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Transferkurzarbeit – Anspruch auf Urlaub und dessen Abgeltung

ArbG Herne – Az.: 3 Ca 3023/16 – Urteil vom 04.04.2017

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

3. Der Streitwert wird auf 4.295,73 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung.

Der 1959 geborene, verheiratete Kläger war in der Zeit vom 02.03.1982 bis zum 31.10.2016 für die Beklagte als kaufmännischer Angestellter tätig. Er erzielte zuletzt eine Vergütung in Höhe von 3.114,41 EUR brutto pro Monat. Der Kläger hat bis zum 31.10.2015 gearbeitet. In der Zeit vom 01.11.2015 bis zum 31.10.2016 befand er sich in struktureller Kurzarbeit, während der er in vollem Umfang von seiner Arbeitspflicht freigestellt war. Nach seiner Zeit in der Anpassung wird der Kläger Knappschaftsausgleichsleistungen beziehen und sodann in die Altersrente gehen.

Nach einer Gesamtbetriebsvereinbarung zwischen der Beklagten und ihrem Gesamtbetriebsrat über die Teilnahme an der Kurzarbeit gemäß § 111 SGB III für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Anschluss an die Kurzarbeit in den vorgezogenen Ruhestand ausscheiden, vom 25.09.2013 (Anlage B1; Bl. 17-23 der Gerichtsakten), ist folgendes vereinbart: Gemäß § 9 Abs. 1 der Gesamtbetriebsvereinbarung erhalten die Mitarbeiter im Jahr des Eintritts in die Kurzarbeit den vollen tariflichen bzw. vereinbarten Jahresurlaub. Gem. § 9 Abs. 3 der Gesamtbetriebsvereinbarung haben die Mitarbeiter im Jahr des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis aufgrund des Arbeitsausfalls wegen der Kurzarbeit keinen Anspruch auf Urlaub und keinen Anspruch auf persönliche Freischichten.

Gem. Ziffer 4.4.2 des Gesamtsozialplans NEU zur sozialverträglichen Beendigung des deutschen Steinkohlenbergbaus zum 31.12.2018 vom 24.06.2015 (Bl. 24-27 der Gerichtsakten) erhalten die Arbeitnehmer bei vorhergehender Teilnahme an Kurzarbeit gem. § 111 SGB III im Jahr des Eintritts in die Kurzarbeit den vollen tarifvertraglichen bzw. vertraglich vereinbarten Jahresurlaub. Im Jahre des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis haben die Arbeitnehmer gem. Satz 2 der Regelung aufgrund des Arbeitsausfalles in der Regel keinen Anspruch auf Urlaub.

Der Kläger hat den Jahresurlaub für das Jahr 2015 vollständig erhalten.

Er begehrt mit seiner am 29.12.2016 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 05.01.2017 zugestellten Klage Urlaubsabgeltung für 30 Urlaubstage bezüglich des Jahres 2016. Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm auch für das Jahr 2016 der volle Urlaubsanspruch zustehe. Da der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in natura genommen werden könne, sei er abzugelten. Sein Urlaubsanspruch ergebe sich aus § 19 Abs. 1 des Manteltarifvertrages für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau, der kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung gefunden habe. Demnach stünden ihm 30 Arbeitstage bezahlter Erholungsurlaub pro Kalenderjahr zu. Der Manteltarifvertrag enthalte keine Regelung zum Urlaub bei Kurzarbeit. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses genüge für das Entstehen des Urlaubsanspruchs.

Da das Arbeitsverhältnis auch während der Kurzarbeit bestanden habe, sei auch ein neuer Urlaubsanspruch entstanden. Seiner Ansicht nach ändere daran auch die Gesamtbetriebsvereinbarung über die Teilnahme an Kurzarbeit vom 25.09.2013 und auch der Gesamtsozialplan NEU vom 24.06.2015 nichts. Die Regelung in Ziffer 4.4.2 des Gesamtsozialplans verstoße gegen den höherrangigen Tarifvertrag. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 08.11.2012 sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da dort wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten im Unternehmen ein Sozialplan vereinbart worden sei. Im vorliegenden Fall handele es sich um das bergbautypische Vorruhestandsinstrument der Transferkurzarbeit.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 4.295,73 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, dass ein Urlaubsanspruch für das Jahr 2016 nicht entstanden sei. Während des bergbautypischen Vorruhestandinstruments, der Transferkurzarbeit gem. § 111 SBG III, seien die gegenseitigen Hauptleistungspflichten der Arbeitsvertragsparteien vollständig suspendiert gewesen. Der Kläger habe während des Jahres der Transferkurzarbeit an keinem Tag der Woche arbeiten müssen. Er sei auch nicht verpflichtet gewesen, sich für sie zur Verfügung zu halten, um eventuell die Arbeit wieder aufzunehmen. Mit seinem Eintritt in die Transferkurzarbeit am 01.11.2015 habe der Kläger unwiderruflich seine Arbeitsleistung für sie beendet, da er sich in der sogenannten „Kurzarbeit 0“ befunden habe. Dieser Transferkurzarbeit habe die in ihrem Unternehmen geltende „Gesamtbetriebsvereinbarung über die Teilnahme einer Kurzarbeit gem. § 111 SGB III für Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer, die im Anschluss an die Kurzarbeit in den vorgezogenen Ruhestand ausscheiden“ vom 25.09.2013 zugrunde gelegen. In § 9 dieser Gesamtbetriebsvereinbarung sei geregelt, dass im Jahr des Ausscheidens des Arbeitsverhältnisses kein Urlaub entstehe. Auch gem. Ziff. 4 des Gesamtsozialplans Beendigung deutscher Steinkohlenbergbau habe der Kläger keinen Anspruch auf den Jahresurlaub für das Jahr 2016. Bei einer Kurzarbeit, die zu einer Verringerung der Wochenarbeitstage führe, sei der Urlaubsanspruch an die neue Arbeitsverpflichtung anzupassen und verringere sich deshalb pro rata temporis. Bei der „Kurzarbeit 0“ mit einem vollständigen Wegfall der Arbeitsverpflichtung entstehe somit gar kein Urlaubsanspruch. Der Europäische Gerichtshof habe das Nichtbestehen eines Urlaubsanspruchs während der Phase der durch Betriebsvereinbarung eingeführten „Kurzarbeit 0“ in seinem Urteil vom 08.11.2012 bestätigt.

Während der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Urlaubsabgeltung für das Jahr 2016 in Höhe von 4.295,73 EUR brutto nebst Zinsen.

Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung steht dem Kläger bereits deshalb nicht zu, weil ihm für das Jahr 2016 kein Urlaubsanspruch entstanden ist.

Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass ihm grundsätzlich gem. § 19 Abs. 1 des auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendenden Manteltarifvertrages für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau 30 Urlaubstage pro Kalenderjahr zustehen und in den Regelungen des Manteltarifvertrages keine Einschränkungen für solche Arbeitnehmer vorgesehen sind, die sich in Kurzarbeit befinden. Dies ist indes auch nicht erforderlich, sondern ergibt sich bereits aus allgemeinen Grundsätzen. Nach allgemeiner Meinung in der Rechtsprechung und im arbeitsrechtlichen Schrifttum wird etwa der Urlaubsanspruch umgerechnet, wenn die Arbeitsverpflichtung bei einer Teilzeitbeschäftigung weniger Wochentage im Vergleich mit der Referenzgröße gem. § 3 BUrlG bzw. entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen beträgt. Der Urlaubsanspruch wird sodann entsprechend der Anzahl der Arbeitstage proportional umgerechnet (allgemeine Ansicht vgl. BAG, NZA 1999, 156 ff; Leinemann/Link BUrlG § 3 Rz. 62 ff; Schubert, Der Erholungsurlaub zwischen Arbeitsschutz und Entgelt, NZA 2013, 1105, 1108).

Da vorliegend die zwischen den Parteien vereinbarte „Kurzarbeit 0“ dazu geführt hat, dass der Kläger im Jahr 2016 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.10.2016 keinerlei Arbeitsverpflichtungen hatte, ist ihm bereits aus diesen Grundsätzen kein Urlaubsanspruch entstanden. Der Europäische Gerichthof hat in der Entscheidung vom 08.11.2012 – verbundene Rechtssachen Heimann und Toltschin, NZA 2012, Seite 1273 ff. – dazu ausgeführt, dass es mit europäischen Unionsrecht vereinbar sei, wenn sich der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in Verhältnis zur Arbeitszeitverkürzung pro rata temporis verringere und insoweit bei „Kurzarbeit 0“ gar kein Anspruch bestehe. Der Europäische Gerichtshof führt dabei aus, dass die Situation eines Arbeitsnehmers, der wegen einer Erkrankung nicht in der Lage sei zu arbeiten und die Situation eines Kurzarbeiters grundlegend verschieden seien. Der von Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer könne im Gegensatz zu einem arbeitsunfähigen bzw. erkrankten Arbeitnehmer nach eigenem Belieben ausruhen oder Freizeittätigkeiten nachgehen. Die Situation des Kurzarbeiters sei deshalb nicht mit der eines erkrankten Mitarbeitnehmers vergleichbar, sondern vielmehr mit derjenigen eines (vorübergehenden) Teilzeitbeschäftigten. Die erkennende Kammer schließt sich diesen Ausführungen vollumfänglich an. Die Tatbestände des Ruhens des Arbeitsverhältnisses wegen Erwerbminderung und der „Kurzarbeit 0“ dürften sich grundsätzlich unterscheiden. Befindet sich ein Arbeitnehmer in der „Kurzarbeit 0“, so sind die gegenseitigen Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses suspendiert; ein Urlaubsanspruch entsteht nicht (so auch Gallner, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 17. Auflage 2017, § 1 BUrlG Rz. 6 E; Powietzka/Christ, Urlaubsanspruch im ruhenden Arbeitsverhältnis – oder doch nicht?, NZA 2013, Seite 18, 20, 21; Schubert: Der Erholungsurlaub zwischen Arbeitsschutz und Entgelt, NZA 2013, 1105, 1110; andere Ansicht: Groeger, ArbRB 2010, 119, 120 ff. mit dem Hinweis, dass der Arbeitsausfall auf dem Betriebs- und Wirtschaftsrisiko beruhe, dass dem Arbeitgeber zugeordnet sei).

Im Hinblick auf diese Erwägungen ist ein Verstoß der Regelungen gem. § 9 der Gesamtbetriebsvereinbarung über die Teilnahme einer Kurzarbeit gem. § 111 SGB III für Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Anschluss an die Kurzarbeit in den vorgezogenen Ruhestand ausscheiden, gegen höherrangiges Recht nicht ersichtlich. Ebenso wenig verstößt aus denselben Gründen die Regelung in Ziffer 4.4.2 des Gesamtsozialplans NEU zur sozialverträglichen Beendigung des deutschen Steinkohlenbergbaus zum 31.12.2018 gegen höherrangiges Recht.

Da nach alledem ein Urlaubsanspruch des Klägers für das Jahr 2016 nicht entstanden ist, ist ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung ebenfalls nicht gegeben.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO. Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung basiert auf § 61 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 3, 5 ZPO. Zugrunde gelegt wurde der Wert der bezifferten Klageforderung.

 

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