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Stellenbesetzungsverfahren – Berücksichtigung krankheitsbedingter Fehlzeiten

 ArbG Hamburg, Az.: 22 Ga 1/12, Urteil vom 20.02.2012

1. Der Verfügungsbeklagten wird bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache aufgegeben, einen der 32 Dienstposten E8, die mit Ausschreibung vom 27.10.2011 ausgeschrieben wurden, nicht zu besetzen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Verfügungsklägerin zu 1/3 und die Verfügungsbeklagte zu 2/3.

3. Der Streitwert des Verfahrens wird festgesetzt auf 2.666,67 €.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Untersagung der Besetzung einer Stelle bei der Verfügungsbeklagten.

Stellenbesetzungsverfahren - Berücksichtigung krankheitsbedingter Fehlzeiten
Symbolfoto: TeroVesalainen/Bigstock

Die Verfügungsklägerin war vom 20.09.2004 bis 31.12.2010 zunächst befristet bei der Bundesagentur für Arbeit Hamburg (im Folgenden: BA) beschäftigt. Nach der Umstrukturierung der BA wurde die Verfügungsklägerin wiederum befristet bei der Verfügungsbeklagten eingestellt. Aufgrund des befristeten Arbeitsvertrages vom 25.11.2010 (Anlage Ast 2; Bl. 16 f. d.A.) wurde die Verfügungsklägerin dort vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2011 als „Fachassistentin Leistungsbearbeitung“ tätig, was ihrer vorherigen Aufgabe bei der BA entsprach. Über die Wirksamkeit dieser Befristung ist beim Arbeitsgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen 22 Ca 25/12 eine Entfristungsklage anhängig. Während des Jahres 2011 war die Verfügungsklägerin an 31 Tagen arbeitsunfähig erkrankt, verteilt auf 10 Krankheitszeiträume.

Per Email vom 27.10.2011 schrieb die Verfügungsbeklagte insgesamt 73 offene Stellen intern aus, davon eine der Stufe E5, 32 der Stufe E8 und 40 der Stufe E9. Innerhalb der 32 offenen E8-Stellen entfielen 10 auf die Position „Fachassistenz Leistungsgewährung“, 20 auf die Position „Fachassistenz Eingangszone“, eine auf die Position „Fachassistenz Rechtsstelle“ sowie eine weitere auf die Position „Fachassistenz Aus- und Fortbildung“. Verbunden mit der Ausschreibung war die Aufforderung an alle Interessenten, sich bis zum 04.11.2011 per Mail zu bewerben. Für die Einzelheiten wird auf die Anlage Ast 3 (Bl. 17 d.A.) Bezug genommen. Die Verfügungsklägerin bewarb sich daraufhin für eine der offenen Stellen der Wertigkeit E8.

Für die 32 Stellen der Wertigkeit E8 bewarben sich insgesamt 47 Interessenten. Die Verfügungsbeklagte führte im Folgenden mit allen Interessenten ein persönliches Auswahlgespräch und erstellte danach ein Ranking aller Bewerber für die 32 Stellen der Wertigkeit E8, auf dem die Verfügungsklägerin Platz 19 einnahm. Anschließend wurde in einer zweiten Phase des Auswahlverfahrens die grundsätzliche Eignung der Bewerber überprüft. Aufgrund der oben aufgeführten Krankheitszeiten hielt die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin für grundsätzlich ungeeignet, strich diese von der Liste und teilte ihr mit Schreiben vom 10.02.2012 mit, dass ihre Bewerbung hauptsächlich aufgrund der „Anzahl und Häufigkeiten der krankheitsbedingten Ausfallzeiten“ keine Berücksichtigung habe finden können. Für die Einzelheiten des Schreibens wird auf die Anlage Ast 7 (Bl. 22 d.A.) Bezug genommen.

Die durchschnittlichen Fehlzeiten der Beschäftigten im öffentlichen Dienst der FHH lagen ausweislich des Personalberichts 2011 (Seite 16; Anlage AGeg 1) bei 10,8%, was ca. 21 Arbeitstagen entspricht.

Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind nach Information der Verfügungsbeklagten von den 32 Stellen der Wertigkeit E8 bereits 25 Stellen besetzt worden, 7 sind noch offen. Für diese soll ein neues Ausschreibungsverfahren stattfinden.

Die Verfügungsklägerin meint, die Annahme der Nichteignung aufgrund der Krankheitszeiten sei rechtswidrig und entspreche nicht billigem Ermessen. Die Verfügungsbeklagte habe nicht einfach von der Anzahl der Fehltage und der Erkrankungshäufigkeit auf die Nichteignung schließen dürfen. Dafür habe es vielmehr einer wertenden Beurteilung bedurft, für die auch die Ursachen der Erkrankungen aufzuklären gewesen wären. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass vor rechtskräftiger Entscheidung über das Einstellungsbegehren die unwiderrufliche Besetzung der Stelle drohe.

Nachdem die Verfügungsklägerin zunächst beantragt hat, der Verfügungsbeklagten vorläufig zu untersagen, 10 Stellen „Fachassistenz Leistungsgewährung“ zu besetzen, hat sie in der mündlichen Verhandlung ihren Antrag teilweise zurückgenommen und beantragt nunmehr,

der Verfügungsbeklagten bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, einen der 32 Dienstposten E8, die mit Ausschreibung vom 27.10.2011 ausgeschrieben wurden, zu besetzen.

Der Verfügungsbeklagte beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie meint, die 30% über dem Durchschnitt liegende Anzahl an Krankentagen und vor allem die häufige Anzahl an Kurzerkrankungen rechtfertigten die Annahme, die Verfügungsklägerin sei als ungeeignet für die Ausübung einer der E8-Stellen anzusehen. Die Verfügungsbeklagte habe bei der Einstellung daher wie jeder private Arbeitgeber das Recht, einen Bewerber wegen fehlender gesundheitlicher Eignung abzulehnen. Insbesondere treffe sie auch keine Pflicht, die Gründe für die Dauer und Anzahl der Krankheiten aufzuklären.

Entscheidungsgründe

I.

Der Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.

Die Verfügungsklägerin kann verlangen, der Verfügungsbeklagten zu untersagen, die Stelle vorläufig – d.h. bis zur Entscheidung in der noch nicht anhängigen Hauptsache – nicht mit einer anderen Person als der Verfügungsklägerin zu besetzen.

1) Es besteht ein Verfügungsgrund.

Einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand sind zulässig, wenn zu besorgen ist, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 ZPO in Verbindung mit § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG). Einstweilige Verfügungen sind auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 940 ZPO).

Durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes in Gestalt der Besetzung aller zur Zeit vakanten Stellen der Wertigkeit E8 würde das mögliche Recht der Verfügungsklägerin, eine Besetzung einer dieser Stellen mit ihrer Person zu erreichen, vereitelt, denn nach dem bei der Besetzung von öffentlichen Ämtern mit Beamten geltenden Prinzip der Ämterstabilität könnte eine fehlerhafte Besetzung nicht wieder rückgängig gemacht werden; gleiches gilt – mindestens faktisch – für die Besetzung eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst mit einem Arbeitnehmer. Angesichts dessen könnte eine erst nach Besetzung der Stelle ergehende Entscheidung in der Hauptsache die Gewährleistung des mit Verfassungsrang (Art. 19 Abs. 4 GG) ausgestatteten effektiven Rechtsschutzes nicht sicherstellen.

Da die Verfügungsbeklagte von 32 ehemals für die Wertigkeit E8 zur Verfügung stehenden Stellen bereits 25 besetzt und für die weiteren sieben die Durchführung eines neuen Auswahlverfahrens angekündigt hat, steht zu befürchten, dass mit einer Besetzung der restlichen sieben Stellen vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu rechnen ist, ohne dass sich dies im Hauptsacheverfahren rückgängig machen ließe.

b) Die Verfügungsklägerin hat auch einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser besteht auf der Grundlage von Art. 33 Abs. 2 GG.

Nach dieser Bestimmung hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Anders als bei einem privaten Arbeitgeber muss jede Bewerbung nach diesen Kriterien beurteilt werden. Öffentliche Ämter in diesem Sinne sind dabei nicht nur Beamtenstellen, sondern auch solche Stellen, die von Arbeitnehmern besetzt werden können. Beamte und Angestellte haben nach Art. 33 Abs. 2 GG bei der Besetzung von Ämtern des öffentlichen Dienstes den grundrechtsgleichen Anspruch auf sachgerechte und zeitnahe Entscheidung über ihre Bewerbung. Dabei folgt aus der Festlegung der Kriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung in Art. 33 Abs. 2 GG ein subjektives Recht jedes Bewerbers auf chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren. Erweist sich die vom öffentlichen Arbeitgeber getroffene Auswahlentscheidung vor dem Hintergrund dieser Kriterien als rechtsfehlerhaft und ist die ausgeschriebene Stelle nicht schon besetzt oder das Auswahlverfahren rechtmäßig abgebrochen, kann die Wiederholung der Auswahlentscheidung unter Beachtung der gerichtlichen Vorgaben verlangt werden (BAG, Urteil vom 12. Oktober 2010 – 9 AZR 518/09 – Rn. 16, AP Nr. 72 zu Art 33 Abs. 2 GG).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Auswahlentscheidung der Verfügungsbeklagten erweist sich als rechtsfehlerhaft.

Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten kann allein die Auflistung von 31 Fehltagen im Jahr 2011 in zehn Krankheitszeiträumen nicht ohne Weiteres zur Annahme der Nichteignung der Verfügungsklägerin führen.

Zwar können die gesundheitliche Eignung eines Bewerbers und somit die krankheitsbedingten Fehlzeiten durchaus im Rahmen der von der Verfügungsbeklagten zu treffenden Auswahlentscheidung für eine zu besetzende Stelle Berücksichtigung finden. Da zur Eignung eines Bewerbers auch die gesundheitliche Eignung für eine Stelle gehört, ist es der anstellenden Behörde im Rahmen der Überprüfung der Eignung grundsätzlich nicht verwehrt, auch die gesundheitliche Eignung in ihre Entscheidung mit einzubeziehen und dafür auf vergangene Krankheitszeiten zurückzugreifen (vgl. VG Düsseldorf vom 11.02.2011, 13 L 1746/10 – juris).

Für eine Aussage zum allgemeinen Gesundheitszustand des Bewerbers und erst Recht für die Annahme einer Nichteignung für die zu besetzende Stelle kann es allerdings nicht ausreichen, wenn die Behörde bloß auf den Umfang der krankheitsbedingten Fehltage hinweist. Es bedarf vielmehr einer wertenden Einschätzung der Eignung des Bewerbers in gesundheitlicher Hinsicht, die dann anhand der krankheitsbedingten Fehlzeiten erläutert werden kann (vgl. VG Düsseldorf vom 11.02.2011, 13 L 1746/10 – juris, so auch VG Gelsenkirchen vom 27.07.2006, 1 L 913/06 – juris). Vorliegend vermag die Kammer nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten keine wertende Einschätzung erkennen, die diesen Kriterien standhält. Die Verfügungsbeklagte hat vorliegend allein aufgrund der Anzahl der Fehltage und Häufigkeit der Krankheitsperioden auf die Nichteignung der Verfügungsklägerin geschlossen, ohne dieser zuvor die Gelegenheit zu geben, etwa im Rahmen des durchgeführten Bewerbergesprächs, sich zu den Ausfallzeiten zu erklären und so Bedenken gegen den ihr gegenüber bestehenden Verdacht der Nichteignung auszuräumen. Bereits aus diesem Grunde erweist sich die Auswahlentscheidung der Verfügungsbeklagten als inhaltlich fehlerhaft.

Es kann daher dahinstehen, ob 31 Krankheitstage innerhalb eines Jahres für die Annahme der Ungeeignetheit eines Bewerbers grundsätzlich ausreichen können.

II.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG. Danach hat die Verfügungsbeklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit sie mit ihrem Abweisungsantrag unterlegen ist. Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Verfahrens gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG insoweit, wie sie ihren Antrag zurückgenommen hat.

Der gemäß § 61 ArbGG festgesetzte Wert des Streitgegenstandes beträgt nach dem im maßgebenden Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 4 ZPO) gestellten Antrag 2.666,67 €. In arbeitsrechtlichen Streitigkeiten dieser Art ist vom dem – wegen des einstweiligen Charakters des Verfahrens – um ein Drittel ermäßigten Hilfswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG auszugehen (Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 1. Auflage 2000, Anhang zu §§ 935, 940, Rn. 182).

Die Voraussetzung für eine Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG liegen nicht vor. Die Möglichkeit der Berufung gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG bleibt davon unberührt.

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