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Überstunden: Arbeitnehmer muss Mehrarbeit nachweisen

Arbeitnehmer müssen Ab­leis­tung, sowie die An­ord­nung bzw. Bil­li­gung durch den Ar­beit­ge­ber beweisen

Die Überstundenregelung ist ein fester Bestandteil des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer. Nicht selten jedoch gibt es diesbezüglich keinerlei feste Regelungen in dem Arbeitsvertrag, sodass die sogenannten festen Unternehmensgeflogenheiten zur Anwendung kommen. In der gängigen Praxis kann es jedoch durchaus vorkommen, dass diese festen Unternehmensgeflogenheiten nicht immer mit dem Gesetz einhergehen. Insbesondere dann, wenn das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer eher anonym und nicht persönlicher Natur ist, kann die Frage der Überstunden durchaus zu Streitigkeiten führen. Vielen Arbeitnehmern ist dabei der Umstand nicht bewusst, dass sich die Gerichte bereits seit längerer Zeit mit dieser Frage beschäftigen und dass das Bundesarbeitsgericht diesbezüglich jüngst eine Entscheidung getroffen hat.

Sofern ein Arbeitnehmer den Wunsch nach einer Auszahlung der Überstunden äußert, steht der Arbeitnehmer diesbezüglich in der Beweispflicht. Die Beweispflicht bezieht sich dabei sowohl auf die Anordnung des Arbeitgebers zur Ableistung von Überstunden sowie auch auf die Ableistung selbst.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshof verändert nichts

Bereits im Jahr 2019 hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage der Überstunden beschäftigt und ein Urteil gesprochen, welches Arbeitgeber in gewisser Hinsicht in die Pflicht genommen hat. Das Urteil des EuGH verpflichtete Unternehmen als Arbeitgeber zu einer zuverlässigen und ordnungsgemäßen Aufzeichnung der Arbeitszeit, welche durch den Arbeitnehmer geleistet wurde. Hierfür sollten Arbeitgeber ein System verwenden, welches die Hauptkriterien der Objektivität sowie Zuverlässigkeit und Zugänglichkeit erfüllt. Obgleich dieses Urteil an sich bereits eine gute Richtung aus der Sicht der Arbeitnehmer vorgegeben hat, so wurde die Frage der Beweislast im Hinblick auf die Überstundenfrage durch das Urteil nicht abschließend beantwortet. Aus diesem Grund war es erforderlich, dass die obersten deutschen Arbeitsrichter sich nochmals mit dieser Frage beschäftigen und ein entsprechendes Urteil fällen.

Nachweis Überstunden
Arbeitnehmer muss geleistete Mehrarbeit in Form von Überstunden sowohl in deren Ableistung,als auch in der Billigung oder Anordnung durch den Arbeitgeber nachweisen (Symbolfoto: Altitude Visual/Shutterstock.com)

Aus Sicht der Arbeitnehmer sind Überstunden durchaus ein gutes Mittel, die eigene wirtschaftliche Lage zu verbessern. Aus der Sicht der Arbeitgeber ist es jedoch ebenso nachvollziehbar, dass die Unternehmen die Überstunden nur unter der Voraussetzung auch tatsächlich bezahlen wollen, wenn die Überstunden zuvor seitens des Arbeitgebers angeordnet wurden und der Arbeitnehmer dieser Anordnung durch eine tatsächliche Ableistung der Überstunden auch wirklich nachkam. Das Kriterium der Anordnung ist hierbei in den meisten Unternehmen nicht einmal zwingend erforderlich. Es auch in vielen Unternehmen ausreichend, wenn die Überstunden seitens des Arbeitgebers entweder genehmigt oder gebilligt wurden.

Arbeitnehmerklagen in der Vergangenheit

Es gab in der Vergangenheit bereits mehrere Klagen von Arbeitnehmern mit Bezug auf die Überstundenfrage. Besonders prägnant war dabei die Forderung eines ehemaligen Auslieferungsfahrers, der von seinem Arbeitgeber nach einer zuvor eigenen Kündigung in dem Unternehmen 5.000 Euro für 348 Überstunden forderte. Diese Überstunden seien seitens des Arbeitgebers nicht abgegolten worden, allerdings hatte der Arbeitnehmer die Anzahl der Überstunden selbst errechnet. Das Unternehmen als Arbeitgeber jedoch bestritt die Höhe der Überstunden, da sowohl die Anfangszeit als auch die Endzeit des Arbeitnehmers auf elektronischem Weg erfasst wurde und der Arbeitnehmer zwischen diesen beiden Zeitpunkten auch stets Pausen einlegte. Diese Pausen konnten jedoch von dem System nicht als solche registriert werden.

Die Pausen des Arbeitnehmers wurden laut Aussage des Arbeitgebers angeordnet, da der angestellte Mann sie aufgrund seines Status als „starker Raucher“ ohnehin abhalten musste. Der Arbeitnehmer jedoch behauptete, dass er als Auslieferungsfahrer für Lebensmittel sowie Getränke überhaupt keine Zeit bzw. Gelegenheit für die Pausen gehabt habe. Er hatte laut eigener Aussage keine Gelegenheit bzw. Zeit, mal zwischendurch eine zu rauchen.

In dem besagten Fall entschied seinerzeit das Amtsgericht (AG) Emden, dass die Sichtweise des Arbeitnehmers korrekt sei. Die Beweislast sowie die Darlegungslast in der Überstundenfrage liegt, so lautete die Ausführung des AG Emden, seit dem EuGH-Urteil ausdrücklich bei dem Arbeitgeber. Sollte der Arbeitgeber jedoch lediglich die sogenannte „Kommt- sowie Geht- Zeit“ dokumentieren, sei damit die Überstundenfrage nicht abschließend geklärt. Vielmehr stellt der Umstand, dass eine Nichterfassung der Pausen seitens des Arbeitgebers erfolgt, eine sogenannte Beweisvereitelung dar.

Uneinheitliche Rechtsprechung in Deutschland

Zu einer anderen rechtlichen Auffassung als das AG Emden kam indes das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen. Die Richter bei dem LAG Niedersachsen sprachen davon, dass die Europarichter überhaupt nicht die Kompetenz bezüglich der Vergütungsfragen haben. Als Grundlage für diese Sichtweise führte das LAG Niedersachsen den Artikel 153 Abs. 5 AEUV ins Feld, welcher die Unionszuständigkeiten benennt. In dem besagten Artikel ist die Rede davon, dass sich der Artikel selbst überhaupt nicht auf die Fragen des Arbeitsentgeltes oder auch des Streikrechts bzw. des Koalitionsrechts sowie des Aussperrungsrechts bezieht.

Das Bundesarbeitsgericht folgt der Ansicht des LAG Niedersachsen

Zu einer ähnlichen Sichtweise wie auch das LAG Niedersachsen gelangte letztlich das BAG in Erfurt. Laut Sichtweise des BAG steht ein Arbeitnehmer, der entsprechende Forderungen an seinen Arbeitgeber stellt, auch die Verpflichtung zum Beweis der tatsächlich geleisteten Überstunden. Dieser Beweis muss bereits als Klagebegründung hervorgebracht werden und sich darauf beziehen, dass der Arbeitnehmer eine Arbeitsleistung erbracht hat, welche die Normalarbeitszeit übersteigt oder die Bereitschaft hierzu auf eine ausdrückliche Anweisung des Arbeitgebers gezeigt hat.

Mit der Sichtweise des BAG ist ausdrücklich auch die sogenannte Bereitschaftszeit für die Ableistung von Überstunden gemeint.

Laut dem BAG steht ein Unternehmen als Arbeitgeber nur dann zu der Zahlung von Überstunden in der Verpflichtung, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer diese Überstunden angeordnet bzw. geduldet bzw. auf nachträgliche Art und Weise gebilligt hat. Die Beweislast diesbezüglich liegt laut Ansicht des BAG ausdrücklich bei dem Arbeitgeber. Das BAG begründete seine Entscheidung damit, dass das Urteil des EuGH dem Grundsatz nach keine Auswirkungen auf die Überstundenprozesse eines Unternehmens habe. Zwar sei der Arbeitgeber grundsätzlich zu einer ordnungsgemäßen Zeiterfassung der Arbeitszeit eines Arbeitnehmers verpflichtet, allerdings verändern sich dadurch die Grundsätze des BAGs nicht. Das Kernelement dieser Grundsätze liegt in dem Umstand, dass es ein zwingendes Erfordernis zu einer Darlegung einer Veranlassung des Arbeitgebers zur Ableistung von Überstunden des Arbeitnehmers geben muss und dass die Zurechnung der Überstunden durch einen Arbeitnehmer erfolgen muss. Von diesem Grundsatz wird auch durch das Urteil des EuGH nicht abgerückt.

Grundsätzlich unterstrich der BAG mit seinem Urteil auch den Umstand, dass der Kläger in dem vorliegenden Fall seine damalige Situation in dem Unternehmen nicht hinreichend konkret dargelegt hat. Insbesondere die Behauptung des Klägers, dass die Arbeitsleistung der Auslieferungsfahrten ohne entsprechende Pausengelegenheiten permanent durchgeführt wurde, sei nicht hinreichend konkret belegt. Die blanke Behauptung des Arbeitnehmers ist diesbezüglich als nicht ausreichend anzusehen.

Für die gängige Praxis wird dieses Urteil des BAG mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gravierende Auswirkungen haben. In zahlreichen Unternehmen ist es für Arbeitnehmer an der Tagesordnung, dass das abgeforderte Arbeitspensum auch ohne entsprechende Pausen absolviert wird. Der Grund hierfür liegt in dem Umstand, dass das Arbeitspensum oftmals sehr hoch angelegt ist und dass ein Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber in einer gewissen Drucksituation steht. Viele Arbeitnehmer befürchten negative berufliche Konsequenzen, wenn sie der Erwartungshaltung des Arbeitgebers nicht oder nur unzureichend gerecht werden. Ein derartiger Druck ist natürlich nicht im Sinne des Gesetzgebers und ein Arbeitnehmer kann aus dem Urteil des BAG auch lernen, dass künftig die sogenannten Überstunden auf Zuruf nicht mehr abgeleistet werden. Um als Arbeitnehmer diesbezüglich gänzlich auf der rechtlich sicheren Seite zu stehen ist es daher erforderlich, dass die Anordnung der abzuleistenden Überstunden seitens des Arbeitgebers in schriftlicher Form erfolgen. Eine E-Mail oder auch eine Anordnung von Überstunden per einfachem unternehmensinternen Memo ist als Beweis diesbezüglich ausreichend.

Es kommt in der gängigen Praxis durchaus auch häufig vor, dass ein Arbeitnehmer eine gewisse Form der Eigenständigkeit im Hinblick auf die Arbeitsleistung in dem Unternehmen innehat. Dementsprechend leisten zahlreiche Arbeitnehmer auch aus freien Stücken heraus Überstunden, um das Arbeitspensum abzuleisten. Um jedoch einen Anspruch auf die Abgeltung dieser Überstunden zu haben ist es grundlegend wichtig, dass sich der entsprechende Arbeitnehmer im Nachhinein von dem Arbeitgeber oder einer vorgesetzten Person in dem Unternehmen die entsprechenden Überstunden quittieren lässt. Diese Quittung kann aus rechtlicher Sicht durchaus als nachträgliche Genehmigung oder auch nachträgliche Billigung gedeutet werden, sodass der Arbeitnehmer seiner Beweislast durch diesen Schritt im Zweifel gerecht werden kann. Sollte ein Arbeitgeber eine derartige Billigung oder auch nachträgliche Genehmigung in schriftlicher Form erteilen, so ist der Widerruf zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr möglich.

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