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Unterschiedliche Arbeitsvergütung für Bereitschaftsdienst und Vollarbeit

ArbG Halle (Saale) – Az.: 1 Ca 3579/09 – Urteil vom 28.06.2012

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.253,44 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.11.2009 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf 2.253,44 € festgesetzt.

Tatbestand

Mit der Klage begehrt die Klägerin die Vergütung von Arbeitszeit in den Monaten Juli bis September 2007 und Oktober bis Dezember 2007 mit demjenigen Stundensatz, der für Bereitschaftsstunden gezahlt wird. Des Weiteren verlangt sie die Bezahlung für weitere Bereitschaftsstunden im Monat Dezember 2007.

Die Klägerin (*20.07.1960) war in der Zeit vom 01.07.1995 – 31.12.2007 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 20.04.1995 als Oberärztin Abt. Interdisziplinäre Intensivmedizin für die Beklagte tätig. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug 40 Stunden. Nach § 3 des Arbeitsvertrages galten für das Dienstverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Fassung Ost – einschließlich der jeweils in kraft gesetzten Nachträge.

Die Klägerin leistete auch in den streitbefangenen Monaten bis zu 8 Bereitschaftsdienste im Kalendermonat (= 25 % Arbeitszeit gemäß Anlage 8 A. Abs. 3 b) der AVR). Nach dem Maß der während der Bereitschaftsdienste erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistung wertete die Beklagte die Zeit des Bereitschaftsdienstes mit weiteren 55 % als Arbeitszeit (Stufe D der Anlage 8 A. Abs. 3 a) der AVR).

Normalstunden vergütete die Beklagte der Klägerin zuletzt mit 28,09 € brutto, Bereitschaftsdienststunden mit 34,87 € brutto.

In den streitbefangenen Monaten leistete die Klägerin Dienste im Umfang nachfolgend dargestellter Stunden:

Sollarbeitszeit regulärer Dienst Bereitschaftsdienst

Juli 2007  176     107,5  108

August 2007 184     119     107

September 2007 160     119,5  54

Oktober 2007 168     124,5  68

Dezember 2007 136     75    113,5

Um die monatlichen Sollarbeitszeit zu erreichen, brachte die Beklagte Bereitschaftsdienst entsprechend ihrer 80 %igen Wertigkeit als Arbeitszeit in Ansatz

(Beispiel: Juli 2007

Soll:  176   Std.

geleistete reguläre Arbeitszeit: 107,5 Std.

Differenz 68,5 Std.

68,5 Std. entsprechen 85,63 Bereitschaftsdienststunden (68,5 : 0,8)).

Diese zur Auffüllung benötigten Bereitschaftsdienste vergütete die Beklagte mit einem Stundensatz für Normalstunden, 28,09 € brutto. Die danach verbleibenden Bereitschaftsdienststunden vergütete die Beklagte nach der festgelegten Berechnung mit 80 % als Arbeitszeit und einem Stundensatz von 34,87 € brutto.

Im Dezember 2007 vergütete die Beklagte so lediglich weitere 27,25 Stunden obwohl 29,8 umgerechnete Bereitschaftsstunden als Arbeitszeit zu vergüten waren.

Für diesen Monat erstellte die Beklagte während des Prozesses eine korrigierte Stundenaufstellung und führte darin aus:

„Da in der Originalabrechnung der Krankheitstag 04.12.2007 nicht erfasst war, wurden bei ausgeglichenem Arbeitszeitkonto fälschlicherweise nur 27,25 Stunden anstelle von 37,25 Stunden Bereitschaftsdienst bezahlt.

(Anmerkung des Gerichts: 37,25 Stunden x 80 % = 29,8 Stunden Arbeitszeit)“

Erstmals mit Schreiben vom 06.03.2007 wandte sich die Klägerin vergeblich gegen den Ansatz von Normalstundenvergütung für Bereitschaftsdienststunden, die zum Auffüllen der Sollarbeitszeit im Januar 2007 eingestellt worden waren. Unter dem 08.12.2007 wiederholte sie ihre Einwände abermals schriftlich für die Monate Juli bis Oktober 2007 und forderte für 261,25 Stunden den Differenzbetrag in Höhe von 6,81 € brutto.

Am 28.10.2009 ist die der Beklagten am 05.11.2009 zugestellte Klage beim Arbeitsgericht eingegangen.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die zum Erreichen der Sollarbeitszeit errechneten Bereitschaftsdienststunden seien mit dem für das Überstundenentgelt maßgeblichen Satz von 34,87 € brutto zu vergüten.

Da die Beklagte hierfür lediglich 28,09 € brutto in Ansatz gebracht habe, seien die in den Monaten Juli bis Oktober 2007 verrechneten 261,25 Stunden mit fehlenden 6,78 € brutto = 1.771,28 € brutto, die im Monat Dezember 2007 58 verrechneten Stunden mit 6,78 € brutto = 393,24 € brutto und (unstreitig) nicht abgerechnete 2,55 Bereitschaftsdienststunden mit 34,87 € brutto = 88,92 € brutto zu vergüten.

Die Klägerin hat zunächst für den Monat Dezember 2007 die Bezahlung von 13,75 fehlenden Bereitschaftsdienststunden in Höhe von insgesamt 383,57 € brutto begehrt und deshalb beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 2.548,09 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

Nunmehr beantragt sie, die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.253,44 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (05.11.2009) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe ordnungsgemäß abgerechnet und die Plusstunden zur Auszahlung gebracht.

In der letzten mündlichen Verhandlung hat sie außerdem eine Erklärungsfrist zu der Klageänderung beantragt.

Entscheidungsgründe

A.

Die Klägerin hat mit ihrer Klage Erfolg.

B.

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer weiteren Vergütung in Höhe von 2.164,52 € brutto für 319,25 verrechnete Bereitschaftsdienststunden im Zeitraum Juli bis Oktober und Dezember 2007. Diese Stunden sind anstelle von 28,09 € brutto mit 34,87 € brutto zu zahlen. Den Differenzbetrag von 6,78 € brutto/Std. schuldet die Beklagte der Klägerin.

1. Der Anspruch folgt aus § 9 Abs. 3 Unterabs. 3 S. 3, Anlage 8 A. Abs. 4 der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Fassung Ost – (nachfolgend: AVR) in Verbindung mit § 3 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 20.04.1995 und § 611 BGB.

Die AVR finden durch die in § 3 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien vom 20.04.1995 getroffene Vereinbarung Anwendung.

Abs. 4 der Anlage 8 A. zu den AVR bestimmt, dass für die nach Abs. 3 errechnete Arbeitszeit des Bereitschaftsdienstes das Überstundenentgelt gezahlt werde.

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Die Beklagte hat die von der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum geleisteten Bereitschaftsdienststunden nach den Vorgaben in Abs. 3 der Anlage 8 A. der AVR mit Stufe 3 und damit mit 55 % als Arbeitszeit und weiteren 25 % für den 1. – 8. Bereitschaftsdienst im Kalendermonat mit 319,25 Arbeitsstunden bewertet und zum Ausgleich für die im jeweiligen Kalendermonat fehlenden Sollarbeitsstunden in Ansatz gebracht. Damit hat sie diese Stunden in die Vergütungszahlung einbezogen. Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen ist sie somit verpflichtet, die hierfür vorgesehene Vergütungshöhe zu entrichten, die nicht dem Normalstundensatz – wie von der Beklagten angenommen – entspricht, sondern dem Überstundenentgelt im Sinne der Anlage 9 der AVR und den die Parteien unstreitig mit 34,87 € angeben, Anlage 8 A. Abs. 4 S. 1 der AVR.

Rechtlichen Bedenken begegnet diese Bestimmung nicht.

Die Tarifvertragsparteien und auch die Arbeitsvertragsparteien dürfen Bereitschaftsdienst und Vollarbeit unterschiedlichen Vergütungsordnungen unterwerfen (BAG, Urteil vom 28.01.2004 – 5 AZR 530/02 – Rdnr. 40/41 m. w. N.; in: www.juris-web.de).

Der Bereitschaftsdienst unterscheidet sich seinem Wesen nach von der vollen Arbeitstätigkeit, die vom Arbeitnehmer eine ständige Aufmerksamkeit und Arbeitsleistung verlangt, während der Bereitschaftsdienst keine volle Arbeitsleistung, sondern eine Aufenthaltsbeschränkung ist, verbunden mit der Verpflichtung, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden (BAG, a. a. O., Rdnr. 40 m. w. N.). Dieser qualitative Unterschied, der insbesondere zu einer beachtlichen Ausdehnung der wöchentlichen Anwesenheits- und Arbeitspflicht führen kann, rechtfertigt es, für den Bereitschaftsdienst eine andere Vergütung vorzusehen als für die Vollarbeit (BAG, a. a. O., Rdnr. 40 m. w. N.; BAG, Urteil vom 26.03.1998 – 6 AZR 537/96 – in: www.juris-web.de, Rdnr. 30).

2. Die Ausschlussfristen in § 45 der AVR hat die Klägerin jedenfalls mit ihrem Schreiben vom 08.12.2007 gewahrt. Zwar hat sie hiermit nur die fehlende Vergütung für die Monate 07 – 10/2007 rechtzeitig eingefordert. Einer erneuten Geltendmachung für den Monat 12/2007 bedurfte es im Hinblick auf § 45 Abs. 3 AVR nicht.

Danach reicht für den gleichen Tatbestand die einmalige Geltendmachung der Ansprüche aus, um die Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Ansprüche unwirksam zu machen.

So verhält es sich bei den streitbefangenen Ansprüchen aus dem Monat Dezember 2007.

Hierbei handelt es sich auch um Differenzvergütungsansprüche für angerechnete Bereitschaftsstunden, die mit der Normalvergütung von der Beklagten in Ansatz gebracht worden sind.

II.

1. Die Klägerin hat zudem einen weiteren Anspruch gegen die Beklagte auf Vergütung von weiteren 2,55 Bereitschaftsstunden für den Monat Dezember 2007 aus § 9 Abs. 3 Unterabs. 3 S. 3, Anlage 8 A. Abs. 4 der AVR in Verbindung mit § 3 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 20.04.1995, § 611 BGB.

Unstreitig hat die Klägerin einen Anspruch auf Vergütung weiterer Bereitschaftsdienststunden für den Monat Dezember 2007 in Höhe von 37,25 Bereitschaftsstunden (x 80 % = 29,8 Arbeitsstunden). Hierauf hat die Beklagte jedoch – unstreitig – nur die Vergütung für 27,25 Stunden gezahlt. Die fehlenden 2,55 Stunden sind deshalb mit dem maßgeblichen Überstundenentgelt von 34,87 € brutto, mithin insgesamt 88,92 € brutto zu vergüten.

2. Auch diesem Anspruch stehen die Ausschlussfristen, § 45 AVR, nicht entgegen.

Zwar übersieht die Kammer hierbei nicht, dass eine rechtzeitige schriftliche Geltendmachung für diesen Anspruch unterblieben ist.

Die Beklagte hat jedoch im Laufe des Prozesses den Anspruch unstreitig gestellt und sogar erklärt, sie habe „fälschlicherweise nur 27,25 Stunden anstelle von 37,25 Stunden Bereitschaftsdienste bezahlt“. Damit hat sie dem klägerischen Anspruch den Streit entzogen, ohne sich ausdrücklich auf den Verfall des Klagebegehrens zu berufen.

C.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

D.

Der beantragten Erklärungsfrist bedurfte es nicht.

Nach § 283 S. 1 ZPO kann auf Antrag der Partei, die sich in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären kann, weil es ihr nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist, das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

So verhält es sich aber gerade nicht.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der teilweisen Rücknahme der Klageforderung nicht um eine Klageänderung, § 264 Nr. 2 ZPO.

Danach ist es als eine Änderung der Klage nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache beschränkt wird.

Das ist hier der Fall.

Anstelle einer Vergütung für 13,75 Bereitschaftsdienststunden aus dem Monat Dezember 2007 hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28.06.2012 ihren Klageanspruch auf die Vergütungszahlung für 2,55 Arbeitsstunden beschränkt. Der Klagegrund – Vergütungszahlung für Bereitschaftsstunden – ist jedoch unverändert geblieben.

2. Die Klägerin hat zudem ihren Klageanspruch für die begehrte Differenzvergütung in Höhe von 2.164,52 € brutto rechtzeitig vor dem Termin, nämlich in der Klageschrift vom 26.10.2009, Eingang bei Gericht am 28.10.2009, der Beklagten zugestellt am 05.11.2009, mit dem Inhalt begründet, den sie in der letzten mündlichen Verhandlung vom 28.06.2012 lediglich wiederholt hat:

„Da sich indes pro Bereitschaftsdienststunde ein Vergütungsanspruch in Höhe von 34,87 € zu Gunsten der Klägerin ergibt, die monatlich bestehenden Minusstunden, die ohnehin nur mit dem Produkt des Faktors 0,8 multipliziert mit den geleisteten Bereitschaftsdienststunden aufgefüllt wurden, zu 28,09 € je Stunde zu vergüten sind, ergibt sich eine Differenz hinsichtlich der Stundenvergütung in Höhe von 6,78 €.“

Die im Laufe der Verhandlungen aufgetretenen Verständnisschwierigkeiten sind damit nicht der Klägerin zuzuschreiben, wenngleich der Beklagten zuzugeben ist, dass erst ihre Berechnungsdarstellung und Erläuterung hierzu, den streitbefangenen Tatbestand – jedenfalls für das Gericht – aufhellen konnte.

E.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. in Verbindung mit § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.

F.

Der Streitwert ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen.

Er beruht auf § 3 ZPO und entspricht der Klageforderung.

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