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Tariflicher Urlaubsanspruch – Abrundung von Bruchteilen

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 3 Sa 164/17 – Urteil vom 21.03.2018

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.01.2017 – 20 Ca 1199/16 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über einen restlichen Urlaubsanspruch der Klägerin für das Kalenderjahr 2016 in Höhe von 0,15 Urlaubstagen.

Die Beklagte ist ein Dienstleistungsunternehmen, welches unter anderem die Fluggastkontrolle am Flughafen K durchführt. Sie ist tarifgebunden und wendet den Manteltarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen vom 04.09.2013 (im Folgenden: MTV Aviation) an.

Die geborene Klägerin ist seit dem 01.07.2007 als Luftsicherheitskraft beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis bestand zunächst mit der K GmbH. Mit Datum vom 28.04.2015 unterzeichnete die Klägerin einen neuen Arbeitsvertrag mit der Beklagten. Danach wird die Klägerin ab dem 01.05.2015 bei der Beklagten als Luftsicherheitskraft nach § 5 LuftSiG beschäftigt. Der Arbeitsvertrag verweist in § 1 Abs. 5 auf die für die Beklagte geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung. Weiterhin regelt der Arbeitsvertrag in § 22 die Aufhebung aller bisher bestehenden Vertragsvereinbarungen.

Die Klägerin arbeitet bei der Beklagten in einem Schichtsystem, das einen Schichtrhythmus von sechs Arbeitstagen und drei arbeitsfreien Tagen vorsieht. Im Kalenderjahr 2016 arbeitete die Klägerin nach dem klägerseits nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten an 245 Arbeitstagen.

Der MTV Aviation sieht in § 17 die folgende Urlaubsregelung vor:

„(1) Soweit nichts anderes im Tarifvertrag geregelt ist, gilt das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) in seiner jeweils geltenden Fassung.

(2) Der Erholungsurlaub des/der Beschäftigten, dessen durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf fünf Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt ist (Fünftagewoche), beträgt je Kalenderjahr

  • bei einer Betriebszugehörigkeit von 0-2 Jahren 26 Arbeitstage
  • mit Beginn einer Betriebszugehörigkeit von 3-4 Jahren 28 Arbeitstage
  • mit Beginn einer Betriebszugehörigkeit ab 5 Jahren 30 Arbeitstage

Bei einer regelmäßigen Verteilung der Arbeitszeit im Kalenderjahr auf mehr oder weniger Arbeitstage pro Woche erfolgt eine entsprechende Umrechnung des Urlaubsanspruchs.

Für im Jahres-/Monatsschichtplan arbeitende Beschäftigte sind Urlaubstage die im Schichtplan regelmäßig ausgewiesenen Arbeitstage. [ … ] Die Umrechnung des Urlaubs erfolgt nach folgender Regel:

Urlaubstage Fünftagewoche * Jahresarbeitstage / 260″

(3) [ … ]“

Der Klägerin sollte von der Beklagten für das Kalenderjahr 2016 ein Urlaubsanspruch im Umfang von 28 Urlaubstagen gewährt werden. Jedoch erkrankte die Klägerin für die Dauer des Urlaubs vom 01.12.2016 bis zum 03.12.2016. Weiterhin sollten der Klägerin für die Dauer vom 22.12.2016 bis zum 24.12.2016 Urlaubstage gewährt werden, obwohl die Klägerin an diesen Tagen bereits schichtplanmäßig arbeitsfrei hatte. Insgesamt wurde der Klägerin im Kalenderjahr 2016 ein Urlaubsanspruch im Umfang von 22 Urlaubstagen gewährt.

Bezüglich des Umfangs des jährlichen Urlaubsanspruchs hat die Beklagte unter dem 04.03.2016 ein Anschreiben an ihre Arbeitnehmer, u.a. auch an den Kläger versandt. Hierin wird u.a. ausgeführt:

„Die Urlaubsdauer richtet sich nach § 17 Abs. 2 MTV. ( … ) Bitte beachten Sie, dass solche zusätzlich entstandenen Urlaubstage freiwillig gewährt wurden und sich Ihr Urlaubsanspruch 2015, 2016 und in den Folgejahren nach den zuvor genannten aktuell gültigen tariflichen Vorschriften bemisst.

Wir möchten herausstellen und Ihnen zusichern, dass durch die Überleitung von dem alten in das neue Tarifwerk für Sie keine Schlechterstellung hinsichtlich der Dauer des Ihnen tariflich zustehenden Urlaubs eingetreten ist oder wird. Jede/r Beschäftigte behält den gleichen Urlaubsanspruch (im Sinne von Dauer nach Wochen), den er bereits besessen hat. Kein Beschäftigter stellt sich schlechter.

Alle Beschäftigten haben im Sinne einer Sicherung des Besitzstandes ab dem Jahr 2015 und den folgenden Jahren einen Urlaubsanspruch (im Sinne von Dauer nach Wochen) im Umfang seines Urlaubsanspruchs für das Jahr 2014. Jede/r Arbeitnehmer/in mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 5 Jahren hat einen Anspruch auf einen Urlaub im Umfang von 6 Wochen.“

Mit ihrer am 22.02.2016 erhobenen Klage hat die Klägerin weitere Urlaubsansprüche für das Kalenderjahr 2016 begehrt.

Sie hat die Auffassung vertreten, alleine aufgrund des Wechsel des Vertragsarbeitgebers sei keine Verringerung ihres Urlaubsanspruches eingetreten und hat hierzu behauptet, ihr seien in den Jahren 2013 und 2014 jeweils 37 Kalendertage Urlaub gewährt worden. Jedenfalls habe die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 04.03.2016 angekündigt, dass der Klägerin weiterhin der zuvor bestehende Urlaubsanspruch gewährt werden würde.

Die Klägerin hat ferner gemeint, dass ihr für das Kalenderjahr 2016 nach dem geltenden Tarifvertrag jedenfalls ein Urlaubsanspruch im Umfang von 30 Arbeitstagen zustehe und ihr demgemäß jedenfalls 8 weitere Urlaubstage zu gewähren seien.

Mit ihrer Klage hat sie zunächst die Gewährung von restlichem Erholungsurlaub aus dem Jahr 2015 für den Zeitraum vom 05.03.2016 bis zum 29.03.2016 sowie darüber hinaus die Gewährung weiterer 30 Urlaubstage für das Kalenderjahr 2016 beantragt. Mit Schriftsatz vom 10.01.2017 hat sie die Anträge dahingehend geändert, dass nunmehr noch 9 weitere Arbeitstage Urlaub für das Kalenderjahr 2015 sowie 8 weitere Arbeitstage Urlaub für das Kalenderjahr 2016 verlangt werden. Über den Urlaubsanspruch für das Kalenderjahr 2015 haben die Parteien im erstinstanzlichen Kammertermin vom 25.01.2017 einen Teilvergleich geschlossen.

Danach hat die Klägerin zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr in Erfüllung des Urlaubsanspruches für das Jahr 2016 weitere 8 Arbeitstage Urlaub zu gewähren.

Die Beklagte hat den verbliebenen Klageantrag bezüglich des Urlaubsanspruchs für das Kalenderjahr 2016 im Kammertermin im Umfang von 6 Arbeitstagen Urlaub anerkannt und hat im Übrigen beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, der Urlaubsanspruch der Klägerin sei nach § 17 Abs. 2 MTV Aviation aufgrund des Schichtsystems anteilig zu berechnen. Diese Berechnung ergebe einen Jahresurlaubsanspruch im Umfang von 28,15 Arbeitstagen, der aufgrund eines Umkehrschlusses aus § 5 Abs. 2 BUrlG auf 28 Urlaubstage abzurunden sei.

Im Übrigen hat sie die Auffassung vertreten, die Klägerin könne aus einer etwaigen Zusage ihres Vorarbeitgebers keine weitergehenden Ansprüche herleiten, da insoweit allein der aktuelle schriftliche Arbeitsvertrag vom 28.04.2015 maßgeblich sei. Hinsichtlich des Anschreibens vom 04.03.2016 hat sie ausgeführt, dass sie hiermit alleine die tarifliche Lage habe beschreiben wollen. Die Benennung von 30 Arbeitstagen Urlaub stelle lediglich einen Referenzwert dar. Ein Ausschluss der anteiligen Berechnung nach dem Tarifvertrag habe hiermit nicht einhergehen sollen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Teilanerkenntnis- und Schlussurteil vom 25.01.2017 teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für das Kalenderjahr 2016 weitere 6,15 Urlaubstage zu gewähren. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nach dem MTV Aviation für das Kalenderjahr 2016 einen Urlaubsanspruch im Umfang von 28,15 Tagen. Eine Abrundung auf 28 Tagen – wie von der Beklagten vertreten – sei weder im MTV Aviation vorgesehen noch nach dem BUrlG zulässig. Für einen weitergehenden Urlaubsanspruch fehle es an der erforderlichen Anspruchsgrundlage. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 136 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 10.02.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.03.2017 Berufung eingelegt und hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 09.05.2017 begründet.

Die Beklagte meint, der MTV Aviation enthalte bezüglich der Auf- und Abrundung bei der Umrechnung von Urlaubstagen eine unbewusste und planwidrige Regelungslücke. Bei einer lebensnahen Betrachtung hätten die Tarifvertragsparteien die Regelungen in § 17 MTV Aviation in Unkenntnis der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der weder eine Auf- noch eine Abrundung vorzunehmen sei, getroffen. Sie seien vielmehr davon ausgegangen, dass eine Rundung nicht ausdrücklich aufgenommen werden müsse, sondern unzweifelhaft aus der fehlenden Praktikabilität einer Bruchteilsgewährung folge. Dabei ergebe sich der wirklich Wille der Tarifvertragsparteien insbesondere aus der Kommentierung zum MTV Aviation, die in ihren Ausführungen zu § 17 des Tarifvertrages Rundungsbeispiele enthalte. Im Übrigen entspreche es der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben sei, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und insbesondere praktisch brauchbaren Regelung führe. Die Gewährung von Bruchteilen von Urlaubstagen sei aber gänzlich impraktikabel. Die Rundung sei auch nicht unbillig, da sie ausschließlich mathematischen Gesetzmäßigkeiten folge.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.01.2017 – 20 Ca 1199/16 – teilweise abzuändern und die Klage in Höhe der Verurteilung zur Gewährung von 0,15 Urlaubstagen in Erfüllung des Urlaubsanspruchs für das Kalenderjahr 2016 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin tritt der erstinstanzlichen Entscheidung bei und hält den MTV Aviation nicht für lückenhaft und sieht auch – anders als die Beklagte – keinen übereinstimmenden Willen der Tarifvertragsparteien.

Das Gericht hat die im Verfahren 7 Sa 118/17 bezüglich der „Kommentierung des MTV Aviation“ (Bl. 210 ff. d. A.) eingeholte Tarifauskunft im Einvernehmen beider Parteien zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht. Auf die schriftlichen Tarifauskünfte (Bl. 279 f. und Bl. 281 d. A.) wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig weil sie aufgrund der erstinstanzlichen ausdrücklichen Zulassung der Berufung statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache erfolglos. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht im tenorierten Umfang stattgegeben und die Beklagte über den von ihr anerkannten Umfang von 6 Urlaubstagen hinaus zur Gewährung eines weiteren Urlaubs im Umfang von 0,15 Tagen für das Kalenderjahr 2016 verurteilt.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte im Wege des Schadensersatzanspruchs einen weiteren Urlaubsanspruch für das Kalenderjahr 2016.

a) Anspruchsgrundlage sind insoweit – wie vom Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt – § 275 Abs. 1 und 4, § 280 Abs. 1 und 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287, § 249 Abs. 1 BGB i.V.m. § 17 Abs. 2 MTV Aviation. Hat der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch in einen auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch um (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. BAG, Urteil vom 06.08.2013 – 9 AZR 956/11, juris; BAG, Urteil vom 03.06.2014 – 9 AZR 944/12, juris).

b) Der Jahresurlaubsanspruch der Klägerin für das Kalenderjahr 2016 beträgt 28,27 Urlaubstage. Dies folgt auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts aus § 17 Abs. 2 MTV Aviation.

Aufgrund ihrer mehr als fünfjährigen Betriebszugehörigkeit beträgt der grundsätzliche Jahresurlaubsanspruch der Klägerin (ausgehend von einer Fünftagewoche) 30 Arbeitstage. Da die Klägerin im Schichtsystem tätig ist, ist der jährliche Urlaubsanspruch nach der Formel:

„Urlaubstage Fünftagewoche x Jahresarbeitstage 260“ zu quotieren. Dies ergibt bei der Klägerin auf der Grundlage von unstreitig geleisteten 245 Jahresarbeitstagen im Kalenderjahr 2016 folgende Berechnung: „30 x 245 : 260 = 28,27“.

Dementsprechend hat die Klägerin jedenfalls Anspruch auf die vom Arbeitsgericht (unter irrtümlicher Zugrundelegung von 244 Jahresarbeitstagen) errechneten 28,15 Urlaubstage. Eine weitergehende Verurteilung der Beklagten scheidet aufgrund der mangels einer klägerseitigen Berufung insoweit eingetretenen Rechtskraft des arbeitsgerichtlichen Urteils aus.

c) Diese Berechnung folgt aus der Auslegung der vorgenannten Tarifregelung.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebende Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (vgl. BAG, Urteil vom 19.09.2007 – 4 AZR 670/06, BAGE 124, 110; BAG, Urteil vom 07.07.2004 – 4 AZR 433/03, BAGE 111, 204; BAG, Urteil vom 20.05.2001 – 4 AZR 269/00, BAGE 98, 35).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich der oben genannte Jahresurlaubsanspruch der Klägerin für das Kalenderjahr 2016.

(1) Bereits der Wortlaut der Tarifnorm ist eindeutig. § 17 Abs. 2 MTV Aviation beziffert zunächst den grundsätzlichen Jahresurlaubsanspruch der Arbeitnehmer ausgehend von einer Fünftagewoche gestaffelt nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Darüberhinaus enthält er im dritten Unterabsatz eine besondere Berechnungsregelung für Arbeitnehmer im Schichtsystem, nämlich die oben dargestellte Quotierung anhand der geleisteten Jahresarbeitstage. Eine Regelung zur Rundung des sich aus dieser Berechnung ergebenden Quotienten enthält § 17 MTV Aviation nicht.

(2) Ein entsprechender Wille der Tarifvertragsparteien lässt sich auch der von der Beklagten vorgelegten „gemeinsamen Kommentierung“ des Tarifvertrages durch beide Tarifvertragsparteien nicht entnehmen. Nach der übereinstimmenden Auskunft beider Tarifvertragsparteien stellen die „Erläuterungen zum MTV Aviation“ gerade keine übereinstimmende Kommentierung durch die Tarifvertragsparteien dar, sondern allenfalls eine „Ideensammlung“ (so der BDSW), die „aus Sicht der Mehrheit der ver.di Verhandlungsmitglieder die gewerkschaftliche Sichtweise unvollständig und zum Teil unzutreffend widergibt“ (so ver.di). Von einer Unterzeichnung dieser Erläuterungen ist daher bewusst Abstand genommen worden.

(3) Sinn und Zweck der Tarifnorm besteht ausschließlich in der Bezifferung des individuellen Jahresurlaubsanspruchs der einzelnen Arbeitnehmer sowie dessen Berechnung bei Arbeitnehmern im Schichtsystem. Für eine Rundung von Tagesbruchteilen finden sich dabei keine Anhaltspunkte.

(4) Auch ansonsten können dem Text des § 17 MTV Aviation keine Anhaltspunkte für einen übereinstimmenden Willen der Tarifvertragsparteien entnommen werden, dass Bruchteile von Urlaubstagen auf- oder abgerundet werden sollen. Neben der – wie oben dargestellt – unzutreffenden Bezugnahme auf eine vermeintlich gemeinsame Kommentierung durch die Tarifpartner vermag auch die Beklagte keine Formulierung des Tarifvertrags zu benennen, in der eine Rundungsabsicht Niederschlag gefunden hätte. Letztlich stellt sie zur argumentativen Unterstützung ihrer Rechtsauffassung einzig auf die mangelnde Praktikabilität einer „spitzen“ Jahresurlaubsberechnung ab. Dabei lässt sie unberücksichtigt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, von der die erkennende Kammer abzuweichen keine Veranlassung sieht, die Praktikabilität einer Regelung erst „im Zweifel“ als weiteres Kriterium Berücksichtigung finden kann (vgl. BAG, Urteil vom 19.09.2007 – 4 AZR 670/06, BAGE 124, 110; BAG, Urteil vom 07.07.2004 – 4 AZR 433/03, BAGE 111, 204; BAG, Urteil vom 20.05.2001 – 4 AZR 269/00, BAGE 98, 35). Keinesfalls aber ist die Praktikabilität einer Regelung vorrangiges oder gar einziges Auslegungskriterium (vgl. zuletzt BAG, Urteil vom 27.09.2017 – 4 AZR 76/15, juris). Die zulässigen Grenzen einer Normauslegung wären damit deutlich überschritten. Zwar ist der Beklagten einzuräumen, dass eine Urlaubsgewährung von Tagesbruchteilen unpraktikabler ist als die Gewährung von ganzen Urlaubstagen. Aber dies allein rechtfertigt nicht eine völlige Loslösung vom Normwortlaut und hätte willkürliche Ergebnisse zur Folge. Dies verdeutlicht das in der mündlichen Verhandlung erörterte Alternativbeispiel einer grundsätzlichen Aufrundung jeglicher Tagesbruchteile anstelle der beklagtenseits vorgeschlagenen Auf- und Abrundung. Eine solche findet im Tarifwortlaut ebenso wenig einen Niederschlag wie die von der Beklagten propagierte Auf- und Abrundung, wäre aber sicherlich gleichermaßen praktikabel.

d) Auch aus § 17 Abs. 1 MTV Aviation in Verbindung mit den Vorschriften des BUrlG lässt sich keine Abrundung des tariflichen Urlaubsanspruchs begründen. Dies wird letztlich auch von der Beklagten in der Berufungsinstanz nicht mehr thematisiert, soll aber der Vollständigkeit halber nochmals klargestellt werden.

Die erkennende Kammer hält insoweit an ihrer bisherigen, den Parteien bekannten Rechtsprechung fest (vgl. LAG Köln, Urteil vom 24.05.2017 – 3 Sa 826/16). Dort hat die Kammer ausgeführt, dass sich in § 5 Abs. 2 BUrlG zwar eine Regelung zur Aufrundung von Bruchteilen von Urlaubstagen findet. Diese bestimmt jedoch lediglich, dass Bruchteile von Urlaubstage, die mindestens einen halben Tag ergeben, auf volle Urlaubstage aufzurunden sind. Eine Regelung zur Abrundung enthält das Gesetz nicht. Nach allgemeiner Auffassung kann auch aus der Aufrundungsregelung nicht im Gegenschluss auf die ebenfalls gebotene Abrundung geschlossen werden. Vielmehr gilt im Gegenteil, dass gerade die Regelung zur Aufrundung zeigt, dass auch eine Abrundung nur aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zulässig sein kann (vgl. ErfK/Gallner, 18. Aufl., § 5 BUrlG Rn. 21; Küttner/Röller, Personalbuch, 24. Aufl., Urlaubsdauer Rn 10; Neumann/Fenski/Kühn, BurlG, 11. Aufl., § 5 Rn. 36 jeweils mit weiteren Nachweisen).

Auch diese gesetzliche Regelung verdeutlicht nochmals, dass die bloße Unpraktikabilität einer fehlenden Abrundungsregelung keine Normanwendung contra legem rechtfertigen kann. Sie wird vielmehr vom Gesetzgeber offensichtlich hingenommen. Nichts anderes kann dann auch für die Tarifauslegung gelten.

Im Übrigen ist § 5 BUrlG ohnehin im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Die Vorschrift betrifft ausschließlich das Entstehen von Bruchteilen von Urlaubstagen nach § 5 Abs. 1 BUrlG. Nach dieser Vorschrift entsteht entweder ein echter Teilurlaub, wenn der volle Jahresurlaubsanspruch noch nicht entstanden ist (§ 5 Abs 1 a) und b) BUrlG), oder der Vollurlaubsanspruch wird gemäß § 5 Abs. 1 c) BUrlG entsprechend gekürzt.

Um einen solchen Fall geht es vorliegend jedoch nicht. Hier ergeben sich Bruchteile von Urlaubstagen allein aus der tariflich in § 17 Abs. 2 MTV vorgegebenen Umrechnung wegen der Tätigkeit im Schichtplanmodell. Eine derartige Umrechnung nach einem tariflichen Umrechnungsquotienten hat mit der Regelung in § 5 Abs. 1 BUrlG offensichtlich nichts zu tun, so dass auch § 5 Abs. 2 BUrlG nicht zur Anwendung kommen kann (vgl. BAG, Urteil vom 09.08.1994 – 9 AZR 384/92, NZA 1995, 174; BAG, Urteil vom 19.04.1994 – 9 AZR 478/92, NZA 1995, 86).

2. Mangels einer gesetzlichen oder tariflichen Rundungsregelung bleibt es daher bei der angefochtenen Entscheidung.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO. Die Revisionszulassung erfolgt im Hinblick auf die nachträgliche Zulassung der Revision durch den 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts in dem oben genannten Verfahren (vgl. BAG, Beschluss vom 21.11.2017 – 9 AZN 742/12).

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