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Unterlassenes Betriebliches Eingliederungsmanagement – krankheitsbedingte Kündigung

ArbG Kaiserslautern – Az.: 2 Ca 159/19 – Urteil vom 12.06.2019

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.01.2019 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Staplerfahrer weiter zu beschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

4. Der Streitwert wird auf 11.564,00 Euro festgesetzt.

5. Eine besondere Zulassung der Berufung findet nicht statt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine personenbedingte Kündigung sowie über die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der am 29.07.1985 geborene Kläger ist seit dem 25.05.2010 bei der Beklagten als Staplerfahrer beschäftigt, zuletzt zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 2.891,00 Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden. Der Kläger ist geschieden und einem Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Der Kläger hatte im Jahr 2016 krankheitsbedingte Fehlzeiten von 172 Arbeitstagen, im Jahr 2017 in Höhe von 109 Arbeitstagen und im Jahr 2018 in Höhe von 208 Arbeitstagen. Seit dem 30.07.2018 war er ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement fand nicht statt.

Der Kläger ist der Auffassung, dass eine negative Gesundheitsprognose nicht vorliege. Im Übrigen sei die Kündigung jedenfalls unverhältnismäßig, da die Beklagte nicht versucht habe alles Mögliche auszuschöpfen, um eine Kündigung, die nur letztes Mittel sein dürfe, zu verhindern. Es sei kein ernsthafter Versuch unternommen worden, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen.

Der Kläger beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.01.2019 nicht beendet wird.

2. Im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Staplerfahrer weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt: Die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, aus den aufgeführten krankheitsbedingten Fehlzeiten ergebe sich, dass der Kläger gesundheitlich geschädigt sei. Es liege eine auffällige Krankheitsanfälligkeit vor, die nur den Schluss auf eine negative Entwicklung in der Zukunft zulasse. Vorgesehene Gespräche im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagement hätten aufgrund der ständigen Fehlzeiten des Klägers nicht stattgefunden. Ein Zusammenhang zwischen den ständigen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers und der Ausfüllung seines Arbeitsplatzes sei nicht ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstands wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet.

1. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam. Sie ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Sie stellt sich vielmehr als unverhältnismäßig dar.

Die Kündigung ist unverhältnismäßig, da die Beklagte das gesetzlich vorgesehene betriebliche Eingliederungsmanagement unterlassen hat und nicht dargelegt hat, dass es im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben habe, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegen zu wirken.

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, gegebenenfalls spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, Rn. 24).

Bei Versäumung der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements trifft die Beklagte eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Kündigung. Sie muss detailliert darlegen, dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden.

b) Dieser erweiterten Darlegungs- und Beweislast ist die Beklagte nicht gerecht geworden.

aa) Die Beklagte war gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement vorzunehmen. Der Kläger war seit 2016 in jedem Jahr vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen aufgrund Krankheit arbeitsunfähig. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (BAG, Urteil vom 30.09.2010 – 2 AZR 88/09, Rn. 27).

bb) Ein betriebliches Eingliederungsmanagement im Sinne des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hat nicht stattgefunden. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zu ergreifen (BAG Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, Rn. 31). Die Beklagte hat dazu, dass sie die Initiative zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ergriffen hat, nichts konkretes vorgetragen. Sie führt lediglich aus, dass vorgesehene Gespräche im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements aufgrund der ständigen Fehlzeiten des Klägers nicht stattgefunden haben, ohne im Einzelnen darzulegen, wann sie den Kläger zu einem BEM-Gesprächs zu welchem Datum eingeladen hat, und ob sie diesen auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat. Insbesondere aufgrund des Bestreitens des Klägers, dass die Beklagte den ernsthaften Versuch ein betrieblichen Eingliederungsmanagement durchzuführen vorgenommen hat, hätte die Beklagte hierzu jedoch substantiiert, unter Angabe konkreter Einzelheiten, vortragen müssen.

cc) Das Unterlassen eines betrieblichen Eingliederungsmanagement führt im Fall des Klägers dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist, da die Beklagte die objektive Nutzlosigkeit des betrieblichen Eingliederungsmanagement nicht ausreichend dargelegt hat.

Die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagement ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des betrieblichen Eingliederungsmanagements können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden. Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes betriebliches Eingliederungsmanagement kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des betrieblichen Eingliederungsmanagement darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, sowie dass durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträge künftige Fehlzeiten nicht im relevanten Umfang hätten vermieden werden können, warum also ein betriebliches Eingliederungsmanagement in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, Rn. 38, 39 und 50).

Diesen Anforderungen an die Darlegungslast zur Verhältnismäßigkeit der Kündigung bei nicht durchgeführtem betrieblichem Eingliederungsmanagement ist die Beklagte nicht gerecht geworden. Sie führt lediglich aus, dass ein Zusammenhang zwischen den ständigen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers und der Ausfüllung seines Arbeitsplatzes nicht ersichtlich sei. Hiermit hat sie die objektive Nutzlosigkeit des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht dargelegt. Sie hat nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären.

2. Der Kläger hat einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung nach den Grundsätzen, die der große Senat in seinem Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84 aufgestellt hat.

II.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO.

III.

Der Streitwert ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Es wurden vier Bruttomonatsgehälter des Klägers in Ansatz gebracht.

IV.

Eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung bedurfte es nicht, da die Berufung bereits gemäß § 62 Abs. 2 Ziffer c ArbGG zulässig ist.

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