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Unwirksame betriebsbedingte Kündigung – keine ordnungsgemäße Betriebsanhörung

ArbG Bonn – Az.: 1 Ca 1806/20 – Urteil vom 28.01.2021

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 26.08.2020, zugegangen am 28.08.2020, mit Ablauf des 31.10.2020 aufgelöst wurde.

2. Die Hilfswiderklage wird abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 24448,50 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie über Auskunftsansprüche im Zusammenhang mit Annahmeverzugslohnansprüchen.

Der am   .1959 geborene Kläger ist seit dem 01.02.2013 bei der Beklagten als Regionaler Verkaufsleiter Nord/West auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 09.11.2012 (Bl. 4ff. d.A.) beschäftigt. Sein monatliches Bruttogehalt beträgt 5433,00 Euro.

Die Beklagte beschäftigte bis 2019 regelmäßig 132 Arbeitnehmer. Bei ihr besteht ein Betriebsrat.

Die Vertriebsorganisation der Beklagten unterteilt sich in die Unterbereiche Backstube („Handwerk“), Industrie, Foodservice/Großverbraucher, Export sowie Vertriebsinnendienst. Im Bereich „Backstube“ war der Vertrieb ausschließlich über selbständige Handelsvertreter organisiert. Die Aufgabe der Regionalen Vertriebsleiter bestand darin, die in ihrer Region tätigen Handelsvertreter zu „betreuen“. Neben dem Kläger beschäftigte die Beklagte zwei weitere Regionale Verkaufsleiter für die Bereich Nord/Ost und Süd.

Seit dem 04.09.2019 ist der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Am 18.05.2020 informierte die Beklagte die Mitarbeiter darüber, dass sie „zur weiteren Verstärkung“ des Teams in Norddeutschland Herrn l. als Verkaufsleiter Nord/Key Account Manager begrüße, der neben der Führung des Teams im Norden zusätzlich die Betreuung wichtiger Schlüsselkunden mit übernehmen werde. Wenige Tage später informierte sie die Mitarbeiter darüber, dass Herr l. die „obere Hälfte“ Deutschlands verantworte und er neben der Steuerung der Handelsvertreter und angestellten Außendienstmitarbeiter auch eine definierte Anzahl von direkten Kunden betreue.

Unter dem 18.08.2020 schlossen die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat einen Interessenausgleich (Bl. 103ff. d.A.), auf dessen Anlage 8 sich eine Namensliste mit den zu kündigenden Arbeitnehmern, ua. mit dem Namen des Klägers, befindet. Unter § 2c) (Vertrieb) des Interessenausgleichs heißt es wie folgt:

„Der Vertrieb ist das Herzstück unserer Verkaufsaktivitäten. Nachdem über viele Jahrzehnte der Verkauf ausschließlich über externe Handelsvertreter (eigenständige Unternehmer, keine angestellten Mitarbeiter von l. ) organisiert war, wird die Vertriebsorganisation sukzessive auf angestellte Bezirksverkaufsleiter (BVKL) und Key Account Manager (KAM) umgestellt. (…)

aa) Backstube

Im Bereich der Backstube (Kerngeschäft der Fa. L.) wird der Umbau von Handelsvertretungen zu eigenen Mitarbeitern bzw. Telefonverkauf weiter fortgesetzt.

Der verstärkte Einsatz von Telefon und Internet hat zur Folge, dass regionsspezifisch Stellen wegfallen bzw. Handelsvertretungsgebiete nicht nachbesetzt werden.

Der – nach wie vor – größte Geschäftsbereich wird aktuell von zwei Verkaufsleitern (Nord/Süd) geführt, die ebenfalls eigene Zentralkunden betreuen. Jedem Verkaufsleiter sind aktuell 3 BVKL zugeordnet, die in einem zugewiesenen Verkaufsgebiet tätig sind, eine Ergänzung um jeweils zwei weitere BVKL ist nach der Beendigung weiterer Handelsvertreterverträge aktuell vorgesehen.“

Auf den übrigen Inhalt des Interessenausgleichs wird Bezug genommen.

Unter dem 19.08.2020 stimmte der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung des Klägers zu.

Mit Schreiben vom 26.08.2020, dem Kläger am 28.08.2020 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Wirkung zum 31.10.2020.

Nach Ausspruch der Kündigung schrieb die Beklagte ua. die Stelle eines Gebietsverkaufsleiters/Vertriebsmitarbeiters im Außendienst Küstenregion Nord- und Ostsee aus.

Mit der am 01.09.2020 bei dem Gericht eingegangenen Klage macht der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung sowie klageerweiternd hilfsweise die Zahlung der Sozialplanabfindung geltend. Die Beklagte macht hilfswiderklagend Auskunftsansprüche geltend.

Der Kläger ist der Auffassung, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Er bestreitet die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats.

Er behauptet, er habe ebenfalls Besuchsberichte geschrieben. Diese lägen der Beklagten vor. Bis zur Einstellung bei der Beklagten habe er etwa 20 Jahre lang mit Angestellten gearbeitet. Bereits mit seiner Anstellung im Jahr 2013 sei angedacht worden, das System bei der Beklagten zu ändern. Bis 2017 habe er auch Kontakt zu etwa 10 bis 15 Großkunden gehabt. Diese seien dann von Großkundenbetreuern übernommen worden. Zuletzt habe er noch zwei bis drei Kunden betreut. Der neu eingestellte Herr l. übe dieselben Tätigkeiten aus wie er. Im Termin zur Verhandlung vor der Kammer hat der Kläger außerdem die grobe Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl gerügt.

Für den Fall der Abweisung des Kündigungsschutzantrags habe er Anspruch auf Zahlung der Sozialplanabfindung. Diesen mache er mit dem Antrag zu 2) geltend.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 26.08.2020, zugegangen am 28.08.2020, mit Ablauf des 31.10.2020 aufgelöst wurde;

2. hilfsweise für den Fall der Abweisung des Klageantrags zu 1) die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 10.193,00 Euro zzgl. 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Hilfsweise für den Fall der Stattgabe des Klageantrags zu 1) beantragt sie widerklagend, den Kläger zu verurteilen, ihr Auskunft darüber zu erteilen,

1. wann ihm durch die Bundesagentur für Arbeit und das Jobcenter seit dem 31.8.2020 welche Vermittlungsangebote zur Arbeitsaufnahme und/oder zur Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses unterbreitet wurden, indem er ein Verzeichnis in Textform erstellt, aus dem das Datum des Vermittlungsangebots, die jeweilige Art der Tätigkeit, die Arbeitszeit, der Arbeitsort, die Höhe der Vergütung und der Arbeitgeber hervorgehen, sowie wann und wie er sich darauf beworben hat und wie auf seine Bewerbung reagiert wurde und wann es zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses mit welchen Einkünften gekommen ist und/oder warum es nicht zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses kam, sowie

2. in welchem zeitlichen Umfang er seit dem 28.8.2020 ohne Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit und des Jobcenters einer anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und welchen Verdienst er hieraus erzielt hat;

3. gegebenenfalls nach Erledigung der vorstehenden Stufe den Kläger zu verurteilen, die Vollständigkeit und Richtigkeit der erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern.

Der Kläger beantragt,  die Hilfswiderklage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, ihre wirtschaftliche Lage sei durch anhaltende und stetig gestiegene operative Verluste in den letzten fünf Jahren gekennzeichnet. 2020 sei das mit Abstand schlechtes Jahr der Firmengeschichte gewesen.

Daher seien in den Bereichen Produktion, Technik/Instandhaltung, Logistik, Vertrieb, Supply Chain bis hin zu Finanzen/IT, Personal, Qualitätsmanagement und Marketing organisatorische Änderungen vorgenommen, Arbeitsplätze abgebaut und Anforderungsprofile für einzelne Arbeitsplätze neu festgelegt worden. Insgesamt seien aufgrund dieser Änderungen Arbeitsplätze im Umfang von 22 Vollzeitäquivalenten entfallen.

Die im Bereich „Backstube“ tätigen Handelsvertreter hätten Gebietsschutz gehabt, so dass der Kläger keine Kunden betreut hätte. Er habe daher anders als im Vertrieb tätige Außendienstmitarbeiter auch keine Besuchsberichte geschrieben. Die Positionen der Regionalen Vertriebsleiter sei überflüssig geworden und vollständig ersatzlos entfallen. Die Funktion der Regionalen Vertriebsleiter Nord/Ost und Süd sei bereits 2019 entfallen, da von ursprünglich ca. 90 Handelsvertretern derzeit nur noch 14 aktiv sein und im Laufe der kommenden drei Jahre weitere drei altersbedingt ausscheiden würden. Auch das Arbeitsverhältnis mit einem der beiden anderen ehemaligen Regionalen Verkaufsleitern habe sie gekündigt. Der andere sei in der neuen Vertriebsstruktur als Verkaufsleiter Süd mit Wohnsitz in B  n und Führungsverantwortung für bis zu fünf Gebietsverkaufsleiter der Region Süd tätig. Er sei bereits seit 01.01.2010 bei ihr tätig, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Das bis zur Betriebsänderung gelebte Konzept im Vertriebsbereich sei umständlich und teuer gewesen und habe zu einer doppelten Betreuung von Kunden durch mehrere Personen geführt. Die Kunden, die der Kläger betreut habe, seien auch von den regional zuständigen selbständigen Handelsvertretern betreut worden, die hierfür Provisionen erhalten hätten. Die drei Regionalverkaufsleiter, von denen einer der Kläger gewesen sei, hätten insoweit keine eigenen Kunden gehabt. Sie hätten daher auch keine Umsatz- und Ergebnisverantwortung gehabt.

Dem Betriebsrat seien die Kündigungsgründe aus den Gesprächen über den Interessenausgleich unmittelbar bestens bekannt gewesen. Ihm seien die Sozialdaten sämtlicher Mitarbeiter ebenfalls im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen mitgeteilt worden. Er sei unmittelbar nach Abschluss des Interessenausgleichs und Sozialplans über die aufgrund der Namensliste auszusprechenden Kündigungen unterrichtet worden. Er habe aufgrund der Verhandlungen gewusst, dass auch im Vertriebsbereich ein teilweiser Stellenabbau erforderlich und Inhalt des Interessenausgleichs sei. Ferner sei dem Betriebsrat bekannt gewesen, dass über den Exportbereich hinaus die Stelle eines Regionalvertriebsleiters sowie eines Key Account Managers national und eines weiteren Außendienstmitarbeiters dauerhaft entfielen.

Unmittelbar nach beiderseitiger Unterzeichnung des Interessenausgleichs sei der Betriebsrat zu den beabsichtigten Kündigungen mit Schreiben vom 19.08.2020 angehört worden. Er habe den beabsichtigen Kündigungen ausdrücklich auf seiner Sitzung vom selben Tage zugestimmt.

Sollte der Kündigungsschutzklage stattgegeben werden, stehe ihr der hilfswiderklagend geltend gemachte Auskunftsanspruch zu. Dieser diene der Vorbereitung der zu erwartenden Geltendmachung von Annahmeverzugslohnansprüchen durch den Kläger und der der Erhebung der gesetzlich vorgesehenen Einwendungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist aufgrund der streitbefangenen Kündigung vom 26.08.2020 nicht mit Wirkung zum 31.10.2020 beendet worden. Die Hilfswiderklage ist unbegründet.

I.   Die Klage ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 26.08.2020 beendet das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht. Sie ist sozial ungerechtfertigt, denn sie ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen, bedingt.

1. Die streitbefangene Kündigung gilt nicht bereits gem. den §§ 7, 4 S. 1 KSchG als rechtswirksam, denn der Kläger hat die Kündigungsschutzklage innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG erhoben.

2. Die Kündigung war am Maßstab des KSchG zu messen, da dieses auf das Arbeitsverhältnis der Parteien in persönlicher und in betrieblicher Hinsicht gemäß den §§ 1 Abs. 1, 23 Anwendung findet.

3. Nach den damit anwendbaren Maßgaben des KSchG erweist sich die streitbefangene Kündigung als rechtsunwirksam, denn sie ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt.

a)  Die von der Beklagten behaupteten, die Kündigung des Klägers bedingenden betrieblichen Erfordernisse werden nicht gemäß § 1 Abs. 5 KSchG vermutet.

aa) Nach dieser Vorschrift wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist, wenn die Arbeitnehmer, denen aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutung (Vermutungsbasis) hat der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen. Zu diesen gehören das Vorliegen einer Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 1 BetrVG, die für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war, sowie dessen ordnungsgemäße Bezeichnung in einem Interessenausgleich (BAG 17. März 2016 – 2 AZR 182/15 – juris).

bb) Danach fehlt es im Streitfall bereits an einer hinreichenden Vermutungsbasis. Nicht die dem Interessenausgleich zugrunde liegende Betriebsänderung ist für die Kündigung des Klägers kausal, sondern die bereits zuvor, nämlich im Mai 2020, erfolgte Einstellung von Herrn l.. Die Beklagte kann nicht vor Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste Maßnahmen durchführen, die zum Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für einen Arbeitnehmer führen und sich sodann aufgrund eines nachfolgend abgeschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste auf dessen Vermutungswirkung berufen.

(1) Mit dem Vortrag, sie habe 2019 rund 132 Arbeitnehmer beschäftigt und spreche aufgrund der im Interessenausgleich verhandelten Betriebsänderung 22 Kündigungen aus, hat die Beklagte hinreichend zum Vorliegen einer Betriebsänderung iSd. § 1 Abs. 5 KSchG vorgetragen. Jedenfalls bestand diese in einem Personalabbau, der den erforderlichen Umfang iSd. § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG iVm. § 17 Abs. 1 KSchG hat.

Nach § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG gelten als Betriebsänderung iSd. § 111 S. 1 BetrVG die Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile. Auch ein bloßer Personalabbau ohne Verringerung der sächlichen Betriebsmittel kann eine Betriebseinschränkung sein, wenn eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist. Richtschnur dafür, wann erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, sind die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG (BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 352/11 – juris).

Gemäß den danach maßgeblichen Vorgaben des § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG beabsichtigte die Beklagte, mehr als 10% der Arbeitnehmer ihres Betriebs zu kündigen.

(2) Die Kammer geht weiter davon aus, dass der Interessenausgleich auch formwirksam zustande gekommen ist, insbesondere genügt die als Anlage 8 zum Interessenausgleich vereinbarte Namensliste dem Schriftformerfordernis gem. § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG iVm. §§ 125, 126 BGB.

(3) Die Beklagte hat indes nicht nachvollziehbar dargetan, dass die dem Interessenausgleich nach ihrer Darstellung zugrunde liegende Betriebsänderung für die Kündigung des Klägers kausal geworden ist.

(a)  Wie oben ausgeführt, hat der Arbeitgeber die Basis für die Vermutung, dass die aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste ausgesprochene Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, darzulegen und zu beweisen. Hierzu gehört die Darlegung, dass die Betriebsänderung für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war (vgl. BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 386/11 – juris).

(b)  Hieran fehlt es im Streitfall. Dem Vorbringen der Beklagten lässt sich nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen, dass das Beschäftigungsbedürfnis für den Kläger aufgrund der im Interessenausgleich behandelten Betriebsänderung entfallen ist. Vielmehr stellt es sich so dar, dass das Bedürnis für die Beschäftigung des Klägers bereits vor Aufnahme der Interessenausgleichsverhandlungen durch die Einstellung von Herrn l. entfallen ist.

Die Beklagte hat ausgeführt, aufgrund des Ausscheidens der meisten Handelsvertreter seien die Funktionen der Regionalen Verkaufsleiter überflüssig geworden. Zugleich trägt sie im Schriftsatz vor, dass es durch die „frühere“ Vertriebsstruktur zu einer doppelten Betreuung von Kunden gekommen sei. Den Schilderungen des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer, dass er bis 2017 selbst 10 bis 15 Großkunden betreut habe, hat die Beklagte nicht widersprochen. Darüber hinaus beschäftigt sie unstreitig den früheren regionalen Verkaufsleiter Süd in den von ihr als neu bezeichneten Strukturen fort. Darüber hinaus hat sie für den Bereich Nord bereits im Mai Herrn l. als Verkaufsleiter eingestellt, so dass im Interessenausgleich ausdrücklich von zwei Verkaufsleitern (Nord/Süd) die Rede ist – womit wohl der Verkaufsleiter Süd und Herr l. gemeint sein dürften. Mit der Einstellung von Herrn l., der offenbar zumindest auch (noch) Handelsvertreter betreut, hat die Beklagte demzufolge Aufgabengebiete des Klägers auf diesen übertragen, nämlich die Handelsvertreterbetreuung und die Betreuung von Großkunden. Der Beschäftigungsbedarf für den Kläger ist damit zumindest überwiegend durch die Einstellung von Herrn l. entfallen, nicht aber durch die nachfolgende Betriebsänderung. Konsequenterweise lässt sich dem Interessenausleich selbst auch nicht der Wegfall der Stelle des Klägers entnehmen. In ihm ist die Rede davon, dass die Beklagte „aktuell“ zwei Verkaufsleiter beschäftigte, womit nicht der Kläger gemeint ist. Der im Interessenausgleich beschriebene Istzustand erwähnt damit den Arbeitsplatz schon nicht mehr. Er kann daher nur zuvor bereits „entfallen“ sein.

b)  Die Beklagte hat dringende betriebliche Bedürfnisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen, auch nicht ohne die durch § 1 Abs. 5 KSchG angeordnete Vermutungswirkung in Anspruch zu nehmen, dargetan.

Unstreitig ist ein Großteil der Aufgaben, die der Kläger bislang wahrgenommen hat, nicht entfallen. Soweit neue hinzugekommen sein sollten – wie etwa die Führung festangestellter Außendienstmitarbeiter – ist nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte diese nicht auch dem Kläger im Wege des Direktionsrechts hätte zuweisen können. Der vorgelegte Arbeitsvertrag steht dem nicht entgegen. Offenbar ist die Beklagte bei dem Verkaufsleiter Süd in dieser Weise vorgegangen. Dass die Beklagte während der Erkrankung des Klägers Herrn l. eingestellt hat, mag zwar dazu geführt haben, dass bislang von dem Kläger wahrgenommene Aufgaben nunmehr von Herrn l. wahrgenommen werden. Die Übertragung von Aufgaben auf einen neu eingestellten Mitarbeiter stellt indes kein dringendes betriebliches Erfordernis zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung dar.

4.   Die Kündigung ist auch mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte hat den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß über die Gründe für die Kündigung des Klägers unterrichtet.

a)  Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gem. Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Diese Verpflichtungen bestehen auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs iSd. § 1 Abs. 5 KSchG (BAG 17. März 2016 – 2 AZR 182/15 – juris). Die Betriebsratsanhörung unterliegt in diesem Fall keinen erleichterten Anforderungen. Nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.

b)  Eine Kündigung ist iSv. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen. Sie ist es auch dann, wenn er ihn nicht ordnungsgemäß beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht ausreichend nachgekommen ist. Für die Mitteilung der Kündigungsgründe gilt dabei der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 16. Juli 2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 15 f.).

Soweit der Kündigungssachverhalt dem Betriebsrat schon aus Verhandlungen über einen Interessenausgleich bekannt ist, braucht er ihm bei der Anhörung nach § 102 BetrVG nicht erneut mitgeteilt zu werden (BAG 20. Mai 1999 – 2 AZR 532/98 – juris). Denn es bedarf keiner weiteren Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber nach § 102 BetrVG, wenn der Betriebsrat bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits über den erforderlichen Kenntnisstand verfügt, um zu der konkret beabsichtigten Kündigung eine sachgerechte Stellungnahme abgeben zu können. Hat der Betriebsrat den erforderlichen Kenntnisstand, um sich über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe ein Bild zu machen und eine Stellungnahme hierzu abgeben zu können, und weiß dies der Arbeitgeber oder kann er dies nach den gegebenen Umständen jedenfalls als sicher annehmen, so würde es dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäߠ§ 2 Abs. 1 BetrVG widersprechen und es wäre eine kaum verständliche Förmelei, vom Arbeitgeber dann gleichwohl noch eine detaillierte Begründung zu verlangen

c)  Die Beklagte kann sich nach den dargelegten Grundsätzen mithin im Rahmen der ihr obliegenden Darlegungen zur ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats grundsätzlich darauf berufen, dem Betriebsrat seien die Kündigungsgründe bereits aus den Verhandlungen zum Abschluss des Interessenausgleichs bekannt. Mit dieser Behauptung genügte sie ihrer Darlegungslast jedenfalls dann, wenn sich aus dem Text des Interessenausgleichs im Einzelnen der jeweilige Kündigungsgrund ergibt. Dies ist – wie ausgeführt – im Streitfall jedoch gerade nicht der Fall. Aus dem Interessenausgleich kann nur der Schluss gezogen werden, dass es den Arbeitsplatz des Klägers schon zuvor nicht mehr gab. Ergibt sich der individuelle Kündigungsgrund nicht aus dem Interessenausgleich, hätte die Beklagte sodann vortragen müssen, was sie im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen dem Betriebsrat zum Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für den Kläger im Einzelnen mitgeteilt hat. Hieran fehlt es. Sie führt insoweit lediglich aus, dass dem Betriebsrat aus den Verhandlungen bekannt gewesen sei, dass auch im Vertriebsbereich ein teilweiser Stellenabbau erforderlich sei. Ferner sei dem Betriebsrat bekannt gewesen, dass über den Exportbereich hinaus die Stelle eines Regionalvertriebsleiters sowie eines Key Account Mangers national und eines weiteren Außendienstmitarbeiters dauerhaft entfalle. Mit der Mitteilung allein dieser Informationen genügt die Beklagte ihrer Unterrichtungspflicht nicht, denn aus ihr geht nicht hervor, dass und warum das Arbeitsverhältnis des Klägers zu kündigen war. Die behauptete Erwähnung des Umstands gegenüber dem Betriebsrat, dass die Stelle eines Regionalvertriebsleiters (damit meint die Beklagte offenbar die Stelle eines regionalen Verkaufsleiters) dauerhaft entfällt, kann auch das Arbeitsverhältnis des ebenfalls gekündigten (dritten) regionalen Verkaufsleiters betre ffen und begründet im Übrigen nicht, warum die Kündigung auszusprechen ist.

II. Mit dem Antrag zu 2) ist die Klage mangels Abweisung des Antrags zu 1) nicht zur Entscheidung angefallen.

III. Die hingegen zur Entscheidung angefallene Hilfswiderklage ist unbegründet. Die Beklagte hat gegen den Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Auskünfte.

1. Im Ansatz zutreffend geht die Beklagte davon aus, dass sie als potentielle Schuldnerin etwaiger Annahmeverzugslohnansprüche des Klägers aus § 615 S. 1 BGB zur Vorbereitung der Erhebung von Einwendungen iSd. § 11 Nr. 2 KSchG gem. § 242 BGB die im Antrag näher bezeichneten Auskünfte jedenfalls zum Teil verlangen kann (vgl. BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 – juris).

Der Auskunftsanspruch kann grundsätzlich auch selbständig im Wege der Widerklage geltend gemacht werden (vgl. ebenfalls BAG 27. Mai 2020 aaO.).

2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des aus § 242 BGB folgenden Auskunftsanspruchs sind jedoch nicht gegeben.

a)  Auskunftsansprüche sind regelmäßig Hilfsansprüche. Sie setzen entweder – sofern der Anspruchsteller mit ihm die Durchsetzung eines weiteren Anspruchs vorbereiten möchte – einen sog. Hauptanspruch oder wenn sie – wie im Streitfall – der Vorbereitung der Erhebung von Einwendungen gegen Ansprüche Dritter dienen sollen, die Geltendmachung eben dieser Ansprüche voraus. Auch das BAG führt ausdrücklich aus, dass die begehrte Auskunft lediglich ein Hilfsmittel zur Begründung der Abwehr der Zahlungsklage ist (BAG 27. Mai 2020 aaO. Rdn. 25). An einer derartigen Zahlungsklage fehlt es im Streitfall.

In der oben zitierten Entscheidung vom 27.05.2020 führt das BAG außerdem zu den Anspruchsvoraussetzungen aus, dass derjenige, der Auskunft fordert, durch das Verhalten desjenigen, von dem er Auskunft verlangt, bereits in seinem bestehenden Recht so betroffen sein muss, dass für ihn ohne die Auskunftserteilung nachteilige Folgen eintreten können. Ist ein Vertragspartner zur Begründung von Einwendungen auf die Information durch den anderen angewiesen, so genügt eine Wahrscheinlichkeit, dass die Einwendung begründet ist. Dies setzt zuerst voraus, dass er bereits Ansprüchen des anderen ausgesetzt ist. Das BAG führt insoweit  ausdrücklich aus, dass der beklagte Arbeitgeber durch die erhobene Zahlungsklage (auf Annahmeverzugslohn) in seinen Rechten betroffen ist, weil die Anrechnung anderweitig erzielten oder böswillig unterlassenen Verdienstes ipso iure erfolgt. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit, dass die Einwendung böswillig unterlassener anderweitiger Arbeit begründet ist, besteht daher insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet hat (vgl. BAG 27. Mai 2020 aaO., Rdnrn. 34ff.). Wird der Arbeitgeber hingegen (noch) nicht etwaigen Annahmeverzugslohnansprüchen ausgesetzt, ist er noch nicht in einer Weise in seinen Rechten betroffen, die die Begründung eines Auskunftsanspruchs rechtfertigen.

Wäre ein Auskunftsanspruch bereits gegeben, bevor der Arbeitnehmer überhaupt Annahmeverzugslohnansprüche geltend macht, hätte dies zur Folge, dass der Arbeitnehmer im Wege der Zwangsvollstreckung zur Auskunft angehalten werden könnte, ohne überhaupt Annahmeverzugslohn zu beanspruchen.

Für hier vertretene Auffassung spricht auch, dass die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs im Wege der Widerklage prozessual an sich nicht erforderlich ist (vgl. BAG 27. Mai 2020 aaO. Rdn. 27). Naheliegender ist es nach Auffassung des BAG vielmehr, die Auskunft in die Verteilung der Darlegungslast zu integrieren. Daran zeigt sich, dass die Auskunft nur verlangt werden kann, wenn ein Zahlungsanspruch geltend gemacht wird. Andernfalls käme eine „Integration“ in die Darlegung nicht in Betracht.

Dementsprechend geht schließlich auch die Literatur davon aus, dass der Auskunftsanspruch solange zumindest noch nicht fällig ist, wie Annahmeverzugslohnansprüche nicht gestellt werden (vgl. BeckOK/Arbeitsrecht/Hagen HGB § 74c Rdn. 20).

b)  Im Streitfall fehlt es somit an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass etwaige Einwendungen der Beklagten wegen böswillig unterlassenen Erwerbs begründet sein könnten. Der Kläger ist nach wie vor arbeitsunfähig erkrankt und er macht – worauf es letztlich ankommt – bislang keine Annahmeverzugslohnansprüche geltend.

c)  Die als Stufenklage anhängig gemachte Hilfswiderklage konnte entsprechend den Grundsätzen zur stufenweisen Geltendmachung von Auskunfts- und Hauptanspruch (s. hierzu Zöller/Greger ZPO § 254 Rdn. 9) insgesamt abgewiesen werden, da bereits die Prüfung des Auskunftsanspruchs ergeben hat, dass die von der Beklagten erhobene Einwendung böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs jedenfalls bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht begründet sein konnte.

B.  Die Kostentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Die Festsetzung des Streitwerts im Urteil beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 42 Abs. 2 S. 1 GKG und §§ 3, 5 ZPO und erfolgte für den Klageantrag in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern und für die Widerklage in Höhe von 1,5 Gehältern.

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