Skip to content

Studenten können Arbeitslosengeld erhalten


In der Zeit zwischen Semesterbeginn und tatsächlichem Vorlesungsbeginn kann ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehen. Das entschied das Hessische Landessozialgericht in seinem Urteil vom 30.03.2015. Nachdem das Arbeitsverhältnis einer ehemals als Sachbearbeiterin tätigen Frau beendet wurde, bezog diese zunächst Arbeitslosengeld und immatrikulierte sich zudem. Die Bundesagentur für Arbeit hob daraufhin die Bewilligung des Arbeitslosengeldes zum Semesterbeginn auf. Dagegen wehrte sich die Klägerin zu Recht. Das Einschreiben an der Universität allein bedeute keine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, aufgrund derer die Bewilligung des Arbeitslosengeldes aufzuheben gewesen sei. Erst der tatsächliche Vorlesungsbeginn (der im vorliegenden Fall einen Monat später stattfand) begründe eine solche Aufhebung.


Hess. LSG
Urteil vom 30.03.2015
Az.: L 9 AL 148/13


Tenor

I.Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 10. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

II.Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III.Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld durch die Beklagte, beschränkt auf den Zeitraum vom 1. September 2010 bis zum 3. Oktober 2010.

Die 1985 geborene Klägerin war vom 1. September 2002 bis zum 31. Dezember 2009 bei der C. zunächst als Auszubildende, danach als Sachbearbeiterin, beschäftigt. Am 28. Oktober 2009 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten mit Wirkung zum 1. Januar 2010 nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit ihrem Arbeitgeber arbeitslos. Mit Bescheid vom 21. Januar 2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld für 360 Kalendertage ab 1. Januar 2010 i. H. v. 52,49 Euro täglich. In der Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 28. Januar 2010 ruhte der Anspruch wegen Urlaubsabgeltung.

Im August 2010 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie zum Wintersemester 2010/2011 ein Studium der Betriebswirtschaft an der Fachhochschule A-Stadt/AX. aufnehmen werde. Semesterbeginn war der 1. September 2010. Aus einem Einladungs- und Informationsschreiben zum Studienbeginn geht hervor, dass der erste Studientag der 4. Oktober 2010 war.

Mit Bescheid vom 25. August 2010 hob die Beklagte die Bewilligung über Arbeitslosengeld ab dem 1. September 2010 vollständig wegen eigener Abmeldung aus dem Leistungsbezug auf. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 30. August 2010 Widerspruch mit der Begründung ein, ihr sei mündlich die Weitergewährung des Arbeitslosengeldes bis zum 3. Oktober 2010 zugesagt worden. Zudem stehe sie dem Arbeitsmarkt bis zum Vorlesungsbeginn voll zur Verfügung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, es fehle an einer Verfügbarkeit der Klägerin bereits ab dem 1. September 2010 und nicht erst ab dem 4. Oktober 2010. Es werde nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) vermutet, dass Studenten nur versicherungsfreie Tätigkeiten ausüben könnten. Zwar sei die Vermutung widerlegbar, die Klägerin habe aber die Vermutung nicht widerlegt.

Die Klägerin hat am 5. Oktober 2010 beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie habe dem Arbeitsmarkt bis zum Vorlesungsbeginn am 4. Oktober 2010 in vollem Umfang zur Verfügung gestanden. Die Vermutung der Beklagten, dass sie als Studentin lediglich versicherungsfreie Beschäftigungen ausüben könne, sei in ihrem Fall durch die Vorlage der Einladung zum ersten Studientag am 4. Oktober 2010 bzw. einer Bescheinigung der Fachhochschule A-Stadt/AX. vom 4. November 2010 über den Beginn des Studiums am 4. Oktober 2010 widerlegt. Es hätten bis einschließlich 3. Oktober 2010 keine Lehrveranstaltungen stattgefunden.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klägerin allein durch die Immatrikulation seit dem 1. September 2010 nicht mehr in der Lage gewesen sei, eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 26 SGB III auszuüben. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass ihr Studium bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung zulasse. Auf den tatsächlichen Beginn der Studienveranstaltung komme es nicht an. Die Beklagte verweise insoweit auch auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Juli 1997 (11 RAr 99/96).

Mit Urteil vom 10. Oktober 2013 hat das Sozialgericht den Bescheid (der Beklagten) vom 25. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 insoweit aufgehoben, als dieser den Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. September 2010 bis zum 3. Oktober 2010 aufhebt. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die zulässige (Teil-) Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) sei begründet. Der Bescheid vom 25. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 sei teilweise rechtswidrig, nämlich, soweit er das der Klägerin mit Bescheid vom 21. Januar 2010 gewährte Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. September 2010 bis zum 3. Oktober 2010 aufhebe. Insoweit verletze der Bescheid vom 25. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 1. September 2010 bis zum 3. Oktober 2010. Die Voraussetzungen des maßgeblichen § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) lägen nicht vor. Hiernach sei der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintrete. Wesentlich sei u. a. jede rechtserhebliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen. An einer in diesem Sinne wesentlichen Änderung fehle es vorliegend nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 21. Januar 2010. Ausweislich dieses bestandskräftigen Bescheides habe die Klägerin Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld ab 1. Januar 2010 für 360 Kalendertage. Auch nach der Immatrikulation an der Fachhochschule A-Stadt/AX. zum Wintersemester 2010/2011 habe sie weiterhin im Zeitraum vom 1. September 2010 bis zum Beginn der Vorlesungen am 4. Oktober 2010, also bis zum 3. Oktober 2010 einschließlich, Anspruch auf Arbeitslosengeld gegen die Beklagte. Sie sei insbesondere arbeitslos im Sinne des § 119 SGB III (alte Fassung – a. F.) gewesen. Die Klägerin sei im Zeitraum ab dem 1. September 2010 beschäftigungslos gewesen. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte, dass sie keine ausreichenden Eigenbemühungen durchgeführt habe. Darüber hinaus sei die Klägerin auch verfügbar gewesen. Die die Verfügbarkeit betreffende Bestimmung des § 119 Abs. 5 SGB III a. F. werde für Studenten durch § 120 Abs. 2 SGB III a. F. modifiziert. Hiernach werde bei Schülern und Studenten einer Schule, Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte vermutet, dass sie nur versicherungsfreie Beschäftigungen ausüben könnten. Die Vermutung sei widerlegt, wenn der Schüler oder Student darlege und nachweise, dass der Ausbildungsgang die Ausübung einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulasse. Es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin im Zeitraum vom 1. September 2010 bis zum 3. Oktober 2010 keine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarktes hätte ausüben können und dürfen. Auch sei davon auszugehen, dass sie den Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge hätte leisten können, dass sie bereit gewesen sei, jede Beschäftigung im Sinne des § 119 Abs. 5 Nr. 1 SGB III a. F. anzunehmen und auszuüben und dass sie bereit gewesen sei, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen. Denn die Klägerin habe sich zwar im August 2010 immatrikuliert und damit ab 1. September 2010 den Status einer Studentin erhalten. Sie sei jedoch bis zum Beginn der Vorlesungen am 4. Oktober 2010 genauso wenig mit anderen Aktivitäten gebunden gewesen wie sie in dem Zeitraum davor gewesen sei. Sie hätte auch im streitgegenständlichen Zeitraum eine Beschäftigung ausüben und Vorschläge der Beklagten befolgen können.

Der Verfügbarkeit der Klägerin habe auch nicht die gesetzliche Vermutung des § 120 Abs. 2 SGB III a. F. entgegengestanden. Ausgehend davon, dass aufgrund der Immatrikulation zum 1. September 2010 die Vermutungswirkung eingreife (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 26. Juni 2013 – L 6 AL 186/10 -, Hess. LSG, Urteil vom 21. September 2012 – L 7 AL 3/12 – m. w. N.), habe die Klägerin diese Vermutung widerlegt. § 120 Abs. 2 Satz 2 SGB III a. F. fordere für die Widerlegung dieser Vermutung – in einem ersten Schritt – die Darlegung des Studierenden, dass nicht bereits die abstrakten Regelungen in den einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen der Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung entgegenstehen. Darüber hinaus müsse der Studierende – in einem zweiten Schritt – darlegen und nachweisen, wie er sein Studium gestaltet hätte, um daneben einer Beschäftigung nachgehen zu können, die nicht unter das Werkstudentenprivileg des § 27 Abs. 4 SGB III fällt (Hess. LSG, Urteil vom 26. Juni 2013 s. o.). Die Klägerin habe vorliegend dargelegt und nachgewiesen, dass sie dem Arbeitsmarkt im streitgegenständlichen Zeitraum objektiv und subjektiv zur Verfügung gestanden habe, da der von ihr gewählte Studiengang die Ausübung einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung im Zeitraum vom 1. September 2010 bis zum 3. Oktober 2010 zugelassen habe. Es komme hierbei lediglich auf den Zeitraum an, für den die Klägerin Leistungen begehre, also vorliegend der vorlesungsfreie Zeitraum vom 1. September 2010 bis zum 3. Oktober 2010. Für diesen Zeitraum habe die Klägerin sowohl durch Vorlage einer Einladung zum ersten Studientag als auch durch eine Bescheinigung der Fachhochschule A-Stadt/AX. nachgewiesen, dass ihr Studium im 1. Semester tatsächlich erst am 4. Oktober 2010 begonnen hat. Die Klägerin sei folglich vor dem Veranstaltungsbeginn am 4. Oktober 2010 nicht durch irgendwelche Verpflichtungen ihren Studiengang betreffend zeitlich eingebunden gewesen. Das bevorstehende Studium habe vielmehr noch keinerlei Zeit in Anspruch genommen, da die Lehrveranstaltungen erst am 4. Oktober 2010 begonnen hätten. Die Klägerin hätte folglich eine Vollzeitbeschäftigung im streitgegenständlichen Zeitraum ausüben können. Da die Klägerin lediglich für die vorlesungsfreie Zeit vor Beginn des Studiums Arbeitslosengeld begehre, komme es hinsichtlich der Widerlegung der Vermutung des § 120 Abs. 2 SGB III a. F. auch lediglich auf diesen Zeitraum – und nicht auf den gesamten Ausbildungszeitraum – an (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 26. Juni 2013 s. o.).

Da im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass andere Gründe dem Vorliegen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld entgegenstehen könnten, sei der Aufhebungsbescheid der Beklagten teilweise aufzuheben gewesen, soweit er für den Zeitraum vom 1. September 2010 bis zum 3. Oktober 2010 die Bewilligung von Arbeitslosengeld der Klägerin aufgehoben habe.

Soweit die Beklagte auf das Urteil des BSG vom 24. Juli 1997 (s. o.) verweise, ergebe sich aus diesem nichts Gegenteiliges. Insbesondere sei die dortige Fallkonstellation eine andere als im vorliegenden Fall. Denn der dortige Bezieher von Arbeitslosenhilfe habe als eingeschriebener Student die Weiterzahlung von Arbeitslosenhilfe nicht lediglich für die vorlesungsfreie Zeit vor dem Beginn der Vorlesungen begehrt, sondern während der gesamten Zeit des Studiums mit der Begründung, dass er aus sachfremden Gründen eingeschrieben sei. Zudem habe das BSG ausdrücklich darauf abgestellt, dass die Möglichkeit bestünde, die Vermutung des § 103a Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), der dem § 120 Abs. 2 SGB III vergleichbaren Vorläufervorschrift, zu widerlegen. Arbeitslose Studenten könnten dies, soweit sie darlegen und nachweisen, dass der Ausbildungsgang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulasse. Dies liege im Falle der Klägerin – anders als in dem vom BSG zu entscheidenden Fall – vor.

Gegen das der Beklagten am 23. Oktober 2013 zugestellte Urteil hat diese am 8. November 2013 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, das Sozialgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Vermutung einer versicherungsfreien Beschäftigung nach § 120 Abs. 2 SGB III a. F. bereits dadurch widerlegt sei, dass ein Student zwischen der Immatrikulation und dem Beginn der Vorlesungszeit keinerlei studienbedingte Verpflichtungen zu erfüllen habe. Das BSG habe in seiner Entscheidung vom 19. März 1998 (B 7 AL 44/97 R) ausgeführt, dass durch die Immatrikulation zwischen Student und Hochschule ein Rechtsverhältnis entstehe, das die Vermutung begründe, der Student könne während seines Studium keiner beitragspflichtigen Beschäftigung mehr nachgehen. Dies habe zur Folge, dass er so lange als der Arbeitsvermittlung nicht aktuell zur Verfügung stehend anzusehen sei, bis er die Vermutung des § 103a Abs. 2 AFG widerlegt habe. Um die Vermutung zu widerlegen, habe der Student zunächst darzulegen, dass der Ausbildungsgang bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung zulasse. Das Studium der Klägerin habe mit der Immatrikulation am 1. September 2010 begonnen. Ab diesem Tag bestehe die Vermutung, dass sie nur versicherungsfreie Beschäftigungen aufnehmen könne (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 1997 s. o.). Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei die Vermutung nicht widerlegt. Das angefochtene Urteil widerspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, weil das Urteil rechtsfehlerhaft davon ausgehe, dass die Vermutung einer versicherungsfreien Beschäftigung nach § 120 Abs. 2 SGB III a. F. bereits dann widerlegt sei, wenn ein Student zwischen der Immatrikulation und dem Vorlesungsbeginn keinerlei studentische Verpflichtungen zu erfüllen habe und auch nur für diesen Zeitraum Arbeitslosengeld begehre. In diesem Fall, so die erstinstanzliche Entscheidung, komme es hinsichtlich der Widerlegung der Vermutung auch nur auf diesen Zeitraum an und nicht auf den gesamten Ausbildungsgang. Dem könne nicht zugestimmt werden, da hinsichtlich der Widerlegung der Vermutung darauf abzustellen sei, ob der Studiengang die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zulasse. Die Prüfung, ob der Studiengang versicherungspflichtige Beschäftigung zulasse, beziehe sich jedoch nicht nur auf die Vorlesungszeiten. Lasse der Studiengang keine versicherungspflichtige Beschäftigung zu, dann betreffe dies auch die vorlesungsfreien Zeiten, wie hier zu Beginn oder die Semesterferien. Das Abstellen auf den Studiengang sei unabhängig davon, für welche Zeiträume Arbeitslosengeld beantragt werde. Im Falle der Klägerin sei weder dargelegt noch nachgewiesen, dass der Studiengang bei der Fachhochschule A-Stadt/AX. nach § 120 Abs. 2 Satz 1 SGB III a. F. eine versicherungspflichtige Beschäftigung zulasse. Im Übrigen stelle das Studium für die Klägerin selbst die Hauptsache dar, so dass die Vermutung für die hier streitige Zeit nicht widerlegt sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 10. Oktober 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung ihres Antrages auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts. Außerdem verweist sie auf die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts mit den Az. L 6 AL 186/10 sowie L 7 AL 3/12.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Gründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 10. Oktober 2013 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 25. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2010 ist, soweit er den hier allein streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. September 2010 bis zum 3. Oktober 2010 betrifft, rechtswidrig, so dass die Klägerin insoweit beschwert ist (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Zu Unrecht hat die Beklagte angenommen, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld in dem Zeitraum vom 1. September 2010 bis zum 3. Oktober 2010 entfallen sind. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist der Verwaltungsakt, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Durch die Immatrikulation der Klägerin zum Studium ist vorliegend – bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum – keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides über die Bewilligung von Arbeitslosengeld vorgelegen haben, eingetreten. Nach § 120 Abs. 2 SGB III in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I 2917 – a. F.) wird bei Schülern oder Studenten einer Schule, Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte vermutet, dass sie nur versicherungsfreie Beschäftigungen ausüben können. Die Vermutung ist widerlegt, wenn der Schüler oder Student darlegt und nachweist, dass der Ausbildungsgang die Ausübung einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulässt. Die Bestimmung entspricht dem früheren § 103a AFG. § 120 Abs. 2 Satz 2 SGB III a. F. fordert für die Widerlegung dieser Vermutung – in einem ersten Schritt – Darlegungen des Studierenden, dass nicht bereits die abstrakten Regelungen in den einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen der Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung entgegenstehen. Darüber hinaus muss der Studierende – in einem zweiten Schritt – darlegen und nachweisen, wie er sein Studium gestaltet hätte, um daneben einer Beschäftigung nachgehen zu können, die nicht unter das Werkstudentenprivileg des § 27 Abs. 4 SGB III fällt (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 18/94 – SozR 3-4100 § 103 Nr. 15).

Zwar ist die Sonderregelung des § 120 Abs. 2 SGB III a. F. für die Klägerin als Studierende einschlägig. Studierende werden durch Immatrikulation Mitglieder einer Hochschule (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Hessisches Hochschulgesetz, § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über das Verfahren der Immatrikulation, Rückmeldung, Beurlaubung und Exmatrikulation, das Studium als Gasthörerin oder Gasthörer, das Teilzeitstudium und die Verarbeitung personenbezogener Daten der Studierenden an den Hochschulen des Landes Hessen – Hessische Immatrikulationsverordnung – vom 24. Februar 2010 – GVBl. I 2010, 94). Die Immatrikulation wird, unabhängig vom Zeitpunkt der Zulassung, mit Beginn des Semesters, auf das sie bezogen ist, wirksam (§ 3 Abs. 9 Hessische Immatrikulationsverordnung). Die Immatrikulation der Klägerin im Fach Betriebswirtschaft an der Fachhochschule A-Stadt/AX. ist damit zum 1. September 2010 wirksam geworden. Durch die Immatrikulation entsteht nach der Rechtsprechung des BSG zwischen dem Studenten und der Hochschule ein Rechtsverhältnis, das die Vermutung begründet, der Student könne während seines Studiums keiner beitragspflichtigen Beschäftigung mehr nachgehen (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 1998 s. o.; Urteil vom 24. Juli 1997 s. o.; Urteil vom 21. April 1993 – 11 RAr 25/92 -; a. M. Hölzer in Gagel, SGB III, Stand: 1. Oktober 2014, § 139 Rdnr. 83 f., wonach § 139 Abs. 2 SGB III n. F. bzw. § 120 Abs. 2 SGB III a. F. seine Rechtswirkung nur bei Aufnahme der Ausbildung entfalten könne, also zu dem Zeitpunkt, in dem die Ausbildungsstätte mit den Ausbildungsveranstaltungen beginne).

Greift damit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (s. o.) die Vermutungswirkung des § 120 Abs. 2 SGB III a. F. hier zwar ein, hat die Klägerin die Vermutung aber widerlegt. Die Möglichkeit, die Vermutung zu widerlegen, eröffnet § 120 Abs. 2 SGB III a. F. arbeitslosen Studenten allerdings nur, soweit sie darlegen und nachweisen, dass der Ausbildungsgang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulässt. Mit dieser Regelung wird der Grundsatz der amtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 20 Abs. 1 SGB X; § 103 SGG) durchbrochen und dem Arbeitslosen eine Darlegungs- und Beweisführungslast auferlegt (BSG, Urteil vom 24. Juli 1997 s. o. m. w. N.). Ihrer Darlegungs- und Beweislast ist die Klägerin hinreichend nachgekommen. Sie hat für den streitgegenständlichen Teil des Ausbildungsganges durch Vorlage einer Einladung zum ersten Studientag und durch eine Bescheinigung der Fachhochschule A-Stadt/AX. nachgewiesen, dass ihr Studium im 1. Fachsemester tatsächlich erst am 4. Oktober 2010 begonnen hat. Den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen des von der Klägerin gewählten Studiengangs können vorgeschriebene Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Studium für die Zeit zwischen Semesterbeginn und Vorlesungsbeginn nicht entnommen werden. Im Übrigen folgt aus Sinn und Zweck der Vermutungsregelung des § 120 Abs. 2 SGB III a. F., dass diese Bestimmung vorliegend nicht zu Lasten der Klägerin eingreifen kann. Denn diese Regelung geht erkennbar davon aus, dass ein Studium die Arbeitskraft eines Studierenden im Allgemeinen mindestens mit 30 bis 40 Wochenstunden in Anspruch nimmt (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 1992 – BSGE 70, 180 m. w. N.). Einer solchen Inanspruchnahme durch Studienanforderungen vor der ersten Vorlesung im ersten Studiensemester war die Klägerin aber – wie von ihr durch Bescheinigungen der Hochschule nachgewiesen – nicht ausgesetzt. Tatsächlich hatte die Ausbildung für die Klägerin noch nicht begonnen. Der Auffassung der Beklagten, dass die Widerlegung der Vermutung nur möglich sei, wenn der gesamte Ausbildungsgang die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zulasse, teilt der Senat nicht. Zum einen können die Studien- und Prüfungsanforderungen je nach Studienphase variieren, so dass nicht auf eine durchschnittliche Inanspruchnahme bezogen auf die Gesamtdauer des Studiums abgestellt werden kann; zum anderen kann sich die Vermutungswirkung nur auf den jeweiligen Leistungsanspruch beziehen, so dass die Vermutung jedenfalls nicht für Ausbildungszeiten nach Erschöpfung des Leistungsanspruchs widerlegt werden muss. Entscheidend sind daher die konkreten Anforderungen des Ausbildungsganges, wie sie sich aus den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen ergeben. Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum hat die Klägerin die Vermutungswirkung des § 120 Abs. 2 SGB III a. F. widerlegt. Sie stand in dem streitgegenständlichen Zeitraum dem Arbeitsmarkt objektiv und subjektiv zur Verfügung, so dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht vorliegen (ebenso in vergleichbaren Fallkonstellationen: Hess. LSG, Beschluss vom 5. Dezember 2011 – L 6 AL 187/10 NZB -; Hess. LSG, Urteil vom 26. Juni 2013 s. o., Hess. LSG, Urteil vom 21. September 2012 s. o. jeweils m. w. N. – die dagegen erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat das BSG mit Beschluss vom 8. April 2013 (B 11 AL 137/12 B) als unzulässig verworfen; Thüringer LSG, Urteil vom 22. Februar 2007 – L 3 AL 822/03 -).

Zur weiteren Begründung nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen. Der Sache kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die hier einschlägigen, die Verfügbarkeit Studierender betreffenden Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des BSG geklärt.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!