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Überstundenvergütung – Abgeltung von Urlaubsansprüchen

ArbG Hamburg, Az.: S 1 Ca 147/13

Urteil vom 28.01.2014

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 29.705,86 EUR brutto nebst 5 %-Punkte über dem Basiszinssatz der EZB liegenden Zinsen seit 8. Juli 2013 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 16/25, der Beklagte 9/25 zu tragen.

4. Der Streitwert wird auf 82.538,23 EUR festgesetzt.

5. Die Berufung wird für beide Parteien nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche des Klägers aus einem zwischenzeitlich beendeten Arbeitsverhältnis, und zwar wegen der Vergütung für geleistete Überstunden und Abgeltung noch offener Urlaubsansprüche.

Überstundenvergütung - Abgeltung von Urlaubsansprüchen
Symbolfoto: Elnur/Bigstock

Der Beklagte wurde 1981 durch die Bundeslotsenkammer gegründet und unterhält und betreibt seitdem die zur Wahrnehmung der Lotsendienste erforderlichen Lotseinrichtungen (feste und schwimmende Lotsstationen, Versetz- und Zubringerfahrzeuge).

Der am … 1948 geborene Kläger war vom 1. Juli 1974 bis zum 30. April 2013 bei dem Beklagten als Leiter der Maschinenanlage, zuletzt bei einer monatlichen Heuer von 6.569,- EUR brutto, beschäftigt. Er war tätig auf einer Außenstation des Beklagten. Seit dem 1. Mai 2013 bezieht der Kläger Altersrente. Der Kläger ist Mitglied in der Gewerkschaft ver.di.

Im Mai 1993 vereinbarte der Beklagte mit der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) als Rechtsvorgängerin von ver.di einen Rahmentarifvertrag für Kapitäne, Schiffsführer, Bootsführer und Besatzungsmitglieder auf Lotsfahrzeugen (RTV Lotsversetz) sowie einen entsprechenden Heuertarifvertrag (HTV Lotsversetz). Im Februar 2006 trat der Beklagte dem Verband Deutscher Reeder (VDR) als außerordentliches Mitglied und der Tarifgemeinschaft bei. Hintergrund dieses Beitritts war eine Mitteilung des Prüfungsamtes des Bundes vom 24. Januar 2006 an die über den Beklagten fachaufsichtführenden Wasser- und Schifffahrtsdirektionen Nord und Nordwest über die Prüfung der Personalausgaben bei dem Beklagten. Hiermit verbunden war die Erwartung, dass der Beklagte nicht mehr aktiv an Tarifverhandlungen mit ver.di teilnehmen müsse.

Am 13. März 2007 unterzeichneten der damalige Vorstandsvorsitzende Herr B. für den Beklagten und Herr B1 für ver.di ein „Verhandlungsergebnis vom 12./13. März 2007“ (Anlage K 2, Blatt 14 der Akten). Darin heißt es unter anderem:

„Die Tarifvertragsparteien stimmen überein, dass der Prozess der tarifvertraglichen Einbindung des LBV Tarifwerkes (HTV-Lotsversetz und Rahmentarifvertrag Lotsversetz) in das Branchentarifwerk (HTV/MTV See) eingebunden werden soll. …

Deshalb werden nachfolgende Festlegungen vereinbart:

1. Der HTV-Lotsversetz vom 1. September 2006 ist bis zum Abschluss der Optimierung der bestehenden Tarifvertragsstruktur Anlage 12 des HTV See.

2. …

3. Der bestehende Rahmentarifvertrag Lotsversetz wird in seinen Bestandteilen so überprüft, dass die besonderen Bestandteile der sozialen- sowie arbeitsrechtlichen Struktur erhalten bleibt und als Anlage V in den MTV See eingebunden wird. …“

Ein weiteres „Verhandlungsergebnis vom 5. Mai 2008“ (Anlage K4, Blatt 16 der Akten) unterzeichneten der damalige Vorstandsvorsitzende Herr B. für den Beklagten sowie Herr B1, Herr O. und Frau K. für ver.di. Darin heißt es unter anderem:

„Die Tarifvertragsparteien stimmen überein, dass der Prozess der tarifvertraglichen Einbindung des LBV Tarifwerkes (HTV-Lotsversetz und Rahmentarifvertrag Lotsversetz) in das Branchentarifwerk (HTV/MTV See) mit den, in den Anlagen aufgeführten tariflichen Regelungen, vollzogen ist.

Dieser Weg wurde durch die Mitgliedschaft des LBV e.V. im Tarif führenden Arbeitsgeberverband – Verband Deutscher Reeder (VDR) mit der Vereinbarung vom 12/13. März 2007 vorgezeigt.

Deshalb werden nachfolgende tarifliche Regelungen vereinbart:

1. Sonderbestimmungen für die Beschäftigten des Lotsbetriebsverein e.V. Anlage MTV See

2. Sonderbestimmungen für die Beschäftigten des Lotsbetriebsverein e.V. Anlage HTV See

Im Übrigen gelten die Regelungen des HTV See/MTV See in seiner jeweils gültigen Fassung

Die Tarifwirksamkeit tritt ab dem 1. September 2008 in Kraft.“

Streitig ist zwischen den Parteien, ob und mit welchem Inhalt Sonderbestimmungen zu 1. und 2. vereinbart wurden.

Der derzeitige Vorstandsvorsitzende des Beklagten Herr L. und Herr B1 für ver.di unterzeichneten weiterhin „Verfahrensgrundsätze/Regelabsprachen Ergebnisse der Beratung der Tarifkommissionen LBV e.V. ver.di am 21. September 2009“ (Anlage K 5, Blatt 22-24 der Akten). Darin heißt es u.a.:

„Herr L. begrüßt die Teilnehmer … Er schlägt vor, die §§ des MTV-See und die Ausführungen der Anlage V von Juli 2008 durchzusprechen. Insbesondere die Auslegungen zu Krankheit, Arbeitszeit und Verfügungstage gilt es zu regeln.

Eine Auswertung aller Stunden findet nicht an Bord durch das Besatzungsmitglied oder Kapitän statt, sondern in den Büros. An Bord wird lediglich die Lage der Stunden und deren Anzahl geschrieben. …

Mehrarbeitsabgeltung durch Freizeit während eines Kalenderjahres erfolgt 1:1 Grundsätzlich soll Mehrarbeit in Freizeit abgegolten werden. Sonst kann am Jahresende nach Überstundensatz ausgezahlt werden. Grundsätzlich gilt eine Umrechnung der Überstunden in Freizeit (Faktor 6,15 alle Stationen) x der Gesamtüberstunden. Bei ausnahmsweiser Auszahlung der Überstunden erfolgt die Berechnung auf Basis der Spalte des HTV LBV.

Für eine einheitliche und gerechte Behandlung aller Beschäftigten wird eine Überprüfung der Arbeitszeitkonten nach den neuen festgelegten Verfahrensgrundsätzen ab dem 01.09.2008 vorgenommen.“

Im September 2010 kündigte ver.di sowohl gegenüber dem VDR als auch gegenüber dem Beklagten den Heuertarifvertrag See 2008/2009 sowie den „Heuertarifvertrag Lotsversetz 2008/2009 – in seiner gegenwärtigen Fassung vom 30. Mai 2008/Oktober 2009 (Regelabsprachen)“, der Beklagte kündigte gegenüber ver.di das Verhandlungsergebnis vom 05. Mai 2008 zum nächstmöglichen Termin. Seit dem 1. Juli 2012 gilt ein zwischen dem Beklagten und ver.di abgeschlossener Firmentarifvertrag (im Folgenden TV LBV, Anlage B1, Blatt 57 bis 70 der Akten).

Im Wege der Verbandsklage nach § 9 TVG begehrte die Gewerkschaft ver.di vor dem Arbeitsgericht Hamburg (Az. S 1 Ca 53/11) die Feststellung, dass zwischen den Parteien wirksame Tarifverträge gemäß den Anlagen K2 bis K5 zustande gekommen seien. Auf das rechtskräftige Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg in diesem Verfahren wird Bezug genommen.

Zum 1. September 2008 wies das Arbeitszeitkonto des Klägers ein Guthaben von 68,64 Tagen auf. In den folgenden Monaten/Jahren erbrachte der Kläger seine Arbeitsleistung in einem sich aus der nachstehenden Tabelle ergebenden Umfang:

Ist-Arbeitszeit Soll-Arbeitszeit

2008 (1.9. bis 31.12.) 863,52 h Kläger: 671,7 h Beklagter: 671,67 h

2009 2.612,84 h

2015 h abzüglich 2 Tage wegen eines Todesfalles

2010 2.993,53 h 2015 h

2011 1.010,12 h 2015 h

2012 (1.1. bis 30.6.) – 1007,5 h

2012 (1.7. bis 31.12.) 164,92 h 1069 h

2013 347,2 h 712,67 h

Im Jahr 2008 hatte der Kläger noch Anspruch auf nicht gewährten Urlaub von 13 Tagen, 2009 von 39 Tagen und 2010 von weiteren 39 Tagen. Im Jahr 2012 war der Kläger an 6 Tagen erkrankt. 2013 nahm der Kläger für die Dauer von 2 Stunden an einer Betriebsversammlung teil.

Mit seiner am 28. Juni 2013 vorab per Fax beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen und der Beklagten am … zugestellten Klage, die er mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2013 erweitert hat, macht der Kläger Zahlungsansprüche wegen der Abgeltung von 91 Tagen offenen Urlaubs und weiteren 121,27 Tagen Freizeitausgleich geltend.

Der Kläger trägt vor, sein Arbeitszeitkonto habe zum 30. April 2013 ein Guthaben inklusive Urlaubsansprüchen von 212,27 Tagen aufgewiesen. Dieses habe der Beklagte inklusive Verpflegungsgeld mit 82.538,23 EUR brutto abzugelten. Wegen der Berechnung wird auf die Klagerweiterung vom 1. Oktober 2013, S. 9 f. (Blatt 80 f. der Akten) verwiesen.

Das Verhandlungsergebnis vom 5. Mai 2008 und die Regelungsabsprache vom 21. September 2009 entfalteten Wirksamkeit, auch wenn es sich nicht um Tarifverträge handele. Der Beklagte und ver.di hätten durch deren Unterzeichnung vereinheitlichte Regelungen im Umgang mit den zwischen den Tarifvertragsparteien ungeklärten Fragen im Überleitungsprozess getroffen. Es handele sich um schuldrechtliche Vereinbarungen, die für den Beklagten bindend seien und zu Gunsten der betroffenen Arbeitnehmer wirkten. Mithin seien die erbrachten Überstunden mit dem Divisor 6,15 auch für die Außenstationen in freie Tage umzurechnen. Bis zur Regelungsabsprache am 21. September 2009 sei an Bord stets die Sollstundenzahl mit der Überstundenzahl des Vorjahres verkürzt worden.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 82.538,23 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz der EZB liegenden Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, es sei nicht zulässig, geleistete Überstunden mit einem Divisor von 6,15 in Tage umzurechnen. Bei dem Beklagten sei es Praxis gewesen, geleistete Überstunden in Freizeit abzugelten, wobei ein Aufschlag von 30 % auf die tatsächlich geleisteten Überstunden erfolgt sei. Mit 6,15 geleisteten Überstunden habe demgemäß ein freier Arbeitstag von 8 Stunden erzielt werden können. Allerdings habe nur auf Innenstationen ein Arbeitstag 8 Stunden betragen, auf Außenstationen seien es 10,28 Stunden. Hierfür hätten 7,9 Überstunden eingesetzt werden müssen. Dies ergebe sich auch aus einem Rundschreiben des Beklagten vom 7. Oktober 2008 (auszugsweise eingereicht als Anlage B2, Blatt 71 der Akten), auf das verwiesen wird. Es sei auch unzulässig, durch den Freizeitausgleich die zu leistende Jahresarbeitszeit des Folgejahres zu reduzieren, denn sonst entstünden automatisch neue Überstundenansprüche, die wiederum mit einem Aufschlag von 30 % abzugelten sein sollten. Für 2012 seien die 6 Tage Erkrankung gegenzurechnen, entsprechendes gelte für 2,5 Verfügungstage. Diese minderten den erhaltenen Freizeitausgleich. Insgesamt habe der Kläger 20,51 Tage zu viel an Freizeit gewährt erhalten.

Etwaige noch offene Urlaubsansprüche des Klägers seien gemäß § 7 BurlG erloschen oder gemäß § 34 MTV-See verfallen.

Wegen des weiteren Sachvortrages der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 313 Abs. 2 ZPO).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist vor dem Arbeitsgericht Hamburg und im Übrigen zulässig, jedoch nur zum Teil, und zwar in Höhe von 29.705,86 EUR, begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

Der Kläger kann von dem Beklagten die Zahlung von 29.705,86 EUR für die Abgeltung bei Beendigung des Heuerverhältnisses noch offener Urlaubsansprüche verlangen.

1. Der Abgeltungsanspruch besteht nach A. TV LBV i.V.m. § 25 MTV See. Durch A. TV LBV wird geregelt, dass die Regelungen des MTV-See für die Beschäftigten des Beklagten als Firmentarifvertrag gelten sollen, wobei einige Vorschriften durch Sonderregelungen ersetzt werden. Danach entfällt von den Urlaubsregelungen des MTV See § 22 MTV See, der ersetzt wird durch § 22 TV LBV. Die Frage der Urlaubsabgeltung ist geregelt in § 25 MTV-See, der mithin auch für die Beschäftigten des Beklagten gilt. Dem steht nicht § 22 Abs. 6 TV LBV entgegen, der „ansonsten“ auf das Bundesurlaubsgesetz verweist. Die Kammer ist davon ausgegangen, dass angesichts des Bezuges des Klägers von Altersrente ab dem 1. Mai 2013 eine Verlängerung des Heuerverhältnisses um offenen Urlaub nicht in Betracht gekommen ist, so dass ein Urlaubsabgeltungsanspruch besteht.

2. Offen waren bei Beendigung des Heuerverhältnisses noch 91 Tage Urlaub, davon 13 Tage aus 2008, 39 Tage aus 2009 und 39 Tage aus 2010. Der Urlaubsanspruch war nicht auf das Kalenderjahr beschränkt. Anders als § 7 Abs. 3 BUrlG und § 55 Abs. 3 SeemG (a.F.) sieht der MTV-See keine zeitliche Befristung des Urlaubsanspruchs vor. Er kennt weder eine Befristung auf das Kalenderjahr noch einen Übertragungszeitraum. Gleiches gilt für den in dem maßgeblichen Zeitraum noch geltenden RTV Lotsversetz. Dies betrifft die vom Kläger in den Jahren 2008 bis 2010 erworbenen Urlaubsansprüche. Diese wurden demgemäß während des bestehenden Heuerverhältnisses auch nicht fällig im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist. Anderes mag allenfalls gelten für Urlaubsansprüche, die nach Inkrafttreten des TV LBV entstehen und erworben werden, wegen des Verweises in § 22 Abs. 6 TV LBV auf das Bundesurlaubsgesetz. Es fehlen aber Anhaltspunkte dafür, dass auch in bereits entstandene Urlaubsansprüche durch diesen Tarifvertrag eingegriffen werden sollte.

3. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist nicht nach § 34 MTVSee verfallen. Er wurde während des bestehenden Heuerverhältnisses nicht fällig i.S.d. tariflichen Ausschlussfrist. Die am 28. Juni 2013 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangene und dem Beklagten am 6. Juli 2013 zugestellte Klage wahrt dagegen eine mit Beendigung des Heuerverhältnisses zum 30. April 2013 laufende Ausschlussfrist, die nach § 34 Abs. 1 MTV-See eine schriftliche Geltendmachung innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit verlangt.

4. Hinsichtlich der Höhe des dem Kläger zustehenden Betrages ist die Kammer von dem vom Kläger ermittelten Tagessatz von 218,97 EUR ausgegangen, den die Beklagte nicht angegriffen hat. Der Kläger hat weiter vorgetragen, für Urlaubstage gelte die Formel Tage : 5 x 7; auch hiergegen hat sich der Beklagte nicht gewendet. Danach waren 127,4 Tage mit einem Tagessatz von 218,97 EUR abzugelten, zuzüglich Verpflegungsgeldes in Höhe von 14,20 EUR /Tag. Daraus ergibt sich der Gesamtbetrag von 29.705,86 EUR.

II.

Dagegen besteht kein Anspruch des Klägers auf Abgeltung weiterer Freizeitansprüche. Bei seinem Ausscheiden aus dem Heuerverhältnis zum Beklagten bestand auf seinem Arbeitszeitkonto kein zu seinen Gunsten ausgleichspflichtiges Guthaben. Dies ergibt sich bereits aus Folgendem:

1. Ausgangspunkt ist das unstreitig am 1. September 2008 zugunsten des Klägers bestehende Freizeitguthaben von 68,64 Tagen. In dem Zeitraum vom 1. September 2008 bis 31. Dezember 2008 hat der Kläger bei einer Sollarbeitszeit von 671,67 Stunden 863,85 Stunden geleistet, mithin 191,85 Mehrarbeitsstunden erbracht. Diese können in Freitage umgerechnet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger auf einer Außenstation tätig war, mithin für einen freien Arbeitstag von 10,28 Stunden 7,9 Stunden Mehrarbeit einsetzen muss. Anderes ergibt sich nicht aus den Verfahrensgrundsätzen / Regelabsprachen vom 21. September 2009. Dass es sich dabei nicht um einen (Firmen-)Tarifvertrag zwischen dem Beklagten und ver.di handelt, hat die Kammer bereits im Verfahren S 1 Ca 53/11 festgestellt. Nach dem Inhalt der Regelabsprachen sollten diese dazu dienen, ein übereinstimmendes Verständnis des Beklagten und ver.di herbeizuführen bzw. festzuhalten hinsichtlich der Anwendung vermeintlich in 2008 vereinbarter tariflicher Regelungen. Insofern stellt sich bereits die Frage, ob Anwendungsgrundsätze bezüglich nicht zustande gekommener Vereinbarungen nicht schlicht ins Leere gehen. Dass hierdurch eine selbständige Anspruchsgrundlage zugunsten der Arbeitnehmer außerhalb eines Tarifvertrages geschaffen werden sollte, kann insbesondere vor der Interessenlage des Beklagten, die dem Beitritt des Beklagten zum VDR zugrunde lag, nur schwerlich angenommen werden.

Die Kammer geht im Übrigen davon aus, dass sich nicht einmal bei Anwendung der Verfahrensgrundsätze ergibt, dass auch auf Außenstationen nur 6,15 Mehrstunden eingesetzt werden müssen, um einen freien Tag zu erhalten. Eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen tariffähigen Parteien ist nach den allgemeinen Regeln über das Zustandekommen und über die Auslegung schuldrechtlicher Verträge gem. §§ 133, 157 BGB zu behandeln. Nach §§ 133, 157 BGB ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien zu erforschen. Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG vom 26. September 2002, AP BBiG § 10 Nr. 10; BAG vom 12. Juni 2002, EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 110; BAG vom 16. November 2005, 10 AZR 108/05). Dabei ist darauf abzustellen, wie ein objektiver Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte die Willenserklärungen redlicherweise verstehen musste (Palandt/Heinrichs, § 133 BGB Rn. 9).

In Anwendung dieser Grundsätze gilt hier: Einigkeit besteht offenbar dahin, dass ein Arbeitstag auf einer Verfügungsstation 10,28 Stunden beträgt. Die Anwendung des Divisors 6,15 würde bedeuten, auf einer Außenstation geleistete Überstunden seien deutlich mehr wert als auf einer Innenstation. Würde auf einer Innenstation ein Zuschlag von 30 % erfolgen (6,15 Stunden + 30 % für einen freien 8-Stunden-Tag), würde der Zuschlag auf einer Außenstation 67 % betragen (10,28 Stunden – 6,15 Stunden * 100 / 6,15). Hätten die Tarifvertragsparteien eine solche Bewertung vornehmen wollen, hätte sich diese eindeutig aus getroffenen Absprachen ergeben müssen. Dies kann die Kammer hier nicht feststellen. Angesichts dessen, dass in der Regelabsprache schon fälschlich von einem „Faktor 6,15“ die Rede ist, wenngleich es allenfalls um einen Divisor gehen kann, vermag die Kammer nicht anzunehmen, dass in dieser Regelung ein übereinstimmendes Verständnis hinsichtlich der Aufwertung von Zeiten auf einer Außenstation zum Ausdruck kommt. Hierzu hat auch der Kläger nichts Näheres vorgetragen, etwa zum Verlauf der Verhandlungen o.ä. Es fehlt auch an einer Rechtfertigung für eine solche Aufwertung, die die Regelung nachvollziehbar und als nach den Grundsätzen von Treu und Glauben in diesem Sinne zu verstehen erscheinen lässt.

Für 2008 sind danach 191,85 Stunden in 24,28 Tage umzurechnen, zum Jahresende 2008 bestand ein Guthaben des Klägers von 92,92 Tagen. Dabei mag die vom Kläger vorgetragene Praxis hingenommen werden, geleistete Überstunden mindernd auf die für das Folgejahr zu leistende Sollarbeitszeit anzurechnen. Bei seinen Berechnungen übersieht der Kläger allerdings, dass durch das Umrechnen von Mehrstunden in Freitage (nach Auffassung des Klägers mit dem Divisor 6,15) und das Zurückrechnen auf Stunden (nach Auffassung des Klägers mit dem Multiplikator 10,28) mit unterschiedlichen Operanden quasi aus dem Nichts zusätzliche Mehrstunden entstehen. Woraus sich die Zulässigkeit einer derartigen Berechnungsweise ergeben soll, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Bereits wenn man nur keine Umrechnung von Stunden in Tage und zurück in Stunden vornimmt, wirkt sich die Frage der Anrechnung von Überstunden aus dem Vorjahr auf die Sollarbeitszeit im Folgejahr dagegen nicht mehr aus. Selbst wenn es im Übrigen bis zur Regelungsabsprache aus September 2009 eine entsprechende Handhabung gegeben hätte, wie der Kläger meint, so sieht doch die Regelungsabsprache, auf die sich der Kläger maßgeblich stützt, gerade vor, dass eine rückwirkende Überprüfung der Arbeitszeitkonten entsprechend den neu festgelegten Verfahrensgrundsätzen ab dem 1. September 2008 vorgenommen wird. Dies betrifft bereits den hier streitigen Zeitraum.

2. Im Jahr 2009 leistete der Kläger Arbeit im Umfang von 2.612,84 Stunden bei einer Sollarbeitszeit von 2015 Stunden, mithin 597,84 Mehrstunden, die in 75,68 Tage umzurechnen sind; es ergibt sich zum Jahresende 2009 ein Guthaben von insgesamt 168,6 Tagen. Für 2010 ergeben sich aus 2.993,53 geleisteten Stunden bei gleichbleibender Sollarbeitszeit von 2.015 Stunden 978,53 Überstunden, mithin weitere 123,86 Freitage. Es bestand mithin ein Gesamtguthaben am 31. Dezember 2010 von 292,47 Tagen. 2011 leistete der Kläger 1.010,12 Stunden bei einer Sollarbeitszeit von 2015 Stunden, mithin ein Minus von 1.004,88 Stunden. Es ergeben sich 97,75 gewährte Freitage (à 10,28 Stunden), das Guthaben des Klägers reduzierte sich auf 194,71 Tage. In der ersten Jahreshälfte 2012 arbeitete der Kläger nicht bei 1.007,5 Sollstunden, sein Guthaben reduzierte sich um diese 1.007,5 Stunden, die 98,01 Tagen (à10,28 Stunden) entsprechen, auf 96,71 Tage. In der zweiten Jahreshälfte 2012 erbrachte er 164,92 Stunden bei einem Soll von 1.095 Stunden abzüglich 6 Krankheitstagen à10,28 Stunden, es verblieb ein Guthaben von 12,23 Tagen. 2013 leistete der Kläger 347,20 Stunden bei einem Soll von 730 Stunden abzüglich 2 Stunden Teilnahme an einer Betriebsversammlung. Es ergeben sich 37,04 gewährte weitere freie Tage. Bei Ausscheiden des Klägers bestand danach kein Guthaben mehr auf dem für ihn geführten Arbeitszeitkonto, auch nicht unter Berücksichtigung von 2 weiteren Tagen aus 2009, die dem Kläger als frei wegen eines Todesfalles zustanden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 92 Abs. 1, § 269 ZPO. Die Parteien haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit sie unterlegen sind.

Die Entscheidung über die Streitwertfestsetzung für die zur Entscheidung gestellten Anträge beruht auf den Vorschriften der §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO.

Die Berufung war für beide Parteien nicht gesondert zuzulassen, da ein Zulassungsgrund nicht vorliegt.

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