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Ungleichbehandlung von Nichtgewerkschaftsmitgliedern bei Betriebsänderung

ArbG München – Az.: 3 Ca 8890/12 – Urteil vom 20.12.2012

1. Die Beklagte zu 1. wird verurteilt, an den Kläger eine weitere Abfindung von € 10.000,00 (i. W.: zehntausend Euro) brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 14.08.2012 zu zahlen.

2. Die Beklagte zu 2. wird verurteilt, an den Kläger € 131.241,28 (i. W.: einhunderteinunddreißigtausendzweihunderteinundvierzig 28/100 Euro) brutto abzüglich hierauf bezahlter € 70.986,68 (i. W.: siebzigtausendneunhundertsechsundachtzig 68/100 Euro) netto zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2. während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses dem Kläger eine monatliche Vergütung von € 6.310,84 (i. W.: sechstausenddreihundertzehn 84/100 Euro) brutto zu zahlen verpflichtet ist.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

6. Der Streitwert wird auf € 78.254,60 festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger macht als sogenannter Außenseiter Ansprüche auf Zahlungen unter dem Gesichtspunkt einer Gleichbehandlung mit Mitgliedern der IG Metall geltend.

Der Kläger war bis zum 30.04.2012 Arbeitnehmer der Beklagten zu 1). Sein letzter Bruttomonatslohn betrug Euro 7.012,04.

Der Kläger ist nicht Mitglied der IG Metall.

Die Beklagte zu 1) plante im Zeitraum November 2011 bis Januar 2012 die Schließung ihres Betriebes in München, M.-straße (siehe zu Einzelheiten Klageschriftsatz, Seite 3, Klageerwiderungsschriftsatz, Seite 3).

Im Folgenden wurden seitens der Beklagten zu 1) Verhandlungen mit dem bei ihm gebildeten Betriebsrat und der Gewerkschaft IG Metall geführt.

Als Ergebnis der Verhandlungen wurde vereinbart, dass der Standort M.-straße, der Beklagten zu 1) geschlossen wird, jedoch 2000 Mitarbeiter in vier Folgegesellschaften weiterbeschäftigt werden. 1600 Mitarbeiter erhielten das Angebot auf Abschluss eines 3-seitigen Vertrages zum Wechsel in eine Transfergesellschaft, der Beklagten zu 2).

Zur Umsetzung dieses Verhandlungsergebnisses wurden auf Ebene der Tarifvertragsparteien bzw. der Betriebsparteien jeweils am 04.04.2012 u.a. folgende Regelungswerke vereinbart:

– Transfer- und Sozialtarifvertrag (im Folgenden: Sozialtarifvertrag),

– Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag (im Folgenden: Ergänzungstarifvertrag),

– Interessenausgleich.

§ 5 des Sozialtarifvertrages sieht bei einer Laufzeit der Transfergesellschaft von 24 Monaten vor, dass die Beschäftigten – unter Anrechnung der Zahlungen der Agentur für Arbeit – ein „BeE – Monatsentgelt von monatlich 70 % ihres Bruttoeinkommens erhalten“.

§ 5 Absatz 12 des Sozialtarifvertrages sieht eine sogenannte Sprinterprämie bei vorzeitigem Verlassen eines Arbeitnehmers der Transfergesellschaft vor. Abfindungen sind in § 7 des Sozialtarifvertrages geregelt. Diese sind mit dem Ausscheiden aus der Transfergesellschaft zur Zahlung fällig; Arbeitnehmer können aber abweichend hiervon bereits mit einem Ausscheiden aus der Beklagten zu 1) die Zahlung der Abfindung verlangen.

Der Ergänzungstarifvertrag findet seinem Wortlaut nach Anwendung für alle Beschäftigten, die bis einschließlich 23.03.2012, 12.00 Uhr Mitglied der IG Metall geworden sind.

Der Ergänzungstarifvertrag sieht für derartige Gewerkschaftsmitglieder eine Vergütung in der Transfergesellschaft von monatlich 80 % ihres Bruttomonatseinkommens und eine zusätzlich Abfindung in Höhe von Euro 10.000,– vor.

In Ziffer 5. des Interessensausgleichs haben die Betriebsparteien geregelt:

„Der Betriebsrat und das Unternehmen stimmen dahingehend überein, dass ein gesonderter Sozialplan nicht aufgestellt wird, weil in dem als Anlage 7 bezeichneten Transfer- und Sozialtarifvertrag vom 04.04.2012 Regelungen zur Milderung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen enthalten sind, die beide Betriebsparteien als Ausgleichsmaßnahmen im Sinne des § 112 BetrVG anerkennen und diese für alle betroffenen Beschäftigten abschließend übernehmen…“

Die Parteien des Rechtsstreits Unterzeichneten einen 3-seitigen Vertrag. Dieser sieht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten zu 1) zum 30.04.2012 und den Übertritt in die Beklagte zu 2) (Transfergesellschaft), zum 01.05.2012 vor. Dort ist im Abschnitt A Ziffer 2. geregelt, dass der Kläger eine Abfindung nach dem Sozialtarifvertrag erhält. Weiter ist geregelt, dass Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Ergänzungstarifvertrags fallen, einen weiteren Abfindungsbestandteil von Euro 10.000,– erhalten. In Abschnitt B Ziffer 4. ist geregelt, dass der Kläger eine Vergütung von monatlich 70 % seines Bruttomonatseinkommens erhält. Weiter ist geregelt, dass Mitarbeiter, die in den Anwendungsbereich des Ergänzungstarifvertrages fallen, monatlich 80 % ihres Bruttomonatseinkommens als Vergütung erhalten. In Abschnitt C ist unter Ziffer 4. geregelt, dass mit dem Abschluss des 3-seitigen Vertrages sämtliche Ansprüche und Rechte der Parteien aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis sowie dessen Beendigung abgegolten und erledigt sind, soweit ein Verzicht hierauf rechtlich zulässig ist. Nach Ziffer 4.2 sind ausgenommen davon alle Ansprüche und Rechte, die sich aus der vorliegenden Vereinbarung ergeben.

Zum konkreten Inhalt der Regelungswerke wird im Einzelnen auf die Anlage K 4 (Sozialtarifvertrag), die Anlage K 5 (Ergänzungstarifvertrag), die Anlage K 7 (Interessenausgleich) und die Anlage K 9 (3-seitiger Vertrag) verwiesen.

Der Kläger vertritt die Auffassung, er sei mit den vor dem 23.03.2012 der IG Metall beigetretenen Gewerkschaftsmitgliedern gleichzustellen. Er habe daher Anspruch auf eine weitere Abfindung in Höhe von Euro 10.000,– sowie auf Zahlung eines Entgelts in der Transfergesellschaft von 80 % seines letzten Bruttomonatsgehalts. Hinsichtlich der Ungleichbehandlung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern sei jedenfalls das zulässige Maß tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln überschritten. Beispielhaft verweist der Kläger auf nach dem 01.04.2010 bei der Beklagten zu 1) eingetretene Mitarbeiter. Diese würden nach dem Sozialtarifvertrag eine Abfindung von zwei Gehältern erhalten. Bei einer zusätzlichen Zahlung von Euro 10.000,– Abfindung würde es zu einer Verdoppelung der Abfindung kommen. Im Übrigen verweist der Kläger darauf, dass bei Gewerkschaftsmitgliedern und einer Laufzeit der Transfergesellschaft von 24 Monaten es auf die Gesamtlaufzeit gesehen zu einer Erhöhung des Gehalts um 240 % komme. Auch verstoße die Differenzierung zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern und nichtorganisierten Arbeitnehmern im Sozialtarifvertrag und im Ergänzungstarifvertrag gegen das betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot. Die vorliegende Betriebsänderung sei interessenausgleichs- und sozialplanpflichtig. Bei der Aufstellung des Interessensausgleichs und Sozialplans sei eine Differenzierung zwischen organisierten Arbeitnehmern und nichtorganisierten Arbeitnehmern unzulässig. Der Betriebsrat habe bei Aufstellung eines Interessensausgleichs und Sozialplans das betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot zu beachten. In der Rechtsfolge sei eine „Anpassung nach oben“ vorzunehmen, mit dem Ergebnis, dass der Kläger die Leistungen beanspruchen könne, die nach dem Wortlaut des Ergänzungstarifvertrags ausdrücklich nur Mitgliedern der IG Metall vor dem 23.03.2012 zustünden. Entsprechende Leistungen seien auch nicht durch die Abgeltungsklausel in der 3-seitigen Vereinbarung ausgeschlossen. Weiterhin beruft sich der Kläger darauf, unabhängig von der Frage, ob ihm 70 % oder 80 % des letzten Monatslohns als Vergütung der Transfergesellschaft zustünden, sei die Berechnung auch bei 70 % falsch. Die Beklagte zahle 70 % vom netto, statt 70 % vom brutto (siehe dazu im Einzelnen Seite 8 des Klageschriftsatzes und Seite 15 ff. des Schriftsatzes vom 10.12.2012). Damit verkürze die Beklagte Steuer. Auch hätten Sozialversicherungsbeiträge für den Kläger Bedeutung hinsichtlich der Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Der Kläger beantragt daher zuletzt:

1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger eine weitere Abfindung in Höhe von Euro 10.000,– nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz und seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, Euro 131.241,28 brutto abzüglich hierauf bezahlter Euro 70.986,68 netto zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) an den Kläger eine monatliche Vergütung in Höhe von Euro 6.310,84 brutto zu zahlen verpflichtet ist.

4. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger, für den Fall, dass diese das Vertragsverhältnis mit der Beklagten zu 2) vor dem 30.04.2014 beendet, für jeden Monat, ab dem rechtlichen Ende des Vertragsverhältnisses, bis zum 30.04.2014 eine Sprinterprämie von Euro 3.155,42 brutto abzüglich des Kurzarbeitergeldes zu zahlen.

Die Beklagte beantragt: Klageabweisung.

Die Beklagte vertritt die Rechtsauffassung, der Kläger könne keine Leistungen beanspruchen, wie sie vor dem 23.03.2012 der IG Metall beigetretenen Gewerkschaftsmitgliedern zusteht. Die im Ergänzungstarifvertrag enthaltene Differenzierung sei wirksam. Bereits durch den Stichtag 23.03.2012 sei kein Druck auf einen Gewerkschaftsbeitritt ausgeübt worden, da das Datum vor dem Abschluss der Tarifverträge gelegen habe. Weiterhin weisen die Beklagten auf die Abgeltungsklausel im 3-seitigen Vertrag hin, die von dem Kläger geltend gemachte Ansprüche ausschließen würden. Die Beklagten argumentieren, der Kläger habe schon deswegen keinen Anspruch auf Gleichbehandlung, da die Arbeitgeber eine selbst gesetzte Regel nicht verletzen würden. Im Übrigen sei die Tarifgebundenheit von Arbeitnehmern ein zulässiges Differenzierungsmerkmal hinsichtlich der Unterschiedlichkeit von Leistungen. Auch habe die IG Metall bessere Bedingungen für Mitglieder für einen Verzicht auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz verlangt. Im Hinblick auf die „Abrechnungsstreitigkeit“ tragen die Beklagten im wesentlichem unter Vorlage einer Musterabrechnung vor, sie hätten richtig abgerechnet. Zu Einzelheiten des Vortrags der Beklagten zur Abrechnung der Vergütung in der Transfergesellschaft wird auf Seite 9 ff. der Klageerwiderung verwiesen.

Im Übrigen wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage erwies sich im Klageantrag 4. (Verurteilung zur Zahlung einer Sprinterprämie) als unzulässig und war unter diesem Gesichtspunkt abzuweisen. Der Kläger hat mit dem Klageantrag 4. mit der Sprinterprämie eine zukünftige Leistung beziffert eingeklagt. Diesbezüglich liegen aber die besonderen Voraussetzungen des § 257 ZPO nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist es zwar grundsätzlich möglich, nicht von einer Gegenleistung abhängige Geldforderungen bereits vor Fälligkeit geltend zu machen. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der geltend gemachte Anspruch bereits entstanden, jedoch noch nicht fällig ist (siehe dazu etwa Zöller – Greger, § 257, Rn.1). Vorliegend ist jedoch völlig offen, ob der Kläger überhaupt und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt vorzeitig das Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten zu 2) beendet und damit Anspruch auf eine sogenannte Sprinterprämie hat. Damit ist dieser zusätzliche Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu 2) noch nicht entstanden. Unter diesem Aspekt, dass im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch völlig offen war, ob der Kläger überhaupt vorzeitig bei der Beklagten zu 2) ausscheidet, fehlt dem Klageantrag 4. auch das Rechtsschutzbedürfnis.

Im Übrigen ist die Klage zulässig. Der Rechtsweg zur Arbeitsgerichtsbarkeit ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG in Verbindung mit §§ 17 ff. GVG eröffnet. Das Arbeitsgericht München ist zu Entscheidung des Rechtsstreits nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 12, 17 ZPO örtlich zuständig.

Für den Klageantrag 3. besteht Feststellungsinteresse. Hinsichtlich der Höhe der Vergütung in der Transfergesellschaft hat der Kläger mit dem Klageantrag 2. einen bezifferten Leistungsantrag gestellt. Daher handelt es sich bei dem Klageantrag 3. um eine Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO, die ohne weiteres zulässig ist.

II.

Soweit über die Klage in der Sache zu entscheiden war (Klageanträge 1 – 3) erwies sich die Klage als begründet. Der Kläger hat unter dem rechtlichen Aspekt des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes Anspruch auf Zahlung einer zusätzlichen Abfindung von Euro 10.000,– sowie auf Zahlung einer Vergütung durch die Beklagte zu 2) von monatlich 80 % des zuletzt bezogenen Verdienstes der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 2) schuldet im Übrigen dem Kläger eine Vergütung von 80 % des zuletzt bezogenen Bruttomonatsgehalts.

1. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung einer weiteren Abfindung in Höhe von Euro 10.000,– brutto gegen die Beklagte zu 1) aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

a) Nach der zutreffenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. hierzu etwa BAG vom 20.01.2009, 1 AZR 740/07) zielt der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicher zu stellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblicher Sachgrund für eine Gruppenbildung ist regelmäßig vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck. Daher müssen sich insbesondere Gruppenbildungen in Sozialplänen an deren Funktion orientieren. Sozialpläne haben nach der ständigen Rechtsprechung des BAG eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihnen vorgesehenen Leistungen stellen kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste dar, sondern sollen die künftigen Nachteile ausgleichen, die den Arbeitnehmern durch eine Betriebsänderung entstehen können (siehe dazu etwa BAG vom 20.01.2009, a.a.O.; BAG vom 30.09.2008, 1 AZR 684/07).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG haben die Betriebsparteien bei der Aufstellung eines Sozialplans einen weiten Spielraum für die Beurteilung des Ausmaßes der mit einer Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer und die Festlegung eines angemessenen Nachteilsausgleichs. Sie können grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob, in welchem Umfang und in welcher Weise sie die entstandenen Nachteile ausgleichen oder mildern wollen. Sie können im Rahmen ihres Ermessens nach der Vermeidbarkeit der Nachteile unterscheiden und sind nicht gehalten, alle denkbaren Nachteile zu entschädigen. Die Betriebsparteien haben allerdings die Grenzen von Recht und Billigkeit nach § 75 Abs. 1 BetrVG und die Funktion eines Sozialplans nach § 112 BetrVG zu beachten. Recht und Billigkeit verlangen insbesondere die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Mit dem Zweck des Ausgleichs oder Milderung künftiger Nachteile muss auch eine Gruppenbildung bei der Berechnung von Abfindungen und eine insoweit unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer zu vereinbaren sein (siehe dazu im Einzelnen BAG vom 30.09.2008, a.a.O.).

b) Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Maßstäbe liegt eine Ungleichbehandlung von der IG Metall bis zum 23.03.2012 beigetretenen Mitgliedern mit sogenannten Außenseitern bzw. nach dem Stichtag der Gewerkschaft beigetretenen Mitgliedern vor.

Die Betriebsparteien haben in dem Interessenausgleich in Ziffer 5. unter der Überschrift „Sozialplan“ geregelt, dass sie einen gesonderten Sozialplan nicht aufstellen, sondern den Sozialtarifvertrag „für alle betroffenen Beschäftigten abschließend übernehmen“. Damit haben die Betriebsparteien anstelle des Abschlusses eines eigenständigen Sozialplans für die Beschäftigten die Regelungen des Sozialtarifvertrages übernommen. Nicht übernommen haben sie für alle Beschäftigen die Leistungen des Ergänzungstarifvertrags.

Damit haben die Betriebsparteien bei den Verhandlungen und dem Abschluss von Maßnahmen zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile der vorliegenden Betriebsänderung nach §§ 111, 112 BetrVG Gewerkschaftsmitglieder und sogenannte Außenseiter bzw. nach dem Stichtag der Gewerkschaft beigetretene Mitglieder unterschiedlich behandelt.

c) Nach Auffassung der Kammer ist diese von den Betriebsparteien vorgenommene Ungleichbehandlung auch nicht gerechtfertigt.

Nach der zutreffenden höchstrichterlichen Rechtsprechung müsste sich eine Ungleichbehandlung am Leistungszweck der Abfindung und des Lohns in der Transfergesellschaft orientieren. Eine Abfindung hat aber – entgegen dem emotionalen Verständnis der betroffenen Arbeitnehmer jedenfalls im strengen arbeitsrechtlichen Sinne – keinerlei Vergangenheitsfunktion, sondern soll alleine die wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen, die mit einem Verlust des Arbeitsplatzes verbunden sind. In einem so verstandenen arbeitsrechtlichen Sinne hat eine Abfindung in erster Linie die Funktion, dem Arbeitnehmer eine finanzielle Grundlage für den Zeitraum zu schaffen, in dem er sich auf Arbeitsplatzsuche befindet, bevor er durch eine neue Tätigkeit seinen Lebensunterhalt erwirtschaften kann.

Unter diesen Gesichtspunkten ist nach der Auffassung der Kammer die von den Betriebsparteien vorgenommene Ungleichbehandlung nicht sachlich gerechtfertigt. Dies ergibt insbesondere aus Folgendem:

aa) Die von den Betriebsparteien vorgenommene Differenzierung nach Gewerkschaftsmitglied/Nichtgewerkschaftsmitglied wäre unter Vorgenanntem insbesondere dann zu rechtfertigen, wenn Gewerkschaftsmitglieder von einem Arbeitsplatzverlust stärker betroffen wären, als die sogenannten Außenseiter. Eine höhere Abfindungszahlung ließe sich dann rechtfertigen, wenn nachgewiesen werden könnte, dass etwa Gewerkschaftsmitglieder (ähnlich wie etwa ältere Arbeitnehmer) im Vergleich zu Nichtgewerkschaftsmitgliedern nach einem Arbeitsplatzverlust eine längere Zeitspanne der Suche nach einer neuen Tätigkeit hinnehmen müssten. Hierzu haben die Beklagten jedoch nichts vorgetragen.

Nach Auffassung der Kammer wird die unzulässige Ungleichbehandlung noch deutlicher bei der Höhe des Entgelts der Transfergesellschaft. Die Transfergesellschaft dient – neben Qualifizierungsmaßnahmen – faktisch in erster Linie dazu, eine drohende Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder noch weiter in die Zukunft hinaus zu schieben. Es ist jedoch unter diesem Aspekt nicht ersichtlich, warum Gewerkschaftsmitglieder in diesem Zusammenhang Anspruch auf eine höhere Vergütung haben sollten als Nichtgewerkschaftsmitglieder.

bb) Nach Auffassung der Kammer ist ein mögliches „Abkaufen“ des tariflichen Sonderkündigungsschutzes im vorliegenden Fall kein Differenzierungskriterium für die pauschale Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern. In der Tat haben Arbeitnehmer, die in den Anwendungsbereich des Manteltarifvertrags der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie fallen, nach § 8 Abs. 3 unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf tariflichen Sonderkündigungsschutz. Nach dieser Vorschrift können Arbeitnehmer nur mehr aus wichtigem Grund gekündet werden, wenn sie das 55. Lebensjahr beendet haben und dem Betrieb mindestens 10 Jahre angehören oder das 50. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb mit mindestens 15 Jahren angehört haben.

Die Tarifnorm zeigt jedoch nach Auffassung der Kammer, dass Gewerkschaftsmitglieder nicht unter dem Hinweis auf einen Sonderkündigungsschutz generell besser behandelt werden dürfen. Schon nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 3 des Manteltarifvertrags gilt der Sonderkündigungsschutz nicht für alle Gewerkschaftsmitglieder, sondern für diese nur unter bestimmten Aspekten (bestimmtes Lebensalter und bestimmte Betriebszugehörigkeit). Somit werden vorliegend auch Gewerkschaftsmitglieder bevorzugt, die überhaupt nicht in den Genuss des tariflichen Sonderkündigungsschutzes kommen. Im Übrigen dürften – worauf der Kläger hingewiesen hat – bei der Beklagten zu 1) durch arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln zahlreiche Nichtgewerkschaftsmitglieder Sonderkündigungsschutz nach § 8 Abs. 3 Manteltarifvertrag genießen. Auch diesen Aspekt haben die Betriebsparteien bei der pauschalen Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern nicht berücksichtigt.

Die Kammer weist im Übrigen auch auf den Abschlusssatz des § 8 Abs. 3 des Manteltarifvertrags der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie hin. Demnach entfällt bei einer Betriebsstilllegung im Zusammenhang mit einem Sozialplan der tarifliche Sonderkündigungsschutz. Nach der Vorbemerkung des Interessenausgleichs ist Gegenstand der unternehmerischen Maßnahme vorliegend die Schließung des Betriebs M.-straße. Unter diesem Aspekt und im Hinblick auf die Tatsache, dass ein Sozialplan erzwingbar ist, erscheint es der Kammer sehr fraglich, ob vorliegend überhaupt das Bedürfnis bestanden hat, Gewerkschaftsmitgliedern einen Sonderkündigungsschutz „abzukaufen“.

cc) Nach Auffassung der Kammer ist vorliegend – jedenfalls bei einer typologisierenden Betrachtung – auch zu berücksichtigen, dass die nichtorganisierten Arbeitnehmer bei der vorliegenden Gestaltung von Abfindungen nicht nur dadurch benachteiligt werden, dass sie keine höhere Abfindung erhalten, sondern auch dadurch Einbußen erleiden, dass das für Gewerkschaftsmitglieder zur Verfügung gestellte Verteilungsvolumen der den Betriebsparteien zur Verfügung stehenden Gesamtverteilungsmasse abgezogen wurde. Auf diesen Aspekt hat etwas das LAG Hamm in seiner Entscheidung vom 12.06.2012 (14 Sa 1275/11) hingewiesen und ausgeführt, es scheine jedenfalls zweifelhaft, dass Sanierungsbeiträge von Nichtorganisierten für deutliche finanzielle Vorteile von Organisierten herangezogen werden könnten.

d) Die Betriebsparteien haben bei der Gestaltung des Ausgleichs von Nachteilen im Zusammenhang mit der vorliegenden Betriebsänderung auch den ihn von der höchstrichterlichen Rechtsprechung eingeräumten Spielraum überschritten. Dieser Spielraum bei der Beurteilung der Frage, welche Nachteile und in welcher Höhe ausgeglichen werden selten, findet seine Grenze an der Vorschrift des § 75 Abs. 1 BetrVG (siehe dazu insbesondere BAG vom 30.09.2008, a.a.O., Rn. 32). Diese Vorschrift verbietet dem Wortlaut nach ausdrücklich nachteilige Maßnahmen wegen einer Gewerkschaftsmitgliedschaft. Es ist umstritten, ob diese Vorschrift auch die negative Koalitionsfreiheit schützt, das heißt auch Schutz für eine Benachteiligung wegen einer Nichtgewerkschaftsmitgliedschaft bietet (siehe dazu und mit weiteren Nachweisen: Fitting, BetrVG, § 75, Rn. 98). Dies ist jedoch nach der zutreffenden Auffassung der Fall (vgl. etwa LAG Köln vom 29.07.2004, 5 Sa 63/04).

e) In der Rechtsfolge haben nichtorganisierte Arbeitnehmer unter dem Aspekt des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes Anspruch auf „Anpassung nach oben“, also auf Gewährung von Leistungen, wie sie organisierten Beschäftigten gewährt werden.

Die ungleiche Behandlung kann im vorliegenden Fall nur durch eine derartige Anpassung nach oben beseitigt werden (so ausdrücklich LAG Hamm vom 12.06.2012, 14 Sa 1275/11; andere Auffassung allerdings Sächsisches LAG vom 10.03.2011, 6 Sa 324/10).

f) Dem Anspruch des Klägers aus betriebsverfassungsrechtlichem Gleichheitsgrundsatz steht nicht die Erledigungsklausel im 3-seitigen Vertrag entgegen. Diese sieht vor, dass sämtliche Ansprüche und Rechte der Parteien abgegolten und erledigt sind. Dies soll jedoch nicht für Ansprüche und Rechte aus der vorliegenden Vereinbarung gelten. Im Abschnitt A wird unter Ziffer 2. hinsichtlich der Abfindungszahlung auf den Sozialtarifvertrag und für die Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Ergänzungstarifvertrags fallen, auf diesen verwiesen.

Da der Kläger Anspruch auf Zahlung einer zusätzlichen Vergütung unter dem Aspekt des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes hat, fällt sie „in den Geltungsbereich“ des Ergänzungstarifvertrags. Derartige Leistungen sind damit nicht von der Abgeltungsklausel erfasst, da ausdrücklich im 3-seitigen Vertrag geregelt.

Im Übrigen sind auch nach Sinn und Zweck der Abgeltungsklausel Ansprüche auf Abfindung aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht ausgeschlossen. Eine Abgeltungsklausel soll beiden Parteien rasche Klarheit über eventuell noch vorhandene Forderungen schaffen. Sie dient damit dem Rechtsfrieden. Vorliegend ist aber eine Abfindungszahlung auch Gegenstand des 3-seitigen Vertrags. Daher sind jedenfalls auch unter dem Aspekt des Sinn und Zwecks einer Abgeltungsklausel weitere Abfindungszahlungen aus dem Gesichtspunkt des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht ausgeschlossen.

2. Der Kläger hat Anspruch auf Bruttozahlungen durch die Beklagte zu 2) in einer Höhe, welche im Tenor zum Ausdruck kommt.

a) Unter dem Gesichtspunkt des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes hat der Kläger Anspruch auf eine monatliche Vergütung in der Transfergesellschaft in Höhe von 80 % seines bisherigen Gehalts. Diesbezüglich kann auf die oben stehenden Ausführungen verwiesen werden. Eine Ungleichbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern mit Nichtorganisierten im Rahmen von Vergütungszahlungen durch die Transfergesellschaft ist sachlich nicht gerechtfertigt. Nach Auffassung der Kammer ist insbesondere bei der Höhe der Vergütungszahlungen durch die Transfergesellschaft nicht ersichtlich, welche größeren Nachteile hier Gewerkschaftsmitgliedern abgegolten werden sollen.

b) Der Kläger hat auch Anspruch auf Zahlung der 80 % seines letzten Bruttoentgelts. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem Sozialtarifvertrag, den die Betriebsparteien als betriebliche Regelung nach §§ 111, 112 BetrVG übernommen haben. Der einschlägige Tarifvertrag spricht ausdrücklich von einem „Bruttomonatseinkommen“. Auch der zwischen den Parteien abgeschlossene 3-seitige Vertrag spricht ausdrücklich von „Bruttomonatseinkommen“.

Es kommt damit nach Auffassung der Kammer nicht auf die von den Beklagten dargelegte Berechnung anhand eines allgemeinen Berechnungsschematas entsprechend Seite 9 ff. des Schriftsatzes vom 08.11.2012 an.

Da nach Auffassung der Kammer der Kläger entsprechend dem Wortlaut des Sozialtarifvertrags und dem 3-seitigen Vertrags Anspruch auf Vergütung in Höhe von 80 % seines bisherigen Bruttomonatsgehalts hat, war den Beklagten auch kein Schriftsatznachlass zu diesem Punkt zu gewähren. Der Kläger hat im Rahmen der Klage hierzu – unter Nennung bestimmter Beträge – konkret vorgetragen. Die Beklagten haben in ihrer Klageerwiderung lediglich auf ein allgemeines Berechnungsschema Bezug genommen. Der Kläger hat sodann glaubwürdig und schlüssig im Rahmen der Klageerweiterung vom 10.12.2012 weitere Monate in den bezifferten Zahlungsantrag einbezogen. Insoweit hätte zur Problematik 70 % bzw. 80 % oder Brutto – Netto-Bemessungsgröße durch einen weiteren Schriftsatz der Beklagten nach Auffassung der Kammer keine weitere Klärung herbeigeführt werden können.

c) Nach Auffassung der Kammer bindet der Spruch der Tarifschiedsstelle vom 14.12.2012 jedenfalls die Parteien dieses Rechtsstreits nicht.

Die Bindungswirkung des § 108 Abs. 4 ArbGG gilt nur zwischen den Parteien des Schiedsverfahrens. Eine Erstreckung auf Dritte ist regelmäßig nicht möglich, da diese nicht an den Schiedsvertrag gebunden sind (siehe dazu etwa Germelmann, ArbGG, § 108 Rd. Nr. 30).

3. Da nach dem Vorstehenden der Kläger Anspruch auf Zahlung einer Vergütung in Höhe von 80 % des Bruttomonatslohns gegen die Beklagte zu 2) hat, war auch der Feststellungsantrag jedenfalls für den Zeitraum der Beschäftigung bei der Beklagten zu 2) in der im Tenor zum Ausdruck kommenden Höhe zuzusprechen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

IV.

Die Festsetzung des Streitwerts findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 61 Abs. 1 ArbGG. 39 Abs. 1 GKG.

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