Sozialdienst des Jugendamtes der Verfügungsbeklagten beschäftigt. Er erhält Vergütung nach Entgeltgruppe S 14 der Anlage C (VKA) zum TVöD.

Stellenbesetzung - Benachteiligung wegen des Geschlechts
Symbolfoto: fizkes/Bigstock

In den Fällen, in denen ein Minderjähriger nach den § 1773 ff. BGB einen Vormund zu erhalten hat (z. B. Entziehung der elterlichen Sorge, rechtliche oder tatsächliche Verhinderung des Sorgeberechtigten) kann gem. § 1791 b BGB auch das Jugendamt zum Vormund (Amtsvormundschaft) bestellt werden.

Das Jugendamt überträgt diese Aufgabe wiederum gemäß § 55 Abs. 2 SGB VIII einzelnen seiner Beamten oder Angestellten. Nach § 55 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII in der zukünftig ab dem 05.07.2012 geltenden Fassung sind das betroffene Kind bzw. der betroffene Jugendliche – soweit möglich – vor dieser Übertragung zu hören.

Zu den Aufgaben des Vormunds gehört nach § 1800 BGB insbesondere auch die Sorge für die Person des Mündels.

Die Aufgaben des Amtsvormunds hat die Verfügungsbeklagte bislang lediglich einem (männlichen) Bediensteten übertragen, der im Verhinderungsfall von seinem (männlichen) Vorgesetzten vertreten wird.

Die Verfügungsbeklagte führt derzeit ca. 85 Amtsvormundschaften, von denen 50 weibliche Mündel betreffen. Zum Zwecke der Erfüllung der zukünftigen Vorgaben nach § 55 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII in der ab dem 05.07.2012 geltenden Fassung (ein vollzeitbeschäftigter Beamter oder Angestellter, der keine weiteren Aufgaben wahrnimmt, soll höchstens 50 Vormundschaften oder Pflegschaften führen) und zur Verbesserung der Betreuungsmöglichkeiten beabsichtigt die Verfügungsbeklagte, die Aufgaben eines Amtsvormunds und eines Amtspflegers einem weiteren Bediensteten zu übertragen. Besetzt werden soll diese Funktion ausschließlich mit einer weiblichen Bewerberin.

Mit verwaltungsinternem Rundschreiben vom 26.09.2011 schrieb die Verfügungsbeklagte die Stelle einer Diplom-Sozialarbeiterin/-pädagogin mit dem Aufgabengebiet als Amtsvormündin und Amtspflegerin intern aus. Bewertet ist diese Stelle nach Entgeltgruppe S 12. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K 1 zur Antragsschrift Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 04.10.2011 bewarb sich der Verfügungskläger um die ausgeschriebene Stelle. Diese Bewerbung lehnte die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 20.10.2011 ab, unter erneutem Hinweis darauf, dass die Stelle mit einer weiblichen Beschäftigten besetzt werden solle. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die Anlagen K 2 und K 3 zur Antragsschrift Bezug genommen.

Mit dem vorliegenden und nach Teilrücknahme allein noch zu bescheidenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt der Verfügungskläger die Unterlassung der endgültigen Besetzung der ausgeschriebenen Stelle bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Anforderungsprofils im Hauptsacheverfahren.

Die Beschränkung der Auswahl allein auf weibliche Bewerber sei rechtswidrig. Die Funktion eines Amtsvormunds und Amtspflegers könne sowohl von Frauen als auch von Männern in gleicher Weise ausgeübt werden. So bearbeite er in seinem derzeitigen Aufgabengebiet auch Angelegenheiten weiblicher Kinder und Jugendlicher, die Opfer sexueller Gewalt und sexuellen Missbrauchs geworden seien. Die im Allgemeinen Sozialdienst wahrzunehmenden Aufgaben seien im Gegenteil weit sensibler als diejenigen eines Amtsvormunds. Auch in diesem Aufgabenbereich komme es gegebenenfalls zu langjähriger Bindung und einem dauerhaften Näheverhältnis. Eine „paritätische Besetzung“ bzw. die Schaffung einer Auswahlmöglichkeit sei weder vom Gesetz vorgegeben noch sonst zwingend, wie die Praxis in anderen Kommunen und die bisherige Praxis bei der Verfügungsbeklagten zeige. Auf paritätische Besetzung achte die Verfügungsbeklagte auch im Übrigen nicht, was sich an der Unterrepräsentanz von Männern im seinem bisherigen Aufgabenbereich und dem dortigen Verhältnis von fünf männlichen zu elf weiblichen Sozialpädagogen zeige.

Der Verfügungskläger beantragt nach Antragsrücknahme im Übrigen,

der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, die Stelle einer Diplom-Sozialarbeiterin/-Sozialpädagogin im Fachbereich Jugend im Fachdienst Beistand- und Vormundschaften/Betreuung gem. Rundschreiben 63/2011 vom 26.09.2011 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens Arbeitsgericht A-Stadt 4 Ca 401/11 Ö endgültig zu besetzen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt, den Antrag abzuweisen.

Der Verfügungskläger, dessen fachliche Qualifikation sie nicht bestreitet, entspreche nicht dem von ihr rechtmäßig aufgestellten Anforderungsprofil und sei daher nicht in das Bewerbungsverfahren einzubeziehen. Nach ihrer Konzeption solle der zweite Amtsvormund weiblichen Geschlechts sein, um insbesondere den Bedürfnissen weiblicher Mündel Rechnung zu tragen. Ihnen solle die Möglichkeit gegeben werden, nach Wahl eine Frau zum Vormund zu erhalten. Im Rahmen der Personensorge solle so insbesondere die Möglichkeit eröffnet werden, dass sich weibliche jugendliche Mündel mit geschlechtsspezifischen Problemen an Frauen wenden könnten, zumal eine nicht unbedeutende Zahl von Mädchen mit Migrationshintergrund betroffen sei. Das erforderliche Näheverhältnis könne gegenüber einem männlichen Vormund gegebenenfalls nicht in der Weise hergestellt werden, wie gegenüber einem weiblichen. Insoweit bestehe hinsichtlich der Aufgabenstellung auch ein Unterschied zu der Tätigkeit im Allgemeinen Sozialdienst. Dort sei aber jedenfalls die Möglichkeit gegeben, geschlechtsspezifisch zu reagieren, was bislang im Bereich der Amtsvormundschaft nicht möglich gewesen sei.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen, welche nebst Anlagen sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Gegen die Zulässigkeit des in der mündlichen Verhandlung zur Entscheidung gestellten Antrags bestehen keine Bedenken. Insbesondere ist der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund gegeben. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist bei sogenannten Konkurrentenklagen zur Sicherung des Anspruchs nach Artikel 33 Abs. 2 Grundgesetz erforderlich, weil dieser Anspruch nach endgültiger Besetzung der Stelle nicht mehr durchsetzbar wäre (BVerfG Beschluss vom 09.07.2007 – 2 BvR 206/07 – in NVwZ 2007, 1178 (1179) zu III. 2. a) der Gründe; BAG Urteil vom 28.05.2002 – 9 AZR 751/00 – in AP Nr. 56 zu Art. 33 Abs. 2 GG zu A II. 3. der Gründe; Jarass/Pieroth/Jarass 11. Aufl., Art. 33 GG Rn. 19; Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 2. Aufl. I Rn. 304).

II.

Der Antrag ist unbegründet.

Dem Verfügungskläger steht der vorliegend allein in Betracht kommende Verfügungsanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG nicht zu.

1.

Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

a)

Diese Bestimmung enthält ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (BVerfG Beschluss vom 09.07.2007 – 2 BVR 206/07 – in NVwZ 2007, 1178 zu III. 2. a) der Gründe; Jarass/Pieroth/Jarass a. a. O., Rn. 7 m. w. N.). Öffentliches Amt im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG sind weiterhin nicht lediglich Dienstposten für Beamte, sondern auch solche Stellen, die von Arbeitnehmern besetzt werden können (BAG Urteil vom 28.05.2002 – 9 AZR 751/00 – in AP Nr. 56 zu Art. 33 Abs. 2 GG zu A. II. 1. der Gründe; Jarass/Pieroth/Jarass a. a. O., Rn. 9 jeweils m. w. N.). Art. 33 Abs. 2 GG bezieht sich nicht nur auf Einstellungen, sondern auch auf Beförderungen und Versetzungen (vgl. zu Letzterem insbesondere BAG Urteil vom 05.11.2002 – 9 AZR 451/01 – in AP Nr. 57 zu Art. 33 Abs. 2 GG zu A. II. 2. b) bb) der Gründe m. w. N.). Dem Anspruch des Verfügungsklägers steht daher nicht entgegen, dass seine Bewerbung sich nicht auf eine Beförderungsstelle, sondern auf eine geringer dotierte Stelle bezieht.

b)

Der somit aus Art. 33 Abs. 2 GG folgende Bewerbungsverfahrensanspruch, der Anspruch auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über die Bewerbung (BVerfG Beschluss vom 01.08.2006 – 2 BVR 2364/03 – in NVwZ 2006, 1401 (1402/1403) zu IV. 2. b) der Gründe; Beschluss vom 09.07.2007 – 2 BVR 206/07 – in NVwZ 2007, 1178 zu III. 2. a) der Gründe m. w. N.), das subjektive Recht auf chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren (BAG Urteil vom 05.11.2002 – 9 AZR 451/01 – in AP Nr. 57 zu Art. 33 Abs. 2 GG zu A. II. 1. der Gründe m. w. N.) ist im vorliegenden Fall jedoch nicht verletzt, weil der Verfügungskläger das von der Verfügungsbeklagten in zulässiger Weise festgelegte Anforderungsprofil des weiblichen Geschlechts nicht erfüllt und daher seine objektive Eignung fehlt.

Entscheidend ist dabei nicht das formelle Anforderungsprofil gemäß der Ausschreibung vom 26.09.2011, sondern sind die Anforderungen, welche der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Erfordernisse der zu besetzenden Stelle stellen darf (BAG Urteil vom 07.04.2011 – 8 AZR 679/09 – in NZA-RR 2011 494 (496) zu II. 4. b) bb) der Gründe – Textzeile 38 ff. m. w. N.). Fehler im Anforderungsprofil führen grundsätzlich auch zur Fehlerhaftigkeit des Auswahlverfahrens (BVerfG Beschluss vom 08.10.2007 – 2 BVR 1846/07 – in NVwZ 2008, 69 (70) zu II. 2. a) dd) der Gründe – Textzeile 18 m. w. N.). Das im vorliegenden Fall allein auf das weibliche Geschlecht bezogene Anforderungsprofil verstößt jedoch weder gegen die §§ 1, 3 Abs. 1, 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 AGG noch gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.

2.

Die Benachteiligung wegen des Geschlechts ist im vorliegenden Fall nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig.

a)

Nach § 1 AGG ist Ziel dieses Gesetzes unter anderem, Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechts zu verhindern oder zu beseitigen. Gemäß § 3 Abs. 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung dann vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

Im vorliegenden Fall besteht kein Streit der Parteien darüber, dass der Verfügungskläger als Beschäftigter im Sinne des § 6 Abs. 1 AGG im Rahmen der Bewerbung um die geschlechtsspezifisch ausgeschriebene Stelle aufgrund seines Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine weibliche Bewerberin, weil er im Gegensatz zu ihr grundsätzlich von dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen ist.

b)

Diese Benachteiligung ist jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig.

Nach dieser Bestimmung ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

aa)

§ 8 AGG stellt mit der Voraussetzung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ keine geringeren Anforderungen als der frühere § 611 a Abs. 1 Satz 2 BGB. Mithin muss das Geschlecht unverzichtbare Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeit sein (BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – in AP Nr. 1 zu § 8 AGG zu B II. 2. c) bb) (3) der Gründe – Textzeile 36; Urteil vom 18.03.2010 – 8 AZR 77/09 – in AP Nr. 2 zu § 8 AGG zu II. 3. b) aa) der Gründe – Textzeile 26; SSV/Schleusener 3. Aufl. § 8 AGG Rn. 12; Erman/Belling 13. Aufl. § 8 AGG Rn. 1; KR/Treber 9. Aufl. § 8 AGG Rn. 4). Unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit ist das Geschlecht dann, wenn ein Angehöriger des anderen Geschlechts die vertragsgemäße Leistung nicht oder nicht ordnungsgemäß erbringen kann (BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – in AP Nr. 1 zu § 8 AGG zu B II. 2. c. bb. (4) der Gründe – Textzeile 38; Urteil vom 18.03.2010 – 8 AZR 77/09 – in AP Nr. 2 zu § 8 AGG zu II. 3. b) aa) der Gründe – Textzeile 26; SSV/Schleusener § 8 AGG Rn. 12) und dieser Qualifikationsnachteil auf biologischen Gründen beruht. Eine gewisse Erheblichkeitsgrenze muss überschritten sein. Denn eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung kann nur dann angenommen werden, wenn das Merkmal nicht nur eine untergeordnete Rolle spielt, sondern zentraler Bestandteil für die auszuübende Tätigkeit ist, prägende Bedeutung hat (BAG Urteile vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – und vom 18.03.2010 – 8 AZR 77/09 – jeweils a. a. O.; SSV/Schleusener § 8 AGG Rn. 14; KR/Treber § 8 AGG Rn. 8 jeweils m. w. N.).

(1)

Eine Geschlecht kann unverzichtbare Voraussetzung für eine Tätigkeit sein, wenn die Ausübung dieser Tätigkeit für das andere Geschlecht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen objektiv unmöglich ist (Unverzichtbarkeit im engeren Sinn – BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – a. a. O. – Textzeile 37; MüKo/Thüsing 5. Aufl. § 8 AGG Rn. 12 und 13 jeweils m. w. N.).

Unverzichtbarkeit eines bestimmten Geschlechts im engeren Sinn ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.

(a)

Entgegen der in der Ausschreibung vom 26.09.2011 mitgeteilten Auffassung ist eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich eines weiblichen oder männlichen Vormunds gesetzlich nicht vorgeschrieben, besteht daher keine Unverzichtbarkeit aus rechtlichen Gründen.

(b)

Auch tatsächliche Unverzichtbarkeit im engeren Sinn ist nicht gegeben. Die Aufgaben eines Amtsvormunds können sowohl von einer Frau als auch von einem Mann ausgeübt werden.

(2)

Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ist jedoch auch dann zulässig, wenn Unverzichtbarkeit im weiteren Sinne gegeben ist, die dann vorliegt, wenn ein Angehöriger eines bestimmten Geschlechts die Arbeitsleistung zwar erbringen kann, jedoch schlechter als der eines anderen Geschlechts und dieser Qualifikationsnachteil auf biologischen Gründen beruht (BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – in AP Nr. 1 zu § 8 AGG zu B. II. 2. b) bb) (3) der Gründe – Textzeile 37; MüKo/Thüsing a. a. O. Rn. 15 m. w. N.).

Entscheidende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem unternehmerischen Konzept zu. Es kommt darauf an, welche (zulässigen) unternehmerischen Zwecke der Arbeitgeber mit der Einrichtung des Arbeitsplatzes verfolgt (BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – a. a. O. zu B. II. 2. c) bb) (4) der Gründe – Textzeile 39; SSV/Schleusener § 8 AGG Rn. 7; ErfK/Schlachter 12. Aufl. § 8 AGG Rn. 4; KR/Treber § 8 AGG Rn. 6). Bei der Erstellung dieses unternehmerischen Konzepts können auch Beziehungen zu Dritten, Kunden oder sonstigen Personen, denen Leistungen erbracht werden bzw. werden sollen, eine Rolle spielen (BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – a. a. O.; SSV/Schleusener § 8 AGG Rn. 16). Eine Berücksichtigung von Erwartungen Dritter setzt allerdings voraus, dass diese nicht selbst diskriminierend sind (MüKo/Thüsing § 8 AGG Rn. 19; KR/Treber § 8 AGG Rn. 9; SSV/Schleusener § 8 AGG Rn. 16 und 26; ErfK/Schlachter § 8 AGG Rn. 4). Die Berücksichtigung der Erwartungen Dritter darf nicht zur Perpetuierung eines überkommenen Rollenverständnisses führen (Schaub/Linck 14. Aufl. § 36 Rn. 46). Geht es aber nicht um Vorurteile und deren Verfestigung, sondern ist die Intimsphäre, die Scham gegenüber dem anderen Geschlecht betroffen, so dürfen auch subjektive Befindlichkeiten bzw. Empfindlichkeiten dazu führen, dass ein anderes Geschlecht bevorzugt wird (MüKo/Thüsing a. a. O. Rn. 15; ErfK/Schlachter a. a. O. Rn. 1; KR/Treber a. a. O. Rn. 22; Schaub/Linck a. a. O. Rn. 49; BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – a. a. O. zu B. II. 2. d) cc) der Gründe – Textzeile 45 m. w. N.). Ob diese in der Regel gleichfalls gesellschaftlich bedingten Empfindlichkeiten vernünftig oder rational nachvollziehbar sind, ist dabei nicht entscheidend.

Diese Erwägungen führen im vorliegenden Fall zur Rechtmäßigkeit des Konzeptes der Verfügungsbeklagten, welches wiederum dazu führt, dass das Geschlecht eine wesentliche und entscheidende Anforderung darstellt.

(a)

Die vom Vormund wahrzunehmende Personensorge kann im Einzelfall ein großes Näheverhältnis nicht nur erfordern, sondern auch nach sich ziehen. Der Einwand des Verfügungsklägers in der mündlichen Verhandlung, diese Einschätzung treffe wegen der Zahl der zu betreuenden Mündel jedenfalls bislang überwiegend kaum zu, berücksichtigt nicht hinreichend die auch insoweit beabsichtigte Änderung hinsichtlich der Betreuungszahlen. Das von der Verfügungsbeklagten vorgetragene Konzept, auf subjektive Befindlichkeiten der Mündel beiderlei Geschlechts Rücksicht zu nehmen, ihnen aus diesem Grunde eine Auswahl zu ermöglichen, um letztlich die Erfolgschancen der Betreuung zu erhöhen, ist nachvollziehbar und nach den vorstehenden Erwägungen zulässig. Da es letztlich um die Zulässigkeit der Berücksichtigung nicht objektivierbarer Empfindungen geht, kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob eine Person des anderen Geschlechts objektiv dieselbe oder vielleicht sogar eine bessere Dienstleistung erbringen könnte. Entscheidend ist auch nicht, dass die Verfügungsbeklagte – ebenso wie in der Vergangenheit – nicht verpflichtet wäre, den Mündeln ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten. Entscheidend ist allein, dass das von ihr vorgetragene Konzept jedenfalls zulässig ist.

(b)

Für die Durchführung dieses Konzepts hat dann aber das jeweilige Geschlecht zentrale Bedeutung. Dies führt dazu, dass das Geschlecht wiederum auch zentrale Bedeutung für die Ausübung der Tätigkeit des Amtsvormunds in der konkreten Konstellation hat. Das zulässige Konzept der Stadt lässt sich unter Berücksichtigung der derzeitigen Besetzung einer Stelle mit einem Mann nur durch die Besetzung der weiteren Stelle mit einer Frau durchführen.

(c)

Dass die Verfügungsbeklagte die Durchführung dieses Konzepts tatsächlich beabsichtigt, hat der Verfügungskläger nicht bestritten, sondern nur dessen Erfolgsaussicht. Hierauf kommt es aber nicht an dieser Stelle, sondern erst im Rahmen der Angemessenheitsprüfung an.

(d)

Die Verfügungsbeklagte ist durch die Mitteilung einer unzutreffenden Rechtsauffassung in der Ausschreibung (s.o. 2. b) aa) (1) (a)) nicht daran gehindert, andere Gründe für die Benachteiligung nachzuschieben (BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – a. a. O. zu B. II. 2. d) bb) der Gründe – Textzeile 43; Urteil vom 18.03.2010 – 8 AZR 77/09 – a. a. O. zu II. 3. b) dd) der Gründe – Textzeile 39).

bb)

Nach § 8 Abs. 1 AGG müssen weiterhin der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen sein.

(1)

Ob dem Tatbestandsmerkmal des rechtmäßigen Zwecks noch eine eigenständige Bedeutung zukommt, wenn feststeht, dass die gestellte Anforderung für die Ausübung der geschuldeten Tätigkeit „wesentlich“ ist (hierzu ErfK/Schlachter a. a. O. Rn. 7), ist streitig, letztlich aber nicht erheblich. Denn der Zweck ist jedenfalls bereits dann rechtmäßig, wenn nicht gegen eine Verbotsnorm verstoßen wird (BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – a. a. O. B. II. 2. e) bb) der Gründe – Textzeile 51 – m. w. N.), wofür im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte bestehen.

(2)

Das Merkmal der Angemessenheit erfordert eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne, die sich an der bereits unter dem Gesichtspunkt der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ untersuchten Arbeitsorganisation zu orientieren hat (SSV/Schleusener § 8 AGG Rn. 20). Fälle, in denen eine Anforderung zwar „wesentlich und entscheidend“, nicht aber das mildeste Mittel ist, dürften selten sein (Erman/Belling § 8 AGG Rn. 6). Durchzuführen ist in diesem Zusammenhang letztlich eine Missbrauchskontrolle, sind Verstöße gegen das Willkürverbot zu prüfen (BAG Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – a. a. O. zu B. II. 2. e) dd) der Gründe – Textzeile 53). Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagte in willkürlicher oder offensichtlich unvernünftiger, unsachlicher Weise einen Arbeitsplatz eingerichtet hätte, für dessen Ausübung das weibliche Geschlecht unverzichtbar ist, bestehen jedoch nicht. Ihr Konzept muss (derzeit) zum Ausschluss von männlichen Bewerbern führen (bei Nachbesetzung der anderen Stelle zwangsläufig von Frauen). Ob das beabsichtigte zulässige und nachvollziehbare Konzept zur Verbesserung der Betreuung den von der Verfügungsbeklagten erhofften Erfolg hat, steht nicht fest und wird gegebenenfalls von ihr zu beobachten sein. Diese Unsicherheit begründet aber kein willkürliches oder unsachliches Handeln.

3.

Die an das Geschlecht anknüpfende Ungleichbehandlung verstößt im vorliegenden Fall auch nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.

Das AGG stellt eine Konkretisierung der Diskriminierungsverbote in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG dar (ErfK/Schlachter AGG Vorbemerkung Rn. 6). Insbesondere stellt § 8 AGG an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung keine geringeren Anforderungen als Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Daher kann insofern auf die vorstehenden Ausführungen zur Zulässigkeit der Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 AGG Bezug genommen werden (im Ergebnis ebenso BAG Urteil vom 18.03.2010 – 8 AZR 77/09 – a. a. O. zu II. 3. b) cc) (4) der Gründe – Textzeile 38 m. w. N.).

III.

Der Antrag des Verfügungsklägers war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91, 269 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ZPO. Nach § 61 Abs. 1 ArbGG zu berücksichtigen war insoweit allerdings nur der Wert des Streitgegenstandes, über den das Arbeitsgericht nach der teilweisen Antragsrücknahme noch zu entscheiden hatte. Der für die Gerichtsgebühren maßgebliche Verfahrenswert beträgt insgesamt 8.000,00 €.

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