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Unwirksame Teilkündigung einer Beihilferegelung

ArbG Essen – Az.: 4 Ca 1139/21 – Urteil vom 01.10.2021

1. Es wird festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 25.03.2021 mit Wirkung zum 30.06.2021 hinsichtlich der Beihilfeleistungen im Krankheitsfalle nach Maßgabe von Teil IV. Ziffer 34 der Vereinsordnung des M. e.V. vom 15.12.1978 unwirksam ist.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Streitwert: 616,00 EUR

Tatbestand

Der Kläger ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen seit dem 01.04.1995 als KFZ-Meister beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Anstellungsvertrag vom 24.03.1995 (Auszug Bl. 20 ff. d. A.). Auf das Arbeitsverhältnis fand zunächst die Konzernbetriebsvereinbarung „O.“ vom 15.12.1978 (Bl. 128 ff. d. A.) Anwendung. Diese enthielt u.a. Regelungen zu Beihilfen (Zuschüsse zu verbleibenden Krankheitskosten) für die Arbeitnehmer.

Am 01.06.2008 vereinbarten die Betriebsparteien eine Konzernbetriebsvereinbarung über die Betriebsordnung im I. Konzern (KBV Betriebsordnung 2008), in der es u.a. lautet:

12. Schlussbestimmunqen

Diese Betriebsordnung tritt mit Unterzeichnung in Kraft und ersetzt alle bisherigen Vereins- bzw. Betriebsordnungen im I. Konzern, mit Ausnahme der bei Abschluss dieser Betriebsvereinbarung geltenden Regelungen über Beihilfen im Krankheitsfall und für Heiraten sowie Geburten (M. alt). Diese gelten unverändert fort.

Es fand zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt ein Betriebsübergang auf die Rechtsvorgängerin der Beklagten statt.

Die Beklagte kündigte gegenüber dem Kläger sowie sämtlichen weiteren Arbeitnehmern mit Schreiben vom 25.03.2021 alle individualrechtlichen Zuschüsse zu verbleibenden Krankheits- und Behandlungskosten nach Maßgabe von Teil IV der Vereinsordnung mit Wirkung zum 30.06.2021 (Bl. 100 d. A.).

Der Kläger ist der Ansicht, die Kündigung sei als Teilkündigung unzulässig. Daher stünden ihm die Beihilfeleistungen weiterhin zu. Infolge des Betriebsüberganges habe er einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leistungen, sofern die Kündigung möglich sei, habe er gemäß der Regelunge Anspruch aus dem Gesichtspunkt der Nachwirkung. Die Beklagte habe die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend beachtet, weil der reine Verweis auf ein negatives Eigenkapital i.H.v. rd. H. EUR zum Bilanzstichtag 31.12.2020 nicht ausreichend sei.

Daneben ergebe sich aus Ziffer 12, Abs. 1 S. 2 KBV Betriebsordnung 2008 eine unveränderte Weitergeltung der Beihilfenregelung im Krankheitsfalle. Die Auslegung dieser Erklärung in Verbindung mit der Entwicklungshistorie der im Konzern geltenden Regelungen ergebe, dass die bislang geltende Beihilfe im Krankheitsfalle ohne Einschränkungen weiter gewährt werden solle. Diese Regelung gehe über eine reine Absichtserklärung ohne Regelungsgehalt deutlich hinaus.

Der Kläger beantragt, zu erkennen: Es wird festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 25.03.2021 mit Wirkung zum 30.06.2021 hinsichtlich der Beihilfeleistungen im Krankheitsfalle nach Maßgabe von Teil IV. Ziffer 34 der Vereinsordnung des M. e.V. vom 15.12.1978 unwirksam ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Betriebsvereinbarung Vereinsordnung sei im Rahmen des Betriebsübergangs auf ihre Rechtsvorgängerin zwar in eine individualvertragliche Regelung transformiert worden, die kollektive Wirkung dieser ursprünglichen Betriebsvereinbarung sei aber dadurch nicht verloren gegangen. Es handele sich zuletzt bei der Beihilfenregelung um eine Gesamtzusage, die durch eine nachfolgende Regelung auch zum Nachteil der Mitarbeiter abgeändert werden könne. Eine Betriebsvereinbarungsoffenheit der Regelung sei gemäß der neueren Rechtsprechung des BAG zu unterstellen und eine Ablösung damit auch durch eine neue vertragliche Einheitsregelung bzw. eine Gesamtzusage ohne weiteres möglich. Diese Möglichkeit habe sie für sich genutzt und die Beihilferegelung durch einen entsprechenden Beschluss der Geschäftsleitung im Rahmen einer ablösenden Gesamtzusage abgeschafft.

Die Kündigung nur der Beihilferegelung habe isoliert erfolgen können, da diese schon in Ziffer 34 der Vereinsordnung für sich gesondert geregelt gewesen sei. Die Vereinsordnung habe eine Teilkündigung zugelassen. Gleiches müsse nach der Transformation gemäß § 613 a BGB auch für die Gesamtzusage gelten. Infolge des zum 31.12.2020 festgestellten negativen Eigenkapitals in Höhe von rund H. Euro und dessen zum Jahresende 2021 prognostizierten Anstiegs auf P. Euro sei die Kündigung auch gerechtfertigt. Wenn eine Eigenkapitalauszehrung nach der Rechtsprechung des BAG zur Einschränkung der betrieblichen Altersversorgung führen könne, müsse dies erst recht auch für sonstige Sozialleistungen geltend.

Eine Nachwirkung gemäß der Regelung in der Vereinsordnung könne nur soweit bestehen, wie ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bestehe. Bei einer vollständigen Streichung sei dies nicht anzunehmen.

Ergänzend wird auf die wechselseitigen vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, sowie auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist auch begründet.

I.

1. Der Klageantrag ist zulässig. Dem Kläger steht das für eine Feststellungsklage notwendige Rechtsschutzinteresse nach § 256 ZPO zur Seite. Bei der Klage handelt es sich zwar nicht um eine Kündigungsschutzklage iSd. § 4 KSchG, die innerhalb von drei Wochen zu erheben ist, damit die Kündigung nicht bestandskräftig wird. Gleichwohl hat der Kläger ein Interesse an der Feststellung, ob die streitige Beihilferegelung für ihn weiter Geltung hat oder nicht. Hierauf muss der Kläger sich einstellen und abhängig vom Ausgang dieses Verfahrens ggf. anderweitig vorsorgen oder andere Behandlungen und Heilmittel in Anspruch nehmen.

2. Die Klage ist auch begründet. Denn die von der Beklagten ausgesprochene Teilkündigung ist unwirksam. Sie führt nicht zur Beseitigung der Beihilfenregelung.

a) Zwischen den Parteien besteht kein wesentlicher Streit darüber, dass infolge des nicht näher datierten Betriebsüberganges auf die Rechtsvorgängerin der Beklagten die ursprünglich in der Konzernbetriebsvereinbarung „Vereinsordnung“ enthaltene Beihilfenzusage nunmehr in eine Gesamtzusage transformiert wurde.

aa) Auch die Kammer geht davon aus, dass Anspruchsgrundlage für die streitige Beihilfenregelung eine Gesamtzusage oder Einheitsregelung ist. Ursprünglich war die Regelung Gegenstand einer Konzernbetriebsvereinbarung. Infolge des Betriebsüberganges hat sich die Rechtsnatur gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB geändert, so dass die Regelung jetzt die Form einer Gesamtzusage hat. § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB spricht davon, dass Rechte, die in einer Betriebsvereinbarung geregelt sind, durch den Betriebsübergang zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden. Nach allgemeiner Ansicht handelt es sich dann nach dem Betriebsübergang um eine Gesamtzusage oder eine Einheitsregelung (vgl. allg. ErfKo-Preis, 21. Aufl. 2021, § 613 a BGB, Rn. 112).

Der Anspruch des Klägers auf Beihilfen im Krankheitsfall folgte damit zuletzt aus einer Gesamtzusage.

bb) Sofern der Kläger im Verlauf des Verfahrens ergänzend und ggf. hilfsweise argumentiert hat, die Grundlage der Beihilfenregelung sei nach wie vor eine Konzernbetriebsvereinbarung, folgt die Kammer dem nicht. Zum einen erscheint schon die Auslegung des Klägers hinsichtlich der KBV Betriebsordnung 2008 als äußerst fernliegend. Wenn die Betriebsparteien vereinbaren, Regelungen zu Beihilfen würden durch die KBR nicht geändert, sondern gelten unverändert fort, wollten sie offenkundig keine Regelung zu diesem Thema treffen. Sie ließen die Beihilfenregelungen „unangetastet“ so, wie sie 2008 waren. Wenn die Beihilfenregelung 2008 aus einer Betriebsvereinbarung folgte, wollten die Betriebspartner dies so lassen, wenn sie aus einer Gesamtzusage folgte, wollten sie dies ebenso belassen. Zum anderen hat keine der Parteien dazu vorgetragen, wann der die Transformation auslösende Betriebsübergang überhaupt stattgefunden haben soll. Auch die Kammer kann dies nicht erkennen. Wenn dieser aber erst nach dem 01.06.2008 stattgefunden haben sollte, dann führt die KBV Betriebsordnung 2008 zu keinem anderen Ergebnis, selbst wenn man der fernliegenden Auslegung des Klägers folgen würde. Denn dann wäre auch diese KBV der Transformation in eine Gesamtzusage unterlegen und würde nicht ohne weiteres fortgelten. Konkreten Vortrag hierzu hat der Kläger nicht gehalten.

b) Die Regelungen zu Beihilfeleistungen konnte die Beklagte grundsätzlich nicht durch eine Teilkündigung beseitigen.

aa) Teilkündigungen, mit denen der Arbeitgeber einzelne Vertragsbedingungen gegen den Willen des Arbeitnehmers einseitig ändern will, sind grundsätzlich unzulässig, weil sie einen unzulässigen Eingriff in das ausgehandelte Äquivalenz- und Ordnungsgefüge des Vertrages darstellen (BAG vom 23.03.2011 – 10 AZR 562/09 – zit. nach juris, Rn. 27 m. zahlr. Nw.). Eine Zulässigkeit wird nur angenommen, wenn dem Kündigenden das Recht hierzu eingeräumt wurde (BAG, a.a.O.).

bb) Hier ist zwar in der früheren Konzernbetriebsvereinbarung „Vereinsordnung“ eine Kündigungsmöglichkeit vorgesehen (Ziffer 2.2), gleichzeitig ist aber eine Nachwirkung vereinbart (Ziffer 3). Würden die Beihilferegelungen noch durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so könnte die Beklagte die Regelung nicht durch eine Kündigung einseitig beenden, sondern nur durch eine „neue Vereinbarung“ mit dem Gesamtbetriebsrat. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beihilfenregelung wohl ursprünglich um eine freiwillige Leistung der Beklagten handelte, die über eine Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG installiert wurde und für die das Gesetz in § 77 Abs. 6 BetrVG keine Nachwirkung anordnet. Die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin hat sich aber gegenüber dem Betriebsrat und damit auch gegenüber den Arbeitnehmern insoweit gebunden, dass die Nachwirkung Bestandteil der Regelung geworden ist. Gleiches muss nach Auffassung der Kammer auch nach dem Betriebsübergang gelten. Denn dieser kann nicht dazu führen, dass die Beklagte sich leichter von den früher versprochenen Leistungen trennen kann als ihre Rechtsvorgängerin noch unter Geltung der Gesamtbetriebsvereinbarung. Infolge der Transformation der Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage führt die in der Gesamtbetriebsvereinbarung vereinbarte Nachwirkung nach Ansicht der Kammer dazu, dass die Beklagte die Beihilfenregelung durch die Kündigung nicht ersatzlos beseitigen konnte. Hiervon scheint auch die Beklagte aus-zugehen, die sich auf diese Beendigungsmöglichkeit nicht berufen hat.

c) Die Gesamtzusage konnte die Beklagte nach Überzeugung der Kammer auch nicht aus anderen Gründen einseitig beseitigen.

aa) Eine Gesamtzusage kann grundsätzlich nicht durch eine spätere Kollektivvereinbarung und erst recht nicht durch eine einseitige arbeitgeberseitige Regelung verschlechtert werden (ErfKo-Preis, 21. Aufl. 2021, § 611 a BGB, Rn. 218), sondern nur durch eine abweichende vertragliche Vereinbarung (vgl. MüHBArbR-Leisbrock, 5. Aufl. 2021, § 36, Rn. 22) oder eine wirksame Änderungskündigung (vgl. BAG vom 30.01.2019 – 5 AZR 450/17 – zit. nach juris, Rn. 61).

bb) Nach der neueren inzwischen ständigen Rechtsprechung wertet das BAG hingegen für eine große Zahl von Arbeitnehmern geltende Regelungen z.B. in einer Gesamtzusage oder Einheitsregelung als betriebsvereinbarungsoffen (vgl. z.B. BAG vom 21.02.2017- 3 AZR 542/15 – zit. nach juris, Rn. 34). Hauptanwendungsfall hierfür sind aber Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung, auch wenn die Grundsätze auch bei anderen Leistungen angewandt werden (vgl. BAG vom 30.01.2019 – 5 AZR 450/17 – zit. nach juris, Rn. 59). Diese Wertung wird in der Literatur ganz überwiegend geteilt (vgl. nur ErfKo-Preis, a.a.O., § 611 a BGB, Rn. 218). Begründet wird dies damit, dass vor allem Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach einem festen und einheitlichen System erbracht werden und die Leistungen auf einen längeren Zeitraum angelegt sind. Für den begünstigten Arbeitnehmer sei daher von vornherein erkennbar, dass die Leistungen einem künftigen Änderungsbedarf ausgesetzt seien. Nur so könne eine einheitliche Anwendung für Arbeitnehmer und Betriebsrentner sichergestellt werden. Danach ist regelmäßig keine vertragliche Änderung oder Änderungskündigung erforderlich, sondern die Betriebsparteien können die Gesamtzusage durch eine ändernde Betriebsvereinbarung auch verschlechtern. Anderes gelte nur, wenn der Arbeitgeber in der Gesamtzusage deutlich zum Ausdruck bringe, dass die Versorgungsbedingungen sich nicht ändern sollen.

Auch die Beihilferegelung ist nach Überzeugung der Kammer bei Anlegung dieser Grundsätze betriebsvereinbarungsoffen. Dies kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden. Die Beklagte hat aber keine „andere“ Betriebsvereinbarung mit dem zuständigen Betriebsrat getroffen, die die zuletzt als Gesamtzusage geltende Regelung der Beihilfenansprüche abgelöst haben könnte. Vielmehr hat sie einseitig die Regelung dahin verändert, dass die bisherigen Leistungen gestrichen wurden.

cc) Die Beklagte beruft sich für die Zulässigkeit dieser einseitigen Maßnahme auf eine (noch) singuläre Entscheidung des BAG, in der das BAG annimmt, eine betriebsvereinbarungsoffene Gesamtzusage könne auch durch einseitiges Handeln des Arbeitgebers beseitigt werden (BAG vom 11.12.2018 – 3 AZR 380/17 – zit. nach juris). Die Kammer hält diese Entscheidung aber auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt für nicht übertragbar.

(1) Der Beklagten ist zunächst darin zuzustimmen, dass das BAG entschieden hat, die bei einer Betriebsvereinbarungsoffenheit allgemein angenommene mögliche Ablösung könne „nicht nur durch eine Betriebsvereinbarung … als betriebliche kollektivrechtliche Regelung erfolgen, sondern auch durch eine neue vertragliche Einheitsregelung bzw. eine Gesamtzusage“. Es sei nämlich unerheblich, in welcher Form der Arbeitgeber sein System fortentwickelt (so ausdrücklich BAG vom 11.12.2018 – 3 AZR 380/17 – zit. nach juris, Rn. 65 unter Verweis auf BAG vom 23.02.2016 – 3 AZR 960/13 – zit. nach juris, Rn. 31 und – 3 AZR 44/14 – zit. nach juris, Rn. 47).

(2) Der vom BAG entschiedene Sachverhalt ist indes von dem hier zu entscheidenden in mehreren wesentlichen Punkten grundverschieden, so dass die Kammer nicht davon ausgeht, die allgemeine Formulierung des BAG in der zitierten Entscheidung gelte für sämtliche Gesamtzusagen. Dies würde nämlich bedeuten, dass der Arbeitgeber nach Gutdünken jede kollektive Zusage jederzeit einseitig wieder beseitigen könnte. Die Beklagte nennt hier zwar ihre wirtschaftliche Lage als wichtigen Grund für die Streichung der Beihilfenregelung, das BAG stellt eine derartige Voraussetzung aber in dem zitierten Urteil nicht auf.

(a) Das BAG spricht zwar ausdrücklich auch von einer „verschlechternden Ablösung des Systems“ der Betriebsrente. Hier geht es aber nicht um eine Verschlechterung der Beihilferegelung, die zulässig sein mag oder nicht. Die Beklagte streicht vielmehr eine bisher gewährte Sozialleistung insgesamt. Ob eine Leistung ihren Voraussetzungen oder ihrem Umfang nach den aktuellen Verhältnissen angepasst oder gestrichen wird, mag dogmatisch nur einen Unterschied in der Intensität der Maßnahme ausmachen. Die Kammer hält aber die ersatzlose Streichung einer Leistung für etwas grundlegend anderes als die Anpassung einer Leistung an geänderte Umstände.

(b) Das BAG spricht in der zitierten Entscheidung von der Ablösung durch eine „neue Einheitsregelung“ oder eine „neue Zusage“ (BAG, a.a.O., Rn. 65). Hier hat die Beklagte die bisherige Regelung nicht durch eine neue Regelung oder Zusage ersetzt, sondern will die bisherige Regelung ersatzlos beseitigen.

(c) Weiter spricht das BAG zur Begründung seiner Ansicht ausdrücklich davon, es sei „unerheblich, in welcher Form der Arbeitgeber sein System fortentwickelt“ (BAG, a.a.O., Rn. 65). Hier entwickelt die Beklagte das System Beihilfe nicht weiter fort, weil die Kosten sich z.B. anders als erwartet entwickelt hätten, sondern sie streicht eine bisher gewährte Sozialleistung komplett, um etwas Geld zu sparen. Dies wird kaum als „Fortentwicklung eines Systems“ bezeichnet werden können, sondern ausschließlich als Beendigung eines Systems. Der Begriff „Fortentwicklung“ impliziert nach Überzeugung der Kammer, dass das System, d.h. der Kern einer Sozialleistung trotz der Weiterentwicklung erhalten bleibt. Es kann sich bei einer Fortentwicklung lediglich um gewisse Veränderungen der Voraussetzungen oder Leistungen handeln, nicht aber um eine komplette Beendigung eines Systems.

(d) Gewichtigster Punkt ist aber nach Überzeugung der Kammer, dass die zitierte Entscheidung des BAG eine betriebliche Altersversorgung zum Gegenstand hat. Die hier streitige Leistung ist eine im Synallagma stehende Sozialleistung im aktiven Arbeitsverhältnis.

(aa) Der Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass das Schutzbedürfnis der Betriebsrentner unter bestimmten Gesichtspunkten höher sein mag als dasjenige der aktiven Arbeitnehmer. Hinsichtlich der Sozialleistung „Beihilfen im Krankheitsfall“ gilt dies indes nicht. Denn ein Arbeitnehmer, der sich seit vielen Jahren auf die Zahlung derartiger Beihilfen eingestellt hat, wird kaum in der Lage sein, zu wirtschaftlichen Bedingungen das Krankheitsrisiko anderweitig (z.B. durch eine private Zusatzversicherung) abzudecken. Hierfür müsste er – wenn eine solche Versicherung im Einzelfall je nach Gesundheitszustand und eventuellen Vorerkrankungen überhaupt möglich ist – erhebliche Mittel aufwenden müssen. Das Schutzniveau eines aktiven Arbeitnehmers hinsichtlich der Sozialleistung „Beihilfe“ ist damit jedenfalls nicht niedriger als dasjenige eines Betriebsrentners hinsichtlich seiner Betriebsrente.

(bb) Die Sozialleistung „Betriebsrente“ ist eine zusätzlich Leistung, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses an den Arbeitnehmer zur Auszahlung kommt und – auch wenn sie ebenso im Synallagma steht – nicht derart eng mit der Arbeitsleistung selbst verbunden ist, wie die Sozialleistung „Beihilfe“. Denn diese wird für die aktiven Arbeitnehmer während der aktiven Berufstätigkeit gewährt. Die Beihilfe während des bestehenden Arbeitsverhältnisses steht damit der Arbeitsleistung direkt gegenüber. Die Betriebsrente nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss aber nur im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen (vgl. ErfKo-Steinmeyer, a.a.O., § 1 BetrAVG, Rn. 9 und § 1 b BetrAVG, Rn. 2).

(cc) Das BAG begründet die einseitige Veränderbarkeit von Betriebsrentenzusagen damit, dass der Ruhegehaltsvertrag auf einen längeren, unbestimmten Zeitraum angelegt und daher von vornherein erkennbar einem möglichen künftigen Änderungsbedarf ausgesetzt sei, so dass ein solches System nicht erstarren dürfe (BAG, a.a.O., Rn. 64). Der Arbeitsvertrag ist zwar häufig auch auf einen längeren Zeitraum ausgelegt, der Zeitraum ist aber eher bestimmt oder jedenfalls bestimmbar gestaltbar, als der Betriebsrentenzeitraum. Nach allgemeiner Ansicht ist jedenfalls allein die Dauer eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses kein Grund, dass der Arbeitgeber zugesagte Arbeitsbedingungen einseitig ändern könnte. Dem Arbeitgeber stehen auch für den aktiven Arbeitnehmer verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten zu (Widerrufsvorbehalt, Befristung, etc.), um eine Bindung gerade zu verhindern oder eine Abänderbarkeit zu ermöglichen.

(dd) Diese Wertung der erkennenden Kammer wird durch die Begründung des BAG in der zitierten Entscheidung gestützt. Wenn das BAG argumentiert, es sei „unerheblich, in welcher Form der Arbeitgeber sein System fortentwickelt“ (BAG, a.a.O., Rn. 65 a.E.), d.h. es mache keinen Unterschied, ob die Änderung mittels Betriebsvereinbarung/Sprecherausschussvereinbarung unter Einbeziehung einer Arbeitnehmervertretung oder durch den Arbeitgeber allein ohne Einbeziehung einer Interessenvertretung erfolge, kann dies wohl kaum für die Regelung von aktiven Arbeitsverhältnissen erfolgen. Das BAG wird nicht behaupten, es sei egal, ob der Arbeitgeber eine verschlechternde Regelung alleine oder unter Beteiligung des Betriebsrates aufstellt. Diese apodiktische Aussage würde nach dem von der Beklagten herangezogenen Verständnis das gesamte BetrVG hinsichtlich der darin enthaltenen Mitbestimmungsrechte überflüssig machen. Nach der Einschätzung der erkennenden Kammer gilt die Überlegung des BAG nur für den Fall einer Veränderung von Betriebsrentenleistungen, weil für die Betriebsrentner keine Arbeitnehmervertretung mehr existiert oder zuständig ist. Insofern bleibt dem Arbeitgeber kein Verhandlungspartner, der die Interessen der Betriebsrentner dem Betriebsrat für Aktive vergleichbar wahrnehmen könnte.

Nach all dem hält die Kammer eine Anwendung der vom BAG aufgestellten Grundsätze für auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Andere Gründe, die die grundsätzlich unzulässige Teilkündigung hier ausnahmsweise zulässig erscheinen ließen, kann die Kammer nicht erkennen.

Die Teilkündigung ist damit unwirksam und führt nicht zu einer Änderung des Arbeitsverhältnisses, so dass die Beihilferegelung weiter unverändert Anwendung findet. Dem Klageantrag war mithin stattzugeben.

II.

1. Die Beklagte hat den Rechtsstreit verloren und hat daher die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 91 ZPO).

2. Der vom Gericht im Urteil festzusetzende Rechtsmittelwert bemisst sich nach dem Interesse des Klägers an der streitigen Leistung. Nach den Angaben beider Par-teien in diesem und einem weiteren Verfahren zu den jährlichen Gesamtaufwendungen und der Anzahl der berechtigten Arbeitnehmer hat die Kammer den jährlichen Durchschnittswert pro Arbeitnehmer der ausgekehrten Beihilfen auf 176,00 EUR geschätzt. Mangels konkreter Angaben konnte der im Falle des Klägers relevante Wert dem Streitwert nicht zugrunde gelegt werden. Der dreieinhalbfache Wert (§ 9 ZPO) ergibt den festgesetzten Streitwert.

 

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